Thüringer FG Urteil v. - 2 K 782/14 EFG 2016 S. 693 Nr. 9

Bedarfsbewertung eines Grundstücks

Verkauf nach dem Bewertungsstichtag zu einem unter dem bestandskräftig festgestellten Grundbesitzwert liegenden Kaufpreis ist weder neue Tatsache noch rückwirkendes Ereignis

Leitsatz

1. Wird der tatsächliche niedrigere gemeine Wert eines Grundstücks erst nach Bestandskraft des Feststellungsbescheides über den Grundbesitzwert geltend gemacht, kann dieser nur noch berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen.

2. Da der Wert eines Gegenstands lediglich das Ergebnis der Wertung von Tatsachen ist, die den Wert ausmachen, ist er keine Tatsache.

3. Der Senat folgt nicht der Auffassung des ), wonach die wertbegründenden Eigenschaften einer Sache ihrerseits Tatsache i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO seien und der bei einem Grundstücksverkauf unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegende Kaufpreis eine wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert.

Gesetze: AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, BewG § 151 Abs. 1 S. 1, BewG § 198

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Streitig ist ein Antrag nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO), mit dem die Herabsetzung des Grundbesitzwerts begehrt wird.

Die Klägerinnen erhielten im Wege einer Schenkung das Eigentum an der in S. gelegenen Wohnung Nr. 1 mit Wirkung zum übertragen. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom stellte der Beklagte den Grundbesitzwert der Wohnung unter Anwendung der § 151 Abs. 1 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG) i. V. m. § 176 ff BewG für Zwecke der Schenkungsteuer auf 62.183 EUR gesondert fest. Den Betrag rechnete er den Klägerinnen jeweils zur Hälfte zu. Von der Möglichkeit des § 198 BewG den niedrigeren gemeinen Wert durch ein Wertgutachten nachzuweisen, machten sie in ihrer am von der Klägerin zu 2. persönlich beim Beklagten abgegebenen Feststellungserklärung keinen Gebrauch. Die für den Bewertungsstichtag maßgebliche Anleitung für die Anlage Grundstück zur Feststellungserklärung enthielt zu den Zeilen 106 bis 108 „Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts” Hinweise auf die Nachweisführung durch Gutachten oder einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommenen Kaufpreis.

Die Klägerinnen veräußerten die Wohnung Nr. 1 zusammen mit der im Alleineigentum der Klägerin zu 2. stehenden gleichgroßen Wohnung Nr. 2 am zum Gesamtpreis von 100.000 EUR.

Unter Hinweis auf R 198 Abs. 4 ErbStR 2011, wonach ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück als Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes dienen kann, beantragten die nunmehr steuerlich vertretenen Klägerinnen mit Schreiben vom die Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Zur Begründung beriefen sie sich auf eine (S 3000/23 S 4606/2) sowie das ). Danach lägen die Voraussetzungen einer Änderung bestandskräftiger Feststellungsbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, wenn der Steuerpflichtige – wie hier – durch Nachweis eines Verkaufserlöses einen niedrigeren gemeinen Wert nachweise. Hiernach sei der Grundbesitzwert um 12.000 EUR zu mindern.

Antrag und Einspruch blieben erfolglos. Der Beklagte führte aus, die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide mangels einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache aus. Denn das Grundstück sei erst nach der abschließenden Entscheidung des für die Feststellung des Grundbesitzwerts zuständigen Amtsträgers veräußert worden. Die Veräußerung beinhalte ferner kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Gegen die Einspruchsentscheidungen vom haben die Klägerinnen am jeweils für sich Klage erhoben, die das Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen 2 K 782/14 verbunden hat.

Für ihre Klage berufen sich die Klägerinnen im Wesentlichen auf das ). Danach stelle der im Streitfall erzielte niedrigere Kaufpreis eine wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel für den am Bewertungsstichtag bestehenden niedrigeren gemeinen Wert dar. Ferner treffe sie an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache kein grobes Verschulden. Von der Möglichkeit, den geringeren gemeinen Wert durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommenen Kaufpreis nachzuweisen, hätten sie erst im Nachgang durch ihre Bevollmächtigte erfahren.

Die Klägerinnen beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom über die Ablehnung der Anträge auf Änderung des Feststellungsbescheids vom , in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom , zu verpflichten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den vom dahingehend zu ändern, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit mit 50.000 EUR festgestellt und ihnen jeweils mit 25.000 EUR zugerechnet wird,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die beantragte Änderung des bestandkräftigen Feststellungsbescheids vom mangels einschlägiger Änderungsvorschrift zu Recht abgelehnt.

Gem. § 198 BewG hatten die Klägerinnen die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert als den nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelten Wert nachzuweisen. Der Nachweis kann bis zur Bestandskraft des Feststellungsbescheides geführt werden. Wird der tatsächliche niedrigere gemeine Wert jedoch erst nach Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser nur noch berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen (, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst -DStRE- 2013, 441; , Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-2010, 1097; , juris; Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 138 Rd. 31 und § 198 Rd. 19; vgl. auch Verfügungen des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom , S 3229.1.-1/2 St 34, /St 116, FMNR495310013 sowie der Thüringer Landesfinanzdirektion vom S 3229 A -01- A 6.17/ S 3180 A -01- A 6.17).

