Suchen
StuB Nr. 12 vom Seite 462

Finanzverwaltung erkennt Schranken- und Sperrwirkung des Fremdvergleichsgrundsatzes der DBA nicht an

Analyse des aktuellen Nichtanwendungserlasses vom 30. 3. 2016

RA StB Wolfram Vogel, M.I.Tax *

Der BFH hat in jüngeren Entscheidungen [1] eine sog. Sperrwirkung der Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen (nachfolgend OECD-MA) entsprechenden DBA-Artikel insbesondere gegenüber einer Änderung gem. § 1 AStG (z. B. gegenüber der Versagung einer Teilwertabschreibung auf Darlehen nach dieser Vorschrift) angenommen. Die Finanzverwaltung hat nun die Finanzbeamten angewiesen, diese Rechtsprechungsgrundsätze nicht anzuwenden. [2] Der Aufsatz analysiert die Auffassung der Finanzverwaltung und gibt eine Handlungsempfehlung für betroffene Stpfl.

Kernfragen
  • Welche Auffassung vertritt die Finanzverwaltung zur Sperrwirkung des Fremdvergleichsgrundsatzes der DBA?

  • Ist diese Auffassung der Finanzverwaltung zutreffend?

  • Welche Folgen ergeben sich aus dem aktuellen Nichtanwendungserlass und wie sollte ein betroffener Stpfl. reagieren?

I. Einführung

[i]Vogel, Die Schranken- und Sperrwirkung des Fremdvergleichsgrundsatzes der Doppelbesteuerungsabkommen, StuB 15/2015 S. 590 NWB MAAAE-97964 Rasch/Chwalek, Sperrwirkung von DBA gegenüber nationalen Einkünftekorrekturen, IWB 10/2015 S. 377 NWB BAAAE-90305 Hoffmann, Substance over form bei der Bilanzierung, StuB 5/2015 S. 161 NWB BAAAE-85815 Ein großer Teil des internationalen Leistungsaustauschs entfällt auf Leistungen zwischen sog. verbundenen Unternehmen. Die Aufteilung der Besteuerungsrechte für diese Leistungsbeziehungen ist in den DBA in einem eigenen Artikel geregelt, der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entspricht. Nach den von Deutschland vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen ist für solche Geschäfte der sog. Fremdvergleichsgrundsatz das maßgebliche Aufteilungskriterium. Der BFH hat hierzu entschieden, dass

  • dieser DBA-rechtliche Fremdvergleichsgrundsatz autonom, also unabhängig von den in nationalen Steuervorschriften definierten Fremdvergleichsgrundsatz, zu bestimmen ist,

  • der dem Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechende DBA-Artikel eine Schrankenwirkung gegenüber der nationalen Norm zukommt und dies eine weitergehende Gewinnerhöhung durch nationale Normen entgegensteht (sog. Sperrwirkung), sofern kein Treaty Override vorliegt,

  • § 1 Abs. 1 AStG kein Treaty Override darstellt, und

  • zwischen verbundenen Unternehmen vereinbarte unüblichen Bedingungen nur zu Korrekturen des Verrechnungspreises führen können, andere mittelbare Folgen, wie die Nichtanerkennung einer Teilwertabschreibung, aber aufgrund der Schranken- und Sperrwirkung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden DBA-Regelung gesperrt sind. [3]

Das BMF hat nun mit Schreiben vom die Finanzämter angewiesen, diese BFH-Rechtsprechung nicht anzuwenden (sog. Nichtanwendungserlass). [4] Der Nichtanwendungserlass enthält eine ausführliche Begründung. S. 463

II. Reichweite und Argumentation der Finanzverwaltung für das Nichteingreifen der Sperrwirkung gegenüber § 1 AStG

1. Vorbemerkungen

Die Anweisung der Nichtbefolgung der BFH-Rechtsprechung beschränkt sich auf die vom BFH angenommene Sperrwirkung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Artikel gegenüber § 1 AStG. [5] Inhaltlich begründet das BMF seine Ansicht wie folgt:

  1. Die Auslegung ergäbe, nicht nur der Verrechnungspreis sei berichtigungsfähig, sondern auch mittelbare Folgewirkungen könnten berichtigt werden.

