Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil v. - 4 K 2805/99

Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Irrtum über die Höhe der durch eine Schenkung anfallenden Steuern

Leitsatz

1. Weicht die - auf einer entsprechenden Auskunft des Bürovorstehers des Notariats basierende - Vorstellung der Vertragspartner eines Schenkungsvertrages über die Höhe der vom Schenker zu übernehmenden Schenkungsteuer erheblich von tatsächlich anfallenden Steuern ab und war die niedrigere Obergrenze des Steuerbetrages entscheidend für das Zustandekommen des Schenkungsvertrages, so kann durch die höhere Steuerfestsetzung die Geschäftsgrundlage entfallen. Dadurch kann ein Rückforderungsrecht des Schenkers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entstehen.

2. Ist im Zeitpunkt der Aufhebung des Schenkungsvertrages der ursprünglich rechtmäßige Schenkungsteuerbescheid noch nicht formell bestandskräftig, ist er wegen des rückwirkenden Entfallens der Schenkungsteuer aufzuheben.

Gesetze: ErbStG § 29 Abs. 1 Nr. 1

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rückübertragung von zwei zugewendeten Eigentumswohnungen auf einem Rückforderungsrecht des Schenkers beruhte.

Durch notariellen ”Übertragungsvertrag” vom übertrug der Kläger zwei im Wohnungsgrundbuch von R Bl. ... und ... eingetragenen Eigentumswohnungen in ... auf seine Nichte ... (M. N.). Eine ”Gegenleistung oder Herauszahlung” hatte die Nichte laut Ziffer 4 der notariellen Urkunde ”nicht zu erbringen”. In Ziffer 2 räumte sie jedoch dem Kläger ”an dem übertragenen Wohnungseigentum, und zwar an beiden Wohnungen, den lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch ein”. Außerdem behielt sich der Kläger laut Ziffer 3 das Recht vor, unter bestimmten in Buchst. a bis f genannten Voraussetzungen von dem Vertrag zurückzutreten. Die mit dem Vertrag verbundenen Kosten ”sowie die etwaige Grunderwerb- bzw. Schenkungsteuer” sollte nach Ziffer 5 des Vertrages der Kläger als Veräußerer tragen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde vom Bezug genommen.

Durch Schenkungsteuerbescheid vom setzte der Beklagte wegen der Grundstücksübertragung gegen den Kläger Schenkungsteuer von 16.300,-- DM fest, wobei er den Wert des steuerpflichtigen Erwerbs unter Berücksichtigung einer Steuerübernahme von 11.640,-- DM und eines persönlichen Freibetrages von 20.000,-- DM mit abgerundet 108.600,-- DM ansetzte. Zuvor waren durch Bescheide vom für die beiden Eigentumswohnungen auf den Besteuerungszeitpunkt Grundbesitzwerte von 45.000,-- DM und 72.000,-- DM festgestellt worden. Diese Bescheide sind formell bestandskräftig. Gegen die Schenkungsteuerfestsetzung legte der Kläger mit Schreiben vom Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens wurde mit notarieller Urkunde vom der Übertragungsvertrag vom aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Umschreibung im Grundbuch bereits erfolgt. Auch in der Urkunde vom , auf die Bezug genommen wird, heißt es, dass der Kläger die ”Kosten dieser Urkunde und ihres Vollzuges, die Löschungskosten sowie die etwaige Grunderwerb- / Schenkungsteuer trägt”. Überdies wurde ”die Nichterhebung bzw. Erstattung der Grunderwerbsteuer gemäß § 16 GrEStG” beantragt. Der Beklagte lehnte in der Einspruchsentscheidung vom , mit der er den Einspruch zurückwies, die Berücksichtigung der Vertragsaufhebung bei der Schenkungsteuerfestsetzung ab, wobei er die Voraussetzungen der vom Kläger angeführten Bestimmung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG verneinte.

Mit der Klage begehrt der Kläger eine Aufhebung der Schenkungsteuerfestsetzung. Er meint, die Schenkungsteuer sei infolge der Aufhebung des Übertragungsvertrages vom rückwirkend entfallen. Dazu trägt er vor, die Rückübertragung der beiden Eigentumswohnungen sei aufgrund eines ihm zustehenden Rückforderungsrechtes erfolgt. Dieses Rückforderungsrecht ergebe sich aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Es sei anerkannt, dass auch steuerliche Erwägungen, Vorgänge und Folgen die Geschäftsgrundlage eines Rechtsgeschäfts bilden könnten, sofern sie für den Inhalt des Rechtsgeschäftes eindeutig maßgeblich gewesen seien. Er - der Kläger - habe noch zu seinen Lebzeiten seiner Nichte die Eigentumswohnungen im Weg vorweggenommener Erbfolge schenken und auch die Schenkungsteuer bezahlen wollen. Aus diesem Grunde habe er sich vor der Schenkung mit dem Bürovorsteher des Notariats Sch. unterhalten und von diesem die Auskunft erhalten, dass die Steuerlast wahrscheinlich 3.500,-- DM betragen werde. Über dieses Gespräch mit dem Bürovorsteher habe er sich mit seiner Nichte unterhalten. Diese habe großes Verständnis dafür gehabt, dass er die Schenkung und auch die Übernahme der Schenkungsteuer an die wahrscheinliche Steuerlast von 3.500,-- DM geknüpft habe. Sie habe deshalb in Anwesenheit ihres Ehemannes ausdrücklich erklärt, dass die Schenkung nur dann Bestand haben solle, wenn die Steuerbelastung in etwa den Betrag von 3.500,-- DM nicht überschreite. Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid habe sowohl ihn als auch seine Nichte aus allen Wolken gerissen. Sie seien deshalb sofort übereingekommen, die Schenkung rückgängig zu machen. Vorsorglich und hilfsweise werde auch die Grundstücksbewertung beanstandet. Die festgestellten Grundbesitzwerte seien zu hoch.

