Reduzierung des Beweismaßes bei Verletzung der Mitwirkungspflichten - Überhöhte Zuschätzung bei starker Abweichung von den Reingewinnsätzen der amtlichen Richtsatzsammlung
Leitsatz
1. Kann nur eine erneute Vorlage der Geschäftsbelege Aufschluss darüber geben, ob die erzielten Umsätze und Gewinne zutreffend erklärt worden sind, geriert sich der Steuerpflichtige als Beweisverderber, wenn er im Einspruchsverfahren die erneute Vorlage verweigert. Hieraus resultiert auf Seiten des Finanzamts ein zulässiger Übergang von der Sachaufklärung zur Schätzung.
2. Überschreiten die Zuschätzungen bei weitem die höchsten Reingewinnsätze der amtlichen Richtsatzsammlung ohne plausible Erklärung, kann dies nicht durch Zweifel an der Richtigkeit der Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen gerechtfertigt werden.
Gesetze: AO § 162 Abs 2 S 1, AO § 90 Abs 1, AO § 367 Abs 2 S 1, AO § 365 Abs 1, AO § 88, AO §§ 88ff , FGO § 96 Abs 1 S 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Änderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1998 bis 2001 das Restaurant B in Z. Er bot nicht nur Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle, sondern auch zur Mitnahme an. In den Streitjahren erzielte er gemäß seinen Einnahme-Überschuss-Rechnungen folgende Umsätze und Gewinne (Beträge in DM).
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Jahr | 1998 | 1999 | 2000 | 2001 |
Umsatz | 447.946 | 441.538 | 381.446 | 394.729 |
Gewinn | 46.505 | 60.165 | 47.506 | 53.082 |
Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 1998 bis 2001 behauptete die Prüferin, dass der Kläger, der im Prüfungszeitraum eine elektronische Kellnerkasse benutzt hatte, weder die Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) und weitere für den Tagesabschluss abgerufene Ausdrucke noch die zur Kasse gehörigen Organisationsunterlagen aufbewahrt habe. Er habe lediglich sog. Spartenberichte vorlegen können. Die Kasse selbst war nicht mehr vorhanden. Ferner fehlten nach Auffassung der Prüferin im Wareneinkauf des 1. Halbjahres 2000 einzelne notwendige Warenarten (Butter bzw. Margarine zur Herstellung von Kräuterbutter) oder sie waren nur in einer nach ihrer Meinung für Gaststätten unüblichen Menge (Schinken, Kaffee) erfasst worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Textziffern 2.2 und 2.3 des in den Steuerakten befindlichen Betriebsprüfungsberichts vom Bezug genommen.
Aufgrund dieser Feststellungen versagte die Betriebsprüferin die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und führte eine Anteilskalkulation auf der Grundlage des gebuchten Wareneinkaufs des 1. Halbjahrs 2000 sowie des Getränkeanteils im Verhältnis zum erklärten Gesamtumsatz für 3 Monate durch. Den hierbei ermittelten durchschnittlichen Nettoaufschlag für Getränke von 400 % wendete die Prüferin auf den Getränkewareneinsatz sämtlicher Streitjahre an, setzte sodann den Bruttoumsatz für Getränke an, der nach ihrer Auffassung - erkennbar aus den Spartenberichten - 25 % des Gesamtumsatzes ausmachte, und rechnete entsprechend die übrigen Umsätze auf 75 % hoch. Außerdem nahm sie zur Abdeckung von Unwägbarkeiten einen Abschlag von 10 % vor. Im Einzelnen ergaben sich folgende Hinzuschätzungen (Beträge in DM):
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Jahr | 1998 | 1999 | 2000 | 2001 |
Hinzuschätzung
| 485.000 | 510.000 | 310.000 | 235.000 |
Umsatzsteuer | 76.387 | 81.600 | 49.600 | 37.600 |
Gewinnerhöhung | 561.387 | 591.600 | 359.600 | 272.600
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Der Beklagte schloss sich den Prüfungsfeststellungen vollumfänglich an und erließ entsprechend geänderte Feststellungs-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Streitjahre.
