USt direkt digital Nr. 4 vom Seite 2

Besteuerung von Reiseleistungen – ein worst case-Szenario rückt näher!

Dr. Hans-Martin Grambeck *

Erwartungsgemäß hat der entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Besteuerung von Reiseleistungen im Widerspruch zu den EU-rechtlichen Vorgaben stehen. Dies betrifft die Nichtanwendung der Margensteuer für Umsätze an andere Unternehmer (B2B-Geschäft) sowie die Möglichkeit, bei der Ermittlung der Marge mehrere Reisen zusammenzufassen. Eine Anpassung des Umsatzsteuergesetzes – mit erheblichen negativen Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen – ist unausweichlich, sofern es nicht doch noch zu einer grundlegenden Reform auf EU-Ebene kommt.

I. Ausgangslage

Ein Reisebüro ermittelt das umsatzsteuerliche Entgelt aus der Differenz zwischen Reisepreis und den Kosten für die von Dritten bezogenen Reisevorleistungen. Die Marge ist steuerfrei, wenn es sich um eine Reise außerhalb der EU handelt, andernfalls ist die Marge in Anwendung des Sitzortprinzips (§ 3a Abs. 1 UStG) steuerpflichtig.

Gemäß § 25 Abs. 1 UStG gelten die Sondervorschriften für die Besteuerung von Reisen aber nur für „Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind“. Im B2B-Bereich werden die Leistungen deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen besteuert (Abschnitt 25.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE). So gilt z. B. für Hotelleistungen das Belegenheitsprinzip (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG), für Beförderungsleistungen das Streckenprinzip (§ 3b UStG) und für Veranstaltungsleistungen das Veranstaltungsortprinzip (§ 3a Abs. 3 Nr. 3a UStG). Dies kann eine Registrierung im EU-Ausland erforderlich machen und hat entsprechende Bedeutung für die ordnungsgemäße Abrechnung gegenüber Geschäftskunden.

Gemäß § 25 Abs. 3 UStG kann der Unternehmer „die Bemessungsgrundlage statt für jede einzelne Leistung entweder für Gruppen von Leistungen oder für die gesamten innerhalb des Besteuerungszeitraums erbrachten Leistungen ermitteln.“ Unter praktischen Gesichtspunkten wird ein Reisebüro deshalb die Marge auf Jahresbasis und unter Einbeziehung aller relevanten Umsätze berechnen.

Deutschland wurde mit Schreiben aus Februar 2012 bzw. Juli 2014 von der EU-Kommission aufgefordert, diese Vorschriften zu ändern, weil die entsprechenden EU-rechtlichen Vorgaben (Art. 306 bis 310 MwStSystRL) diese beiden Besonderheiten nicht vorsehen. Vielmehr greift die Margensteuer auch für B2B-Umsätze und die Ermittlung der Marge hat für jede einzelne Reise anstatt „global“ zu erfolgen. Wenngleich Deutschland schriftlich reagierte, erfolgte keine Anpassung des Umsatzsteuergesetzes. Deshalb hat die Kommission am Klage beim EuGH erhoben.

II. Urteil des EuGH

Im nunmehr vorliegenden Urteil hat der EuGH bestätigt, dass die Sonderregelung der Margensteuer auch auf Umsätze an andere Unternehmen (sogenannte Kundenmaxime) anzuwenden und die Marge transaktionsbezogen (also für jede einzelne Reise) zu ermitteln ist. So verlangt es nämlich die Regelung in der MwStSystRL. In der Begründung wird auch auf das „Kommission gegen Spanien“ Bezug genommen, in dem der EuGH bereits zu den faktisch gleichen Ergebnissen kam, auch wenn der Fall Spaniens etwas anders gelagert war.

Die deutsche Vertretung trug im Verfahren vier sehr plausible Gründe zur Rechtfertigung der deutschen Regelung vor:

  1. Die Margensteuer führt bei einer Anwendung auf Vorstufen (d. h. vor der Abgabe an Endverbraucher) zu einer Doppelbelastung, weil der Vorsteuerabzug aus den Reisevorleistungen beim Leistungsempfänger trotz unternehme­rischer Weiterverwendung nicht möglich ist.

  2. Es entstehen Wettbewerbsverzerrungen, weil Geschäftskunden im Interesse der Aufrechterhaltung des Vorsteuerabzugs einen Anreiz hätten, bei den Leistungsträgern (Hotels, Fluggesellschaften etc.) direkt einzukaufen bzw. Reiseveranstalter zu bevorzugen, die die Reiseleistungen mit eigenen Mitteln (und nicht durch den Bezug von Reisevorleistungen) erbringen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass die Margenbesteuerung bei der Erbringung einer Reiseleistung mit Eigenmitteln nicht zur Anwendung kommt (Art. 306 MwStSystRL spricht von der Inanspruchnahme von Leistungen Dritter, vgl. dazu auch Abschnitt 25.1 Abs. 8 UStAE).

  3. Die Reisebüros wären – basierend auf den allgemeinen Pflichten gemäß § 14 UStG – verpflichtet, in den Rechnungen an andere Unternehmen sowohl das Entgelt als auch die Umsatzsteuer auszuweisen. Damit wird dem Kunden auch die verdiente Marge offengelegt, was marktwirtschaftlichen Prinzipien und EU-Grundrechten zuwiderläuft.

  4. Sofern die Marge im Zeitpunkt der Abrechnung noch nicht feststeht – z. B. weil den Reisebüros von den Leistungsträgern nachträglich Rabatte eingeräumt werden –, müsste die Rechnung an den Kunden berichtigt werden. Dies trägt nicht dem Ziel der Sonderregelung bei, das Besteuerungsverfahren zu vereinfachen.

