BFH Urteil v. - V R 78/86 BStBl 1991 II S. 906

Erhebung der vollen Säumniszuschläge kann - nach vorher abgelehnter Aussetzung der Vollziehung - insbesondere dann unbillig sein, wenn der eingelegte Rechtsbehelf später Erfolg hatte

Leitsatz

1. Hat der Steuerpflichtige gegenüber den Finanzbehörden alles getan, um die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids zu erreichen, und wurde diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt, so ist - wenn das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte - die Erhebung der vollen Säumniszuschläge eine unbillige Härte.

2. Säumniszuschläge haben neben ihrer Rechtfertigung als Druckmittel eigener Art auch den Zweck, Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt ist - da bei einer möglichen und gebotenen Aussetzung der Vollziehung keine Zinsen angefallen wären - ein teilweiser Erlaß von Säumniszuschlägen ermessensgerecht, wenn nach abgelehnter Aussetzung der Vollziehung das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen in der Hauptsache Erfolg hat.

Gesetze: AO 1977 §§ 227, 240

Instanzenzug: Hessisches FG (EFG 1990, 530)

Tatbestand

A.

Das Finanzamt (im folgenden FA) setzte mit Bescheid vom gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unter Berufung auf § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) Umsatzsteuer für das Jahr 1976 in Höhe von 836 000 DM fest. Gegen den Steuerbescheid legte die Klägerin Einspruch ein.

Außerdem beantragte die Klägerin Aussetzung der Vollziehung. Mit Verfügung vom lehnte das FA die Aussetzung der Vollziehung ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück.

Einen erneuten Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung vom lehnte das FA mit Verfügung vom ab.

Auf Antrag der Klägerin vom und nach Gestellung einer Bankbürgschaft setzte das FA durch Verfügung vom die Vollstreckung des Umsatzsteuerbescheids sowie der bis dahin entstandenen Säumniszuschläge in Höhe von 242 440 DM gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) aus. ln der Verfügung wurde die Klägerin darauf hingewiesen, daß während des Vollstreckungsaufschubs weitere Säumniszuschläge verwirkt werden können.

Nachdem das FA am den Einspruch gegen die Steuerfestsetzung zurückgewiesen hatte, hob das FG auf die Klage der Klägerin den Umsatzsteuerbescheid für 1976 mit (rechtskräftigem) Urteil vom auf.

Das FA machte mit Schreiben vom gegenüber der Klägerin die in der Zeit vom bis entstandenen Säumniszuschläge geltend. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin den Erlaß der Säumniszuschläge. Das FA lehnte den Antrag ab, die Beschwerde blieb erfolglos.

Auf die Klage hob das FG die ablehnende Entscheidung auf und verpflichtete das nunmehr zuständige FA (Beklagter und Revisionskläger), Säumniszuschläge in Höhe von 459 800 DM zu erlassen. Zur Begründung führte das FG aus: Die Erhebung von Säumniszuschlägen bedeute im Streitfall eine übermäßige Belastung. Im Regelfall könne ein Steuerpflichtiger durch Erlangung von Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung das Entstehen von Säumniszuschlägen verhindern, wenn sein Rechtsbehelf Erfolg habe. Lehne hingegen die Finanzbehörde die Aussetzung der Vollziehung ab, obwohl sie hätte gewährt werden müssen, und habe der Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen im Hauptsacheverfahren Erfolg, so sei ein Erlaß der Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen geboten. Dies gelte im Streitfall insbesondere deshalb, weil der Steuerbescheid, der den Säumniszuschlägen zugrunde lag, wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben worden sei und die Klägerin sich wiederholt beim FA um Aussetzung der Vollziehung bemüht habe.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 227 AO 1977 und führt hierzu aus: Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 blieben verwirkte Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung der Steuer aufgehoben oder geändert werde. Diese Entscheidung des Gesetzgebers werde unterlaufen, wenn im Falle eines erfolgreichen Rechtsmittels die Säumniszuschläge zu erlassen wären. Die Erhebung von Säumniszuschlägen würde sich dann auf die Fälle rechtmäßiger Steuerfestsetzungen beschränken, was dem Gesetzeszweck nicht entspreche. Ein Erlaß sei im Streitfall auch wegen des Verhaltens der Klägerin nicht gerechtfertigt. Die Klägerin hätte nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung diese entweder beim FG anfechten bzw. unmittelbar bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen müssen oder sie hätte die Zahlung fristgerecht leisten müssen. Nach Zahlung hätte sie dann Aufhebung der Vollziehung beantragen können oder sich nach Obsiegen im Klageverfahren durch Verzinsung des Erstattungsbetrages schadlos halten können.

