Offenbare Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO durch Nichtberücksichtigung einer am 10.1. des Folgejahres fälligen und abgebuchten Umsatzsteuerzahlung als Betriebsausgabe im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG
Leitsatz
1. Bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG mindert eine Umsatzsteuerzahlung, die einen Voranmeldungszeitraum des laufenden Jahres betrifft, am 10.1. des Folgejahres fällig und vom FA per Lastschrift auch am 10.1. des Folgejahres abgebucht worden ist, als regelmäßig wiederkehrende Ausgabe i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 2 EStG den Gewinn des laufenden Jahres.
2. Hat der Unternehmer in seiner elektronisch eingereichten Gewinnermittlung diese Umsatzsteuerzahlung (siehe 1.) nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt, war dem FA aber aufgrund der zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärung bekannt, dass die streitige Umsatzsteuerzahlung per Lastschrift geleistet worden ist, so liegt eine offenbare Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO vor, wenn das FA gleichwohl im Gewinnfeststellungsbescheid bzw. Einkommensteuerbescheid die am 10.1. des Folgejahres abgebuchte Umsatzsteuerzahlung nicht als Betriebsausgabe des laufenden Jahres berücksichtigt hat.
3. § 129 AO ist auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt; insoweit sind für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit nicht nur die Unterlagen zu berücksichtigen, die dem FA bei der betreffenden Steuerart vorliegen (hier: Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als Basis für Gewinnfeststellungsbescheid), sondern auch Unterlagen zu anderen Steuerarten (hier: Umsatzsteuererklärung).
Gesetze: AO § 129 S. 1, AO § 129 S. 2, EStG § 4 Abs. 3, EStG § 4 Abs. 4, EStG § 11 Abs. 2 S. 1, EStG § 11 Abs. 2 S. 2
Instanzenzug:
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berichtigung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheides nach § 129 AO.
Der Kläger (Kl.) erzielte im Streitjahr 2011 Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. Er beglich die Umsatzsteuer(USt)-Vorauszahlung für Nov. 2011 i.H.v. 1.572,15 EUR mittels Lastschrifteinzug.
Mit Bescheid vom 7. Febr. 2013 (Bl. 3 Rb) stellte das FA die Einkünfte des Kl. aus Gewerbebetrieb für 2011 gesondert mit 11.041,91 EUR fest. Der Festsetzung lagen die vom Kl. am in authentifizierter Form übermittelten Daten zu Grunde. In der Einnahmeüberschussrechnung (Bl. 14 Bilanzakte) war in dem Betrag in Zeile 45 „An das Finanzamt gezahlte und ggf. verrechnete Umsatzsteuer”) die USt-Vorauszahlung für Nov. 2011 i.H.v 1.572,15 EUR nicht enthalten. Der Kl. machte diese Ausgabe in der Einnahmeüberschussrechnung für 2012 (Bl. 23 Bilanzakte) als Betriebsausgabe geltend. Das FA wies den Kl. darauf hin, dass die Zahlung der USt für Nov. 2011 im Jahr 2012 nicht berücksichtigt werden könne, da die Zahlung am erfolgt sei und die Ausgabe wegen der 10-Tage-Regelung im Jahr 2011 anzusetzen sei. Mit Schreiben vom (Bl. 2 Rb) beantragte der Kl., den Bescheid für 2011 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dahin zu berichtigen, dass die USt-Vorauszahlung für Nov. 2011 als Betriebsausgabe berücksichtigt wird. Das FA lehnte den Antrag mit Verfügung vom ab (Bl. 5 Rb). Der Einspruch des Kl. hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom , Bl. 5 GA).
Der Kl. beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Verfügung vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom das Finanzamt zu verpflichten, den Bescheid vom 7. Febr. 2013 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2011 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf Gewinn auf 9.469,76 EUR festgestellt werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Entscheidung ergeht gem. § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 EUR nicht übersteigt. Das ist hier der Fall (s. die Angaben der Beteiligten zum Streitwert: Bl. 13, 16 Rs. GA).
