Vorabentscheidungsersuchen des FG Baden-Württemberg zum EuGH: Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 13 UStG für von einer Wohnungseigentümergemeinschaft an die Wohnungseigentümer gelieferte Wärme unionsrechtskonform?
Leitsatz
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind die Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahingehend auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Lieferung von Wärme durch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer von der Mehrwertsteuer befreit ist?
2. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist es nicht eindeutig, ob § 4 Nr. 13 UStG mit den Regelungen der MwStSystRL vereinbar ist, unter anderem weil die Vorschrift nicht auf die Protokollerklärung Nr. 7 zu Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 136 MwStSystRL und die Protokollerklärung Nr. 1 zur MwStSystRL gestützt werden könne und Art. 135 Buchst. l MwStSystRL nach seinem Wortlaut nicht ohne Weiteres anwendbar sei.
3. Das Vorabentscheidungsersuchen ist beim EuGH anhängig, Az beim EuGH C-449/19.
Gesetze: UStG § 4 Nr. 13, UStG § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, UStG § 15 Abs. 4 S. 1, UStG § 9 Abs. 1, EG RL 112/2006 Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, EG RL 112/2006 Art. 9 Abs. 1, EG RL 112/2006 Art. 14, EG RL 112/2006 Art. 15 Abs. 1, EG RL 112/2006 Art. 135 Abs. 1 Buchst. l, EG RL 112/2006 Art. 136, AEUV Art. 267 Abs. 2, AEUV Art. 267 Abs. 1 Buchst. a, FGO § 74, MwStSystRL Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, MwStSystRL Art. 9 Abs. 1, MwStSystRL Art. 14, MwStSystRL Art. 15 Abs. 1, MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. l, MwStSystRL Art. 136
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
Streitig ist die Höhe des Vorsteuerabzugs aus den Anschaffungs- und Betriebskosten eines Blockheizkraftwerks (BHKW) im Jahr 2012.
Die Klägerin ist eine Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft, die aus der X GmbH, dem Y (staatliche Behörde) sowie der Z (Gemeinde) besteht. Das Grundstück umfasst 20 vermietete Wohnungen, ein × (staatliche Behörde) und eine × (Einrichtung der Gemeinde Z). Im Jahr 2012 errichtete die Klägerin auf dem Anwesen ein BHKW. Den mit dem BHKW erzeugten Strom lieferte die Klägerin an ein Energieversorgungsunternehmen, die daneben erzeugte Wärme an die Wohnungs- bzw. Teileigentümer.
In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2012 machte die Klägerin insgesamt 19.765,17 EUR an Vorsteuerbeträgen aus den Kosten für die Anschaffung und den Betrieb des BHKW geltend. Auf die Kleinunternehmerregelung hatte sie verzichtet.
Der Beklagte erließ nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung am einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2012. Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge ließ er nur zu einem Anteil von 28 % (5.588,23 EUR) zum Abzug zu. Nach seiner Berechnung entsprach dies dem Anteil der vorsteuerbelasteten Kosten, der auf die Stromerzeugung entfiel. Für den auf die Wärmeerzeugung entfallenden Anteil von 72 % verweigerte er den Vorsteuerabzug. Dieser sei insoweit nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 4 UStG ausgeschlossen, weil er im Zusammenhang mit Ausschlussumsätzen stehe. Nach § 4 Nr. 13 Umsatzsteuergesetz (UStG) sei nämlich die Lieferung von Wärme an Wohnungseigentümer steuerfrei.
Gegen den Umsatzsteuerbescheid 2012 vom legte die Klägerin am Einspruch ein. Sie beantragte den Abzug der Vorsteuern in der von ihr erklärten Höhe. Sie ist der Auffassung, § 4 Nr. 13 UStG sei europarechtswidrig.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am vor dem Finanzgericht erhobene Klage.
Der Klägervertreter hält § 4 Nr. 13 UStG für europarechtswidrig. Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden MwStSystRL) enthalte keine Ermächtigungsvorschrift, um Lieferungen einer Wohnungseigentümergemeinschaft an die Wohnungseigentümer steuerfrei zu stellen. Dem Unionsrecht komme ein Anwendungsvorrang zu. Nach dem (Bundessteuerblatt – BStBl – II 2015, 513) könne der Steuerpflichtige sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts unmittelbar berufen. Somit könne die Lieferung der von der Klägerin im BHKW erzeugten Wärme als umsatzsteuerpflichtig behandelt werden, so dass dieser der volle Vorsteuerabzug zustehe.
