Niedersächsisches Finanzgericht  Urteil v. - 4 K 50/19

Umfang eines Einspruchs bei gleichzeitig mit der Steuerfestsetzung erfolgte Zinsfestsetzung

Leitsatz

Einsprüche, in denen nur die Steuerbescheide genannt und inhaltlich angegriffen werden, richten sich nur gegen die Steuer-, nicht aber gegen die damit verbundenen Zinsfestsetzungen.

Gesetze: AO 1977 § 357

Instanzenzug: BFH - V B 47/19

Verfahrensstand: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der von der Klägerin eingelegte Einspruch auch die Festsetzung der Zinsen zur Umsatzsteuer umfasst.

Im Anschluss an eine Außenprüfung im Betrieb der Klägerin änderte das Finanzamt mit Bescheiden vom u.a. die Festsetzungen für das Jahr 2007 über die Umsatzsteuer und die Zinsen zur Umsatzsteuer. Die Überschrift des Bescheides lautete „Bescheid für 2007 über Umsatzsteuer”. Neben der Umsatzsteuer i.H. von knapp 115.000 € wurden Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) zur Umsatzsteuer i.H. von etwa 26.000 € festgesetzt. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es: „Die Festsetzung der Umsatzsteuer und der Zinsen kann mit dem Einspruch angefochten werden”.

Mit Schreiben ihrer steuerlichen Berater vom wandte sich die Klägerin an das beklagte Finanzamt. Der Betreff des Schreibens lautete: „Einsprüche gegen die Bescheide über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2007 bis 2010, Einsprüche gegen die Bescheide über Umsatzsteuer 2007 bis 2010, Einsprüche gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2007 bis 2010”. Weiter hieß es: „(…) hiermit legen wir namens und in Auftrag unserer Mandantin (…) Einspruch gegen die oben genannten Bescheide ein (…)”. Im Weiteren wurden einzelne Punkte (Kfz-Kosten für Vermietungseinkünfte, Zahlungen für Beratungstätigkeiten von Frau A. an Frau B, Umfinanzierung von Immobiliendarlehen, Maklertätigkeit, Zahlungsweise der zu zahlenden Provisionen) thematisiert.

Durch Bescheid vom änderte das Finanzamt die Festsetzung der Umsatzsteuer 2007 „nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO” und setzte die Zinsen zur Umsatzsteuer von knapp 26.000 € auf etwa 20.000 € herab.

Mit Schreiben vom , eingegangen beim Finanzamt am , legte die Klägerin gegen den „Zins-Bescheid zur Umsatzsteuer 2007 vom ” Einspruch ein und beantragte die Herabsetzung der Zinsen auf 0 €. Sie begründete dies mit den gegen die Höhe der Zinsen anhängigen Verfahren beim Bundesfinanzhof (IX R 42/17) und beim Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2237/14) sowie mit dem (BStBl. I 2018, 722).

Mit Schreiben vom wies das Finanzamt die Klägerin darauf hin, dass die Zinsfestsetzung vom „rechtskräftig und damit unanfechtbar” geworden sei. Mit dem Einspruch vom sei nur die Umsatzsteuerfestsetzung, nicht jedoch die Zinsfestsetzung angefochten worden. Da die Zinsen durch Bescheid vom herabgesetzt worden seien, komme eine weitere Herabsetzung aufgrund des neuerlichen Einspruchs nicht in Betracht.

Durch Einspruchsbescheid vom wies das beklagte Finanzamt den Einspruch gegen die Zinsfestsetzung als unbegründet ab und führte aus: Bei dem Bescheid vom handele es sich um einen Sammelbescheid, der sowohl die Umsatzsteuerfestsetzung als auch die Zinsfestsetzung enthalte. Beide Festsetzungen stünden selbständig nebeneinander und seien lediglich in einem Bescheid verbunden. Sie seien unabhängig voneinander anzufechten. Die Klägerin habe zwar gegen den Bescheid über Umsatzsteuer 2007 Einspruch eingelegt, nicht aber gegen den Zinsbescheid. Eine Auslegung der gewählten Formulierung „Einspruch gegen den Bescheid über Umsatzsteuer” dergestalt, dass damit alle Festsetzungen des Sammelbescheids angegriffen worden seien, sei nicht möglich.

