Keine Berichtigungs- oder Änderungsmöglichkeit für das Finanzamt bei Fehlern in elektronisch übermittelten Lohnsteuerdaten
Leitsatz
1. Eine zu einer Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO berechtigende offenbare Unrichtigkeit liegt nicht vor, wenn in der Einkommensteuererklärung in Papierform eine Eintragung zu der Höhe der im Bruttoarbeitslohn enthaltenen Versorgungsbezüge fehlt und das FA aufgrund der vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Lohnsteuerdaten einen zu niedrigen Betrag einträgt mit der Folge, dass zu Unrecht der Arbeitnehmer-Pauschbetrag und der Altersentlastungsbetrag gewährt werden (Anschluss an , BStBl II 2018, 378).
2. Hat der Steuerpflichtige die Eintragung zu den Versorgungsbezügen in der Anlage N zur Einkommensteuererklärung versehentlich unterlassen, der Erklärung aber eine Lohnsteuerbescheinigung mit dem zutreffenden Betrag beigefügt, überwiegt der Pflichtverstoß des FA diesen Pflichtverstoß des Steuerpflichtigen deutlich und hindert nach Treu und Glauben eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn der Bearbeiter, der die Einkommensteuererklärung annimmt, dem Steuerpflichtigen die Lohnsteuerbescheinigung ungeprüft wieder aushändigt, weil das FA generell nur die elektronisch übermittelten Daten übernimmt.
Gesetze: AO § 129 Satz 1; AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. b; EStG § 24a Satz 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte zur Änderung eines Einkommensteuerbescheides zuungunsten der Kläger befugt war.
Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2014 zusammen veranlagt. Der Kläger zu 1. (im Folgenden: Kläger; geb. am ...) war Beamter der Freien und Hansestadt Hamburg und zuletzt bei der A tätig. Seit 2009 erhielt er nur noch Versorgungsbezüge. Die Klägerin zu 2. bezog im Streitjahr 2014 eine Rente.
In der dem Kläger von seiner Arbeitgeberin übersandten Lohnsteuerbescheinigung vom war für den Zeitraum vom bis zum ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von 29.221,11 € eingetragen. Die hierin enthaltenen Versorgungsbezüge sollten sich auf denselben Betrag belaufen. In einer weiteren Lohnsteuerbescheinigung vom für den Zeitraum vom bis zum waren ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von 9.740,37 € und hierin enthaltene Versorgungsbezüge in identischer Höhe bescheinigt.
Am übermittelte die Arbeitgeberin des Klägers dem Beklagten elektronisch die Lohnsteuerdaten für den Kläger für Januar bis September und am die Daten für Oktober bis Dezember des Streitjahres, letztere allerdings ohne Angabe der Versorgungsbezüge in Höhe von 9.740,37 €. Für das Streitjahr übermittelt wurden mithin ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von insgesamt 38.961,48 € und Versorgungsbezüge in Höhe von nur 29.221,11 €.
Am ... 2015 suchte der Kläger die Informations- und Annahmestelle (im Folgenden: IAS) des Beklagten mit der ausgefüllten Einkommensteuererklärung für 2014 und diversen Belegen auf. In der Anlage N war in Zeile 6 ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von 38.961 € eingetragen. Die Zeile 11 ("Steuerbegünstigte Versorgungsbezüge, in Zeile 6 enthalten") enthielt keine Eintragung. Unter den Belegen befanden sich auch die beiden Lohnsteuerbescheinigungen der Arbeitgeberin. Die Sachbearbeiterin in der IAS hakte die entsprechenden Eintragungen in der Steuererklärung nach Prüfung der Belege ab und händigte dem Kläger die Belege wieder aus. Die Lohnsteuerbescheinigungen sah sich die Bearbeiterin wegen der vorliegenden elektronischen Daten vor der Rückgabe an den Kläger nicht an.
Die Steuererklärung wurde anschließend an die Eingangsstelle zum Scannen weitergegeben. Der in der Eingangsstelle tätige Bearbeiter ergänzte handschriftlich die in der Anlage N zur Einkommensteuererklärung fehlende Angabe zu den Versorgungsbezügen mit dem von der Arbeitgeberin elektronisch übermittelten Betrag von 29.221,11 €.
Der Beklagte erließ am den Einkommensteuerbescheid für 2014 (festgesetzte Steuer: 1.554 €). Hierin berücksichtigte er beim Kläger einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 38.961 €, einen Freibetrag für Versorgungsbezüge in Höhe von 3.276 €, Werbungskosten zu Versorgungsbezügen in Höhe von 102 € und - auf der Grundlage von Versorgungsbezügen lediglich in Höhe von 29.221 € und damit unterhalb des Bruttoarbeitslohns - den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1.000 € sowie einen Altersentlastungsbetrag in Höhe von 1.368 €.