  2. § 1 AStG sei ein Treaty Override.

2. Die Auslegung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden DBA-Artikel

Nach Ansicht des BMF spreche der Wortlaut der DBA-Regelung dafür, auch andere Gewinnkorrekturen als die Korrektur des Verrechnungspreises seien zulässig. Die DBA-Regelung spreche von „Korrektur von Gewinnen“ und nicht von „Korrektur von Preisen“.

Nach Ansicht des BMF habe der historische Gesetzgeber des § 1 AStG einen inhaltlichen Widerspruch zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 1 AStG weder gesehen und schaffen wollen. Nach seiner Ansicht widerspreche die Auslegung des BFH dem Sinn und Zweck sowohl des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als auch des § 1 AStG. Eine Beschränkung von Korrekturen allein auf den Verrechnungspreis sei sinnwidrig, weil in bestimmten Fällen allein die Korrektur des Verrechnungspreises weder dazu geeignet sei noch ausreiche, ein Ergebnis zu erzielen, dass dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Als Beispiel erwähnt das BMF den Fall der Darlehensvergabe an eine erkennbare zahlungsunfähige Tochtergesellschaft. Hier genüge die Anpassung des Zinssatzes nicht, um dem Fremdvergleichsgrundsatz gerecht zu werden.

3. § 1 AStG stelle einen Treaty Override dar

Nach Ansicht des BMF sei § 1 AStG ein Treaty Override, der den Regelungen eines DBA vorgehe. Hierzu verweist das Schreiben auf den Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG. Danach ist diese Vorschrift „unbeschadet anderer Vorschriften“ anzuwenden. Andere Vorschriften in diesem Sinne seien auch DBA-Regelungen bzw. das entsprechende Zustimmungsgesetz.

III. Allgemeine Grundlagen für die Beantwortung der streitigen Rechtsfragen

1. Allgemeines

Die Finanzverwaltung begründet ihre zur BFH-Meinung abweichende Ansicht zur Schranken- und Sperrwirkung des DBA-rechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes gegenüber § 1 AStG damit, das Auslegungsergebnis des BFH sei unrichtig und zudem sei § 1 AStG ein Treaty Override. Zur Beurteilung dieses Meinungsstreits ist entscheidend, was Gegenstand der Auslegung ist und nach welchen Regeln diese Auslegung vorzunehmen ist. Zudem ist relevant, wann ein Treaty Override vorliegt.

Zum besseren Verständnis wird nachfolgend der Begriff der Schrankenwirkung verwendet, wenn die Auslegung des DBA ergibt, dass der DBA-Artikel das Besteuerungsrecht des nationalen Staates begrenzen will. Eine Sperrwirkung aufgrund dieser Schrankenwirkung tritt dagegen nicht automatisch ein, sondern richtet sich nach den Normenkollisionsregeln. Wenn sich „die DBA-Regelung in der Form des Zustimmungsgesetzes“ gegenüber einer nationalen weitergehenden Besteuerungsnorm durchsetzt, greift eine Sperrwirkung ein. Die DBA-rechtliche Regelung setzt sich dagegen nicht gegenüber der nationale Norm durch, wenn diese ein Treaty Override darstellt. [6]

2. Auslegungsgegenstand und Auslegungsmethode

Das Zustimmungsgesetz, wodurch das DBA Geltung auch für den Stpfl. zukommt, enthält lediglich einen sog. Anwendungsbefehl. Gegenstand der inhaltlichen Auslegung ist daher die DBA-Regelung selbst, nicht das Zustimmungsgesetz. [7] Für die Auslegung eines DBA gelten die für völkerrechtliche Verträge maßgeblichen Auslegungsregeln. [8]

3. Vorliegen eines Treaty Overrides

Wann eine nationale Vorschrift einen das DBA überschreibenden Treaty Override darstellt, ist durch die Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Die hierzu vertretenen Auffassungen lassen sich vereinfacht wie folgt einteilen:

  • Ausdrückliche Überschreibung der DBA-Vorschrift erforderlich.

