FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 5 K 5119/18 EFG 2019 S. 1142 Nr. 13

Vorsteuerabzug aus Bewirtungsaufwendungen

Leitsatz

1. Ein Verstoß gegen die einkommensteuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten für Bewirtungsaufwendungen (z.B. ein fehlender Bewirtungsbeleg) führt nicht zugleich zur Versagung des Vorsteuerabzugs; entscheidend ist insoweit vielmehr, ob die unternehmerische Verwendung der Bewirtungsleistungen nachgewiesen und die Aufwendungen nach allgemeiner Verkehrsauffassung als angemessen zu beurteilen sind.

2. Die Versagung des Vorsteuerabzugs allein auf Grundlage der Nichteinhaltung von Formvorschriften – unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachweisen kann – stellt eine mit dem mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatz nicht zu vereinbarende Belastung des Steuerpflichtigen dar.

Gesetze: UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, UStG § 15 Abs. 1a, EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2, EGRL 112/2006 Art. 176 Abs. 2

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Unternehmensberater und Dozent. In seiner am beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2013 erklärte er Vorsteuern i. H. v. insgesamt 9.157,86 EUR. In diesem Betrag waren Vorsteuerbeträge i. H. v. 641,25 EUR enthalten, die auf vom Kläger getätigte Bewirtungsaufwendungen entfielen. Hierbei handelte es sich um Geschäftsessen mit Geschäftspartnern des Klägers. Die entsprechenden Belege hierzu enthielten zunächst keine Eintragungen zum Anlass und den Teilnehmern der Bewirtung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Belegheftung in der Umsatzsteuerakte des Beklagten verwiesen.

Der Beklagte stimmte der Umsatzsteuererklärung zu. Im Rahmen einer am begonnenen abgekürzten Außenprüfung bei dem Kläger gelangte der Prüfer u. a. zu der Rechtsauffassung, dass die geltend gemachten Vorsteuern i. H. v. 641,25 EUR im Zusammenhang mit den Bewirtungsaufwendungen nicht zu gewähren seien, da die erforderlichen Eintragungen zum Anlass und den Teilnehmern der Bewirtung nicht auf den Bewirtungsbelegen vorgenommen worden seien. Der Beklagte folgte der Beurteilung des Prüfers und erließ am einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr.

Mit seinem hiergegen erhobenen Einspruch holte der Kläger die bislang fehlenden Eintragungen auf den Bewirtungsbelegen nach und machte weiterhin den Vorsteuerabzug geltend. Mit Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Der Kläger ist der Rechtsauffassung, dass es umsatzsteuerrechtlich unerheblich sei, wann die Eintragungen auf den Bewirtungsbelegen erfolgt seien. Der Vorsteuerabzug dürfe nicht allein aufgrund der Missachtung von etwaig bestehenden Formvorschriften versagt werden.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 2013 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass ein Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Bewirtungsaufwendungen nur in Betracht komme, wenn die ertragsteuerlich erforderlichen Eintragungen zum Anlass und den Teilnehmern der Bewirtung zeitnah erfolgten. Dies sei im Streitfall jedoch nicht der Fall.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte eine Umsatzsteuerakte (teilweise paginiert von Bl. 1 bis Bl. 16), eine Akte „Betriebsprüfungsberichte” (nicht paginiert), eine Akte „Bilanzen 2011” (nicht paginiert) sowie eine Feststellungsakte (Band 2, paginiert von Bl. 1 bis Bl. 118) vorgelegen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FinanzgerichtsordnungFGO –). Der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit den Bewirtungsaufwendungen ist vom Beklagten zu Unrecht versagt worden.