Am übermittelte die Arbeitgeberin des Klägers elektronisch korrigierte Daten für das Streitjahr. Die Versorgungsbezüge wurden nunmehr in Höhe von 38.961,48 €, also in voller Höhe des Bruttoarbeitslohns, übermittelt. Den Kläger informierte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom darüber, dass die in dem zuvor übersandten Ausdruck der Lohnsteuerbescheinigung für Oktober bis Dezember 2014 enthaltenen Daten fehlerhaft gewesen seien, und übersandte eine Lohnsteuerbescheinigung vom für diesen Zeitraum, die allerdings gegenüber der zuerst übersandten Bescheinigung keine Änderung enthielt.
Der Beklagte erließ daraufhin am einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid, in dem er den Arbeitnehmer-Pauschbetrag und den Altersentlastungsbetrag nicht mehr mindernd berücksichtigte und die Einkommensteuer auf 2.158 € festsetzte.
Hiergegen legten die Kläger am Einspruch ein und trugen zur Begründung vor, dass die Lohnsteuerbescheinigung vom die Versorgungsbezüge zutreffend ausweise und dem Beklagten aus der Vergangenheit bekannt sei, dass der Kläger in voller Höhe Versorgungsbezüge erhalte. Die Voraussetzungen des § 173 AO seien somit nicht erfüllt. Ferner sei die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unrichtig berechnet worden.
Am erließ der Beklagte einen nur im Hinblick auf die zumutbare Belastung antragsgemäß geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem er die Einkommensteuer auf 2.120 € herabsetzte.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Die Bescheidänderung sei nach § 129 AO zulässig gewesen, da die Übernahme fehlerhafter Lohndaten als ähnliche offenbare Unrichtigkeit im Sinne dieser Vorschrift einzustufen sei. Das Vorliegen eines Rechtsfehlers sei bei der Übernahme elektronisch übermittelter Daten ausgeschlossen. Darüber hinaus habe der ursprüngliche Bescheid auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen. Die Tatsache, dass die Versorgungsbezüge mit einem höheren Betrag anzusetzen gewesen seien, sei für ihn, den Beklagten, neu gewesen.
Die Kläger haben am Klage erhoben. Sie tragen vor, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO nicht vorlägen. Wenn der Tatbestand des § 129 AO nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom VI R 41/16) nicht erfüllt sei, wenn das Finanzamt bei einer Abweichung zwischen erklärtem Arbeitslohn und elektronisch übermittelten Daten letztere ohne weitere Prüfung übernehme, müsse dies ebenfalls gelten, wenn Versorgungsbezüge übermittelt würden, die nicht erklärt worden seien. Der Beklagte hätte im Rahmen der Veranlagung seinen Ermittlungspflichten nachkommen müssen.
Eine neue Tatsache i. S. des § 173 AO liege nicht vor, weil der Kläger dem Beklagten am die Lohnsteuerbescheinigungen mit den korrekten Eintragungen vorgelegt habe.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2014 vom in Gestalt des Änderungsbescheides vom und der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass es im Unterschied zu dem vom ) entschiedenen Fall vorliegend keinen Ermittlungsfehler auf seiner, des Beklagten, Seite gebe. Insbesondere habe er, anders als das Finanzamt im BFH-Fall, die elektronisch übermittelten nicht mit den erklärten Daten abgleichen können, weil die Einkommensteuererklärung keine Angabe zu den Versorgungsbezügen enthalten habe. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen oder einem Versäumnis bei der Sachverhaltsermittlung beruhe.
Die Änderung sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich gewesen. Die tatsächliche Höhe der Versorgungsbezüge sei eine neue Tatsache, weil die zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Personen keine Kenntnis von den Lohnsteuerbescheinigungen in Papierform gehabt hätten. Die Bearbeiterin in der IAS sehe sich die Lohnsteuerbescheinigungen in Papierform wegen der elektronisch übermittelten Daten grundsätzlich nicht an. Dass die elektronischen Daten, wie hier, fehlerhaft seien, sei eine absolute Ausnahme. Da die Lohnsteuerbescheinigungen nicht zu den Akten genommen worden seien, hätten die anderen mit dem Fall befassten Bearbeiter hiervon keine Kenntnis haben können.