Der Beklagte tritt der Klage entgegen.
Der Senat hat am eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
Gründe
II.
Der erkennende Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor dargestellte Frage gemäß Art. 267 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Vorabentscheidung vor. Denn der Senat hält die Entscheidung des EuGH über die Auslegung der MwStSystRL zum Erlass seines Urteils für erforderlich.
12 1. Rechtlicher Rahmen
13 a) Maßgebliche Vorschriften des nationalen Rechts
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen „die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt” der Umsatzsteuer.
Nach § 4 Nr. 13 UStG sind steuerfrei „die Leistungen, die die Gemeinschaften der Wohnungseigentümer im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 403-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, in der jeweils geltenden Fassung an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer erbringen, soweit die Leistungen in der Überlassung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gebrauch, seiner Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung sowie der Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen bestehen”.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer „die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind” als Vorsteuerbeträge abziehen.
Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist vom Vorsteuerabzug u. a. die Steuer für die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, ausgeschlossen.
§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG bestimmt Folgendes: „Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist.”
Nach § 9 Abs. 1 UStG kann der Unternehmer u. a. einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 13 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.
Das Rechtsinstitut der Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft ist in dem Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht – Wohnungseigentumsgesetz – (WEG) vom geregelt. Nach dem deutschen Sachenrecht bilden ein Grundstück und ein auf dem Grundstück errichtetes Gebäude grundsätzlich eine Einheit (vgl. § 94 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB) und haben denselben oder dieselben Eigentümer. Bei mehreren Eigentümern eines Grundstücks spricht man von Miteigentum nach Bruchteilen (vgl. § 1008 BGB). Über das Grundstück nebst Gebäude können die Miteigentümer nur gemeinschaftlich verfügen. Jeder Miteigentümer hat nur einen ideellen Anteil. Ihm stehen keine bestimmten Teile des Grundstücks oder Gebäudes zu. Ein einzelner Miteigentümer kann nur über seinen Miteigentumsanteil verfügen (vgl. § 747 BGB). Abweichend hiervon ermöglicht es das WEG, dass an einzelnen Wohnungen oder auch an nicht als Wohnungen genutzten Räumen Sondereigentum begründet wird. Im erstgenannten Fall spricht man von Wohnungseigentum, im letztgenannten von Teileigentum (vgl. § 1 Abs. 1 WEG). Neben dem Sondereigentum an der Wohnung oder den nicht als Wohnung genutzten Räumen gehört zum Wohnungs- bzw. Teileigentum immer auch ein Miteigentumsanteil an gemeinschaftlichem Eigentum. Nach § 5 Abs. 2 WEG sind Teile des Gebäudes, die für dessen Bestand oder Sicherheit erforderlich sind, sowie Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, nicht Gegenstand des Sondereigentums, selbst wenn sie sich im Bereich der im Sondereigentum stehenden Räume befinden. Hierzu gehören insbesondere (vgl. die Aufzählung bei Rapp in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 5 WEG Rn. 25a) die Außenfassade, Treppenhäuser, Dächer und die Heizungsanlage (vgl. , Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen – BGHZ – 73, 302, zu einem Blockheizkraftwerk). Das gemeinschaftliche Eigentum verwaltet die Eigentümergemeinschaft grundsätzlich gemeinschaftlich, § 21 Abs. 1 WEG.
Die Eigentümergemeinschaft ist teilrechtsfähig. § 10 Abs. 6 WEG bestimmt dazu:
„Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann im Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten und Wohnungseigentümern selbst Rechte erwerben und Pflichten eingehen. Sie ist Inhaberin der als Gemeinschaft gesetzlich begründeten und rechtsgeschäftlich erworbenen Rechte und Pflichten. Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Die Gemeinschaft muss die Bezeichnung „Wohnungseigentümergemeinschaft” gefolgt von der bestimmten Angabe des gemeinschaftlichen Grundstücks führen. Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden.”
Der BFH zieht daraus den Schluss, dass die WEG eine gewerbliche Mitunternehmerschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz begründen kann (, BStBl II 2019, 160, ).