Das beklagte FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht sich die Ausführungen des FG zu eigen und trägt darüber hinaus vor, die Säumniszuschläge seien nicht wirksam festgesetzt worden, ihrer Erhebung stehe die Verjährung entgegen und außerdem liege kein Leistungsgebot vor.

Gründe

B.

Die Revision ist teilweise begründet.

I. Die Revision ist nicht bereits deshalb begründet, weil die Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses hätte abgewiesen werden müssen. Zwar könnte das Vorbringen der Klägerin zur mangelnden Festsetzung der Säumniszuschläge und zur Verjährung insofern von Bedeutung sein, als bei Nichtentstehen bzw. Erlöschen der Säumniszuschläge ein Bedürfnis für eine Klage auf Erlaß der Säumniszuschläge zu verneinen sein könnte. Dieser Gedanke braucht aber schon deshalb nicht vertieft zu werden, weil die Säumniszuschläge keiner Festsetzung bedürfen, denn sie entstehen kraft Gesetzes (§ 218 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AO 1977), und weil keine Zahlungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährung von Säumniszuschlägen richtet sich nach den §§ 228 ff. AO 1977. Gemäß § 231 Abs. 1 AO 1977 ist die Verjährung der Säumniszuschläge im Dezember 1979 durch Sicherheitsleistung (Bankbürgschaft) und Vollstreckungsaufschub, ferner mit Verfügung vom durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs unterbrochen worden.

II. Zwar hat das FG zutreffend erkannt, daß die den Erlaß ablehnenden Entscheidungen des FA und der OFD den vorgegebenen Ermessensrahmen nicht eingehalten haben. Das Urteil des FG ist jedoch insoweit aufzuheben, als es den Beklagten verpflichtet hat, Säumniszuschläge in Höhe von 459 800 DM zu erlassen.

1. Gemäß § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen rechnen auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der Säumniszuschläge (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977).

Die Entscheidung über ein Erlaßbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. , BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727; vom V R 35/72, BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58). Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer steuerrechtlichen Vorschrift bewußt in Kauf genommen hat, keinen Erlaß aus Billigkeitsgründen (, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127).

a) Gemäß § 240 Abs. 1 AO 1977 sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Nach Absatz 1 Satz 4 dieser Vorschrift bleiben die verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufgehoben oder geändert wird. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen bedeutet im Streitfall einen Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers.

Die Wertungen des Gesetzgebers ergeben sich zum einen aus der Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977, wonach die Aufhebung eines Steuerbescheids die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt läßt. Diese Regelung gilt uneingeschränkt auch für die Beseitigung rechtswidriger Steuerfestsetzungen, da die Vollstreckbarkeit eines Steuerbescheids nicht von seiner Bestandskraft abhängt. Für eine gegenteilige Ansicht findet sich weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt. Der Gesetzgeber hielt die Vorschrift des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 zur Klarstellung für erforderlich (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks 7/4292, S. 39), weil in § 3 AO 1977 die Säumniszuschläge als Nebenleistung bezeichnet wurden, die damit an sich von der Hauptleistung abhängig sein müßten. Die Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 erfolgte auf dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH, nach der sich im Anwendungsbereich der Reichsabgabenordnung (AO) die verwirkten Säumniszuschläge ermäßigten, wenn in einem Rechtsbehelfsverfahren die für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer herabgesetzt wurde (, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262).

Die in der Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 liegende Härte für denjenigen Steuerpflichtigen, der die Aufhebung einer Steuerfestsetzung erreicht, kommt nicht zum Tragen, wenn er Aussetzung der Vollziehung erlangt. In den Regelungen über die Aussetzung der Vollziehung ist eine dem § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 gegenläufige Wertung des Gesetzgebers zu erkennen. Danach bleibt ein Steuerpflichtiger, der die Aufhebung seiner Steuerfestsetzung erreicht, von Säumniszuschlägen und Zinsen unbelastet, wenn zuvor die Aussetzung der Vollziehung angeordnet worden ist (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sind im Zeitpunkt der Aussetzung der Vollziehung bereits Säumniszuschläge verwirkt, kann die Vollziehung des Steuerbescheids mit der Maßgabe aufgehoben werden, daß die in der Vergangenheit entstandenen Säumniszuschläge entfallen (, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389).

b) Der Streitfall liegt auf der Schnittstelle dieser gesetzgeberischen Wertungen. Die Klägerin hat zweimal Aussetzung der Vollziehung beantragt. Ihre Anträge sind vom FA und auf Beschwerde durch die OFD abgelehnt worden, obwohl ihnen nach der Auffassung des FG im Hauptsacheverfahren hätte stattgegeben werden müssen. Denn es ist nichts ersichtlich oder vorgetragen, daß die Aufhebung des Steuerbescheids durch das FG auf Gründen beruhte, die erst nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde erkennbar geworden sind. Da die Klägerin gegenüber den Finanzbehörden alles getan hat, um die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen, und da die Aussetzung an sich möglich und geboten gewesen wäre, ist die - vollständige (s. dazu unten 3., c) - Erhebung von Säumniszuschlägen eine unbillige Härte.