Nach § 15 Abs. 1a Satz 1 UmsatzsteuergesetzUStG – in der im Streitjahr geltenden Fassung sind nicht abziehbar Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen, für die das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 7 oder des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG – gilt, entfallen. Dies gilt nicht für Bewirtungsaufwendungen, soweit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG einen Abzug angemessener und nachgewiesener Aufwendungen ausschließt (§ 15 Abs. 1a Satz 2 UStG). Ertragsteuerlich dürfen gem. § 4 Abs. 5 Nr. 2 Satz 1 EStG Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass den Gewinn nicht mindern, soweit sie 70 Prozent der Aufwendungen übersteigen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind. Zum Nachweis der Höhe und der betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen hat der Steuerpflichtige gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2 und 3 EStG schriftlich die folgenden Angaben zu machen: Ort, Tag, Teilnehmer und Anlass der Bewirtung sowie Höhe der Aufwendungen. Hat die Bewirtung in einer Gaststätte stattgefunden, so genügen Angaben zu dem Anlass und den Teilnehmern der Bewirtung; die Rechnung über die Bewirtung ist beizufügen. Weitere Voraussetzung für die ertragsteuerliche Abziehbarkeit von Bewirtungsaufwendungen als Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG ist die zeitnahe Erstellung des Eigenbelegs. Denn generell ist im Hinblick auf eine klare Abgrenzung der betrieblichen von der privaten Sphäre der Aufzeichnungspflicht nur genügt, wenn Bewirtungsaufwendungen jeweils von Anfang an, fortlaufend und zeitnah, gesondert von sonstigen Betriebsausgaben schriftlich festgehalten werden, weil nur so die sachlich zutreffende Zuordnung solcher Aufwendungen und die einfache Prüfung ihrer Abziehbarkeit gewährleistet ist (vgl. , BStBl. II 2004, 502 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen handelte es sich bei den streitigen Bewirtungsaufwendungen um solche für Geschäftsessen des Klägers mit Geschäftspartnern in einem angemessenen Umfang. Dafür, dass es sich nicht um Geschäfts-, sondern vielmehr Privatessen des Klägers gehandelt haben soll, ist nichts ersichtlich und wird auch vom Beklagten nichts vorgetragen. Vielmehr zeigen die detaillierten und schlüssigen Angaben des Klägers auf den Bewirtungsbelegen zum Anlass der Bewirtung, dass es sich tatsächlich um geschäftliche Anlässe gehandelt hat. Weitergehende Nachweise sind zur Überzeugung des Senats für den Nachweis der unternehmerischen Veranlassung der Bewirtungskosten weder erforderlich noch zumutbar. Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass es die konkrete berufliche Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater nach allgemeiner Lebenserfahrung mit sich bringt, geschäftliche Angelegenheiten im vorliegend gegebenen Umfang bei Geschäftsessen zu besprechen. Der Umfang i. H. v. 3.375 EUR netto ist vor diesem Hintergrund nicht unangemessen, sondern liegt im üblichen Rahmen. Damit kommt es streitentscheidend auf die Frage an, ob die Nachholung der Formerfordernisse gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG erst im Einspruchsverfahren, mithin also erst ca. vier Jahre nach erfolgter Bewirtung, den Vorsteuerabzug ausschließen kann. Dies ist indes zu verneinen.

Der Bundesfinanzhof hat bislang noch nicht ausdrücklich zu der Frage geurteilt, ob ein Fehlen der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Gesetzesfassung angeführten Formvorschriften bzw. ein nicht zeitnahes Nachholen fehlender Angaben nicht nur ertragsteuerlich, sondern auch umsatzsteuerlich beachtlich ist und den Vorsteuerabzug ausschließt. Er hat jedoch zu den ertragsteuerlich bestehenden besonderen Aufzeichnungspflichten gem. § 4 Abs. 7 EStG die Auffassung vertreten, dass ein Verstoß hiergegen den Vorsteuerabzug unberührt lasse, da eine derartige Einschränkung des Vorsteuerabzugs mit den unionsrechtlichen Vorgaben unvereinbar sei (vgl. , BStBl. II 2005, 509).

In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wurden bislang die Formvorschriften des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG – jedoch ohne nähere Begründung – auch für den Vorsteuerabzug für relevant erachtet mit der Folge, dass bei einem Verstoß hiergegen der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1a UStG zu versagen sei (vgl. 14 K 2477/12E, U, EFG 2015, 453).

In der steuerrechtlichen Literatur wird die Frage, ob die (zeitnahe) Einhaltung der Formvorschriften des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auch für den Vorsteuerabzug relevant ist, unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird vertreten, dass Vorsteuern, die auf angemessene, aber nicht in der von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG verlangten Weise nachgewiesene Bewirtungsaufwendungen entfallen, nicht abziehbar seien (so Stadie, in Rau/Dürrwächter, UStG, 179. EL 10.2018, § 15 Rn. 1344). Nach anderer Auffassung kann ein Verstoß gegen die einkommensteuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten für Bewirtungsaufwendungen (z.B. ein fehlender Bewirtungsbeleg) nicht zugleich zur Versagung des Vorsteuerabzugs führen; vielmehr sei allein entscheidend, ob die Bewirtungsaufwendungen nach allgemeiner Verkehrsauffassung als angemessen zu beurteilen seien (so Kies, in: UStG – eKommentar, Stand: , § 15 Rn. 147; Looks, in: BeckOK UStG, Stand: , § 15 Rn. 259.4).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung im Ergebnis an.