Die Kosten der WEG müssen die Wohnungs- bzw. Teileigentümer grundsätzlich entsprechend ihrer Miteigentumsanteile tragen. Allerdings können die Betriebskosten, zu denen insbesondere die Heizkosten gehören, nach Verbrauch umgelegt werden:
§ 16 Abs. 2 und 3 WEG regeln dazu Folgendes:
„(2) Jeder Wohnungseigentümer ist den anderen Wohnungseigentümern gegenüber verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der Instandhaltung, Instandsetzung, sonstigen Verwaltung und eines gemeinschaftlichen Gebrauchs des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils (Absatz 1 Satz 2) zu tragen.
(3) Die Wohnungseigentümer können abweichend von Absatz 2 durch Stimmenmehrheit beschließen, dass die Betriebskosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums im Sinne des § 556 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, die nicht unmittelbar gegenüber Dritten abgerechnet werden, und die Kosten der Verwaltung nach Verbrauch oder Verursachung erfasst und nach diesem oder nach einem anderen Maßstab verteilt werden, soweit dies ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.”
§ 556 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB bestimmt:
„Betriebskosten sind die Kosten, die dem Eigentümer oder Erbbauberechtigten durch das Eigentum oder das Erbbaurecht am Grundstück oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes, der Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks laufend entstehen. Für die Aufstellung der Betriebskosten gilt die Betriebskostenverordnung (BetrKV) vom (BGBl. I S. 2346, 2347) fort. Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über die Aufstellung der Betriebskosten zu erlassen.”
Nach der BetrKV gehören zu den Betriebskosten die Kosten verbundener Heizungs- und Warmwasserversorgungsanlagen. Hierzu gehören die Kosten der verbrauchten Brennstoffe und ihrer Lieferung, die Kosten des Betriebsstroms, die Kosten der Bedienung, Überwachung und Pflege der Anlage, der regelmäßigen Prüfung ihrer Betriebsbereitschaft und Betriebssicherheit einschließlich der Einstellung durch eine Fachkraft, der Reinigung der Anlage und des Betriebsraums, die Kosten der Messungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die Kosten der Anmietung oder anderer Arten der Gebrauchsüberlassung einer Ausstattung zur Verbrauchserfassung sowie die Kosten der Verwendung einer Ausstattung zur Verbrauchserfassung einschließlich der Kosten der Eichung sowie der Kosten der Berechnung und Aufteilung (§ 2 Nr. 6 Buchst. a i. V. m. Nr. 4 Buchst. a BetrKV).
b) Rechtliche Würdigung nach nationalem Recht und Erheblichkeit der Vorlagefrage
Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. Sofern § 4 Nr. 13 UStG mit Unionsrecht vereinbar ist, ist die Klägerin nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt. In dem Umfang, in welchem die vorsteuerbelasteten Kosten – insbesondere die Anschaffungskosten des BHKW – für die Erzeugung von Wärme entstehen, würde § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 i. V. m. § 4 Nr. 13 UStG den Vorsteuerabzug ausschließen. Denn die Klägerin liefert als Wohnungseigentümergemeinschaft Wärme an die Wohnungseigentümer bzw. Teileigentümer. Ist die Steuerbefreiung hingegen nicht mit Unionsrecht vereinbar, so kann die Klägerin wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts deren Anwendung ablehnen (vgl. Balkan and Sea Properties und Provadinvest, C-621/10 und C-129/11, ECLI:EU:C:2012:248; , BStBl II 2015, 513) und den vollen Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen.
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage entfällt auch nicht deshalb, weil nach § 9 Abs. 1 UStG ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 13 EStG möglich ist. Zumindest ein Teil der Wärme wird an Abnehmer geliefert, die keine Unternehmer sind. Außerdem hat die Klägerin den Verzicht nicht erklärt. Hierzu wäre ein Mehrheitsbeschluss der WEG erforderlich (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 2 Z BR 28/96, Umsatzsteuerrundschau 1997, 481).
2. Vereinbarkeit mit Unionsrecht
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es nicht eindeutig, ob § 4 Nr. 13 UStG mit den Regelungen der MwStSystRL vereinbar ist.
a) Unionsrechtlicher Rahmen
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL unterliegen Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt, der Mehrwertsteuer.
Artikel 9 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt:
Als „Steuerpflichtiger” gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als „wirtschaftliche Tätigkeit” gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.
Nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL gilt als „Lieferung von Gegenständen” die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
Gemäß Artikel 15 Abs. 1 MwStSystRL sind Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt.
Nach Artikel 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten die Umsätze aus der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Steuer.