Im Rahmen der dagegen gerichteten Einspruchsverfahren änderte der Beklagte, nachdem das Finanzgericht im Verfahren 15 V 2626/04 A (G,U,F) die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide angeordnet hatte, das Prüfungsergebnis dahingehend, dass er für jedes Jahr den bisherigen Unsicherheitsabschlag von 10 % um weitere 10 % erhöhte und von einem jeweils um 25.000 DM erhöhten Wareneinsatz ausging. Die Zuschätzungen betrugen nunmehr 384.000 DM für 1998, 404.000 DM für 1999, 233.000 DM für 2000 und 166.000 DM für 2001. Der Beklagte berichtigte die streitbefangenen Verwaltungsakte entsprechend und wies im übrigen die Einsprüche als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger mit der Begründung Klage erhoben, der Beklagte sei zu einer Schätzung nicht berechtigt gewesen. Die Tageseinnahmen seien durch eine elektronische Kasse älteren Typs erfasst worden. Dabei sei täglich ein Tagesabschluss durch einen Z-Bericht – hier in Form eines Spartenberichts - durchgeführt worden. Die Z-Berichte seien von der Kasse automatisch und unmanipulierbar durchnummeriert worden. Die Berichte seien nachträglich nicht veränderbar. Die Einnahmen des täglich mit Tagesdatum und fortlaufender, lückenloser Z-Nummer abgerufenen Z-Berichte seien in den Gewinnermittlungen erfasst worden. Abweichende Feststellungen habe der Beklagte nicht treffen können. Vielmehr sei er allein auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Kalkulation der Auffassung, dass die Aufzeichnungen schwerwiegende Mängel aufweisen müssten und daher weder formell noch materiell ordnungsmäßig seien. Dabei behaupte er wider besseres Wissen, dass keine Z-Bons aufbewahrt worden seien. Auf Anfrage habe der Kassenhersteller jedoch bestätigt, dass der als Z-Bericht abgerufene Spartenbericht die Funktion eines lückenlosen Nachweises der Registrierkassenumsätze erfülle. Der Umstand, dass die Organisationsunterlagen zum Prüfungszeitpunkt nicht bereit gehalten worden seien, rechtfertige ebenfalls keine Schätzung. Sowohl der Kassenhersteller als auch der Lieferant, der die Kasse programmiert habe, hätten alle erbetenen Auskünfte erteilt. Ferner berücksichtige der Beklagte nicht, dass die Gewinne nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG – ermittelt worden seien. Vor diesem Hintergrund seien seine Einwände, Bareinnahmen seien nicht von unbaren Einnahmen getrennt und Wareneinkäufe bzw. –bestände nicht vollständig aufgezeichnet worden, aber ohne Belang. Auch sei es nicht ungewöhnlich, dass Waren (z. B. als Sonderangebote oder selten angeboten) auf Vorrat eingekauft und im Falle leichter Verderblichkeit portioniert, eingefroren und sukzessive verwendet worden seien.
Nach Ansicht des Finanzgerichts im Aussetzungsverfahren könne eine Anteilskalkulation eine konkrete Nachkalkulation anhand der einzelnen Warengruppen, insbesondere an unberücksichtigt gelassener Hauptwarengruppen und eine etwaig Geldverkehrsrechnung zur Bestätigung der Zuschätzungen, nicht ersetzen. Diesen Anforderungen sei der Beklagte nicht nachgekommen. Vielmehr schätze er Ergebnisse, die immer noch doppelt so hoch seien wie die in den amtlichen Richtsätzen ausgewiesenen Höchstsätze. Der Bundesminister der Finanzen vertrete hierzu die Auffassung, dass die Anwendung der Mittelsätze im Allgemeinen zu einem Ergebnis führe, das mit der größten Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten komme. Eine Schätzung könne sich überdies nur dann an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, wenn der Steuerpflichtige seinen Erklärungspflichten nicht genügt habe. Dies sei bei ihm aber nie der Fall gewesen.
