Hessisches Finanzgericht  Urteil v. - 3 K 1960/13

Tarifbegünstigung nach § 34 EStG bei Zahlung einer zusätzlichen "Sprinterprämie" neben einer Abfindungszahlung

Leitsatz

  1. Werden in einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mehrere in sachlicher und/oder zeitlicher Hinsicht unterschiedliche Entschädigungsleistungen zugesagt, sind diese grundsätzlich einheitlich zu beurteilen (Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung).

  2. Eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG scheidet grundsätzlich aus, wenn die Entschädigung in zwei oder mehreren Veranlagungszeiträumen ausgezahlt wird.

  3. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung gilt nicht, wenn im Zusammenhang mit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zusätzlich zu der eigentlichen Abfindung weitere Leistungen erbracht werden (hier:"Sprinterprämie"), die nicht den Tatbestand einer Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG erfüllen.

Gesetze: EStG § 24 Nr. 1, EStG § 34 Abs. 1

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob verschiedene Zahlungen, die nach der einvernehmlichen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses erbracht worden waren, gemäß § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außerordentliche Einkünfte mit einem ermäßigten Steuersatz erfasst werden. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin war bis zum Jahr 2010 bei der Firma E (im Folgenden: E) als Angestellte beschäftigt. In der Zeit davor geriet die Firma E in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie sah sich gezwungen, in größerer Zahl Arbeitsplätze abzubauen. Vor diesem Hintergrund schloss sie am mit ihrem Gesamtbetriebsrat mehrere Vereinbarungen, und zwar einen Interessenausgleich, einen Rahmensozialplan und eine Gesamtbetriebsvereinbarung "Transfergesellschaft". Im Interessenausgleich war u.a. festgehalten, dass der Abbau der Arbeitsplätze nach Möglichkeit sozial verträglich und vorrangig durch den freiwilligen Abschluss von Aufhebungs- und Änderungsverträgen erreicht werden sollte (§ 8 Abs. 1). Im Rahmensozialplan wurden u.a. die Regeln vereinbart, nach denen die Abfindungszahlungen der Firma E bemessen werden sollten (§§ 11, 12). In der Gesamtbetriebsvereinbarung "Transfergesellschaft" wurde – ergänzend zu dem vorgenannten Rahmensozialplan – u.a. Folgendes festgelegt: Sämtlichen Mitarbeitern, deren Arbeitsverhältnis betriebsbedingt gekündigt werde, solle angeboten werden, in die T Transfer GmbH (im Folgenden: Firma T) einzutreten und mit dieser ein auf zwölf Monate befristetes Arbeitsverhältnis zu begründen; entsprechendes sollte für die Mitarbeiter gelten, die aus betriebsbedingten Gründen einen Aufhebungsvertrag abschließen würden (§ 2 Abs. 1). Die Firma E verpflichtete sich, für jeden übernommenen Mitarbeiter einen bestimmten Betrag als Zuschuss für Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen (§ 4). Der Gesamtbetriebsvereinbarung "Transfergesellschaft" waren (als Anlage 1) das Muster einer Aufhebungsvereinbarung und (als Anlage 2) das Muster eines befristeten Arbeitsvertrags beigefügt.

Auf der Grundlage der vorgenannten Gesamtbetriebsvereinbarung schlossen die Firma E und die Klägerin am eine Aufhebungsvereinbarung. Danach sollte der bestehende Arbeitsvertrag in gegenseitigem Einvernehmen am enden (Nr. 1). Für den Verlust des Arbeitsplatzes sollte die Klägerin eine Abfindung in Höhe von … € erhalten; im Hinblick darauf, dass die Aufhebungsvereinbarung vor dem zu Stande gekommen war, sollte sie eine zusätzliche Abfindung ("Sprinterprämie") in Höhe von … € erhalten (Nr. 4). Ausweislich ihrer Angaben in der betreffenden Einkommensteuererklärung erhielt sie im Jahr 2010 von der Firma E eine Abfindung in Höhe von X € ausgezahlt.