Insbesondere liege auch kein die Änderungsmöglichkeit ausschließender Ermittlungsfehler auf seiner, des Beklagten, Seite vor. Die Finanzbehörde verletzte ihre Sachaufklärungspflicht erst dann, wenn sie Zweifelsfragen nicht nachgehe, die sich ihr den Umständen nach ohne weiteres hätten aufdrängen müssen. Vorliegend habe der Kläger in der Steuererklärung keine Angaben zu den Versorgungsbezügen gemacht, obwohl es ihm zuzumuten gewesen wäre, auch dieses Feld auszufüllen; er sei seiner Erklärungspflicht somit nicht vollumfänglich nachgekommen. Demgegenüber habe er, der Beklagte, seiner Ermittlungspflicht genügt, indem er die fehlenden Angaben mit den elektronischen Daten ergänzt habe.
Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins am wird Bezug genommen (Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 38 ff.).
...
Gründe
Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.
I.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Änderungsbescheid vom , nochmals geändert am und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war zur Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides für 2014 vom nicht befugt. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung gemäß § 129 AO (1.) oder eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (2.) oder § 175b AO (3.) lagen nicht vor. Die Anwendung weiterer Änderungsvorschriften kommt nicht in Betracht.
1. Der Beklagte konnte den ursprünglichen Bescheid nicht nach § 129 AO berichtigen.
Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
aa) Solche offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (BFH-Urteil vom Beschluss vom VI R 63/13, BFH/NV 2015, 1078, m. w. N.).
bb) Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift aber auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (, BFH/NV 2018, 10; vom X R 20/15, BFH/NV 2017, 438).
cc) Nicht jede versehentlich unberücksichtigte Tatsache ist mit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung gleichzusetzen. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung ist erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben sind. Ermittlungsfehler gehen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt ist. Ist dagegen ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden ist, darf diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (, BStBl II 2018, 378).
dd) Dementsprechend hat der BFH das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit abgelehnt in einem Fall, in dem die Klägerin den Arbeitslohn in der Papiererklärung richtig angegeben und das Finanzamt den elektronisch unrichtig übermittelten, niedrigeren Betrag angesetzt hatte. Der BFH führte zur Begründung aus, dass das Finanzamt im Vertrauen auf die Richtigkeit der elektronisch übermittelten Daten bewusst keinen Abgleich mit der Einkommensteuererklärung vorgenommen habe. Der daraus resultierende Fehler sei kein mechanisches Versehen. Insbesondere liege kein bloßes Übersehen erklärter Daten vor, das grundsätzlich zu einer Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO führe. Das Finanzamt habe vielmehr trotz der Diskrepanz zwischen Erklärung und Datenübermittlung den zutreffenden Arbeitslohn nicht aufgeklärt, was einen Ermittlungsfehler darstelle (, BStBl II 2018, 378).
Danach liegt im Streitfall keine zu einer Berichtigung nach § 129 AO berechtigende offenbare Unrichtigkeit vor.
Der Ansatz der Versorgungsbezüge in der zu geringen Höhe beruht nicht auf einem mechanischen Versehen der Bearbeiter des Beklagten. Denn auch wenn der Kläger die Eintragung der Versorgungsbezüge in der Zeile 11 der Anlage N offenbar versehentlich unterlassen hat, hat der Beklagte diesen Fehler gerade nicht als eigenen übernommen, was als mechanisches Versehen zu werten wäre, sondern die fehlende Angabe aufgrund einer - unzutreffenden - Sachverhaltsermittlung durch Abgleich der Erklärung mit den elektronischen Daten ergänzt.
Der Sachverhalt im Streitfall ist mit dem vom BFH entschiedenen Fall (s. oben a. dd.) vergleichbar. Zwar hat der Kläger hier, anders als in dem BFH-Fall, die zutreffende Eintragung der Versorgungsbezüge in der Anlage N unterlassen. Dieser Umstand ist nach Auffassung des erkennenden Senates jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn der Kläger hat bei Abgabe der Erklärung in der IAS die Lohnsteuerbescheinigungen vorgelegt, in denen die zutreffenden Beträge enthalten waren, und seiner Erklärungspflicht auf diese Weise genügt. Bei einem Abgleich zwischen den vorgelegten Bescheinigungen und der Erklärung, der vom Beklagten ohne die elektronische Datenübermittlung in jedem Fall vorgenommen worden wäre, wäre die Diskrepanz aufgefallen und der richtige Betrag angesetzt worden. Daher ist es für die Beurteilung nicht wesentlich, ob die richtige Eintragung in der Erklärung vorgenommen oder ob sie zwar unterlassen, aber eine entsprechende Bescheinigung vorgelegt wurde.
