Finanzgericht Düsseldorf  Urteil v. - 10 K 3686/13 F EFG 2016 S. 662 Nr. 8

Verhältnis von Steuerfestsetzung und Verlustfeststellung – Neuregelung durch § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 – Zuweisung der Einkünfteermittlung zum Verfahren der Einkommensteuerfestsetzung

Leitsatz

  1. Die Neuregelung des Verhältnisses von Einkommensteuerfestsetzung und Verlustfeststellung durch § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 hat zur Folge, dass im Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags keine eigenständige Einkünfteermittlung mehr stattfindet (Anschluss an , BFHE 248, 530, BStBl II 2015, 829).

  2. Rechtsschutz gegen eine unzutreffende Ermittlung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte kann der Steuerpflichtige nur noch durch Anfechtung des Einkommensteuerbescheides und nicht durch Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides erlangen.

  3. Eine Beschwer durch eine Einkommensteuerfestsetzung auf null Euro ist daher auch gegeben, wenn der Steuerpflichtige den Ansatz des Gesamtbetrags der nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte im Rahmen der Besteuerungsgrundlagen rügt und diese nach seinem Vortrag zu einem höheren verbleibenden Verlustvortrag führen.

  4. § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG soll nur verhindern, dass Einwände gegen die einer materiell bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen originär im Verfahren betreffend den Verlustfeststellungsbescheid vorgebracht werden.

  5. Werden solche materiell-rechtlich berechtigten Einwände dagegen aufgrund eines Rechtsbehelfs oder eines verfahrensrechtlich eröffneten Änderungsbegehrens gegenüber der Einkommensteuerfestsetzung geltend gemacht, ist eine Aussetzung des Verfahrens um die Rechtmäßigkeit des Verlustfeststellungsbescheides geboten.

Gesetze: EStG i.d.F. des JStG 2010 § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 § 10d Abs. 4 Satz 5 AO§ 157 Abs. 2 AO§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO§ 350 AO§ 351 Abs. 2 FGO§ 40 Abs. 2 FGO § 74

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Verlust aus der Vermietung von Einrichtungsgegenständen in Höhe von 6.854 Euro, ein Überschuss der Aufwendungen über die Einnahmen aus der Vermietung des Grundstücks ...straße 12-14 in A in Höhe von 45.237 Euro und ein Verlust des Klägers aus der Beteiligung als stiller Gesellschafter an der B GmbH (...straße 12-14, A) in Höhe von 120.000 Euro bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte für den Veranlagungszeitraum 2011 (Streitjahr) zu berücksichtigen sind.

Die Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten, vermieten seit 2001 das Grundstück ...straße 12-14 in A an die B GmbH (GmbH). Geschäftsführer der GmbH ist der Sohn der Kläger (). Der Kläger vermietet der GmbH überdies betriebsnotwendige Einrichtungsgegenstände. Er beteiligte sich zudem am als stiller Gesellschafter an der GmbH. Nach einer als „Vertrag Einlage 3” bezeichneten Vereinbarung vom beabsichtigte der Kläger, seine Einlage als stiller Gesellschafter „zur Stärkung des Unternehmenskapitals ergänzend zu den bereits…vereinbarten Einlagen 1 und 2 durch Leistung einer weiteren Einlage von EUR 120.000,00 zu erhöhen”. Die Einlage war nach § 1 Abs. 2 der Vereinbarung innerhalb von zwei Wochen nach schriftlicher Aufforderung der GmbH fällig. Eine Anforderung in Teilbeträgen wurde für zulässig erklärt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Vereinbarung Bezug genommen. Bereits am 17. und am waren vom Girokonto () der Kläger bei der C-Bank Beträge in Höhe von 80.000 Euro und 40.000 Euro an die GmbH überwiesen worden. Die GmbH rechnete am unter Zuweisung eines auf den Kläger entfallenden Verlustanteils für das Jahr 2010 in der Weise über die in diesem Jahr erbrachte Einlage ab, dass diese mit dem Verlustanteil verrechnet wurde und die Einlage des Klägers sich dadurch am auf null Euro belief. Die Zinsgutschrift für die Einlage belief sich im Jahr 2010 auf 7.493,33 Euro. Der Jahresabschluss der GmbH für das Geschäftsjahr 2010 wurde am festgestellt.