Es sei schließlich höchst zweifelhaft, ob auf der Basis der Verprobung des Getränkeeinkaufs für 6 Monate des Jahres 2000 die Einnahmen für 4 Jahre geschätzt werden könnten. In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, dass beispielsweise die für das Jahr 1998 bereitgestellten Unterlagen gar nicht eingesehen worden seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die geänderten Gewinnfeststellungs-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist weiterhin der Ansicht, dass die Aufzeichnungen des Klägers nicht ordnungsmäßig gewesen seien. Zu Beginn der Betriebsprüfung sei der Betrieb zwar eingestellt, das Ladenlokal geräumt und die Kasse nicht mehr vorhanden gewesen. Der Kläger habe aber die gleichwohl aufzubewahrenden Organisationsunterlagen für die Kasse ebenso wenig vorlegen können wie die Tagesendsummenbons mit Ausdruck des Nullstellenzählers. Die als Tageseinnahmen vorgelegten Spartenberichte addierten nur die eingerichteten Sparten auf. Ein Eintippen anderer Umsätze ohne Spartenbezeichnung sei möglich; diese erschienen dann auch nicht in den Spartenberichten, sondern nur im Tagesendsummenbon, so dass auch nur letzterer Aufschluss über die tatsächlichen Endsummen der Kasseneinnahmen gebe. Des Weiteren enthielten die Kassenberichte die Einnahmen aus unbaren Geschäftsvorfällen, die jedoch gesondert zu erfassen seien.
Bei der Ermittlung und Zusammenstellung der Warengruppen des 1. Halbjahres 2000 hätten sich auch Zweifel ergeben, ob alle Warengruppen, die zur Zubereitung der auf der Speisekarte aufgelisteten Gerichte erforderlich gewesen seien, vorhanden gewesen seien. Insbesondere habe ein Ankauf von Schinkensorten nicht festgestellt werden können, was der Kläger damit erklärt habe, dass ein im September 1999 eingekaufter Schinken (100 kg) in 2000 verwendet worden sei. Ferner sei der Kaffeeeinkauf in den ersten Jahreshälften der Jahre 1999 und 2000 mit jeweils 12 kg deutlich hinter dem Einkauf für das zweite Halbjahr 1999 mit insgesamt 54 kg zurückgeblieben. Obst- Gemüse und Kartoffellieferungen seien monatlich lediglich unter der Bezeichnung "Gemüselieferung" abgerechnet worden. Lieferscheine hätten nicht vorgelegt werden können.
Letztlich sei aber auch die Kalkulation selbst nicht zu beanstanden. Den Einwendungen des Klägers, es seien höhere Abschläge z.B. wegen Freigetränken zu berücksichtigen, sei Rechnung getragen worden.
Unter Zugrundelegung der Spartenberichte sei der Getränkeanteil mit 25 % des Gesamtumsatzes ermittelt worden. Der ermittelte Getränkeumsatz sei unter Berücksichtigung dieses Anteils in einen Gesamtumsatz hochgerechnet worden. Diese Nachkalkulation habe erhebliche Differenzen zum erklärten Getränkeumsatz ergeben, die wegen ihrer Höhe zu der Schätzung berechtigt hätten. Eine Kalkulation der Speisen sei wegen des offenbar unvollständigen Wareneinkaufs nicht vorgenommen worden.
Im übrigen komme eine weitergehende Minderung der Zuschätzungen nicht in Betracht. Zwar lägen die Aufschlagsätze immer noch über denen der amtlichen Richtsatzsammlung. Die Sammlung stelle jedoch keine verbindliche Rechtsnorm dar, so dass das Finanzamt nicht verpflichtet sei, diese Richtsätze anzuwenden.
Letztlich sei noch darauf hinzuweisen, dass der Kläger sich geweigert habe, die Buchführungsunterlagen zum Zwecke der Nachkalkulation erneut vorzulegen. Da die Prüfung infolge der anhängigen Einspruchsverfahren aber noch nicht abgeschlossen gewesen sei, wäre er zur Vorlage verpflichtet gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt.
Gründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Der Beklagte war zwar dem Grunde nach berechtigt, in den Streitjahren Zuschätzungen zu den Umsätzen und Gewinnen des Klägers vorzunehmen. Seine Schätzung ist jedoch der Höhe nach zu beanstanden.
Der Beklagte war dem Grunde nach zur Schätzung befugt, obwohl bislang unaufgeklärt geblieben ist, in welchem Umfang der Kläger tatsächlich weitere betriebliche, steuerlich nicht erfasste Leistungen erbracht hat. Denn diese Ungewissheit im Sachverhalt beruht allein darauf, dass der Kläger die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten verletzt hat; sie führt deshalb nicht zu einer Entscheidung nach den Beweislastregeln, sondern zu einer Entscheidung nach dem Grad der Verantwortlichkeit.
Nach den Beweislastregeln geht die Unerweislichkeit entscheidungserheblicher steuerbegründender Tatsachen zu Lasten der Finanzbehörde, diejenigen steuerbefreiender oder steuermindernder Tatsachen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Die Beweislastregeln knüpfen allerdings ausschließlich an die allgemeine verfahrensrechtliche Rollenverteilung unter den Beteiligten als Kläger und Beklagter an und sind allein an deren materiell- rechtlich normierten Interesse am Ausgang des Prozesses ausgerichtet. Ein solches starres Verteilungsschema passt als ultima ratio nur, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden kann, nicht aber dann, wenn die mangelhafte Sachaufklärung nur darauf beruht, dass der Rechtssuchende abgabenrechtliche Mitwirkungspflichten verletzt hat, die ihm gerade zu dem Zweck auferlegt sind, derartige Mängel zu vermeiden. In einem solchen Fall muss die Entscheidung die konkrete Verfahrenssituation berücksichtigen und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung über tatsächliche Umstände eine Mitverantwortung für die Folgen entspricht, die eintreten, wenn das Ziel vollständiger Sachverhaltsermittlung nicht erreicht wird.
Schon den allgemeinen, im Steuerrechtsverhältnis wurzelnden Vorschriften ist der Grundsatz zu entnehmen, dass für die wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung abgabenrechtlich bedeutsamer Tatsachen Finanzbehörde und Steuerpflichtiger gemeinsam verantwortlich sind. Besonders deutlich wird die Mitverantwortung des Steuerpflichtigen dabei in der Regelung des § 162 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung – AO -, die die Finanzbehörde bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten zur Schätzung verpflichtet und es ihr mithin erlaubt, sich mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu begnügen, als dies in der Regel geboten ist (sog. Reduzierung des Beweismaßes). Aus der gemeinsamen Verantwortung von Steuerpflichtigem einerseits und Finanzbehörde andererseits folgt entsprechend, dass sich dann, wenn ein Steuerpflichtiger ihm auferlegte allgemeine oder besondere Mitwirkungs-, Informations- oder Nachweispflichten verletzt, grundsätzlich die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde mindert. Kriterien und Ausmaß der Reduzierung von Sachaufklärungspflicht und Beweismaß lassen sich dabei nicht generell festlegen, sondern nur von Fall zu Fall bestimmen. Für die Beurteilung können im einzelnen der Grad der Pflichtverletzung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Gedanke der Zumutbarkeit, die gesteigerte Mitverantwortung aus vorangegangenem Tun oder der Gedanke der Beweisnähe bedeutsam ein. Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhaltes ist um so größer, die der Finanzbehörde um so geringer, je mehr Tatsachen oder Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und/ oder Tätigkeitssphäre angehören.
Die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten kann dann, wenn sie Tatsachen und Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betrifft, sogar dazu führen, dass aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden. Solche Schlussfolgerungen können auch nicht bezifferbare Besteuerungsgrundlagen betreffen.