Am unterzeichnete die Klägerin entsprechend der vorgenannten Gesamtbetriebsvereinbarung einen befristeten Arbeitsvertrag mit der Firma T. Darin war u.a. folgendes festgelegt: Die Klägerin war verpflichtet, zum Zwecke der Förderung der beruflichen Integration an bestimmten Bildungsmaßnahmen teilzunehmen (§ 2 Nr. 1). Das Entgelt sollte anhand bestimmter Kriterien ermittelt werden (§ 3 Nr. 1 bis 4). Die Klägerin sollte für jeden Monat, den sie im Rahmen der zugesagten Verweildauer wegen eines vorzeitigen Ausscheidens oder wegen eines vorübergehenden anderweitigen Arbeitsverhältnisses nicht in Anspruch nehme, eine (weitere) Sprinterprämie erhalten; diese sollte 25% des in § 3 Nr. 4 festgelegten monatlichen Bruttoentgelts betragen; der entsprechende Bruttobetrag sollte nach dem endgültigen Ausscheiden aus der Transfergesellschaft fällig werden (§ 3 Nr. 7).

Auf der Grundlage des vorgenannten Arbeitsvertrages begann die Klägerin am ihre Tätigkeit bei der Firma T. Bereits am nahm sie bei der Firma C (im Folgenden: Firma C) ein Probearbeitsverhältnis auf. Am erhielt sie sodann eine feste Anstellung bei der Firma C. Für die Zeit vom bis zum hatte die Firma T das bei ihr bestehende Arbeitsverhältnis auf den Antrag der Klägerin ruhend gestellt. Im Laufe des Monats April 2011 erhielt die Klägerin von der Firma T die zugesagte Sprinterprämie in Höhe von Y € ausgezahlt.

In ihrer Einkommensteuererklärung (zur getrennten Veranlagung) für das Streitjahr 2010 machte die Klägerin u.a. folgende Angaben: Bruttoarbeitslohn … €, Entschädigung X €. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom die Einkommensteuer auf … € fest. Die Steuer berechnet es in der Weise, dass es den Betrag von … € (zu versteuerndes Einkommen von … € abzüglich der Entschädigung von X €) dem Grundtarif und den Betrag von X € dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG unterwarf.

In ihrer Einkommensteuererklärung (zur Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann) für das Folgejahr 2011 machte die Klägerin keine Angaben über den Erhalt der von der Firma T ausgezahlten Sprinterprämie. Dieser Sachverhalt wurde dem Finanzamt allerdings im Rahmen der Veranlagungsarbeiten bekannt. Es unterwarf das zu versteuernde Einkommen der Ehegatten (in Höhe von … €) insgesamt dem Splittingtarif und setzte die Steuer durch Bescheid vom in entsprechender Höhe fest. Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin geltend, die von der Firma T erhaltene Sprinterprämie sei ebenfalls nach § 34 Abs. 1 EStG zu versteuern, weil es sich hierbei um eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG handele. Das Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Gegen den Bescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom hat die Klägerin Klage erhoben. Das betreffende Klageverfahren ist unter der Geschäftsnummer 3 K 1443/13 bei dem erkennenden Senat noch anhängig.

Am erließ das Finanzamt für das Streitjahr 2010 einen Änderungsbescheid, in dem es die Einkommensteuer nunmehr auf … € festsetzte. Die Steuer berechnete es in der Weise, dass es das zu versteuernde Einkommen in Höhe von … € (insgesamt) dem Grundtarif unterwarf. Zur Erläuterung führte es aus: Es sei nachträglich bekannt geworden, dass die Voraussetzungen für die ermäßigte Besteuerung der Abfindungszahlung der Firma E nicht vorlägen. Die Einzelheiten ergäben sich aus entsprechenden Stellungnahmen zu dem Einspruch betreffend das Folgejahr 2011. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Das Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus: Die Klägerin habe im Zusammenhang mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei der Firma E keine einheitliche Entschädigung erhalten. Vielmehr seien an sie sowohl im Streitjahr 2010 als auch im Folgejahr 2011 entsprechende Zahlungen geleistet worden. Insofern fehle es an einer Zusammenballung von Einkünften, die als außerordentliche Einkünfte nach den hier einschlägigen Rechtsprechungsgrundsätzen gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert werden könnten.