  • Es gelten nur die Grundsätze der Normen-Hierarchie und der Gesetzeskonkurrenz.

  • Völkervertragsfreundliche Auslegungsmethode: Erfordernis hinreichender Anhaltspunkte für ein gewolltes Überschreiben der DBA-Norm erforderlich, ansonsten ist die Norm im Zweifel kein Treaty Override.

IV. Bewertung der Ansicht der Finanzverwaltung

1. Bewertung der Argumente der Finanzverwaltung zur Auslegung der DBA

Die Berücksichtigung des Willens des historischen Gesetzgebers des § 1 AStG ist für die Auslegung des Inhalts der DBA-S. 464Norm irrelevant. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Gegenstand der inhaltlichen Auslegung der völkerrechtliche Vertrag ist und nicht eine etwaige hiergegen verstoßende nationale Norm.

Die Auslegung des Wortlauts der DBA-Norm ergibt kein eindeutiges Ergebnis. Eine Korrektur des Preises für die Lieferung oder Leistung zwischen verbundenen Unternehmen wirkt sich unmittelbar auf den Gewinn der beteiligten verbundenen Unternehmen aus. Diese Korrektur ist daher zweifelsfrei von dem Wortlaut erfasst. Fraglich ist, ob sich einseitige mittelbare Folgewirkungen, die sich nur bei einer Vertragspartei auf den Gewinn auswirken können, aber im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gerade noch nicht beurteilt werden können, ebenfalls nach der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden DBA-Artikel korrigiert werden können. Diese Frage, ob jegliche Gewinnauswirkungen einer Vertragspartei korrigiert werden können, ist durch den Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig beantwortet. Entscheidend ist daher auf den Sinn und Zweck der Vorschrift abzustellen.

Die DBA-Artikel der sog. Verteilungsnormen (Art. 6 – 22 OECD-MA) haben insbesondere den Zweck, die Besteuerungsrechte zwischen den Staaten aufzuteilen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Die Korrektur des Verrechnungspreises als Gewinnkorrektur stellt hierbei sicher, dass eine entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz gewollte Gewinnaufteilung unter beiden Vertragsparteien möglich ist. Eine Korrektur von mittelbaren späteren Folgegewinnauswirkungen außerhalb des Verrechnungspreises bei nur einer Vertragspartei ist grundsätzlich hierfür nicht das geeignete Mittel. Solche einseitigen Folgewirkungen können insb. zu einer doppelten Gewinnkorrektur (Erhöhung Zinseinnahmen durch Zinssatzkorrektur und Nichtanerkennung der Teilwertabschreibung auf das Darlehen) und damit zu einer Doppelbesteuerung führen.

Der Lösung des BFH ist daher zuzustimmen, da sie dem Zweck der DBA-Regelung, der Aufteilung der Besteuerungsrechte und der Vermeidung der Doppelbesteuerung, gerecht wird. [9]

2. Sperrwirkung

Die Schrankenwirkung der DBA-Regelung muss sich nicht zwangsläufig gegenüber § 1 AStG durchsetzen und ihre Anwendung sperren. Denn § 1 AStG hat den gleichen Rang in der Normen-Hierarchie, wie das Zustimmungsgesetz, welches den Anwendungsbefehl für das DBA enthält.

