Hessisches Finanzgericht  Urteil v. - 9 K 1382/18 EFG 2019 S. 751 Nr. 10

Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgebeiträge bei fehlender Vorlage der Anlage AV

Leitsatz

1. Der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die Anlage AV zur Einkommensteuererklärung abgegeben hat. Die Vorlage der elektronisch übermittelten Informationen über die von den Klägern geleisteten Altersvorsorgebeiträge ohne eine ausgefüllte Anlage AV reicht nicht aus, damit der Beklagte eindeutig erkennen kann, dass in dem vorliegenden Fall eine Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 EStG mit dem Ergebnis eines Sonderausgabenabzugs hätte durchgeführt werden müssen. Wird in solchen Fällen vom Finanzamt der Sonderausgabenabzug nicht durchgeführt, scheidet nach Bestandskraft des Bescheides eine Korrektur aus.

2 .Auch ein Steuerpflichtiger dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, muss im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten, um eine grobe Fahrlässigkeit für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO auszuschließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind.

Gesetze: EStG § 10a; EStG § 10; AO § 129; AO § 173; AO § 175b

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkommensteuerbescheide im Hinblick auf die Berücksichtigung von Altersvorsorgebeiträgen noch änderbar sind.

Die Kläger wurden in den Streitjahren 2012 bis 2015 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger leisteten in den Streitjahren Altersvorsorgebeiträge i.S.d. § 82 Einkommensteuergesetz - EStG -. In den Streitjahren hatten die Kläger auch eine Einwilligung zur Datenübermittlung gemäß § 10a Abs. 2a EStG abgeben. Die entsprechenden Daten lagen dem FA im Zeitpunkt der Veranlagung vor. Die Kläger hatten jedoch den Steuererklärungen für die Streitjahre keine Anlagen AV beigefügt.

Die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre wurden zu folgenden Daten erlassen:

2012: (geändert durch Bescheid vom )

2013:

2014:

2015: .

Ein Sonderausgabenabzug für die Altersvorsorgebeiträge wurde nicht gewährt. Die Bescheide wurden mit Ablauf der Rechtsbehelfsfristen bestandskräftig.

Mit beim beklagten Finanzamt - FA - am eingegangenen Schreiben stellten die Kläger Anträge auf Änderung nach § 129 Abgabenordnung - AO - hinsichtlich der erstmaligen Berücksichtigung von Sonderausgaben gemäß § 10a EStG. Zur Begründung trugen die Kläger vor, dass die in § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. der Streitjahre vorgesehene Günstigerprüfung durch die Finanzverwaltung nicht erfolgt sei. In den Erläuterungen des Einkommensteuerbescheids für 2015 sei sogar festgehalten, dass Beiträge zu einer zusätzlichen Altersvorsorge in der vom Anbieter elektronisch übermittelten Höhe angesetzt worden seien, was tatsächlich jedoch nicht erfolgt sei.

Mit Schreiben vom lehnte das beklagte FA die Anträge auf Änderung ab. Der Beklagte begründete die Ablehnung damit, dass die amtlichen Steuererklärungsvordrucke für den Sonderausgabenabzug entsprechende Angaben in der Anlage AV verlangten und auch die einschlägige Verwaltungsanweisung (vgl. Bundessteuerblatt - BStBl. - I 2013, 1022, Rz. 96) zur Voraussetzung der Günstigerprüfung einen entsprechenden Antrag in der Anlage AV machten. Ein solcher Antrag sei jedoch in den elektronisch übermittelten Steuererklärungen der Kläger nicht vorhanden gewesen. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 129 AO nicht vor. Zwar könne die Vorschrift auch in den Fällen angewendet werden, in denen sich ein Fehler aus den Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung ergebe. Die Anwendbarkeit des § 129 AO sei jedoch hierbei auf solche Fälle beschränkt, bei denen die Fehlerhaftigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen dem FA als offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen sei, was hier nicht der Fall sei. Weitere Korrekturvorschriften kämen nicht in Betracht.