Die in der IAS tätige Bearbeiterin hat die vorgelegten Ausdrucke der Lohnsteuerbescheinigungen indes bewusst ignoriert und sie nicht zur Akte genommen bzw. zur Erfassung weitergeleitet, weil der Beklagte bei der Veranlagung im Vertrauen auf die Richtigkeit der elektronischen Datenübermittlung grundsätzlich diese Daten ansetzt. Der unterlassene Abgleich zwischen den Lohnsteuerbescheinigungen in Papier- und in elektronischer Form stellt ebenso einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Ermittlungsfehler dar wie der unterlassene Abgleich zwischen den Angaben in der Erklärung selbst und den elektronischen Daten.
2. Eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt ebenso wenig in Betracht.
Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
aa) Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Die Höhe von Einkünften oder Einnahmen ist eine Tatsache in diesem Sinne (, BStBl II 2017, 745).
bb) Dass der vom Kläger im Streitjahr bezogene Bruttoarbeitslohn in voller Höhe und nicht lediglich in Höhe von 29.221,11 € aus Versorgungsbezügen bestand, ist eine Tatsache.
Diese Tatsache führt auch zu einer höheren Steuer.
aa) Der Altersentlastungsbetrag ist nach § 24a Satz 1 EStG ein nach einem Prozentsatz ermittelter Betrag des Arbeitslohns und der positiven Summe der Einkünfte, die nicht solche aus nichtselbständiger Arbeit sind. Nach Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift bleiben Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG dabei außer Betracht.
bb) Von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ist, soweit es sich um Versorgungsbezüge handelt, nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG lediglich ein Pauschbetrag von 102 € abzuziehen statt des ansonsten bei Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abziehbaren Arbeitnehmer-Pauschbetrages von 1.000 € (Buchst. a der Regelung).
cc) Da der Kläger im Streitjahr ausschließlich Versorgungsbezüge bezog, waren der im ursprünglichen Bescheid vom berücksichtigte Arbeitnehmer-Pauschbetrag und der Altersentlastungsbetrag tatsächlich nicht abzuziehen, was zu einer höheren Steuer führt.
Ob die Tatsache dem Beklagten nachträglich bekannt wurde, kann im Streitfall dahinstehen.
aa) Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des geänderten Steuerbescheids noch nicht kannte (, BStBl II 2018, 419).
aaa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gilt der Inhalt der in der zuständigen Dienststelle geführten Steuerakten als bekannt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt (, BStBl II 2013, 997; , BFH/NV 1992, 221). Dazu gehören alle Schriftstücke, die bei der Dienststelle vorliegen oder sie im Dienstgang erreichen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 34).
bbb) Bei Tatsachen, die sich nicht aus den Akten ergeben, ist hingegen die positive Kenntnis des zuständigen Bearbeiters erforderlich; ein Kennenmüssen reicht hier nicht aus (, BStBl II 2018, 419; vom X B 33/13, BStBl II 2013, 997).
ccc) Nur ausnahmsweise können dem mit dem Fall befassten Bearbeiter auch nicht aktenkundige Tatsachen nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten ohne positive Kenntnis als bekannt zuzurechnen sein, etwa aus anderen steuerlichen Verfahren, wenn zur Hinzuziehung dieses Vorgangs Anlass bestand (, BFH/NV 2015, 1342).
ddd) Die Finanzbehörde muss sich zudem die Kenntnisse aller mit dem Steuerfall befassten Bearbeiter zurechnen lassen, auch wenn diese den Fall zur weiteren Bearbeitung an einer andere Stelle weitergegeben haben (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 34). Müssen mehrere Dienststellen nach ihrem Aufgabenbereich zusammenwirken und Kenntnisse austauschen, muss sich die zuständige Dienststelle die Kenntnisse der anderen Dienststelle zurechnen lassen (vgl. , BStBl II 1983, 548, für das Verhältnis zwischen Veranlagungsdienststelle und Rechtsbehelfsstelle).
bb) Die tatsächliche Höhe der Versorgungsbezüge des Klägers war dem Bearbeiter in der zuständigen Veranlagungsdienststelle des Beklagten nicht positiv bekannt und ergab sich auch nicht aus dem Inhalt der der Dienststelle vorliegenden Akten. Gleichwohl spricht Einiges dafür, dass der Inhalt der ausgedruckten Lohnsteuerbescheinigungen als dem Bearbeiter bekannt gelten muss, weil sie vom Kläger vorgelegt und ihm sogleich zurückgegeben wurden, ohne dass sie zum Aktenbestandteil gemacht worden wären, obwohl die Möglichkeit dazu bestand, und weil sich die zuständige Veranlagungsdienststelle dieses Verhalten der für die Annahme und Vorprüfung der Einkommensteuererklärungen zuständigen IAS zurechnen lassen muss. Im Ergebnis kann der Senat diese Frage allerdings offen lassen.