All diese Punkte hat der EuGH letztlich nicht gelten lassen. Er begründet ausführlich, dass das mit der Sonderregelung verbundene Ziel einer Vereinfachung des Besteuerungserfahrens über diesen Gegenargumenten steht. Darüber hinaus würde durch die Sonderregelung eine ausgewogene Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Mitgliedstaaten erreicht (Verbleib der auf Reisevorleistungen entfallenden Umsatzsteuer im Reiseland wegen fehlendem Recht auf Vorsteuerabzug/Besteuerung der Marge im Sitzland des Reisebüros). Ferner sei es wichtig, dass die Regelung innerhalb der EU einheitlich angewendet wird. Eine Anwendung bei B2B-Umsätzen ist insoweit aus Sicht des EuGH zwingend. Und die Ablehnung der Globalmarge ergibt sich schon daraus, dass die Umsatzsteuer immer einzeltransaktionsbezogen zu ermitteln ist, Ausnahmen bedürfen insoweit einer expliziten Regelung (z. B. Art. 318 MwStSystRL, Gebrauchtwarenhandel).

III. Beurteilung und Ausblick

Das Urteil überrascht nicht. Der EuGH stellt in der Urteilsbegründung selbst klar, dass ein anderes Ergebnis eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung erforderlich gemacht hätte. Hierfür sah das Gericht aber offensichtlich keinen Grund.

Zu begrüßen ist das Urteil trotzdem nicht. Denn es sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Margenbesteuerung auf Endverbraucherumsätze (Reisendenmaxime) beschränkt bleiben und die Bemessungsgrundlage als Globalmarge berechnet werden sollte; die von Deutschland vorgetragenen Argumente sind insoweit nicht nur unter Praktikabilitätsgesichtspunkten und aus Sicht der betroffenen Unternehmen überzeugend. Während der EuGH davon spricht, dass die Unternehmen auch im Bereich der B2B-Umsätze „in den Genuss“ der Sonderregelung kommen sollen, dürfte eher davon auszugehen sein, dass eine entsprechende Neuregelung den verantwortlichen Personen Sorgenfalten ins Gesicht treiben wird.

Dessen ungeachtet ist der Status quo keine gangbare Option, zumal die Rechtsprechung des EuGH von einem Mitgliedstaat nicht einfach missachtet werden darf. Für die Zukunft gibt es wohl zwei Szenarien:

  1. Deutschland ändert das Umsatzsteuergesetz

    Die Nichtanwendung der Margensteuer für B2B-Umsätze und die Globalmarge wären dann Geschichte. Es darf erwartet werden, dass die Reiseunternehmen sich mit den neuen Umständen irgendwie arrangieren würden – zahlreiche Mitgliedstaaten halten sich ja schon heute an die EU-Vorschriften. Eine ausreichend lange Übergangsfrist wäre freilich unabdingbar, weil umfangreiche Anpassungen in den unternehmensinternen Prozessen, insbesondere in der Buchhaltung, notwendig wären.

  2. Die EU ändert die Vorschriften in der MwStSystRL

    Ausweislich der von der EU in Auftrag gegebenen und von KPMG im Dezember 2017 veröffentlichten TOMS-Studie steht Deutschland mit den im EuGH-Urteil angesprochenen Problemen keineswegs allein da – immerhin 12 Mitgliedstaaten wenden die Margensteuer im B2B-Bereich derzeit nicht konsequent an, 14 Mitgliedstaaten halten sich nicht an das Prinzip der Einzelmarge. Die in der Studie angesprochenen Probleme, die sowohl aus der vom EuGH bestätigten Rechtslage als auch aus den unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten resultieren, eröffnen möglicherweise den Weg zu einer grundlegenden Reform der MwStSystRL. Das derzeit beim EuGH anhängige Verfahren C-552/17, bei dem es um die Frage geht, ob die Margensteuer auch für Einzelleistungen (oder nur für Leistungsbündel) zur Anwendung kommt und ob die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in Frage kommt, wenn die zugrunde liegende Leistung ermäßigt besteuert ist, wird diese Diskussion sicherlich „bereichern“. In dem Zusammenhang wäre es auch dringend erforderlich, die Frage zu beantworten, wer Reisebüro bzw. -veranstalter ist und ob z. B. die im MICE-Sektor (MICE= Meetings, Incentives, Conferences and Exhibitions) überhaupt in den Anwendungsbereich fallen.

Für die betroffenen Unternehmen der Reisebranche gibt es bis auf Weiteres keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Denn die deutsche Rechtslage ist für die Finanzverwaltung bindend, Steuerpflichtige können sich hingegen wahlweise auf die Regelung im UStG oder in der MwStSystRL berufen. Daran ändert auch das EuGH-Urteil, welches lediglich die Rechtslage bestätigt, nichts. Basierend auf dem nunmehr veröffentlichten Urteil sollte aber ggf. geprüft werden, ob eine Berufung auf das EU-Recht in Frage kommt. Für im Drittland ansässige Reisebüros gibt es momentan keine Auswirkungen – sie haben nach dem Wortlaut der MwStSystRL ohnehin keinen Zugang zur Margensteuer. Im Sinne einer Gleichbehandlung wird die EU aber auch diesen Punkt angehen müssen, weil eine solche differenzierte Handhabung in einem globalisierten Umfeld alles andere als zeitgemäß ist.

Autor

Dr. Hans-Martin Grambeck,
ist als geschäftsführender Gesellschafter der auf die Umsatzsteuerberatung spezialisierten nesemann & grambeck umsatz | steuer | beratung Steuerberatungsgesellschaft in Norderstedt bei Hamburg tätig.

Fundstelle(n):
USt direkt digital 4 / 2018 Seite 2
NWB SAAAG-72359