Mit beim beklagten FA am eingegangenen Schreiben legten die Kläger Einsprüche gegen die Ablehnung der Änderungsanträge ein. Zur Begründung trugen sie vor, dass der Sonderausgabenabzug des § 10a EStG ausweislich des Gesetzeswortlautes weder einen Antrag des Steuerpflichtigen noch die Beifügung der ausgefüllten Anlage AV verlange. Erforderlich sei nach der Norm vielmehr nur die Zustimmung der Steuerpflichtigen zur elektronischen Übertragung ihrer Daten. Diese Zustimmung der Kläger habe aber vorgelegen und somit seien die relevanten Daten der Finanzverwaltung auch bekannt gewesen. Aus § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG ergebe sich darüber hinaus unmissverständlich, dass die Günstigerprüfung von Amts wegen vorgenommen werde und kein Antrag des Steuerpflichtigen verlangt werde. Außerdem sei bereits bei der Einkommensteuerveranlagung 2011 eine Günstigerprüfung durch den Beklagten erfolgt, obwohl auch dort die Anlage AV nicht ausgefüllt worden sei. Die Günstigerprüfung für die Jahre 2012 bis 2015 sei nach alldem nur irrtümlich unterblieben, da lediglich versäumt worden sei, die verfügbaren elektronischen Daten in der Einkommensteuerveranlagung zu verarbeiten. Dass bei der Veranlagung von Seiten des Beklagten rechtliche Überlegungen angestellt worden seien, sei nicht ersichtlich. Im Übrigen sei den Begründungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom betreffend das sog. Steuerbürokratieabbaugesetz nachvollziehbar zu lesen, dass die Steuerpflichtigen ab dem Veranlagungszeitraum 2010 vom Beifügen von Papierbescheinigungen entlastet werden sollten, wenn diese die Einwilligung zum Datentransfer erteilten.

Mit Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Er wiederholte im Wesentlichen die Begründung in seinem Ablehnungsschreiben vom , wonach für den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG entsprechende Angaben in der Anlage AV zwingend erforderlich seien. Diese Angaben, zusammen mit den elektronisch übermittelten Beitragsdaten der Anbieter, seien unabdingbar für die von Amts wegen durchzuführende Günstigerprüfung. Im Hinblick auf die Kläger lägen zwar die Beitragsdaten der Anbieter vor, nicht aber die erforderliche Anlage AV.

Die Kläger haben am gegen die Ablehnung der Änderungsanträge Klage erhoben. Sie wiederholen im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren, wonach § 10a EStG nach seinem Wortlaut weder einen Antrag des Steuerpflichtigen noch die Abgabe der Anlage AV verlange. Diese Anlage enthalte ohnehin keine zusätzlichen oder ergänzenden Angaben, die der Finanzverwaltung durch die elektronische Übermittlung nicht bereits sowieso vorlägen. Durch die Nichtberücksichtigung der beim Beklagten vorhandenen und auszuwertenden sowie zu berücksichtigenden Daten liege ein ganz offensichtlicher Fehler des Beklagten selbst vor, weil er trotz vorliegender Daten nur irrtümlich die Günstigerprüfung des § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vorgenommen habe, obwohl diese hätte vorgenommen werden müssen.

Die Kläger beantragen,

die Einspruchsentscheidung des Beklagten aufzuheben und die Einkommensteuerfestsetzungen nach § 129 AO zu berichtigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung und trägt hilfsweise vor, dass eine Änderungsmöglichkeit nach § 129 AO ausgeschlossen sei, soweit bereits eine ernsthafte, nicht nur theoretische Möglichkeit bestehe, dass ein Rechtsanwendungsfehler seitens des Beklagten vorliege oder der Beklagte seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt habe. Selbst wenn man der Argumentation der Kläger folge, der Beklagte hätte die Aufwendungen bei der erstmaligen Veranlagung auch ohne das Vorliegen der Anlage AV berücksichtigen müssen, bestehe zumindest eine ernsthafte Möglichkeit einer mangelnden Sachverhaltsermittlung oder falschen Rechtsauslegung seitens des Beklagten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Dem Senat hat die einschlägige Verfahrensakte des Beklagten vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Es besteht keine Verpflichtung des Beklagten zur Änderung der streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide (vgl. § 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Da die Bescheide bereits sämtlich bestandskräftig sind, hätte das Rechtsschutzbegehren der Kläger nur Erfolg, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturnorm erfüllt wären. Dies ist allerdings nicht der Fall:

1. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. hierzu und zu allem Folgenden , BFHE 162, 115). Eine offenbare Unrichtigkeit kann jedoch auch vorliegen, wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt. Jedoch ist eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter unterlassene Sachverhaltsermittlung kein mechanisches Versehen. In solchen Fällen hat das FA zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zuungunsten des Steuerpflichtigen ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen. Sie schließt vielmehr in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus.