Gegen den Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom hat die Klägerin, vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Prozessbevollmächtigte – sinngemäß – im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Finanzamts seien die im Streitjahr 2010 gezahlte Abfindung durch die Firma E und die im Folgejahr 2011 gezahlte Sprinterprämie durch die Firma T nicht als einheitliche Abfindungsleistung zu behandeln. Aus dem Rahmensozialplan und dem Interessenausgleich ergäben sich keine Verpflichtungen für die Firma E, wegen des vorzeitigen Übergangs in ein reguläres Arbeitsverhältnis die hier fragliche Sprinterprämie an ihre ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu zahlen. Solche Zahlungen beträfen allein die wirtschaftlichen Interessen der Firma T. Dort sei es darum gegangen, die an sich fälligen Lohnkosten zu reduzieren. Sinn der hier fraglichen Sprinterprämie sei es nicht gewesen, der Klägerin einen Ausgleich für irgendwelche wirtschaftlichen Nachteile zu geben. Vielmehr sei es darum gegangen, der Klägerin einen Anreiz für eine rasche Rückkehr in das Berufsleben zu verschaffen. Letztendlich stelle die Sprinterprämie eine Belohnung dafür dar, dass die Klägerin sich frühzeitig um den Wechsel in ein reguläres Arbeitsverhältnis bemüht habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2010 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor: Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG lägen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich nur dann vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen seien und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstünden. Keine Zusammenballung in diesem Sinne läge typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt werde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nach der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich, etwa dann, wenn – neben der Hauptentschädigung – in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt würden. Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen seien im Streitfall die von der Firma E gezahlte Abfindung und die von der Firma T gezahlte Sprinterprämie steuerlich als einheitliche Leistung zu beurteilen. Zwar sei in dem Rahmensozialplan keine Rede von einer Transfergesellschaft und damit auch nicht von einer Sprinterprämie. Es sei aber zu berücksichtigen, dass sowohl die die Transfergesellschaft (Firma T) betreffende Gesamtbetriebsvereinbarung als auch der Rahmensozialplan am selben Tag unterzeichnet worden seien. In der Vorbemerkung zu der ersteren Vereinbarung sei festgehalten, dass die nachfolgenden Regelungen zu einer sozialen Abfederung der von dem Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer geschaffen worden seien. Besonders bedeutsam sei hiervon die Regelung in § 2 Abs. 1 der Vereinbarung, wonach den hier betroffenen Arbeitnehmern das Angebot für ein auf zwölf Monate befristetes Arbeitsverhältnis gemacht werden sollte. Voraussetzung für einen entsprechenden Arbeitsvertrag sei es dabei gewesen, dass der einzelne Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung erhalten oder – wie im Streitfall die Klägerin – einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen habe. Sowohl bei der eigentlichen Abfindung (§§ 11 und 12 des Rahmensozialplans) als auch bei der Sprinterprämie (§ 3 Nr. 7 des befristeten Arbeitsvertrages) sei es darum gegangen, die wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses entstanden seien, zu vermindern. Folglich habe die Klägerin die im Folgejahr 2011 ausgezahlte Sprinterprämie auch deswegen erhalten, weil die Grundlage für die ihr bisher zustehenden Erfüllungsansprüche (Arbeitsverhältnis mit der Firma E) nicht mehr bestanden habe. Grund für die Zahlung der Sprinterprämie sei eindeutig nicht die Minderung eventueller steuerlicher Nachteile und auch nicht die soziale Fürsorge, etwa die Hilfe bei den Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz, gewesen. Vielmehr habe es sich hierbei um eine "Belohnung" dafür gehandelt, dass die Klägerin zügig einen neuen Arbeitsplatz gefunden habe. Zudem sei die Sprinterprämie im Verhältnis zur eigentlichen Abfindung nicht als geringfügig einzuschätzen. Denn sie umfasse im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag der Abfindungsleistungen einen Anteil von 10,7% (Hinweis auf entsprechende Berechnungen in dem Urteil des , DStRE 2012, 466).

