Essensverkauf durch einen selbständigen Grillstand in einem traditionellen bayerischen Biergarten als dem Regelsteuersatz unterliegende Dienstleistung
Leitsatz
1. Hat ein Unternehmer vom Betreiber eines bayrischen Biergartens, in dem Kunden kalte und einfache Speisen selbst mitbringen dürfen, einen Grillstand in dem Biergarten angepachtet, in dem er nach den Vorgaben im Pachtvertrag während der Öffnungszeiten des Biergartens gebratene Fische, Grillhähnchen, Spareribs und Pommes frites anbieten darf und muss, und hat er nach dem Pachtvertrag das Recht, seinen Kunden auch die Infrastruktur des Biergartens (Bierzeltgarnituren, Toiletten, Abfallbehälter) zur Verfügung zu stellen, so erbringt er mit dem Verkauf der Speisen nach der vor 2011 gültigen Rechtslage keine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende „Lieferung”, sondern aufgrund des erheblichen Dienstleistungscharakters eine dem Regelsteuersatz unterliegende Dienstleistung.
2. Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen. Da das Bereitstellen von Bierzeltgarnituren, deren Auf- und Abbau sowie deren Reinigung einen gewissen personellen Einsatz erfordern, wird regelmäßig die Schwelle zum Restaurationsumsatz und damit zur Dienstleistung überschritten
Gesetze: UStG 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 12 Abs. 1 UStG 12 Anlage 2 Nr. 28 UStG 12 Anlage 2 Nr. 32 UStG 12 Anlage 2 Nr. 22 UStG § 3 Abs. 1UStG § 3 Abs. 9 DVO (EU) Nr. 282/2011 Art. 6 Abs. 2
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Gründe
I.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren (2006 bis 2010) u.a. einen Grillstand in einem Biergarten, in dem er gebratene Fische, Grillhähnchen, Spareribs und Pommes frites anbot. Er hatte vom Betreiber des Biergartens mit Vertrag vom diesen Verkaufsstand gepachtet. Der Verkaufsstand wurde bei geöffnetem Biergarten zum Zwecke des Verkaufs von Waren in der vom Verpächter bestimmten Zeit verpachtet (Nr. 4 des Vertrages). Der Kläger war verpflichtet, den Stand während der Öffnungszeiten zu betreiben und zu den vom Pächter festgelegten Zeiten offen zu halten (Nr. 8 des Vertrages). Neben dem Pachtzins hatte der Kläger anteilige Pauschalen für Nebenkosten wie etwa Müllabfuhr, Reinigung und Sauberhaltung des Biergartens am Anfang des Jahres zu entrichten (Nr. 3 des Vertrages). Das Warensortiment war vom Betreiber vorgegeben (Nr. 5 des Vertrages). Dieser schloss mit anderen Unternehmern weitere Verträge für Verkaufsstände mit anderen Waren ab und verkaufte selbst Getränke. Entsprechend der Tradition durften die Gäste eigene Brotzeiten, d.h. in der Regel kalte und einfache Speisen, nicht jedoch eigene Getränke in den Biergarten mitbringen (vgl. 2.1. der Begründung zur Bayerischen Biergartenverordnung vom , Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt – GVBl. 1999, 142). Die Fische wurden in Papier eingewickelt den Kunden übergeben. Grillhähnchen und Spareribs sind ebenfalls entweder in Papier eingewickelt oder auf Papptellern ausgereicht worden. Die Pommes frites wurden entweder in Tüten verpackt oder in Papierschalen angeboten. Mehrweggeschirr verwandte der Kläger nicht.
Im Biergarten befanden sich zahlreiche Biergartengarnituren, also Bänke und Tische, sowie Toiletten.
In seinen ab dem Jahr 2008 eingereichten Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2009 setzte der Kläger für diese Umsätze den allgemeinen Steuersatz (16 % bzw. 19 %) an. Die Erklärungen führten zu Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Am stellte der Kläger den Antrag auf Änderung der Steuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2009, da er der Auffassung war, die Umsätze seien mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Er habe keine eigenen Verzehrvorrichtungen und keine sonstigen Dienstleistungen angeboten.
Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom ab. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein.