Gemäß Artikel 136 befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer:
a) die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund der Artikel 132, 135, 371, 375, 376, 377, des Artikels 378 Absatz 2, des Artikels 379 Absatz 2 sowie der Artikel 380 bis 390 von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hat;
b) die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung gemäß Artikel 176 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war.
b) Rechtliche Erwägungen zur Vereinbarkeit von § 4 Nr. 13 UStG mit der MwStSystRL
Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt ein Mitgliedstaat gegen Unionsrecht, wenn er eine vom Unionsrecht nicht gedeckte Steuerbefreiung einführt und beibehält (, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-3827).
aa) In der deutschen Rechtsliteratur ist die Frage umstritten, ob für die Steuerbefreiung des Art. 4 Nr. 13 UStG eine unionsrechtliche Ermächtigungsgrundlage besteht (vgl. eingehend zum Streitstand mit umfangreichen Nachweisen Schumann in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 13 Steuerbefreiung bei Leistungen der Gemeinschaften der Wohnungseigentümer an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer, Lfg. 8/17 – XI/17, Rn. 7 bis 15).
Während einige Autoren der Auffassung sind, dass § 4 Nr. 13 UStG mit der Richtlinie 2006/112/EG nicht vereinbar und deshalb unanwendbar sei (z. B. Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, 312. AL 3/2019, § 4 Nr. 13 UStG Steuerbefreiung für Leistungen der Wohnungseigentümer-Gemeinschaften, Rn. 5a; Schumann in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 13 Steuerbefreiung bei Leistungen der Gemeinschaften der Wohnungseigentümer an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer, Lfg. 8/17 – XI/17, Rn. 15), bejahen andere die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Unionsrecht, wobei verschiedene Begründungsansätze existieren:
Teilweise wird Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL, wonach die Mitgliedsstaaten die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Steuer befreien können, für eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gehalten (so z. B. Spilker in Beck'scher Online-Kommentar UStG, 20. Auflage, Stand , UStG § 4 Nr. 13 Rn. 20; Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 1. Aufl. 1995, 150. Lieferung, Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen UStG, Rn. 5).
Andere sind der Auffassung, dass § 4 Nr. 13 UStG von der Protokollerklärung Nr. 7 der Ratstagung am (abgedruckt bei Lohse in Rau/Dürrwächter, UStG, 180. Lieferung 01.2019, Bd. VII, zu Art. 13 a. F.) zu Art. 13 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) gedeckt sei (so , Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1344, ECLI:DE:FGSN:2009:0114.2K1725.06.0A, allerdings zur Rechtslage vor Inkrafttreten der MwStSystRL; ebenso die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Umsatzsteuergesetztes – UStG 1979, Bundestagsdrucksache 8/1779 vom , Seite 34, abrufbar im Internet unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/08/017/0801779.pdf). Die Protokollerklärung Nr. 7 besagt, „Der Rat und die Kommission erklären, daß die Mitgliedstaaten die Bereitstellung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gebrauch, zur Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung sowie die Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen durch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer von der Mehrwertsteuer befreien können.” Teilweise wird die Protokollerklärung unmittelbar als Ermächtigungsgrundlage angesehen, teilweise als Präzisierung von Art. 13 Abschn. B Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG. Die Anwendbarkeit unter dem Regime der MwStSystRL wird mit Art. 136 Buchst. a MwStSystRL in Verbindung mit der Protokollerklärung 1 zur MwStSystRL begründet, worin es heißt, dass in Anbetracht der früheren Protokollerklärungen zur Richtlinie 77/388/EWG und der späteren Änderungsrichtlinien der Rat und die Kommission bestätigten, dass diese von der Aufhebung dieser Richtlinien nicht berührt werden.
Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass § 4 Nr. 13 UStG nur deklaratorischen Charakter habe, weil bei einer Leistung einer WEG an die Eigentümer ohnehin kein steuerbarer Umsatz vorliege. Teils wird die Unternehmereigenschaft der WEG verneint (Stadie in Stadie, Umsatzsteuergesetz, 3. Auflage 2015, § 4 Nr. 13 UStG, Rn. 3), teils die Leistung gegen Entgelt, da die Kostenumlage nur einen Gesamtschuldnerausgleich im Sinne des § 426 BGB darstelle (so Hummel in Rau/Dürrwächter, UStG, 180. Lieferung 01.2019, § 4 Nr. 13 UStG, Rn. 75)
bb) Soweit ersichtlich hat der EuGH zu dieser Frage noch keine Stellung bezogen und auch kein Urteil gefällt, dessen Grundsätze sich dergestalt auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen ließen, dass die Entscheidung in die eine oder andere Richtung evident im Sinne eines „acte clair” (vgl. in der Rechtsache 283/81, CILFIT, Slg 1982, 3415 juris) wäre. Der BFH ging in einer Entscheidung jüngeren Datums offensichtlich davon aus, dass § 4 Nr. 13 UStG anwendbar ist, ohne sich mit der Frage der Vereinbarkeit der Vorschrift mit Unionsrecht auseinandersetzen zu müssen (vgl. , BStBl II 2019, 160, VI. 1. B, Rn. 56).
cc) Der Senat hält die Vereinbarkeit des § 4 Nr. 13 UStG mit der MwStSystRL für zweifelhaft.
(1) Art. 135 Buchst. l MwStSystRL ist nach seinem Wortlaut nicht ohne Weiteres anwendbar. Eine Definition des Begriffs „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken” enthält die MwStSystRL nicht. Der EuGH hat den Begriff dahingehend definiert, dass dem Mieter vom Vermieter eines Grundstücks auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, dieses Grundstück in Besitz zu nehmen und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen. Er hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Begriffe, mit denen die in Art. 135 Abs. 1 MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, also auch die Begriffe „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken”, eng auszulegen seien, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt ( Mailat, C-17/18, ECLI:EU:C:2018:1038, Rn. 36 und 37, m. w. N.). Vor diesem Hintergrund bestehen Zweifel, ob § 4 Nr. 13 UStG auf die Steuerbefreiung für Vermietung und Verpachtung gestützt werden kann.
(2) Nach Auffassung des Senats kann die Vorschrift nicht auf die Protokollerklärung Nr. 7 zu Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 136 MwStSystRL und die Protokollerklärung Nr. 1 zur MwStSystRL gestützt werden. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Protokollerklärung zur Auslegung einer Bestimmung nicht herangezogen werden, wenn der Inhalt der Erklärung in der fraglichen Bestimmung keinen Ausdruck gefunden und somit keine rechtliche Bedeutung hat (vgl. z. B. Antonissen, C-292/89, Slg 1991, I-745 und vom in der Rechtssache C-329/95, Slg 1997, I-2675). Der Senat erkennt weder in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG noch in Art. 136 MwStSystRL ausreichende Anhaltspunkte für einen gesetzgeberischen Willen, die Lieferung von Wärme durch eine WEG an die Wohnungseigentümer von der Steuer zu befreien.
(3) Jedoch könnte die Protokollerklärung als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass die Kommission und der Rat u. a. die Wärmelieferung von Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer nicht als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 77/388/EWG, der Vorgängervorschriften von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, angesehen haben (so wohl auch Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, 84. EL September 2018, UStG § 4 Nr. 13 Rn. 5 f. unter Hinweis auf ein Urteil des französischen Conseil d'État vom in der Rechtssache Nr. 212273, ECLI:FR:CEORD:2001:212273.20011207, abrufbar auf der Internetseite http://www.conseil-etat.fr/Decisions-Avis-Publications/Decisions/ArianeWeb, wonach u. a. die Lieferung von Warmwasser durch ein Syndicat de copropriétaires an die Miteigentümer keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des französischen Umsatzsteuerrechts sei). Folgt man dieser Auffassung, so scheidet die Berechtigung zum Vorsteuerabzug schon deshalb aus, weil die Klägerin keine Steuerpflichtige im Sinne der Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, 9 Abs. 1 und 168 MwStSystRL wäre. § 4 Nr. 13 UStG wäre überflüssig und hätte nur deklaratorischen Charakter.
3. Der beschließende Senat setzt das Verfahren entsprechend § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem EuGH gemäß Art. 267 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Buchst. a AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
Sind die Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) dahingehend auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Lieferung von Wärme durch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer von der Mehrwertsteuer befreit ist?
4. Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 128 Abs. 2 FGO (, BStBl II 1981, 324; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand: 7/2017, § 128 Rn. 35).
Fundstelle(n):
DB 2019 S. 15 Nr. 32
KÖSDI 2019 S. 21389 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2020 S. 8
UR 2019 S. 624 Nr. 16
UStB 2019 S. 226 Nr. 8
NAAAH-27770