§ 1 AStG ist jedenfalls dann nicht durch die DBA-Regelung gesperrt, wenn § 1 AStG ein sog. Treaty Override darstellt. Ein Treaty Override ist ein Bruch eines DBA durch nationales Recht. Die Frage, wann ein Treaty Override vorliegt und einer DBA-Regelung vorgeht, ist von der Rechtsprechung noch nicht abschließend entschieden.

2.1 Treaty Override nur bei ausdrücklichem angeordneten Vorrang der nationalen Vorschrift

Nach der wohl herrschenden Auffassung in der steuerlichen Literatur liegt ein Treaty Override nur dann vor, wenn die nationale Norm ihren Vorrang vor der DBA-Regelung deutlich zum Ausdruck bringt. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG gelten seine Rechtsfolgen unbeschadet anderer Vorschriften. Andere Vorschriften i. S. des § 1 Abs. 1 AStG sind jedenfalls die Vorschriften über die verdeckte Einlage (§ 4 Abs. 1 EStG, § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG) und die verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 KStG).

Der Gesetzgeber verwendet bei einem bewussten Treaty Override üblicherweise Formulierungen wie „unbeschadet der Vorschriften eines Doppelbesteuerungsabkommens“ (vgl. § 50d Abs. 9 und 10 EStG, § 20 Abs. 1 AStG). Im Nichtanwendungserlass wird explizit ausgeführt, dass dem historischen nationalen Gesetzgeber nicht bewusst war, § 1 AStG würde gegen den DBA-rechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen. Dann liegt in der Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“ keine ausdrückliche Anordnung eines Vorrangs vor den Regeln des DBA und nach dieser Auffassung kein Treaty Override vor.

2.2 Das Vorliegen eines Treaty Override ist bereits dann anzunehmen, wenn das nationale Gesetz nach den Regeln der Gesetzeskonkurrenz der DBA-Regelung vorgeht

Mangels anderer verfassungsrechtlicher Grundsätze ließe sich argumentieren, dass sich das Rangverhältnis zwischen einer nationalen Norm und der DBA-Regelung verkörpert durch das Zustimmungsgesetz allein nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesetzeskonkurrenz richtet. Da Zustimmungsgesetze wie nationale Normen, hier § 1 AStG, einfache Bundesgesetze sind, löst die Normen-Hierarchie den Vorrang noch nicht. [10] Auch § 2 AO, der nach seinem Wortlaut dem DBA den Vorrang einräumt, kann dieses Rangverhältnis nicht lösen, da dieser ebenfalls nur ein Bundesgesetz darstellt. Das Rangverhältnis ist dann nach den Grundsätzen der Gesetzeskonkurrenz zu bestimmen.

Zu berücksichtigen sind danach der Grundsatz der Spezialität (Vorrang des spezielleren Gesetzes vor dem allgemeineren Gesetz) [11] sowie der Grundsatz, dass ein jüngeres Gesetz einem gegenläufigen älteren Gesetz vorgeht. [12]

Die Art. 9 OECD-MA entsprechenden DBA-Regelungen sind insoweit spezieller, als § 1 AStG alle Geschäftsbeziehungen zwischen dem Inland und Ausland erfasst, während das S. 465jeweilige DBA eine Regelung nur für die Rechtsbeziehungen dieser beiden Staaten enthält. Dagegen kann abhängig von dem Inkrafttreten des jeweiligen DBA die Regelung des § 1 AStG jünger oder älter sein. Ein jüngeres allgemeines Gesetz verdrängt jedoch nicht speziellere ältere Gesetze, sondern nur ältere allgemeine Gesetze.

Da der Gesetzgeber sich bei Schaffung des § 1 AStG eines Verstoßes gegen den Fremdvergleichsgrundsatz nicht bewusst war, wollte er das speziellere Gesetz, das Zustimmungsgesetz, nicht überschreiben. Das Zustimmungsgesetz bleibt damit spezieller als § 1 AStG und geht diesem vor.