Die Befugnis hierzu ergibt sich aus § 162 AO. Es besteht kein Zweifel daran, dass der "Beweisverderber" oder "Beweisvereitler" aus seinem Verhalten keinen Vorteil ziehen darf. Zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses sind somit auch belastende Unterstellungen oder nachteilige Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gerechtfertigt (st. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH -, grundlegend: – Bundessteuerblatt –BStBl – II 1989, 462).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Beklagte im Streitfall die ihm gesetzten Grenzen nicht überschritten. Er durfte spätestens im Einspruchsverfahren ohne weitere Sachaufklärung zur Schätzung nach § 162 AO übergehen, weil der Kläger sich als Beweisverderber geriert hat. Denn trotz seiner Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen und Beweismittel (§ 90 Abs. 1 AO) hat der Kläger im Einspruchsverfahren die erneute Vorlage der Geschäftsbelege verweigert, obgleich nur diese Aufschluss darüber gegeben konnten, ob die erzielten Umsätze und Gewinne zutreffend erklärt worden sind. Dass Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen waren, zeigt aber die Tatsache, dass die Beweisqualität der Spartenberichte nicht abschließend geklärt werden konnte.
Entgegen seiner Ansicht durfte der Kläger die erneute Vorlage der Unterlagen im Einspruchsverfahren nicht mit der Begründung verweigern, die Belege hätten bei der Außenprüfung vorgelegen und seien abschließend geprüft worden. Das Einspruchsverfahren ist zwar ein Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen, es dient jedoch auch der Selbstkontrolle der Verwaltung in der Form, dass diese die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen hat (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Veranlassen Aktenstudium und Einspruchsbegründung zu der Annahme, dass der Sachverhalt – wie das Gericht bereits im Aussetzungsbeschluss vom betont hat – nicht hinreichend aufgeklärt worden ist, so muss die Einspruchsbehörde nach § 365 Abs. 1 i.V.m. §§ 88 ff. AO verfahren und den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung anhalten.
Die Bestandskraft der ursprünglichen Bescheide stand der Änderung ebenfalls nicht entgegen. Der Beklagte konnte § 173 AO anwenden, da die tatsächlichen Verhältnisse im Betrieb des Klägers erst durch die Außenprüfung bekannt geworden sind.
Allerdings begegnet die Höhe der geschätzten Umsätze und Gewinne nach wie vor erheblichen Bedenken. Wie das Gericht bereits im Aussetzungsbeschluss vom ausgeführt hat, hält es die durchgeführte Anteilskalkulation nicht für ausreichend, um die Schätzungen der Höhe nach zu rechtfertigen. Daran hat sich durch die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Korrekturen nichts Wesentliches geändert. Denn die streitbefangenen Zuschätzungen überschreiten mit 55,97 % (1998), 59,53 % (1999), 47,58 % (2000) und 39,94 % (2001) immer noch bei weitem die höchsten Reingewinnsätze der amtlichen Richtsatzsammlung, ohne dass der Beklagte für diese Abweichungen eine plausible Erklärung abgeben konnte. Allein die Tatsache, dass es Zweifel an der Richtigkeit der Aufzeichnungen des Klägers gibt, rechtfertigt es jedenfalls nicht, über angemessene Sicherheitszuschläge hinausgehende Zuschätzungen vorzunehmen. Schätzungen müssen in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Dies ist bei den von dem Beklagten errechneten Ergebnissen angesichts des Zuschnitts des klägerischen Lokals nicht mehr gegeben. Andererseits darf der Kläger aber aus seinem ablehnenden Verhalten im Einspruchsverfahren, das dem Finanzamt eine nachträgliche Kalkulation nach den Vorgaben des Gerichts verwehrt hat, auch keinen Vorteil ziehen. Aus diesem Grund macht das Gericht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO - Gebrauch und setzt mangels anderer Anhaltspunkte griffweise statt der Zuschätzungen von 384.000 (1998), 404.000 (1999), 233.000 (2000) und 166.000 (2001) unter Beibehaltung des Betriebsausgabenzuschlags von jährlich 25.000 DM einen Sicherheitszuschlag von 20 % des jeweils erklärten Jahresumsatzes an.
Die Berechnung der danach neu festzustellenden bzw. festzusetzenden Beträge wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:FGD:2009:0728.15K829.06G.U.F.00
Fundstelle(n):
SAAAG-47168