c) Dieses Ergebnis ist insbesondere angesichts des Umstandes gerechtfertigt, daß die Finanzbehörde der Klägerin nach Gestellung einer Bankbürgschaft Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO 1977 gewährte. Zwar ist die Erhebung von Säumniszuschlägen in der Regel nicht unbillig, wenn die Finanzbehörde bei Gewährung von Vollstreckungsaufschub den Steuerpflichtigen darauf hingewiesen hatte, daß Säumniszuschläge auch weiterhin berechnet würden, wie es vorliegend der Fall war (vgl. dazu , BFH/NV 1988, 411; vgl. auch Urteil vom I R 5/83, BFH/NV 1987, 684). Ausnahmsweise ist jedoch ein (teilweiser) Erlaß gerechtfertigt, wenn der Vollstreckungsaufschub nicht aus Gründen gewährt wurde, die lediglich die Art und Weise sowie den Umfang oder den Zeitpunkt der Vollstreckung als unbillig erscheinen lassen, sondern wenn der Vollstreckungsaufschub anstelle einer an sich gebotenen Aussetzung der Vollziehung angeordnet wurde. Auch hier kommt die gesetzgeberische Wertung zum Tragen, wonach der Steuerpflichtige bei erfolgreichem Rechtsbehelf von Säumniszuschlägen und Zinsen unbelastet bleiben soll, sofern die Vollziehung ausgesetzt worden ist.

Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, daß Billigkeitserwägungen, die ihren Grund ausschließlich im Vollstreckungsverfahren hatten, zum Vollstreckungsaufschub geführt haben. Damit bleibt als Begründung für den Vollstreckungsaufschub nur der Umstand, daß die Klägerin den Steuerbescheid angefochten und Sicherheit für die Steuerforderung geleistet hatte, wobei letzterer Umstand nicht nur den Vollstreckungsaufschub, sondern auch eine Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung hätte ermöglichen können.

d) Das beklagte FA ist der Auffassung, der Erlaß von Säumniszuschlägen bei Aufhebung einer Steuerfestsetzung (ohne vorangegangene Aussetzung der Vollziehung) unterlaufe die in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 niedergelegte Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß diese Vorschrift die Anwendung der Erlaßregelung in § 227 AO 1977 nicht generell ausschließt und ein Erlaß im Einzelfall gerechtfertigt sein kann. Die Vorschrift läuft auch nicht infolge Erlasses der Säumniszuschläge leer, denn ein solcher kommt z.B. nicht in Betracht, wenn die Aufhebung des Steuerbescheids ohne Anfechtung erfolgt ist oder der Steuerpflichtige sich nicht um Aussetzung der Vollziehung bemüht hat, oder die Vollziehung deshalb nicht ausgesetzt worden ist, weil - z.B. in Schätzungsfällen - keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist (vgl. , BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389, unter II.4. am Ende).

2. Es kommt im Streitfall nur ein teilweiser Erlaß in Betracht.

a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Diese Beurteilung hat der BFH in jüngerer Zeit weiterentwickelt und angenommen, daß mit den Säumniszuschlägen auch ein zusätzlicher Zweck verfolgt werde, nämlich die Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung (, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429; vom V R 124/79, BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489; vom VII R 127/85, BFH/NV 1989, 71; vom III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864). Daß mit der Vorschrift des § 240 AO 1977 ein Bündel von Zwecken verfolgt wird (vgl. Birk, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1987, 388), erweisen der Kontext der Norm ebenso wie die Gesetzesmaterialien. § 240 AO 1977 steht im systematischen Zusammenhang mit der Regelung der Zinspflicht bei gewährter Stundung (§ 234 AO 1977) und bei Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO 1977). In den genannten Vorschriften kommt zum Ausdruck, daß die Finanzbehörde von dem in den §§ 240 und 361 Abs. 1 AO 1977 niedergelegten Grundsatz, wonach festgesetzte Steuerschulden bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen absehen kann (BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429, unter II.2. am Ende; BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b). Bei nicht rechtzeitiger Zahlung sollen daher nach der Entscheidung des Gesetzgebers entweder Stundungszinsen (§ 234 Abs. 1 AO 1977, Ausnahme: zinslose Stundung gemäß Absatz 2) bzw. Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) oder Säumniszuschläge anfallen. Verwirkte Säumniszuschläge treten an die Stelle von Stundungs- oder Aussetzungszinsen.

