BGH Urteil v. - XI ZR 197/96

Leitsatz

Leitsatz:

»Bei einem Festzinskredit mit vertraglich vereinbarter Laufzeit kann der Darlehensgeber auch dann zur Einwilligung in eine vorzeitige Darlehensablösung gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet sein, wenn der Darlehensnehmer das beliehene Objekt zur Absicherung eines beim Darlehensgeber nicht erhältlichen umfangreicheren Kredits benötigt (im Anschluß an das Senatsurteil vom 1. Juli 1997 in der Sache XI ZR 267/97).«

Tatbestand:

Die Parteien streiten unter anderem über die Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung nach vorzeitiger Ablösung von Darlehen.

Die Beklagten bewirtschaften in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein aus Wohn- und Geschäftshäusern bestehendes Anwesen. Sie schuldeten der klagenden Sparkasse aufgrund zweier im Juni 1991 aufgenommener Baufinanzierungsdarlehen 5 Millionen DM mit einem Zinssatz von 8, 75 % und einer festen Laufzeit bis zum 30. Juni 200l sowie 3, 4 Millionen DM zu einem Zinssatz von 9 % bei einer festen Laufzeit bis zum 30. Juni 1996. Die Darlehen waren zusammen mit einem weiteren Darlehen durch eine Gesamtgrundschuld über 9 Millionen DM abgesichert.

In der Folgezeit führten die Beklagten mit der Klägerin Verhandlungen mit dem Ziel einer Nachfinanzierung, die jedoch scheiterten. Die Beklagten erhielten von einer anderen Bank eine Kreditzusage in Höhe von 9, 6 Millionen DM, worauf sie an die Klägerin wegen der vorzeitigen Ablösung der beiden Darlehen herantraten. Hierzu war die Klägerin nur gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 702372, 24 DM bereit, und zwar 498795, 50 , DM für das noch mit 4878059 DM valutierende Darlehen über 5 Millionen DM und 202576, 74 DM für das Darlehen über 3,4 Millionen DM, welches noch mit 3222566, 52 DM im Soll stand, jeweils zuzüglich eines, "Bearbeitungspreises" von 500 DM. Die Beklagten beglichen die Forderung der Klägerin in Höhe von 302372, 24 DM durch Zahlung, hinsichtlich des Restbetrages von 400000 DM schlossen die Parteien am 25. Juli 1994 einen Darlehensvertrag.

Nachdem die aus diesem Darlehensverhältnis geschuldeten Raten überwiegend ausgeblieben waren, kündigte die Klägerin den Darlehensvertrag. Mit der Klage hat sie die Rückzahlung des Darlehens nebst Zinsen geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat den Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagten bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der von den Parteien geschlossene Darlehensvertrag sei wirksam. Insbesondere sei er nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Wegen der bei den beiden Ursprungsdarlehen vereinbarten Festzinsperiode habe keine Verpflichtung der Klägerin bestanden, einer vorzeitigen Auflösung der Kreditverträge zuzustimmen. Auch habe es ihr freigestanden, den Wunsch der Beklagten nach einer Nachfinanzierung abzulehnen. Aufgrund dessen sei die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung der freien Parteivereinbarung zugänglich gewesen. Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Überhöhung lägen nicht vor, weshalb offenbleiben könne, ob die Klägerin den "Preis" für ihre Zustimmung zur Umschuldung hatte niedriger ansetzen können.

II

Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Höhe der von der Klägerin durchgesetzten Vorfälligkeitsentschädigungen keinen Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB enthält. Die Beklagten sind auf diesen in den Vorinstanzen geltend gemachten Gesichtspunkt in der Revisionsinstanz auch nicht mehr zurückgekommen.

2. Unbegründet ist die von den Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Rüge, in Höhe von 300000 DM sei der Darlehensanspruch schon deshalb abzuweisen gewesen, weil die Klägerin zu Unrecht an einer unangemessen weiten Sicherungsabrede hinsichtlich der zur Sicherung der Kredite bestellten Gesamtgrundschuld festgehalten und dadurch die Übernahme des Geschäftsanteils des früheren Teilhabers Dr. K. durch die Beklagten zu 2) und 3) gegen einen Kaufpreis von 300000 DM erforderlich gemacht habe. Für die Behauptung der Revision, dieser Kaufpreis sei verschwendet und verloren gewesen, sowie auch für die weiteren Voraussetzungen eines darauf gestützten Schadensersatzanspruchs aus positiver Vertragsverletzung fehlt es an hinreichendem Tatsachenvortrag in den Vorinstanzen.

3. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Vorfälligkeitsentschädigung unterliege der freien Vereinbarung der Parteien, ist dagegen - wie die Revision mit Recht rügt - unzutreffend. Allerdings stand der wirksame Kündigungsausschluß in Ziff. 11.1 der Darlehensurkunde vor Ablauf der jeweiligen Festzinsperiode nicht nur einer ordentlichen Kündigung, sondern für alle im Risikobereich der Beklagten liegenden Gründe sowohl der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund (vgl. = WM 1990, 8, 9, Senatsurteil vom 12.März 1991 - XI ZR 190/90 = WM 1991, 760, 761) als auch Ansprüchen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. = 1986, 156, 158) entgegen. Die Notwendigkeit der Nachfinanzierung gehörte zu diesen Umständen. Das bedeutet indessen nicht, daß es der Klägerin freigestanden hätte, die vorzeitige Ablösung der Altdarlehen von einer der Höhe nach in ihrem Belieben stehenden Vorfälligkeitsentschädigung abhängig zu machen.