In seiner Erklärung für das Jahr 2010 setzte er diese Umsätze mit 7 % an. Hiervon abweichend versteuerte das FA diese mit Bescheid vom zum allgemeinen Steuersatz. Der Kläger legte Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens reichte der Kläger berichtigte Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2007 bis 2010 ein. Von den vom Kläger angegebenen Beträgen ausgehend schätzte das FA die Umsätze, welche auf Kunden entfielen, die die Speisen mitnahmen und nicht im Biergarten verzehrten, auf 10 %. Hierfür wandte es den ermäßigten Steuersatz und im Übrigen den allgemeinen Steuersatz an. Es erließ entsprechend geänderte Bescheide vom und setzte die Umsatzsteuer für das Jahr 2006 auf 4.197,28 EUR, für 2007 auf 5.396,74 EUR für 2008 auf 8.155,84 EUR, für 2009 auf 26.210,46 EUR und für 2010 auf 8.414,78 EUR fest.
Mit Einspruchsentscheidung vom wies es die Einsprüche als unbegründet zurück.
Am erhob der Kläger Klage. Er trägt vor, dass er keine weiteren Dienstleistungen, keine Vorhaltung von Verzehrvorrichtungen sowie nicht die Verwendung von Geschirr, Besteck, Gläsern und Mobiliar angeboten habe. Die im Biergarten befindlichen Tische und Bänke seien vom Betreiber des Biergartens bereitgestellt, unterhalten und gereinigt worden. Sie hätten von allen Besuchern des Biergartens benutzt werden dürfen. Die Besucher seien nicht angehalten worden, die Lebensmittel beim Kläger oder anderen Standbetreiben zu erwerben, um die Garnituren nutzen zu dürfen. Nur Leistungen des Steuerpflichtigen seien zu berücksichtigen, nicht hingegen Leistungen anderer Unternehmer. Ferner verweist der Kläger auf den Beschluss des Finanzgerichts im Verfahren 14 K3490/11 vom . Der Senat habe aufgrund des finanzgerichtlichen Buchsachverständigen entschieden, dass für die kalkulierten Umsätze aus dem Biergartenbetrieb eine Umsatzsteuer von 7 % anzuwenden sei. Der Sachverhalt, welcher die Jahre 1998 bis 2004 behandelt habe, habe sich in den Streitjahren nicht geändert.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide vom dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer für 2006 auf …, für 2007 auf einen Negativbetrag von …, für 2008 auf …, für 2009 auf … und für 2010 auf einen Negativbetrag von … festgesetzt wird.
Der Kläger regt hilfsweise an im Fall des Unterliegens die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es trägt vor, wegen des Prinzips der Abschnittsbesteuerung sei die vom gerichtlichen Buchsachverständigen vorgeschlagene Einigung in Sachen Umsatzsteuer 1998 bis 2004 unerheblich. Im Kern sei das FA der Auffassung, dass – nicht zuletzt wegen der Betriebsverpflichtung des Klägers – dessen Kunden das Recht erworben hätten, die Infrastruktur des Biergartens zu nutzen; unerheblich dabei sei, dass dies im Vertrag des Klägers mit dem Betreiber des Biergartens nicht ausdrücklich vereinbart gewesen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die eingereichten Schriftsätze, die vorgelegten Akten sowie die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am Bezug genommen.
Gründe
II.
Die Klage ist unbegründet. Auf die streitigen Leistungen ist der allgemeine Steuersatz anzuwenden.
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung der Streitjahre (UStG) ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die „Lieferung” der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. „Zubereitungen von Fleisch, Fisch …” (Nr. 28), „Zubereitungen von Gemüse …” (Nr. 32) und „verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33).
Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen (, BStBl II 2013, 246). …
Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen (, BStBl II 2013, 244; in BStBl II 2013, 246). Für die Streitjahre gilt, dass die Abgabe von Standardspeisen wie z. B. von Bratwürsten und Pommes frites grundsätzlich eine Lieferung ist (BFH-Urteil in BStBl II 2013, 246; ab nicht mehr auf die Komplexität der Speisen abstellend: Art. 6 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). Beim Bereitstellen von Bierzeltgarnituren, deren Auf- und Abbau sowie deren Reinigung einen gewissen personellen Einsatz erfordern, wird regelmäßig die Schwelle zum Restaurationsumsatz und damit zur Dienstleistung überschritten (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2013, 246, Rz 38).
Verzehrvorrichtungen sind bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung aber nur zu berücksichtigen, wenn sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (BFH-Urteil in BStBl II 2013, 246, Rz 32). Leistet jedoch ein Dritter an den Unternehmer und dieser wiederum an den Kunden, handelt es sich um ein Dienstleistungselement des die Speise abgebenden Unternehmers, das in die Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen ist (, Mehrwertsteuer-Recht –MwStR– 2016, 728; vgl. UStAE 2015/2016 Abschn. 3.6 Abs. 5 Satz 3 ff.). Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob er sich der weitergehenden Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom (7 K 7248/14, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2017, 162) anschließt, wonach bei der Bestimmung der Dienstleistungselemente dem Unternehmer solche Verzehrvorrichtungen eines Dritten wie eigene zuzurechnen seien, die aus objektiver Verbrauchersicht den Eindruck erweckten, ihm zu gehören.