3. Ansicht der völkervertragsfreundlichen Auslegung

Nach einer anderen Ansicht erfolgt im Zweifel eine völkervertragsfreundliche Auslegung. Im Zweifel ist danach kein Treaty Override anzunehmen. [13] Auch nach dieser Ansicht stellt § 1 Abs. 1 AStG kein Treaty Override dar.

4. Rechtfertigt die Auffassung der Finanzverwaltung ein erneutes Revisionsverfahren?

Für die Frage einer möglichen Zulassung einer Revision ist zwischen den beiden inhaltlichen Anknüpfungspunkten der Finanzverwaltung zu unterscheiden:

  • der Auslegung des DBA-Artikels dergestalt, dass spätere mittelbare Folgeänderungen nicht gesperrt seien, da nicht nur der Verrechnungspreis korrigiert werden darf,

  • die Frage, ob § 1 Abs. 1 AStG ein Treaty Override darstellt.

Die von der Finanzverwaltung aufgeführten Argumente zur Auslegung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden DBA-Artikel enthalten keine neuen bislang vom BFH noch nicht berücksichtigten Gesichtspunkte. Hieraus ergäbe sich daher kein Grund für die Zulassung einer Revision.

Aus demselben Grund ließe sich mit den vorgetragenen Argumenten insoweit keine Nichtzulassungsbeschwerde der Finanzverwaltung begründen, so dass diese als unzulässig verworfen werden müsste. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es weitere von der Finanzverwaltung noch nicht vorgetragene Gesichtspunkte gibt, die ein Revisionsverfahren rechtfertigen könnten.

Ein solcher Gesichtspunkt könnte es sein, wenn die Rechtsprechung der anderen DBA-Vertragsstaaten im Rahmen einer DBA autonomen Auslegung zu dem Ergebnis käme, mittelbare Folgewirkungen seien nicht von der Schrankenwirkung der DBA-Regelung erfasst. Denn ein völkerrechtlicher Vertrag ist im Zweifel so auszulegen, dass das Auslegungsergebnis die größte Chance hat, von beiden Vertragspartnern in gleichem Sinne ausgelegt zu werden.

Wenn Recherchen ergäben, dass die Rechtsprechung der anderen DBA-Vertragsstaaten überwiegend auch mittelbare Folgewirkungen zuließen, diese also nach deren Ansicht nicht gesperrt seien, könnte dies ein Gesichtspunkt seien, die eine erneute Revision rechtfertigen könnte (oder eine entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde).

Die von der Finanzverwaltung vorgetragene Begründung, wonach § 1 Abs. 1 AStG ein sog. Treaty Override darstelle, rechtfertigt nicht die Revision. Zwar sind die Grundsätze, wann ein Treaty Override vorliegt, noch nicht abschließend geklärt. Diese Frage ist für Fälle des § 1 Abs. 1 AStG jedoch nicht klärungsbedürftig, da diese Frage eindeutig zu verneinen ist. Wie oben ausgeführt, ergibt sich unabhängig von der präferierten Ansicht zur Definition eines Treaty Override, dass § 1 Abs. 1 AStG kein solcher ist.

Nach alledem ist es unwahrscheinlich, dass ein FG die Revision oder der BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde der Finanzverwaltung zulassen wird.

V. Fazit und Handlungsempfehlung

Nach den BFH-Urteilen vom und liegen für die Einstufung des § 1 Abs. 1 AStG als Treaty Override keine Anhaltspunkte vor. Der BFH hat sich ferner in seinen bisherigen Entscheidungen mit den übrigen Argumenten der Finanzverwaltung bereits auseinandergesetzt. Es ist damit zu rechnen, dass der BFH seine Rechtsansichten beibehält. Da diese Rechtsprechung bereits als gefestigt anzusehen ist, dürften auch die Finanzgerichte eine Revision nicht mehr zulassen. Bei entsprechenden Streitfragen insb. nach einer Betriebsprüfung ist betroffenen Stpfl. daher der Klageweg zu empfehlen.