Der Beklagte, der bis einschließlich 2010 die Verluste aus der Vermietung des Grundstücks ...straße 12-14 und der Einrichtungsgegenstände - wenngleich für 2010 mangels abschließender Beurteilbarkeit der Einkünfteerzielungsabsicht vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) - anerkannt hatte, lehnte ihre weitere Berücksichtigung für das Streitjahr im Einkommensteuerbescheid für 2011 vom ab, weil er die dafür erforderliche Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger bzw. des Klägers für nicht nachgewiesen hielt. Wegen der Einzelheiten seiner Begründung wird auf die Erläuterungen des Bescheides verwiesen. Die Berücksichtigung des Verlustes der stillen Einlage über 120.000 Euro lehnte er unter Hinweis darauf ab, dass ihm der zugrunde liegende Vertrag nicht vorliege. Der Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich auf 112.365 Euro. Nach Abzug eines Verlustvortrags in gleicher Höhe und beschränkt sowie unbeschränkt abziehbarer Sonderausgaben ergab sich ein negatives Einkommen. Die Steuer wurde daher auf null Euro festgesetzt. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Ausdruck der dem Beklagten elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung für 2011 enthält unter „Art der Erklärung” u. a. die Angaben „Einkommensteuererklärung” und „Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags”.

Der Beklagte stellte ferner durch Bescheid vom , der ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, den verbleibenden Verlustvortrag des Klägers zur Einkommensteuer auf den gemäß § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf 460.225 Euro und den der Klägerin auf 135.384 Euro fest.

Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid für 2011 am Einspruch ein, mit dem sie die Vereinbarung über die stille Einlage in Höhe von 120.000 Euro vom in Kopie vorlegten. Der Beklagte teilte den Klägern mit Schreiben vom mit, dass er den Einspruch aufgrund der Festsetzung der Steuer auf null Euro mangels Beschwer für unzulässig halte. Mangels Stellungnahme der Kläger dazu bis zu dem in einem weiteren Schreiben vom gesetzten Termin wies er den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom , auf die Bezug genommen wird, als unbegründet zurück. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Mit Schreiben vom beantragten die Kläger gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2011 zu ihren Gunsten. Über diesen Antrag hat der Beklagte noch nicht entschieden.

Die Kläger legten ebenfalls am Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den ein. Auch diesem Einspruch war eine Kopie der Vereinbarung vom über die stille Einlage in Höhe von 120.000 Euro beigefügt. Der Beklagte teilte den Klägern in diesem Rechtsbehelfsverfahren mit Schreiben vom mit, dass er den Verlust der stillen Einlage auch weiterhin nicht berücksichtigen werde, weil die Vereinbarung vom einem Fremdvergleich nicht standhalte und die Einlage ohne Einkünfteerzielungsabsicht erbracht worden sei. Dem Kläger sei zum Zeitpunkt der Einlage aufgrund der Entwicklung der Gegenleistungsverpflichtung der GmbH im Rahmen der Mietverhältnisse (Absenkung des Mietzinses bzw. gänzlicher Verzicht darauf) bekannt gewesen, dass sich die GmbH seit Jahren in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Die Vereinbarung sehe eine Ergebnisverteilung nach dem Wert des Eigenkapitals der GmbH und dem der Einlage des stillen Gesellschafters vor. Danach sei es sehr wahrscheinlich gewesen, dass der Kläger einen Verlust seiner Einlage erleiden werde, weil das Eigenkapital der GmbH im Verhältnis zu den vom Kläger geleisteten Einlagen sehr gering gewesen sei. Es sei deshalb sehr zweifelhaft, ob ein fremder Dritter, der bereits Verluste in Höhe der Einlagen 1 und 2 erlitten habe, sich mit einer weiteren Einlage an der GmbH beteiligt hätte, deren alsbaldiger Verlust ernstlich zu erwarten gewesen sei. Da die Kläger auch zu diesem Schreiben bis zu dem vom Beklagten gesetzten Termin keine Stellung genommen hatten, wies der Beklagte auch diesen Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom , auf die verwiesen wird, unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurück.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage begehren die Kläger die Berücksichtigung der bislang nicht anerkannten Verluste. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wenden sie sich dagegen, dass ihr Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid unter Hinweis auf mangelnde Beschwer und ihr Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid unter Hinweis auf die in § 351 Abs. 2 AO für Folgebescheide vorgesehene Anfechtungsbeschränkung zurückgewiesen worden sei. Damit sei die begehrte Verlustberücksichtigung in keinem der Verfahren möglich. § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG sehe jedoch ausdrücklich vor, dass Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG zu berücksichtigen seien, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibe. Dies spreche dafür, dass das auf Berücksichtigung der Verluste gerichtete Begehren im Streitfall im Verlustfeststellungsverfahren zu verfolgen sei. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Klageverfahren wird auf ihren Schriftsatz vom verwiesen.

Die Kläger beantragen,

eine Entscheidung über die Klage zurückzustellen, bis über den Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2011 vom entschieden ist.