Der Kläger beantragt,

den Schenkungsteuerbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an der in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung fest, dass ein Rückforderungsrecht des Klägers nicht bestanden habe, und § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG deshalb nicht anwendbar sei.

Der Senat hat Beweis erhoben nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Schenkungsteuerbescheides vom und der Einspruchsentscheidung vom .

Durch die Rückübertragung der beiden Eigentumswohnungen auf Grund der mit notarieller Urkunde vom vereinbarten Aufhebung des Übertragungsvertrages vom ist die zunächst durch den Vollzug dieses Vertrages entstandene Schenkungsteuer gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit entfallen. Dem Kläger stand wegen Fehlens bzw. Wegfalls der Geschäftsgrundlage dieses Vertrages gegenüber seiner Nichte ein Rückforderungsrecht zu.

Die Bestimmung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist keine Erstattungsvorschrift, sondern eine materiell-rechtliche Regelung, die einen Gesetzesvorbehalt enthält. Danach hat eine durch eine Schenkung unter Lebenden entstandene Schenkungsteuer nur Bestand, wenn es nicht in der Folgezeit zu einer Rückgabe des Zuwendungsgegenstandes auf Grund eines (gesetzlichen oder vertraglichen) Rückforderungsrechtes kommt. Besteht von vornherein ein solches Rückforderungsrecht oder entsteht es nach der Ausführung der Zuwendung, entfällt die Schenkungsteuer - soweit nicht eine nach § 29 Abs. 2 ErbStG steuerbare Bereicherung verbleibt - rückwirkend, sofern das Rückforderungsrecht vom Schenker geltend gemacht und der Zuwendungsgegenstand daraufhin vom Bedachten an ihn zurückgegeben wird. Daraus folgt, dass (ähnlich wie in den Fällen des § 16 GrEStG) die Schenkungsteuer nicht mehr festgesetzt werden kann, wenn sie im Zeitpunkt der Rückgabe noch nicht durch Steuerbescheid konkretisiert ist, und dass ein zu diesem Zeitpunkt bereits erlassener, aber mit dem Einspruch oder der Klage angefochtener Steuerbescheid aufzuheben oder, sofern § 29 Abs. 2 ErbStG eingreift, zu ändern ist. Erst mit der Aufhebung bzw. Änderung entsteht gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO ein Erstattungsanspruch, sofern die festgesetzte Schenkungsteuer bereits entrichtet worden ist.