Die den Streitfall betreffenden Akten des Finanzamts waren Gegenstand des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben.

1. Der Senat vermag nicht der Auffassung des Finanzamts zu folgen, wegen der im Folgejahr 2011 ausgezahlten Sprinterprämie (in Höhe von Y €) sei die im Streitjahr 2010 ausgezahlte Abfindung (eigentliche Abfindung zuzüglich Sprinterprämie mit einem Gesamtbetrag von X €, im Folgenden: Abfindung ) nicht den außerordentlichen Einkünften im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen und deshalb nicht mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG zu versteuern. Er teilt insbesondere nicht die Einschätzung des Finanzamts, die Abfindung einerseits und die Sprinterprämie andererseits seien in steuerlicher Hinsicht als einheitliche Leistung zu behandeln.

Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 EStG aufgrund eines besonderen Schemas (Sätze 2 bis 4 der Vorschrift) zu berechnen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Zu diesen Einkünften gehören u.a.: Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG), sowie Entschädigungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden (§ 24 Nr. 1 Buchst. b EStG).

Die von den beiden vorgenannten Vorschriften erfassten Fallgruppen betreffen unterschiedliche Sachverhalte und unterliegen auch unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. , BStBl II 1993, 497; dazu auch: Horn in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/

Körperschaftsteuergesetz, § 24 Rn. 46). Bei der Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG muss es sich, wie aus dem Begriff des Ersatzes ersichtlich, um eine Ausgleichszahlung anstelle von weggefallenen (d.h. ursprünglich erwarteten, tatsächlich aber nicht erzielten) Einnahmen handeln. Dies setzt voraus, dass die Ersatzleistung auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht. Hinzu kommen muss, dass der Steuerpflichtige seine (bisherigen) Rechte unter einem erheblichen wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck aufgegeben und das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt hat (vgl. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 24 Rn. 26.; Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 24 Rn. 8; jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Im Gegensatz zu den Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dienen die Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht der Abgeltung und Abfindung von Interessen aus dem bisherigen Rechtsverhältnis, sondern erfassen Gegenleistungen für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit. Naturgemäß setzt der Verzicht auf die Erzielung von Einkünften voraus, dass der Steuerpflichtige an der Herbeiführung des schadenstiftenden Ereignisses seinerseits mitwirkt. Dabei braucht diese Mitwirkung nicht auf irgendeiner Zwangslage zu beruhen. Die Entschädigung kann insofern auch einvernehmlich vereinbart werden. Des Weiteren ist es nicht erforderlich, dass eine neue Rechts- oder Billigkeitsgrundlage geschaffen wird (vgl. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 24 Rn. 46; Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 24 Rn. 14 f.; jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung).

Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch ihre Zusammenballung erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Werden in einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mehrere in sachlicher und/oder zeitlicher Hinsicht unterschiedliche Entschädigungsleistungen zugesagt, sind diese grundsätzlich einheitlich zu beurteilen (Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung). Dementsprechend gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) sämtliche Leistungen, zu denen sich der (frühere) Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag verpflichtet hat, soweit sie nicht Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrages sind. Sämtliche Leistungen müssen zum Zwecke der Tarifvergünstigung auch grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zufließen. Wird eine Entschädigung in zwei oder mehreren Veranlagungszeiträumen ausgezahlt, scheidet grundsätzlich in sämtlichen Veranlagungszeiträumen eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG aus. Ausnahmen von dem o.g. Einheitlichkeitsgrundsatz kommen aus dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur bei bestimmten Sachverhaltsgestaltungen in Betracht. So ist der Zufluss in zwei Veranlagungszeiträumen unschädlich, wenn neben der ganz überwiegenden Hauptleistung nur eine geringfügige Teilleistung erbracht wird. Entsprechendes gilt, wenn neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit ergänzende Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden und dabei der Umfang dieser Zusatzleistungen im Verhältnis zur Hauptleistung eine gewisse Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreitet (vgl. , BStBl II 2004, 449; vom XI R 58/05, BStBl II 2006, 835, und vom IX R 39/09 BFH/NV 2010, 1801).