Im Streitfall besteht entgegen der Auffassung der Klägerinnen keine Möglichkeit zur Änderung des Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift nicht erfüllt sind. Hiernach ist ein Steuerbescheid zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nach ständiger Rechtsprechung erfasst der Begriff der „Tatsache” i. S. des § 173 AO jeden Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also tatsächliche Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften – materieller oder immaterieller Art. Die Tatsachen müssen beim Erlass des ursprünglichen Bescheids bereits existent, aber dem Finanzamt noch nicht bekannt sein. Soweit Tatschen nachträglich entstanden sind und ein rückwirkendes Ereignis darstellen, können diese allenfalls im Rahmen einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berücksichtigt werden. Hingegen umfasst nach allgemeiner Auffassung der Tatsachenbegriff keine Schlussfolgerungen aller Art, rechtliche Würdigungen und Bewertungen, Rechtsansichten und juristische Subsumtionen, bei denen auf Grund von Tatsachen anhand gesetzlicher Vorschriften ein bestimmter Schluss gezogen wird. Da der Wert eines Gegenstands lediglich das Ergebnis der Wertung von Tatsachen ist, die den Wert ausmachen, ist er keine Tatsache (, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2015, 2131 m. w. N.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 173 AO, Rd. 9 m. w. N.). Ebenso sind Schätzungen zur Ermittlung des Wertes eines Gegenstandes als solche keine Tatsachen. Tatsachen i.S. der Norm sind nur die Schätzungsgrundlagen, da die wertbegründenden oder wertbildenden Tatsachen wie sein Alter, seine Beschaffenheit oder sein Erhaltungszustand, seine Herkunft, die Bebaubarkeit oder die Bebauung eines Grundstücks Tatsachen sind (, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569, m. w. N. und vom II R 9/97, BFHE 185, 117, BStBl II 1998, 371). Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 AO sind z.B. Urkunden, Auskünfte, eidesstattliche Versicherungen, Bescheinigungen u.Ä. (, BFHE 134, 192, BStBl II 1982, 80). So kann ein Kaufvertrag Beweismittel für den Wert eines Grundstücks sein (, BFHE 179, 148, BStBl II 1996, 97). Nachträglich werden Tatsachen oder Beweismittel bekannt, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist. Grundsätzlich kommt es dabei auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle an, wobei aktenkundige Tatsachen stets als bekannt gelten (, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5, m. w. N.).

Aus den vorstehenden Gründen folgt der Senat nicht der Rechtsauffassung der Klägerinnen und des FG Berlin-Brandenburg, wonach die wertbegründenden Eigenschaften einer Sache ihrerseits Tatsache i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO seien und der bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegende Kaufpreis eine wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert. Denn bei Beachtung der zuvor ausgeführten Rechtsgrundsätze stellt ausschließlich der Kaufvertrag vom und nicht der Kaufpreis als Würdigung der wertbildenden Faktoren die „neue Tatsache” i.S. der Norm dar. Dem folgt nunmehr auch ausdrücklich die Finanzverwaltung. Die von den Klägerinnen angeführte Rechtsauffassung hat die Finanzverwaltung aufgegeben (vgl. Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom ,S 3229.1.-1/2 St 34, /St 116, FMNR495310013 sowie der Thüringer Landesfinanzdirektion vom S 3229 A -01 – A 6.17/ S 3180 A -01 – A 6.17).

Ferner erfordert nach ständiger Rechtsprechung die Formulierung des § 173 Abs. 1 AO „nachträglich bekannt werden”, dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden („existent”) und lediglich dem zuständigen Finanzamt unbekannt gewesen sein müssen (, BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75, vom IV B 98/96, BFH/NV 1998, 147, vom , VIII R 98/01, DStRE 2003, 949 und vom VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).

Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück nach der Rechtsprechung in aller Regel geeignet, gemäß § 198 BewG den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes zu erbringen (vgl. , BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179 zur gleichlautenden Vorschrift in § 146 Abs. 7 BewG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 vom , BGBl I 1996, 2049 und vom II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703). Nach den vorstehenden Ausführungen ist der für die Beurteilung des Tatbestandmerkmals „Tatsache” allein maßgebliche Kaufvertrag über die Wohnung aber nicht im Sinne des § 173 Abs. 1 AO „nachträglich bekannt” geworden. Denn dieser ist erst am zustande gekommen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom war er noch nicht existent.

Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses scheidet aus. Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Da sich der vom Beklagten bei der Bewertung der Wohnung nach §§ 176 ff. BewG zugrunde gelegte Sachverhalt durch den Abschluss des Kaufvertrages nicht nachträglich geändert, sind die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Dem Antrag auf Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war wegen der Klageabweisung nicht stattzugeben. Die Revision war wegen § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da das Urteil von der Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (3 K 3258/06 B) abweicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DStR 2016 S. 10 Nr. 27
DStRE 2016 S. 1041 Nr. 17
EFG 2016 S. 693 Nr. 9
ErbStB 2016 S. 166 Nr. 6
Ubg 2016 S. 627 Nr. 10
PAAAF-71258