a) Der Senat hat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache XI ZR 267/96 entschieden, daß die Bindung des Darlehensnehmers an einen Darlehensvertrag mit fest vereinbarter Laufzeit dann eine Durchbrechung erfährt, wenn das Bedürfnis des Darlehensnehmers nach einer anderweitigen Verwertung des beliehenen Objekts eine vorzeitige Kreditablösung erforderlich macht. In solchen Fällen kann der Darlehensgeber nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet sein, auf die Belange des Kreditnehmers Rücksicht zu nehmen und gegen eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung in die vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrages einzuwilligen. In dem genannten Urteil hat der Senat eine derartige Verpflichtung des Darlehensgebers für den Fall bejaht, daß der Kreditnehmer den belasteten Gegenstand verkaufen will und dafür die Belastung im Wege der Ablösung des Darlehens beseitigen muß. Dabei kam der Erwägung entscheidende Bedeutung zu, daß die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Eigentümers eines zur Absicherung von Darlehen belasteten Gegenstands - was für den Fall grundpfandrechtlich belasteter Grundstücke auch die Vorschrift des § 1136 BGB unterstreicht - schutzwürdig ist und begrenzte Ausnahmen vom Grundsatz der Bindung an vertraglich vereinbarte Darlehenslaufzeiten rechtfertigen kann.

b) Im vorliegenden Fall ging es nicht um einen Verkauf der zur Darlehensabsicherung belasteten Grundstücke, sondern um den Wunsch der Beklagten, die Grundstücke zur Absicherung eines erheblich umfangreicheren, bei der Klägerin nicht erhältlichen Darlehens zu verwenden. Auch hier stand somit die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Grundstückseigentümer auf dem Spiel, wobei allerdings nicht die Veräußerbarkeit, sondern nur die Belastbarkeit der Grundstücke für möglichst umfangreiche Kredite involviert war. Angesichts des dringenden Bedarfs der Beklagten nach zusätzlichen, von der Klägerin nicht bereitgestellten Krediten sowie im Hinblick darauf, daß §1136 BGB nicht nur die Veräußerungsfreiheit, sondern auch die Belastungsfreiheit des Grundstückseigentümers schützt, hält der Senat es für geboten, die Grundsätze seines oben genannten Urteils auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

Die Klägerin war daher verpflichtet, gegen eine angemessene, ihre finanziellen Nachteile ausgleichende Vorfälligkeitsentschädigung in die von den Beklagten gewünschte vorzeitige Darlehensablösung einzuwilligen.

4. a) Da den Beklagten ein Anspruch auf Einwilligung in die vorzeitige Vertragsauflösung gegen eine die Interessen der Klägerin wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zustand, durfte die Klägerin für ihre Zustimmung zur Kreditablösung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht jeden beliebigen "Preis" bis zur Grenze des §138 BGB fordern. Sie durfte nicht mehr verlangen als den Betrag, der ihrem Interesse an der weiteren Durchführung der beiden Darlehensverträge entsprach.

Sollte die Vorfälligkeitsentschädigung, die die Klägerin durchgesetzt hat, ihre mit der vorzeitigen Kreditablösung verbundenen finanziellen Nachteile überstiegen haben, so wäre die Klägerin um den Differenzbetrag ungerechtfertigt bereichert In Höhe eines solchen Differenzbetrages stünde ihren Ansprüchen aus dem streitgegenständlichen Darlehen nach §821 BGB die Einrede der Bereicherung entgegen. Der Umstand, daß die Parteien über die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben, ändert daran nichts. Auf diese Vereinbarung kann die Klägerin sich nicht berufen, wenn und soweit sie darin einen überhöhten Entschädigungsbetrag durchgesetzt und damit ihrer Verpflichtung zur Einwilligung in die Kreditablösung gegen angemessene Entschädigung zuwidergehandelt hat.

b) Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus konsequent - zur genauen Höhe der Nachteile, die für die Klägerin mit der vorzeitigen Darlehensablösung verbunden waren, keine Feststellungen getroffen. Das wird nachzuholen sein. Dabei wird das Berufungsgericht folgendes zu beachten haben:

Wie der Senat in seinem oben erwähnten Urteil vom heutigen Tage näher dargelegt hat, kann eine Bank oder Sparkasse die finanziellen Nachteile, die ihr durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entstehen, auf unterschiedliche Weise berechnen. So kann sie außer einem etwaigen Zinsmargenschaden insbesondere auch einen Zinsverschlechterungsschaden geltend machen, wenn sie das vorzeitig zurückerhaltene Darlehenskapital für die Restlaufzeit des abgelösten Darlehens nur zu einem niedrigeren als dem Vertragszins wieder ausleihen kann. Dieser Schaden ist auf der Grundlage der Differenz zwischen dem Vertragszins und dem Wiederausleihezins zu berechnen. Dabei sind die Differenzbeträge, die sich für die Gesamtdauer der rechtlich geschützten Zinserwartung ergeben, unter Zugrundelegung des aktiven Wiederanlagezinses auf den Zeitpunkt der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung abzuzinsen. Neben dem Ersatz der Zinsnachteile kann ein Kreditinstitut auch ein angemessenes Entgelt für den mit der vorzeitigen Darlehensablösung verbundenen Verwaltungsaufwand verlangen, dessen Höhe im Streitfall nach § 287 ZPO geschätzt werden kann.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihren Zinsnachteil aus der vorzeitigen Darlehensablösung als abgezinsten Zinsverschlechterungsschaden auf der Grundlage einer Vergleichsrechnung zwischen Vertragszins und Wiederausleihezins für die Restlaufzeit der beiden ursprünglichen Kredite ermittelt und daneben jeweils einen "Bearbeitungspreis" von 500 DM in Rechnung gestellt. Da die Beklagten die Richtigkeit des von der Klägerin in Ansatz gebrachten Wiederausleihezinses bestritten haben, bedarf es hierzu weiterer tatrichterlicher Feststellungen.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
OAAAF-74355