Im Streitfall ist danach der Bescheid vom trotz ursprünglich rechtmäßiger Steuerfestsetzung aufzuheben. Ein Rückforderungsrecht i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG kann auch durch das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Schenkungsversprechens entstehen. Zur Geschäftsgrundlage eines solchen einseitig verpflichtenden Vertrages können auch die Vorstellungen der Zuwendungsbeteiligten über die steuerlichen Folgen des Vermögenstransfers gehören (, BStBl II 1973, 14; vgl. auch , BStBl II 1978, 217 und das dort zitierte, nicht veröffentlichte ). Dies gilt vor allem für Vereinbarungen, die eine Übernahme der Steuer durch den Schenker vorsehen. Die durch die Schenkung ausgelöste Schenkungsteuer wird durch die vereinbarte Steuerübernahme Gegenstand einer vertraglichen Leistung, die in § 10 Abs. 2 ErbStG als (steuererhöhende) Zusatzleistung des Schenkers behandelt wird. Selbst wenn - wie vorliegend - konkrete Absprachen über Umfang und Grenzen der Steuerübernahme fehlen, bedeutet dies lediglich, dass die Höhe der Steuer nicht Vertragsinhalt geworden ist. Die vom Schenker erwartete Steuerlast kann aber durchaus zur Geschäftsgrundlage des Vertrages gehören, zumal es sich dabei allein wegen der Steuerübernahme regelmäßig um einen für das Zustandekommen der Gesamtvereinbarung wesentlichen Umstand handeln wird. Freilich müssen die steuerlichen Vorstellungen des Schenkers, auf den dabei in erster Linie abzustellen ist, hinreichend konkret und gesichert erscheinen. Außerdem müssen, da nur gemeinsame Vorstellungen eine Geschäftsgrundlage bilden können, seine Erwartungen für den Bedachten zumindest erkennbar gewesen sein. Daraus folgt, dass von einer Geschäftsgrundlage in solchen Fällen nur gesprochen werden kann, wenn sich der Zuwendende entweder über die Steuerpflicht als solche - z. B. wegen eines auf unrichtigen Informationen beruhenden Irrtums über eine Steuerbefreiung - oder aber über die Höhe der Schenkungsteuer falsche Vorstellungen gemacht hat, die er dem Bedachten mitgeteilt oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht hat, wobei für den Bedachten auch deutlich geworden sein muss, dass es sich um eine für den Schenker wesentliche Grundlage seines Schenkungsversprechens handelt. Bei falschen Erwartungen hinsichtlich der Höhe der Steuerlast, die hier allein in Betracht kommen, dürfen die Einschätzungen des Zuwendenden überdies nicht lediglich auf vagen - nicht durch eigene Sachkunde oder fachliche Informationen abgesicherten - Vorstellungen beruhen. Auch kann die so entstandene Geschäftsgrundlage nur fehlen oder entfallen, wenn die steuerlichen Einschätzungen der Zuwendungsbeteiligten erheblich von der tatsächlich entstandenen und von der Steuerbehörde festgesetzten Steuer abweichen. Ist diesen Erfordernissen genügt, besteht andererseits kein Grund, falsche Erwartungen hinsichtlich der Steuerhöhe anders zu beurteilen als unzutreffende Annahmen über die Steuerbarkeit oder die Steuerpflicht. Auch wird eine wegen unzutreffender Vorstellungen über die Steuerlast fehlende Geschäftsgrundlage, wenn sie nicht schon die Unwirksamkeit des Schenkungsversprechens bewirkt, im Regelfall zumindest einen Auflösungsanspruch zur Folge haben. Wird dieser Anspruch durch Vertragsaufhebung verwirklicht, so führt dies zu einem nach den Regeln der §§ 346 ff. BGB zu vollziehenden Abwicklungsverhältnis, aus dem sich ein Rückforderungsrecht des Schenkers ergibt, wenn die Schenkung bereits ausgeführt ist. Eine Vertragsanpassung scheitert nämlich regelmäßig an der fehlenden Dispositionsmöglichkeit der Vertragsparteien über die Steuerfolgen, die mit der Ausführung der Zuwendung eingetreten sind.

Im Streitfall steht auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, dass die Zuwendungsbeteiligten über die mit der Schenkung der beiden Eigentumswohnungen verbundene Steuerlast gemeinsame Vorstellungen entwickelt hatten, die sie - vor allem wegen der vereinbarten Steuerübernahme - zur Grundlage ihrer vertraglichen Vereinbarungen machten, und dass diese Vorstellungen auf einer falschen Einschätzung des Klägers über die mit dem Vollzug des Schenkungsversprechens entstehende Schenkungsteuer beruhten. Nach der glaubhaften Bekundung der Zeugin N ging der Kläger von einer - von ihm zu übernehmenden - Steuerlast von ca. 3.500 DM aus. Diese Erwartung, über die er vor dem Abschluss des Übertragungsvertrages vom mit der Zeugin gesprochen hatte, beruhte auf einer Auskunft des Bürovorstehers des beurkundenden Notars. Die Zeugin hat auch bestätigt, dass der Kläger schon mit Rücksicht auf seine finanziellen Verhältnisse nicht bereit war, einen wesentlich höheren Steuerbetrag in Kauf zu nehmen. Ob er nicht dennoch einen über den Betrag von 3.500 DM hinausgehende Schenkungsteuer hingenommen hätte, wenn dieser Betrag nur geringfügig überschritten worden wäre, kann dahinstehen. Jedenfalls lag die tatsächlich festgesetzte Steuer von 16.300 DM weit außerhalb der Vorstellungen, von denen die Zuwendungsbeteiligten ausgingen und die sie ihrer Vereinbarung zugrunde legten.

Dass die Zuwendungsbeteiligten nicht mit einer Steuerfestsetzung in dieser Höhe gerechnet hatten und durch den Inhalt des Steuerbescheides vom völlig überrascht wurden, zeigt auch ihre prompte Reaktion auf diesen Bescheid, die bereits am zu einer Aufhebung des schon grundbuchmäßig vollzogenen Übertragungsvertrages führte. Insbesondere die sofortige Bereitschaft der Zeugin N zur Rückgabe der beiden in ihr Eigentum übergegangenen Eigentumswohnungen bestätigt, dass die gemeinsame Fehleinschätzung der mit der Zuwendung verbundenen Steuerlast eine Grundlage des Schenkungsversprechens war, bei deren Fehlgehen die Schenkung keinen Bestand haben sollte.

Mit der Rückgabe der beiden Eigentumswohnungen ist die entstandene Schenkungsteuer in voller Höhe rückwirkend entfallen. Die Regelung des § 29 Abs. 2 ErbStG kann im Streitfall wegen des vereinbarten Nutzungsvorbehalts nicht eingreifen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten aus § 151 Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DStRE 2001 S. 765 Nr. 14
FR 2001 S. 653 Nr. 12
OAAAB-12077