Von den vorgenannten Ausnahmefällen abgesehen, gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung auch dann nicht, wenn im Zusammenhang mit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses an den Steuerpflichtigen – zusätzlich zu der eigentlichen Abfindung – weitere Leistungen erbracht werden, die nicht den Tatbestand einer Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfüllen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats schon aus dem (BStBl II 2004, 449). In den dortigen Urteilsgründen wird der vorgenannte Einheitlichkeitsgrundsatz nur erörtert in Bezug auf Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Von Entschädigungen im Sinne der anderen Tatbestände des § 24 Nr. 1 EStG ist nicht die Rede. Hinzu kommt die Erwägung, dass die Besteuerungstatbestände nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG einerseits und nach § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG andererseits – wie oben dargelegt – unterschiedliche Sachverhalte betreffen und auch unterschiedliche Voraussetzungen haben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die persönliche und wirtschaftliche Situation, die zu der jeweiligen Entschädigung geführt hat. Die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG setzt das Vorliegen irgendeiner Zwangslage voraus. Demgegenüber kann der Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG auch dann zum Zuge kommen, wenn die rechtliche Grundlage ohne irgendeinen Zwang zu Stande gekommen ist.

a) Nach den vorstehenden Erwägungen sind die im Streitjahr 2010 ausgezahlte Abfindung und die im Folgejahr 2011 ausgezahlte Sprinterprämie nicht als einheitliche Leistung zu beurteilen. Der von der Rechtsprechung entwickelte Einheitlichkeitsgrundsatz gilt im Streitfall nicht, weil die Sprinterprämie – anders als die Abfindung – nicht die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfüllt. Es fehlt an mehreren Tatbestandsmerkmalen.

Die Sprinterprämie diente nicht dem Ausgleich für weggefallene Einnahmen. Sie beruhte auch nicht auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage, sondern ergab sich unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag mit der Firma T (siehe dort § 3 Nr. 7). Insbesondere war sie nicht vor dem Hintergrund ausgezahlt worden, dass die Klägerin auf ihre aus dem vorgenannten Arbeitsvertrag zustehenden Rechte aufgrund irgendeiner Zwangslage verzichtet hätte. Vielmehr hatte die Klägerin aus eigenem Antrieb bei der Firma T den Antrag gestellt, den Arbeitsvertrag vor Ablauf der zwölfmonatigen Befristung ruhend zu stellen. Grund hierfür war der Umstand, dass sie schon nach kurzer Zeit einen neuen Arbeitsplatz gefunden und damit den Zweck ihrer Tätigkeit bei der Firma T (Förderung der beruflichen Integration) besonders erfolgreich umgesetzt hatte. Insofern stellt die Sprinterprämie – wie das Finanzamt in anderem Zusammenhang selbst ausdrücklich hervorhebt – eine "Belohnung" für das erfolgreiche Bemühen um einen neuen Arbeitsplatz dar. Die Tatsache, dass die Klägerin dem (wirtschaftlichen) Druck ausgesetzt war, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, spielt in dem vorstehenden Zusammenhang keine Rolle.