Der Beklagte beabsichtigt, über diesen Antrag erst nach einer Entscheidung über die Klage zu entscheiden. Die Kläger könnten die Anerkennung der Verluste nur in dem den Einkommensteuerbescheid betreffenden Verfahren erreichen, nicht jedoch im Verfahren betreffend den Verlustfeststellungsbescheid. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens im Klageverfahren wird auf seine Schriftsätze vom 7. Januar und Bezug genommen.

Gründe

Das Verfahren war bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vom auf Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2011 vom auszusetzen.

Wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, kann das Gericht nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Werden in einem Verfahren, dessen Gegenstand ein Folgebescheid i. S. von § 182 Abs. 1 Satz 1 AO ist, Einwendungen erhoben, über die in einem Verfahren betreffend den für den Folgebescheid bindenden Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO) zu entscheiden ist, muss das Finanzgericht (FG) regelmäßig das den Folgebescheid betreffende Verfahren gemäß § 74 FGO so lange aussetzen, bis eine abschließende Entscheidung in dem den Grundlagenbescheid betreffenden Verfahren herbeigeführt worden ist (vgl. , Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 155, 454, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1989, 343).

Der Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum, auf dessen Schluss gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG ein verbleibender Verlustvortrag i. S. von § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG gesondert festzustellen ist, ist zwar für den Bescheid gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG kein Grundlagenbescheid, weil sein verfügender Teil, d. h. die Regelung i. S. der §§ 118 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 2 AO, nämlich die Festsetzung eines bestimmten Steuerbetrags, keine Bindungswirkung i. S. von § 182 Abs. 1 Satz 1 AO entfaltet. Gesondert festzustellen ist vielmehr der verbleibende Verlustvortrag, wie er in § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG definiert ist. Danach kommt es u. a. auf die Höhe der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte an. Dabei handelt es sich jedoch nur um Besteuerungsgrundlagen (§ 199 Abs. 1 AO), die nach § 157 Abs. 2 AO grundsätzlich nur der Begründung der Steuerfestsetzung dienen. Bindungswirkung kommt ihnen regelmäßig nur zu, soweit sie gemäß den §§ 179 Abs. 1, 180 AO gesondert festzustellen sind. Eine solche Feststellung wird bei einer Steuerfestsetzung jedoch nicht getroffen.

Der Gesetzgeber hat indes durch die Neuregelung des Verhältnisses von Steuerfestsetzung und gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags durch das Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen normiert, die - wie § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 EStG n. F. zeigt - der eines Grundlagenbescheides im Verhältnis zum Folgebescheid entspricht. Der Einkommensteuerbescheid soll, so die Begründung zum Entwurf des JStG 2010 (BRDrucks. 318/10, 77), wie ein Grundlagenbescheid wirken, obwohl er verfahrensrechtlich - wie bisher - kein Grundlagenbescheid ist. Durch eine entsprechende Anwendung der Regelungen in § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO sowie § 42 FGO soll aber eine gleichartige Wirkung erzielt werden. Bindungswirkung entfaltet mithin nicht die Steuerfestsetzung als solche, sondern entfalten die ihr zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen, soweit es nach § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG auf sie ankommt. Die Wirkung des Quasi-Grundlagenbescheides hat zur Folge, dass im Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags keine eigenständige Einkünfteermittlung mehr stattfindet (ebenso , BFHE 248, 530, BStBl II 2015, 829; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnr. D 89 f.; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, § 10d EStG Anm. 128).

Die in § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 EStG angeordnete entsprechende Anwendung der für das Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid maßgebenden Vorschriften hat zur Folge, dass der Steuerpflichtige Rechtsschutz gegen eine aus seiner Sicht unzutreffende Ermittlung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte nur noch durch Anfechtung des Einkommensteuerbescheides und nicht durch Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides erreichen kann. In einem Rechtsbehelfsverfahren, dessen Gegenstand der Verlustfeststellungsbescheid ist, kann nur geprüft werden, ob die nach dem (Quasi-)Grundlagenbescheid anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen zutreffend in den Verlustfeststellungsbescheid übernommen worden sind (Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, § 10d EStG Anm. 43; Butler, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - 2013, 1636, 1639).

Daraus folgt, dass eine Beschwer i. S. von § 350 AO bzw. § 40 Abs. 2 FGO auch gegeben ist, wenn zwar die Einkommensteuer auf null Euro festgesetzt wurde, der Steuerpflichtige aber den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen rügt (ebenso Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern, Erlass vom IV - S 0619-00000 -2013/002, AO-Kartei MV § 351 AO, und Oberfinanzdirektion - OFD - Frankfurt/Main, Rundverfügung vom S 2225 A - 9 - St 213, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2014, 1114). Da diese, soweit sie nach § 10d Abs. 4 Satz 2 und 4 EStG Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid entfalten, anders als im Regelfall nicht nur einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheides i. S. von § 157 Abs. 2 AO darstellen, ergibt sich eine Beschwer auch dann, wenn die nach dem Vortrag des Steuerpflichtigen anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen zu einem höheren verbleibenden Verlustvortrag führen (ebenso Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10d EStG Rdnr. D 93; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, § 10d EStG Anm. 43; , nicht veröffentlicht, [...]).