2. Die Klage ist begründet.
Nach § 129 S. 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 S. 2 AO).
a) Der Bescheid vom 7. Febr. 2013 ist unrichtig. Die USt-Vorauszahlung für. Nov. 2011 ist bei der Gewinnfeststellung 2011 als Betriebsausgabe abzuziehen. Die USt-Vorauszahlung ist eine Betriebsausgabe (nicht nur ein durchlaufender Posten, , BFHE 218, 372, BStBl II 2008, 282 Rz. 15), die bei der Feststellung 2011 zu berücksichtigen ist.
Nach § 11 Abs. 2 S. 1 EStG sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, abgeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr geleistet (§ 11 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 2 EStG). USt-Vorauszahlungen sind regelmäßig wiederkehrende Ausgaben (BFH in BStBl II 2008, 282 Rz. 12; Krüger in Schmidt, EStG, 33. Aufl., § 11 Rz. 40). Der die regelmäßige Wiederkehr bestimmende Zahlungs- und Fälligkeitstermin ist gesetzlich geregelt (BFH in BStBl II 2008, 282 Rz. 12): Die Vorauszahlung ist am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig (§ 18 Abs. 1 S. 4 UStG). Gem. § 46 UStDV S. 1 hat das FA dem Unternehmer auf Antrag die Fristen für die Übermittlung der Voranmeldungen und für die Entrichtung der Vorauszahlungen (§ 18 Abs. 1, 2 und 2a UStG) um einen Monat zu verlängern. Liegt eine Einzugsermächtigung vor – wie hier –, gilt eine wirksam geleistete Zahlung am Fälligkeitstag als entrichtet (§ 224 Abs. 2 Nr. 3 AO). Damit ist die USt-Vorauszahlung kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehörte, abgeflossen; als „kurze Zeit” gilt ein Zeitraum von bis zu 10 Tagen (BFH in BStBl II 2008, 282 Rz. 13; Krüger in Schmidt/, a.a.O., § 11 Rz 26).
b) Diese Unrichtigkeit ist auch offenbar.
Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (, BFHE 242, 302, BStBl II 2014, 439 Rz. 14). Offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Versehen (wie Eingabe- oder Übertragungsfehler), nicht aber Fehler bei der Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts (BFH in BStBl II 2014, 439 Rz. 15). § 129 AO ist auch nicht anwendbar, wenn nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (BFH in BStBl II 2014, 439 Rz. 15). Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (BFH in BStBl II 2014, 439 Rz. 15).
Nach diesen Maßstäben ist der Feststellungsbescheid für 2011 offenbar unrichtig i.S.d. § 129 AO. Der Kl hat dem FA eine Einnahmenüberschussrechnung für 2011 übermittelt und darin eine geleistete USt-Vorauszahlung nicht berücksichtigt, obschon er diese Zahlung in der zeitgleich übermittelten USt-Erklärung (s. Bl. 16 Bilanzakte) ausgewiesen hat. Die Nichtberücksichtigung der USt-Vorauszahlung in dem Feststellungsbescheid beruhte nicht „auch auf nicht hinreichender Sachaufklärung”, denn das FA hat in der Einspruchsentscheidung zu § 173 AO ausgeführt, dass ihm bei der Veranlagung 2011 bekannt gewesen sei, dass die USt-Vorauszahlungen per Lastschrift geleistet wurden. Daher ergab sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten (BFH in BStBl II 2014, 439 Rz. 18) und somit auch aus der Sicht des FA, dass der Kl. die umsatzsteuerlich berücksichtigte Zahlung nur aufgrund eines mechanischen Versehens nicht in seiner Feststellungserklärung berücksichtigt hatte.
Dem Kl. ist eine Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO in seiner Feststellungserklärung unterlaufen, die als offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO berücksichtigt werden kann, weil die Fehlerhaftigkeit für das FA anhand der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen (die sich nicht auf die Steuerart beschränken, bei der der Fehler unterlaufen ist, vgl. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 1/2014 Anm. 1 D II) ohne weiteres erkennbar war und dieses sich das Versehen des Steuerpflichtigen zu eigen gemacht hat (von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 129 AO Rz. 43; AEAO zu § 129 Nr. 4 in der Fassung vom ).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 11/2016 S. 518
DStR 2016 S. 8 Nr. 30
DStRE 2016 S. 1200 Nr. 19
DStZ 2016 S. 636 Nr. 17
Ubg 2016 S. 691 Nr. 11
RAAAF-71253