Anknüpfend an den Gesichtspunkt der Belohnung liegt es demgegenüber nahe, die Sprinterprämie den Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG zuzuordnen. Insofern dürfte eine Gegenleistung für die Aufgabe der Tätigkeit vorliegen, die Gegenstand des (befristeten) Arbeitsvertrags mit der Firma T war. Ob hierfür allerdings die von der Rechtsprechung entwickelten Merkmale von außerordentlichen Einkünften im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG vorliegen, könnte fraglich sein. Eine Zusammenballung von Einkünften liegt nach der Rechtsprechung nämlich nur dann vor, wenn die betreffenden Einkünfte geeignet sind, eine höhere steuerliche Belastung des gesamten Einkommens auszulösen (vgl. hierzu im Einzelnen: Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 34 Rn. 10 m.w.N.). Durch die Auszahlung der Sprinterprämie hat sich bei der Klägerin die steuerliche Belastung für das Folgejahr 2011 nur geringfügig erhöht. Wie das Finanzamt in seiner Klageerwiderung zu dem Parallelverfahren mit der Geschäftsnummer 3 K 1443/13 (betreffend Einkommensteuer 2011) mitteilt, beträgt dort der Streitwert lediglich … €(unter 70.-- €). Der Senat braucht diese Frage für den Streitfall allerdings nicht abschließend zu entscheiden. Denn hier kommt es allein darauf an, dass im Streitjahr eine Zusammenballung von Einkünften gegeben war.

In dem vorstehenden Zusammenhang spielt die Tatsache, dass auch ein Teil der im Streitjahr 2010 ausgezahlten Abfindung als "Sprinterprämie" bezeichnet wurde, keine Rolle. Denn in ihrer Gesamtheit erfüllen die beiden Einzelbeträge (eigentliche Abfindung einerseits und Sprinterprämie andererseits) die Merkmale von außerordentlichen Einkünften nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG. Dabei spricht allerdings mehr dafür, die – neben der eigentlichen Abfindung – im Streitjahr 2010 ausgezahlte Sprinterprämie den Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zuzuordnen. Selbst wenn diese Zahlung als zusätzliche "Belohnung" dafür anzusehen ist, dass die Klägerin den Aufhebungsvertrag mit der Firma E vor Ablauf der vorgegebenen Frist abgeschlossen hatte, dürfte der Charakter als Ausgleichszahlung anstelle von weggefallenen Einnahmen nicht infrage gestellt sein.

b) Nach Auffassung des Senats ist es auch aus anderen Rechtsgründen geboten, im Streitfall den von der Rechtsprechung entwickelten Einheitlichkeitsgrundsatz nicht anzuwenden.

Dies gilt zunächst für das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wie der BFH in seiner Rechtsprechung zu § 34 EStG verschiedentlich hervorhebt, ist das Erfordernis, dass außerordentliche Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zufließen müssen, kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes; deshalb ist es auch geboten, von dem hieran anknüpfenden Einheitlichkeitsgrundsatz bestimmte Ausnahmen zuzulassen (vgl. Urteil vom IX R 39/09, BFH/NV 2010, 1801). Im Streitfall hat der Zufluss der Sprinterprämie (im Folgejahr 2011) dazu geführt, dass das Finanzamt für das Streitjahr 2010 die ursprünglich gewährte Steuerermäßigung rückgängig gemacht hat. Dem Zufluss des Betrages von Y € steht also eine Steuererhöhung mit dem Betrag von … € (ca. 92 % von Y) gegenüber. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren.

Darüber hinaus sind die Grundsätze von Treu und Glauben, hier vor allem in der Ausprägung des Vertrauensschutzprinzips, zu berücksichtigen. Diese Grundsätze kommen dann zur Anwendung, wenn das Vertrauen eines Beteiligten in ein bestimmtes Verhalten des anderen Beteiligten nach allgemeinem Rechtsempfinden in einem besonders hohen Maße schutzwürdig ist. Für das Steuerschuldverhältnis gilt dies ebenso wie für andere Rechtsverhältnisse (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 4 Rn. 128 m.w.N.). Beim Aushandeln der verschiedenen Vereinbarungen, die am von den Vertretern der Firma E und den Vertretern des Gesamtbetriebsrats der Firma E unterzeichnet wurden, sind alle Beteiligten offenkundig von der Annahme ausgegangen, die an die ausscheidenden Mitarbeiter auszuzahlenden Abfindungen würden gemäß § 34 EStG ermäßigt besteuert. Auch die Klägerin durfte darauf vertrauen, dass sie die steuerliche Vergünstigung auf Dauer behalten würde. Dieses Vertrauen war nach Auffassung des Senats besonders schutzwürdig, weil bei der Bemessung der eigentlichen Abfindung deren steuerliche Behandlung mit Sicherheit eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatte.