Denn jedenfalls steht der Grundsatz von Treu und Glauben der Bescheidänderung entgegen.
aa) Die Änderung eines Steuerbescheids zum Nachteil des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Hierauf kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich aber nur dann berufen, wenn er seinerseits seine Mitwirkungspflicht in zumutbarer Weise erfüllt hat (, BFH/NV 2004, 1502). Haben es sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (, BStBl II 2018, 419; , BFH/NV 2013, 694). Eine Änderungsbefugnis des Finanzamts ist in solchen Fällen insbesondere dann zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige in abgabenrechtlichen Antragsvordrucken zu entscheidungsrelevanten Tatsachenfragen entweder überhaupt keine oder sogar inhaltlich unrichtige Angaben gemacht hat (, BStBl II 2018, 419; vom III R 39/93, BFH/NV 1998, 81). Demgegenüber scheidet in Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen eine Änderungsmöglichkeit aus, wenn der Verstoß des Finanzamt deutlich überwiegt (, BStBl II 2018, 419; vom X B 33/13, BStBl II 2013, 997). Das Finanzamt verletzt seine Ermittlungspflicht (§ 88 AO), wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne Weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht (, BStBl II 2018, 419; vom X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502), beispielsweise wenn Angaben in der Steuererklärung mit den dazu eingereichten Bescheinigungen nicht übereinstimmen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 66).
bb) Im Streitfall liegen beiderseitige Pflichtverstöße vor, doch überwiegt der Pflichtverstoß des Beklagten deutlich.
aaa) Der Kläger hat die Eintragung der im Bruttoarbeitslohn enthaltenen Versorgungsbezüge in die Anlage N der Einkommensteuererklärung zwar - offenbar versehentlich - unterlassen. Dieser Pflichtverstoß wiegt jedoch nicht schwer, weil der Kläger der Bearbeiterin in der IAS des Beklagten zusammen mit der Steuererklärung die Lohnsteuerbescheinigungen mit den zutreffenden Eintragungen vorgelegt hat, sodass die fahrlässig unterlassene Eintragung unschwer erkennbar gewesen wäre. Der Kläger hat nicht versäumt, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, sondern dem Beklagten inhaltlich zutreffende Bescheinigungen vorgelegt.
bbb) Vor allem war der Pflichtverstoß des Klägers für die unrichtige Veranlagung durch den Bescheid vom nicht kausal. Zu der materiell unrichtigen Erstveranlagung kam es nicht, weil der Beklagte der - unvollständig ausgefüllten - Steuererklärung gefolgt wäre. Der Beklagte hat die Unvollständigkeit vielmehr erkannt und die fehlende Angabe eigenständig, aber unzutreffend ermittelt und ergänzt. Zwar wiegt auch dieser Pflichtverstoß für sich genommen nicht schwer, denn das Finanzamt kann und muss sich grundsätzlich auf die Richtigkeit der von den Arbeitgebern elektronisch übermittelten Lohnsteuerdaten verlassen. Doch hätte der Beklagte im Streitfall wegen der Diskrepanz zwischen der in den Ausdrucken der Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen und der elektronisch übermittelten Höhe der Versorgungsbezüge Anlass gehabt zu weiteren Ermittlungen. Zweifel an der Richtigkeit der elektronisch übermittelten Daten hätten sich ihm auch nicht nur bei einem Abgleich mit den ausgedruckten Bescheinigungen aufdrängen müssen, sondern darüber hinaus auch bei einem Vergleich mit den Veranlagungen der Vorjahre, in denen der Kläger durchgehend ausschließlich Versorgungsbezüge bezogen hatte. Dass der Beklagte diese Vergleiche unterlassen, die ausgedruckten Bescheinigungen dem Kläger unbesehen wieder mitgegeben und von vornherein allein auf die Richtigkeit der elektronischen Daten vertraut hat, hat allein zu der materiell unrichtigen Erstveranlagung geführt und wiegt im Ergebnis deutlich schwerer als die vom Kläger unterlassene Eintragung in der Anlage N.
3. Die durch Gesetz vom (BGBl I 2016, 1679) mit Wirkung vom eingeführte Änderungsvorschrift des § 175b Abs. 1 AO, die eine Bescheidänderung bei unzutreffender Berücksichtigung von nach § 93c AO mitgeteilten Daten ermöglicht, ist gemäß Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO erst für Besteuerungszeiträume nach 2016 anwendbar und gilt für das Streitjahr folglich nicht.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708, 711 der Zivilprozessordnung.
3. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAH-03922