Dies ergibt sich maßgeblich aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 15 Abs. 1a UStG. Unionsrechtliche Grundlage des Vorsteuerausschlusses gem. § 15 Abs. 1a UStG ist Art. 176 Abs. 2 Mehrwertsteuer-SystemrichtlinieMwStSystRL –, wonach Vorsteuerausschlüsse der Mitgliedstaaten beibehalten werden dürfen, die am beziehungsweise im Falle der nach diesem Datum der Gemeinschaft beigetretenen Mitgliedstaaten am Tag ihres Beitritts in ihren nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen waren. Hierzu zählt insbesondere der Vorsteuerausschluss für Bewirtungsaufwendungen gem. § 15 Abs. 1a UStG (vgl. hierzu eingehend: , BStBl. II 2014, 914).

Als Ausnahme vom Grundsatz des Rechts auf Vorsteuerabzug, das die Neutralität der Umsatzsteuer garantiert, ist eine enge Auslegung der maßgeblichen Normen geboten (vgl. , Slg 2002, I-81 Rn. 59 – Metropol und Stadler). Die Versagung des Vorsteuerabzugs allein auf Grundlage der Nichteinhaltung von Formvorschriften – unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachweisen kann – stellt zur Überzeugung des Senats eine mit dem mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatz nicht vereinbare Belastung des Steuerpflichtigen dar. Dies hat der EuGH in mehreren Entscheidungen ausdrücklich bestätigt (vgl. zuletzt: , UR 2018, 962 Rn. 41ff. – Vadan m.w.N.). Zwar regelt das Umsatzsteuerrecht auch Formerfordernisse, die von den Unternehmern einzuhalten sind (vgl. nur § 22 UStG). Aufgrund der überragenden Bedeutung des Vorsteuerabzugs für eine steuerneutrale Umsatzbesteuerung hat der EuGH jedoch Formerfordernisse, die einen Vorsteuerabzug einschränken, grundsätzlich restriktiv ausgelegt. Dies zeigt sich maßgeblich auch an der Möglichkeit, eine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung auch noch nach längerer Zeit seit erstmaliger Rechnungserstellung vornehmen zu können (vgl. , DStR 2016, 2211 – Senatex). Dann aber kann der nachträgliche und nicht zeitnah erfolgte Nachweis, dass Bewirtungsaufwendungen unternehmerisch veranlasst waren, nicht zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs führen.

Daher muss § 15 Abs. 1a UStG bei Bewirtungsaufwendungen dahingehend unionsrechtskonform ausgelegt werden, dass ein Nachweis der unternehmerischen Verwendung der Bewirtungsleistungen und des Bezugs der Leistungen von einem Unternehmer genügt, jedenfalls sofern die Bewirtungsaufwendungen – wie im Streitfall – als angemessen anzusehen sind (vgl. zu den materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs: , UR 2016, 800 Rn. 28 – Senatex m.w.N.). Ein solcher Nachweis ist im Streitfall durch die Bewirtungsbelege sowie die nachgeholten glaubhaften Eintragungen auf diesen Belegen zur Überzeugung des Senats hinreichend erbracht.

Einer solchen richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 1a UStG steht auch nicht der ausdrückliche Gesetzeswortlaut entgegen (vgl. zum Verbot einer richtlinienkonformen Auslegung contra legem: , Slg. 2006, I-6091 Rn. 110 – Adeneler). Denn § 15 Abs. 1a UStG stellt in seinem Satz 2 heraus, dass ein Vorsteuerabzug bei Bewirtungsaufwendungen dann uneingeschränkt möglich ist, wenn es sich um „angemessene und nachgewiesene Aufwendungen” handelt. Der Gesetzeswortlaut stellt somit lediglich auf einen allgemeinen Nachweis ab und verweist nicht ausdrücklich auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG. Damit ist der Gesetzeswortlaut einer richtlinienkonformen Auslegung im vorgenannten Sinne zugänglich.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 15/2019 S. 712
DStR 2019 S. 10 Nr. 36
DStRE 2019 S. 1088 Nr. 17
DStZ 2019 S. 519 Nr. 15
EFG 2019 S. 1142 Nr. 13
KÖSDI 2019 S. 21353 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 27/2019 S. 1957
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2019 S. 523
UStB 2019 S. 257 Nr. 9
OAAAH-19541