Aus den Gesetzesmaterialien ist ebenfalls ersichtlich, daß verwirkte Säumniszuschläge auch anderen Zwecken dienen als der bloßen Sanktion gegenüber dem Steuerpflichtigen. Nach dem Gesetzentwurf der AO 1977 sollten die Säumniszuschläge ebenso wie die Steuern selbst den steuerberechtigten Körperschaften zufließen (§ 2 Abs. 4 des Entwurfs, BTDrucks 7/79, S. 17). Der Finanzausschuß rechtfertigte diese Regelung mit dem Argument, daß die Säumniszuschläge in erster Linie "Zinsersatz" seien (BTDrucks 7/4292, unter III., zu § 3, S. 15). Demgegenüber forderte der Bundesrat, die Säumniszuschläge den verwaltenden Körperschaften zufließen zu lassen, weil mit ihnen zu einem erheblichen Teil Verwaltungsaufwendungen abgegolten würden, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, daß der Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlt (BTDrucks 7/4495; so auch schon , BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17; vom VI R 268/80, BFHE 138,169, BStBl II 1983, 489). Die Auffassung des Bundesrates hat sich im Ergebnis durchgesetzt (§ 3 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).

b) Die Erkenntnis, daß Säumniszuschläge verschiedenen Zwecken dienen, hat Auswirkung auf die Entscheidung über den Erlaß von Säumniszuschlägen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum entstanden, währenddessen eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, kann für die Erhebung der Säumniszuschläge als Druckmittel die Rechtfertigung entfallen sein, so daß ein Erlaß der Säumniszuschläge in Betracht kommt. Der BFH hat in diesen Fällen einen Teilerlaß als ermessensgerecht angesehen, weil dadurch berücksichtigt werde, daß neben dem Zweck, Druck auszuüben, die Säumniszuschläge dem zusätzlichen Zweck der Gegenleistung dienen und dieser Zweck unabhängig von der Stundungssituation bestehengeblieben sei (Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, unter II.3.b am Ende; BFH/NV 1989, 71; BFHE 161, 4; BStBl II 1991, 864, unter 3.; zum gleichen Ergebnis kommt der , BFH/NV 1987, 684, unter 3.b, cc, mit der Begründung, ein Teilerlaß vermeide eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Steuerpflichtigen gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die Stundungszinsen zahlen müßten). Als Maßstab für den Teilerlaß hat der BFH die Stundungs- oder Aussetzungszinsen (§ 238 AO 1977) herangezogen; der säumige Schuldner solle jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleiben, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864).

c) Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, sind bei einem Erlaß von Säumniszuschlägen die verschiedenen Zwecke der Säumniszuschläge zu berücksichtigen. Sind Säumniszuschläge für einen Zeitraum angefallen, in dem eine Aussetzung der Vollziehung möglich oder geboten gewesen wäre, ist ein Teilerlaß der Säumniszuschläge unter dem Gesichtspunkt ermessensgerecht, daß Aussetzungszinsen (§§ 237, 238 AO 1977) bei Erfolg des Rechtsmittels nicht anfallen. Andererseits ist bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige die Steuer an sich hätte zahlen müssen und deshalb die Säumniszuschläge, soweit sie Druckmittel sind, ihren Sinn behielten. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen auf die Erhebung von Säumniszuschlägen hingewiesen worden ist.

3. Durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, soweit dieses den Beklagten verpflichtete, Säumniszuschläge in Höhe von 459 800 DM zu erlassen, sowie durch die vom FG ausgesprochene Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Beschwerdeentscheidung wird der Verwaltungsbehörde die erneute Entscheidung über den Erlaßantrag unter Beachtung der vorstehenden Ermessensgesichtspunkte ermöglicht.

Die von der Klägerin begehrte Verpflichtung der Behörde zum Erlaß der Säumniszuschläge kann nicht - auch nicht als Teilerlaß - ausgesprochen werden. Die Gerichte sind nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen. Eine Ermessenseinengung, die nur eine einzige Entscheidung als ermessensfehlerfrei erscheinen läßt, liegt im Streitfall nicht vor (vgl. , BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

4. Die Klägerin kann mit ihrem übrigen Vorbringen nicht gehört werden. Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung, so das behauptete Fehlen eines Leistungsgebots (§ 254 Abs. 1 AO 1977), sind mit der Beschwerde gemäß § 349 Abs. 1 AO 1977 geltend zu machen.

Fundstelle(n):
BStBl 1991 II Seite 906
BFH/NV 1991 S. 71 Nr. 12
RAAAA-93871