Schließlich dürfen auch gewisse Besonderheiten des Sozialrechts nicht außer Acht gelassen werden. Nehmen Arbeitnehmer, die aufgrund einer Betriebsänderung von Arbeitslosigkeit betroffen sind, an sog. Transfermaßnahmen teil, wird diese Teilnahme unter bestimmten Voraussetzungen nach § 110 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch (SGB III) staatlich gefördert (vgl. hierzu Jenak in Juris-Praxiskommentar SGB III, § 110 Rn. 90 mit Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betreffend "Sprinterprämie"). Es ist davon auszugehen, dass die Firma T für ihre Tätigkeit (Förderung der beruflichen Integration) gemäß § 110 Abs. 2 SGB III einen Zuschuss erhalten hat. Auf der anderen Seite ist deutlich zu erkennen, dass die Firma T die zugesagte Sprinterprämie zu dem Zweck ausgezahlt hat, den Gesamtaufwand für die hier in Rede stehenden Transfermaßnahmen zu vermindern. Es würde nach Auffassung des Senats einen nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch darstellen, wenn wegen des Erhalts der Sprinterprämie der betreffende Arbeitnehmer in einem solchen Maß steuerlich benachteiligt würde, dass die Zahlung wirtschaftlich keinen Wert mehr hätte.

c) Aufgrund der im vorstehenden Abschnitt a) dargelegten Erwägungen können die vom Finanzamt vorgetragenen Argumente im Ergebnis nicht berücksichtigt werden.

Einerseits macht das Finanzamt zu Recht geltend, die Vereinbarungen, die der Zusage der hier fraglichen Sprinterprämie (§ 3 Nr. 7 des Arbeitsvertrages mit der Firma T) zu Grunde lägen, seien alle an einem Tag unterzeichnet worden und stünden insofern in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, demzufolge spiele es keine Rolle, dass die Sprinterprämie nicht von der Firma E (als frühere Arbeitgeberin der Klägerin), sondern von der Firma T (als Transfergesellschaft) ausgezahlt worden sei. Andererseits beschäftigt es sich mit seinen weiteren Einwendungen ausschließlich mit der Frage, ob der Streitfall den Sachverhalten entspricht, bei denen die Rechtsprechung Ausnahmen von dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung zugelassen hat. Hierauf kommt es aber nach Auffassung des Senats nicht an.

In dem vorstehenden Zusammenhang bezieht sich das Finanzamt auf das Urteil des (DStRE 2012, 466). Dort geht es zwar – wie im Streitfall – um die Auszahlung einer zusätzlichen Sprinterprämie durch eine Transfergesellschaft. Der dortige Sachverhalt weist gegenüber dem Streitfall jedoch noch einige andere Besonderheiten auf. So war dort im ersten Jahr eine Vorauszahlung auf die eigentliche Abfindung (hier: rund 14.000,00 €), im zweiten Jahr die besagte Sprinterprämie (2.000,00 €) und im dritten Jahr erst die eigentliche Abfindung (hier: rund 140.000,00 €) gezahlt worden. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich vom Streitfall in zwei gewichtigen Punkten: Es geht hier zum einen um zwei Zusatzleistungen. Zum anderen ist die eigentliche Abfindung erst nach den Zusatzleistungen gezahlt worden. Angesichts dieses Unterschieds kann der Senat offen lassen, ob er dem Niedersächsischen Finanzgericht in der Auffassung folgen könnte, die Sprinterprämie sei – wie die anderen Teilzahlungen – als Abfindung zu behandeln und damit den Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zuzuordnen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 und § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 19/2015 S. 881
OAAAF-01428