Am hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

Sie führt aus, der Einspruch vom „” (gemeint ist wohl der ) habe sich expressis verbis gegen den gesamten mit „Bescheid für 2007 über Umsatzsteuer” überschriebenen Verwaltungsakt vom „in allen seinen Bestandteilen” gerichtet. Dagegen spreche nicht, dass es sich um einen Sammelbescheid handele. In Sammelbescheiden selbständig nebeneinanderstehende Steuerfestsetzungen könnten grundsätzlich einzeln angefochten werden, müssten dies aber nicht. Sollte es sich – wie vom Finanzamt vertreten – um einen Sammelbescheid handeln, hätte dies außerdem in der Überschrift kenntlich gemacht werden müssen. Auch in der Rechtsbehelfsbelehrung hätte auf die einzelne Anfechtbarkeit hingewiesen werden müssen. Die in dem streitgegenständlichen Bescheid gewählte Belehrung („die Festsetzung der Umsatzsteuer und der Zinsen kann mit dem Einspruch angefochten werden”) könne – aufgrund der jeweiligen Verwendung des Singulars – bei verständiger Würdigung aber nur so verstanden werden, dass mit einem einzigen Einspruch beide Festsetzungen angefochten werden könnten. Die von ihr im Einspruchsschreiben gewählte Formulierung besage eindeutig, dass der gesamte Bescheid mit einem einzigen Einspruch habe angefochten werden sollen. Dass auch das Finanzamt von der Anfechtung der Zinsfestsetzung ausgegangen sei, zeige sich daran, dass es diese mit Bescheid vom auf der Grundlage des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheides vom in Gestalt des Einspruchsbescheides vom die Zinsen zur Umsatzsteuer 2007 auf 0 € herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsverfahren.

Am hat die Klägerin gegen alle an diesem Beschluss beteiligten Berufsrichter einen Befangenheitsantrag in dem parallel von ihr geführten Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 4 K 240/18 gestellt und zu dessen Begründung auch auf die Ablehnung ihres im Streitfall gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung abgestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Schriftsatzes (Blatt 44 bis 57 der Gerichtsakte 4 K 240/18) Bezug genommen

Gründe

I. Der Senat durfte unter der Beteiligung der an dem Verfahren über die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beteiligten Berufsrichter entscheiden.

Selbst wenn der von der Klägerin im Parallelverfahren gestellte Antrag sich auch auf das Klageverfahren im Streitfall beziehen sollte, wäre dieser unzulässig, weil er gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, die die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Urteil in der Sache 4 K 240/18 vom heutigen Tage Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt hat die Änderung der Festsetzung der Zinsen zur Umsatzsteuer 2007 zu Recht abgelehnt. Im Streitfall fehlt es an einem zulässigen Einspruch gegen die Zinsfestsetzung vom , sodass diese bestandskräftig geworden ist.

Nach § 355 Satz 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Im Streitfall datiert der angefochtene Bescheid vom und wurde – mangels anderer Anhaltspunkte – auch an diesem Tag zur Post gegeben. Er gilt damit (wegen des Maifeiertags) als am bekannt gegeben (§§ 122 Abs. 2 Nr. 1, 108 Abs. 3 AO). Die Einspruchsfrist endete daher mit Ablauf des (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit § 108 Abs. 1 AO). Innerhalb dieser Frist hat der Kläger nur gegen die Umsatzsteuerfestsetzung, nicht jedoch gegen die damit verbundenen Zinsfestsetzungen Einspruch eingelegt.

Der Bescheid vom stellt – wie das Finanzamt zutreffend ausführt - einen sog. Sammelbescheid dar, der unterschiedliche Festsetzungen – im Streitfall die Festsetzung der Umsatzsteuer und die Festsetzung der Zinsen – äußerlich miteinander verbindet (vgl. § 152 Abs. 3 und § 233a Abs. 4 AO). Ungeachtet ihrer äußeren Verbindung bleiben diese unterschiedlichen Festsetzungen selbständige Verwaltungsakte, die grundsätzlich unabhängig voneinander angefochten werden können und müssen (, BFH/NV 2007, 1509; vom – VI R 12/05, BStBl. II 2009, 116; vom – I R 93/00, BFH/NV 2002, 613).

Nach § 357 Abs. 3 Satz 1 AO „soll” bei der Einlegung des Einspruchs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig. Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift selbst ermitteln lässt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des Finanzamts beseitigt werden können. Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (vgl. BFH, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 – X B 43/06, BFH/NV 2007, 1499; vom – IX B 208/05, BFH/NV 2006, 2269; vom – XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68; Urteil vom – IV R 48/02, BStBl. II 2004, 964). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom – XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035; vom – XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029).

In dem von dem Beistand der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zitierten , BFH/NV 2002, 613) zu einem ähnlich gelagerten Fall, in der die Anfechtung der Festsetzung von Zinsen zur Körperschaftsteuer streitig war, heißt es ausdrücklich, die von einem Steuerberater stammende Formulierung, es werde „gegen den Körperschaftsteuerbescheid” Einspruch eingelegt, könne nicht als Einspruch auch gegen den Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Körperschaftsteuer ausgelegt werden. Die Erklärung sei eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Mit ihr sei nur der Körperschaftsteuerbescheid angefochten worden, der Teil des Sammelbescheides gewesen sei.