Im Streitfall handelt es sich bei den vom Kläger angebotenen Speisen um Standardzubereitungen. Allerdings sind ihm das Bereitstellen der Bierzeltgarnituren und weitere Dienstleistungen wie die Abfallbeseitigung und das Bereithalten von Toiletten zuzurechnen.
Denn nach dem Pachtvertrag hatte der Kläger das Recht, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen, was dann auch – entsprechend der Erwartung der Verbraucher – geschah.
Zwar ist dies nicht ausdrücklich im Pachtvertrag geregelt, weil dieser als Gegenstand lediglich die Verpachtung einer bestimmten Verkaufsfläche nennt. Jedoch ergibt die Auslegung des Vertrages nach §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass der Kläger das Recht hatte, seinen Kunden die Nutzung der Infrastruktur des Biergartens zu ermöglichen. Dies folgt bereits daraus, dass er nicht nur den Pachtzins für die Verkaufsfläche, sondern nach Nr. 3 des Vertrages auch anteilig Kosten für die Müllabfuhr, Reinigung und Sauberhaltung des Biergartens zu tragen hatte. Dieser Kostenbeteiligung steht dann auch das Recht des Klägers gegenüber, die Infrastruktur des Biergartens entsprechend in Anspruch zu nehmen. Zudem durfte und musste der Kläger die Speisen während der Öffnungszeiten des Biergartens anbieten (Nr. 4 und 8 des Vertrages). Sein Speisensortiment war vorgegeben (Nr. 5 des Vertrages). Andere Stände ergänzten das Angebot, während der Betreiber des Biergartens die Getränke verkaufte. Die Verpachtung erfolgte damit in einem Gesamtkonzept „Biergarten”, bei dem wesentlich ist, dass dem Besucher nicht nur Speisen und Getränke in Selbstbedienung, sondern eine angenehme Umgebung zum Verzehr im Freien geboten wird.
Hieraus wird zugleich deutlich, dass der Kläger seinen Kunden das Recht einräumte, die Biergartengarnituren zum Verzehr sowie die weiteren Einrichtungen wie z. B. Toiletten zu nutzen.
Ohne entscheidende Bedeutung ist, dass die Besucher den Biergarten auch dann nutzen durften, wenn sie keine Speisen beim Kläger erwarben, und sie eigene Brotzeiten, d.h. in der Regel kalte und einfache Speisen, mitbringen durften. Denn dies ändert nichts daran, dass die Biergartengarnituren doch ausschließlich dazu dienten, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern. Der durchschnittliche Besucher geht nämlich in den Biergarten, um dort zu essen und zu trinken. Außerdem waren die vom Kläger angebotenen Speisen keine Brotzeiten, sondern erworbene, warme Speisen. Die Besucher wären daher nicht berechtigt gewesen, solche mitgebrachten Speisen im Biergarten zu verzehren. Somit musste der Kläger seinen Kunden erst das Recht verschaffen, den Biergarten insoweit zu nutzen.
Das (BFH/NV 2011, 1927) steht nicht entgegen. Denn – anders als im Streitfall – dienten dort die Stehtische und Bierzeltgarnituren im Gastronomiebereich eines Fußballstadions nicht ausschließlich dem Essen und Trinken. Außerdem hat hier der Kläger aus den dargelegten Gründen seinen Kunden selbst das Recht verschafft, die Biergartengarnituren zum Verzehr der bei ihm erworbenen Speisen zu nutzen. Das war nach dem Sachverhalt des BFH-Urteils in BFH/NV 2011, 1927 nicht der Fall.
Unerheblich ist schließlich die Einigung, welche die Beteiligten im Verfahren 14 K 3490/11 über die Besteuerung der Jahre 1998 bis 2004 erzielt haben. Denn nach dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung ist jeder Besteuerungszeitraum gesondert zu beurteilen (vgl. , BStBl II 2012, 623, m.w.N.).
2. Nicht zu beanstanden ist die Schätzung des FA, dass bei 10 % der Umsätze die Speisen nicht im Biergarten verzehrt, sondern mitgenommen wurden. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat der Kläger nicht erhoben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EFG 2017 S. 948 Nr. 11
KÖSDI 2017 S. 20356 Nr. 7
UStB 2017 S. 232 Nr. 8
QAAAG-45540