Kernaussagen
  • Die Finanzverwaltung erkennt die in ständiger Rechtsprechung vom BFH ausgesprochene Sperrwirkung des DBA-rechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes gegenüber § 1 AStG nicht an.

  • Die Auffassung der Finanzverwaltung beruht u. a. auf einer fehlerhaften Auslegung von DBA und einer unzutreffenden Annahme, wann ein Treaty Override vorliegt.

  • Betroffene sollten gegen eine Nichtanerkennung der Sperrwirkung klagen.

Autor

RA StB Wolfram Vogel, M.I.Tax
ist tätig bei HLB Dr. Stückmann und Partner mbB, Bielefeld. Seine Spezialgebiete sind Internationales Steuerrecht, Erbschaftsteuerrecht, Immobiliensteuerrecht, Umsatzsteuer sowie Verfahrensrecht/Klageverfahren.

Fundstelle(n):
StuB 12/2016 Seite 462
SAAAF-75664

1Vgl. NWB XAAAE-85274, DB 2015 S. 465 = Kurzinfo StuB 2015 S. 233 NWB YAAAE-86733; NWB VAAAE-90680; NWB KAAAF-01626, Kurzinfo StuB 2015 S. 766 NWB ZAAAF-04761.

2Vgl. NWB XAAAF-70120, BStBl 2016 I S. 455 = StuB 2016 S. 322 NWB WAAAF-71208.

3Vgl. NWB XAAAE-85274, DB 2015 S. 465 = Kurzinfo StuB 2015 S. 233 NWB YAAAE-86733; NWB KAAAF-01626, Kurzinfo StuB 2015 S. 766 NWB ZAAAF-04761.

4Vgl. NWB XAAAF-70120, BStBl 2016 I S. 455 = StuB 2016 S. 322 NWB WAAAF-71208.

5Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „soweit“ und der gleichzeitigen Ankündigung der Veröffentlichung der BFH-Urteile im BStBl.

6Zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Treaty Overrides vgl. NWB YAAAF-66859, Kurzinfo StuB 2016 S. 203 NWB HAAAF-68129.

7Vgl. ausführlich Vogel, StuB 2015 S. 590 NWB MAAAE-97964.

8Diese Auslegungsregeln sind in Art. 31-33 der Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge vom kodifiziert worden, die auf gewohnheitsrechtlich geltenden Regeln des Völkerrechts zurückgehen, vgl. Vogel, StuB 2015 S. 590 NWB MAAAE-97964, m. w. N.

9Zur Nichtanerkennung einer Teilwertabschreibung kann es dennoch kommen, z. B. wenn das „Darlehen“ auch DBA-rechtlich als verdeckte Einlage zu qualifizieren ist oder wenn ein Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO vorliegt. Die Brisanz dieser Auffassung für die deutsche Finanzverwaltung ist aber offensichtlich: Wenn nur eine einmalige Preiskorrektur nach dem DBA-Fremdvergleichsgrundsatz zulässig ist, dürfte auch die nachträgliche Preisanpassung aufgrund später eintretender Umstände im Rahmen einer Funktionsverlagerung gegen den DBA-rechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen, vgl. auch Vogel, StuB 2015 S. 590 NWB MAAAE-97964.

10Insbesondere gehören die Einzelregelungen des DBA nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die gem. Art. 59 Abs. 2 GG den einfachen Bundesgesetzen vorgehen. Auch § 2 AO kann den Vorrang der DBA nicht allgemein anordnen, da § 2 AO ebenfalls nur ein Bundesgesetz ist, was durch neuere Bundesgesetze überschrieben werden könnte.

11Lex specialis derogat legi generali.

12Lex posterior derogat legi priori.

13Zur Ableitung der völkervertragsfreundlichen Auslegung durch die Auslegungsregel des § 2 AO vgl. Vogel, StuB 2015 S. 590 NWB MAAAE-97964.