Aus § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG folgt nichts anderes. Danach dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Der Gesetzgeber wollte dadurch in diesen Fällen nicht etwa die Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen ausschließen. Er wollte durch diese Regelung vielmehr lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass es in diesen Fällen keiner neuen Steuerfestsetzung, d. h. keines neuen Steuerbescheides mit veränderten Besteuerungsgrundlagen bedarf, weil sich die Höhe der Steuer als solche nicht ändert. Der Verzicht auf die Erteilung eines neuen Steuerbescheides soll jedoch nicht dazu führen, dass die Besteuerungsgrundlagen, wenn sie bei erneuter Steuerfestsetzung abweichend vom bisherigen Ansatz anzusetzen wären, nicht in dieser - zutreffenden - Form bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags angesetzt werden können. In diesem Sinne heißt es in der amtlichen Begründung zum JStG 2010, dass die Verlustfeststellung ausnahmsweise unabhängig von den der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen erfolgen kann, wenn die Korrektur des Steuerbescheides dem Grunde nach möglich wäre (BRDrucks. 318/10, 77). Der Gesetzgeber wollte demnach durch § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG nur verhindern, dass Einwände gegen die der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen, die - z. B. wegen bereits eingetretener Bestandskraft des Steuerbescheides ohne Änderungsmöglichkeit - gegen den Steuerbescheid nicht mehr erfolgreich vorgebracht werden können, originär im Verfahren betreffend den Verlustfeststellungsbescheid vorgebracht werden (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 835; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 34. Aufl. 2015, § 10d Rn. 47, Meyer/Ball, DStR 2011, 345, 347; Butler, NWB 2013, 1636, 1637; OFD Münster, Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 18/2011 vom , DStR 2011, 1522). Können sie dagegen - insbesondere aufgrund eines Rechtsbehelfs, aber auch aufgrund eines Änderungsbegehrens, für das die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen vorliegen - im Verfahren betreffend die Steuerfestsetzung geltend gemacht werden und sind sie in materiell-rechtlicher Hinsicht berechtigt, so steht allein der Umstand, dass es nicht zu einer geänderten Steuerfestsetzung kommt, der Bindungswirkung der nunmehr als zutreffend beurteilten Besteuerungsgrundlagen für den Verlustfeststellungsbescheid nicht entgegen (Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnr. D 94). Dies sollte durch die einschränkenden Formulierungen „nur” und „ausschließlich” in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG zum Ausdruck gebracht werden. Die Vorgreiflichkeit des Einkommensteuerbescheides und damit der bei der Einkommensteuerfestsetzung anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen sollte dadurch auch für die in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG geregelten Sonderfälle, dass die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt, nicht beseitigt werden.

Da eine Klage gegen einen Folgebescheid auch insoweit zulässig ist, als Einwendungen gegen einen Grundlagenbescheid erhoben werden und eine zunächst unbegründete Klage durch eine Änderung des Grundlagenbescheides begründet werden kann, ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig, dass der Streit um die Rechtmäßigkeit des Folgebescheides ausgesetzt wird, solange unklar ist, ob und wie der ebenfalls angegriffene Grundlagenbescheid geändert wird (vgl. , BFHE 192, 255, BStBl II 2001, 33). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben, sodass der vorliegende Rechtsstreit auszusetzen war.

Der Beklagte wird nunmehr im Rahmen des Antrags auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2011 gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO zu prüfen haben, ob die von den Klägern geltend gemachten Verluste anzuerkennen sind. Sollte dies der Fall sein, wären auf den Änderungsantrag hin - auch ohne Änderung der Steuerfestsetzung - die Besteuerungsgrundlagen im Klageverfahren durch Änderung des Bescheides betreffend die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer mit den sich dadurch ergebenden Auswirkungen zu berücksichtigen. Sollte der Beklagte dagegen an seiner Rechtsauffassung festhalten, wäre der Änderungsantrag abzulehnen. Den Klägern stünden dagegen Einspruch und Klage offen. Sollte der Beklagte über den Änderungsantrag weiterhin nicht entscheiden, wären gegen diese Untätigkeit zunächst der Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) und sodann ggf. die Klage gemäß § 46 FGO gegeben.

Fundstelle(n):
EFG 2016 S. 662 Nr. 8
GmbH-StB 2016 S. 209 Nr. 7
OAAAF-70217