In diesem von dem Bundesfinanzhof entschiedenen Fall konnte es noch offen bleiben, ob das Schreiben als Einspruch auch gegen den Zinsbescheid auszulegen gewesen wäre, wenn die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Verwaltungsakte, gegen die sie Einspruch einlegen wollten, mit der Überschrift des Sammelbescheides als „Bescheid (…) über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag” bezeichnet hätten, denn sie hatten diese Bezeichnung der im Sammelbescheid zusammengefassten Verwaltungsakte gerade nicht verwendet, sondern im Einspruchsschreiben nur einen dieser Verwaltungsakte, den Körperschaftsteuerbescheid, angesprochen.

Dass die bloße Bezeichnung der Bezeichnung des Sammelbescheides nicht ausreicht, hat der Bundesfinanzhof jedoch mit Urteil vom (X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl. II 2014, 234) entschieden. Danach soll ein Einspruch als lediglich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gerichtet anzusehen sein, auch wenn im Rubrum eines Einspruchsschreibens ein „Bescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag” genannt ist, die Einspruchsbegründung aber ausschließlich auf Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Solidaritätszuschlag eingeht und das Ruhen des Rechtsbehelfsverfahrens wegen eines Musterprozesses zum Solidaritätszuschlag beantragt wird. Gleiches hat er am (X B 34/17, BFH/NV 2017, 1411) zu den Nachzahlungszinsen beschlossen: „Sind in einem Sammelbescheid mehrere Verwaltungsakte enthalten (hier: Festsetzung von Einkommensteuer, Nachzahlungszinsen, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) und bezieht sich die in einem Einspruchsschreiben enthaltene Begründung nur auf einen dieser Verwaltungsakte (hier: Nachzahlungszinsen), ist der Einspruch dahingehend auszulegen, dass nur derjenige Verwaltungsakt angefochten ist, auf den sich die Einspruchsbegründung bezieht”.

Ausgehend von diesen Grundsätzen richten sich die am u.a. gegen die „Bescheide über Umsatzsteuer 2007 bis 2010” eingelegten Einsprüche nur gegen die Steuer-, nicht aber gegen die damit verbundenen Zinsfestsetzungen. Denn die Klägerin hat darin nur Einwendungen gegen die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zur Umsatzsteuer erhoben, nicht aber gegen die damit verbundene Zinsfestsetzung. Insbesondere hat sie sich nicht gegen die Höhe des in § 238 AO festgelegten Zinssatzes gewandt. Dazu bestand im Zeitpunkt der Einlegung der Einsprüche auch kein unmittelbarer Anlass, weil der Bundesfinanzhof zu diesem Zeitpunkt in ständiger Rechtsprechung (zuletzt , BFH/NV 2016, 223) die Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes bejaht hatte.

Erst nachdem durch die Pressemitteilung Nr. 23 vom der , BFHE 260, 431; BStBl. II 2018, 415) bekannt geworden war, durch den die Vollziehung eines Zinsbescheids wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 238 AO ausgesetzt worden war, und das (BStBl. I 2018, 722) als Reaktion die Aussetzung von Zinsfestsetzungen für Zeiträume ab dem (nur) auf Antrag des Zinsschuldners angeordnet hatte, hat die Klägerin am Einwendungen gegen die Zinsfestsetzungen als solche erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Einspruchsfrist für die Zinsbescheide aber bereits abgelaufen.

Dass das Finanzamt die Umsatzsteuerfestsetzung für 2007 durch Bescheid vom nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert und im gleichen Bescheid auch die Zinsen zur Umsatzsteuer herabgesetzt hat, spricht nicht dafür, dass es einen zulässigen Einspruch der Klägerin auch gegen die Zinsfestsetzung angenommen hat. Die Zinsfestsetzung war vielmehr nach § 233a Abs. 5 AO (als Folgebescheid der Steuerfestsetzung) kraft Gesetzes zu ändern, weil die Steuerfestsetzung geändert wurde. Anders als der Beistand der Klägerin liegt damit keine erstmalige Festsetzung der Zinsen zur Umsatzsteuer 2007 vor. Soweit sich die Klägerin mit Schreiben vom gegen den Änderungsbescheid vom gewandt hat, liegt damit zwar insoweit ein „angefochtener Bescheid” vor. Da Verwaltungsakte, die – wie im Streitfall – unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nach § 351 Abs. 1 AO grundsätzlich nur insoweit angegriffen werden können, als die Änderung reicht, und mit dem angefochtenen Änderungsbescheid die Zinsfestsetzung herabgesetzt wurde, geht der Einspruch insoweit ins Leere.

Auch die von der Klägerin bemängelte Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn diese unrichtig (oder missverständlich) wäre und die Einspruchsfrist sich nach § 356 Abs. 2 AO auf ein Jahr verlängert hätte, wäre der Einspruch nur bis zum zulässig und der Einspruch vom verfristet gewesen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Fundstelle(n):
QAAAH-31462