§ 129 AO ist bereits dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (vgl. hierzu und zum Folgenden , BFH/NV 2009, 1394). Ob jede Möglichkeit einer unvollständigen Sachaufklärung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die objektive Feststellungslast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist eine offenbare Unrichtigkeit im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Soweit man eine Unrichtigkeit der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre deshalb annähme, weil die Kläger in den Streitjahren Altersvorsorgebeiträge geleistet haben und eine entsprechende Berücksichtigung dieser Beiträge als Sonderausgaben entgegen § 10a Abs. 1 und 2 EStG in der Fassung der Streitjahre nicht erfolgt ist, war jedenfalls eine solche Unrichtigkeit dem Beklagten nicht offenbar. Zwar haben nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Verfahrensbeteiligter dem zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten bei der Veranlagung der streitgegenständlichen Jahre elektronisch übermittelte Informationen über die von den Klägern geleisteten Altersvorsorgebeiträge vorgelegen. Aus dieser Tatsache ergibt sich aber nicht, dass dem Beklagten eindeutig erkennbar gewesen wäre, dass in dem vorliegenden Fall eine Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 EStG mit dem Ergebnis eines Sonderausgabenabzugs hätte durchgeführt werden müssen. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn dem Beklagten zugleich die von den Klägern ausgefüllte Anlage AV vorgelegen hätte, in welcher die Kläger erklärt hätten, dass der zusätzliche Sonderausgabenabzug geltend gemacht werde (vgl. Zeile 6 der Anlage AV in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung). Entgegen der Auffassung der Kläger, wonach die Nichtabgabe der Anlage AV nur auf einem Versehen beruhen könne, gibt es auch noch andere Möglichkeiten, wie ein potentieller Erklärungsempfänger diese Nichtabgabe der Anlage AV hätte auffassen können. So wäre z.B. der Fall nicht fernliegend, dass die Kläger bewusst auf die Angabe in der Steuerklärung verzichtet haben, weil sie gar keine Beiträge mehr geleistet haben, der Anbieter der Altersvorsorge aber fälschlicherweise gleichwohl noch Beitragszahlungen bescheinigt (und übermittelt) hat, obwohl die zugrundeliegenden Verträge bereits beendet wurden. Die Nichtabgabe der Anlage AV hätte dann den Zweck gehabt, keinen ungerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen. Eine solche Konstellation ist nicht unrealistisch, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die nach § 10a Abs. 2a Satz 1 EStG erforderliche Einwilligung zur Datenübermittlung – soweit sie einmal erteilt wurde – gemäß § 10a Abs. 2a Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 2a Satz 2 EStG für die Folgejahre fortgilt, solange sie nicht widerrufen wird.

Das Beispiel zeigt, dass der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten nicht vorbehaltlos von einem Versehen der Kläger ausgehen durfte, sondern vielmehr noch weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes hätte anstellen müssen. Es liegt folglich keine ”offenbare Unrichtigkeit“ i.S.v. § 129 AO vor. Dass der betreffende Sachbearbeiter nun möglicherweise den weiteren Ermittlungsbedarf übersehen hat, genügt hingegen nicht für eine Korrektur nach § 129 AO (ebenso , zitiert nach juris, zu der Nichtangabe von Kindern und der gleichzeitigen Beifügung einer Lohnsteuerbescheinigung im Hinblick auf die Günstigerprüfung des § 31 Satz 4 EStG).

Soweit schließlich die Kläger im Einspruchsverfahren darauf hingewiesen haben, dass im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2011 eine Günstigerprüfung durch den Beklagten erfolgt sei, obwohl auch dort keine Anlage AV eingereicht worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass keine offenbare Unrichtigkeit mit der Folge der Anwendung des § 129 AO gegeben ist, wenn der Beklagte zur Beurteilung des Sachverhaltes Steuerakten aus den Vorjahren hinzuziehen muss (vgl. , BFHE 162, 115). Im Übrigen ergibt sich aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung, dass die (Nicht-)Einreichung der Anlage AV für ein bestimmtes Jahr keine Rolle für die Beurteilung eines anderen Jahres spielen kann.

2. Auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet aus. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Es kann dahinstehen, ob die für die Anwendung des § 10a EStG maßgeblichen Tatsachen dem Beklagten hier erst nachträglich bekannt geworden sind. Jedenfalls trifft die Kläger ein grobes Verschulden an der Nichtabgabe der Anlage AV.

Grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 173 Rn. 112 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, muss im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind. Auch muss der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen (vgl. zu allem , BFH/NV 2012, 545).

In den amtlichen Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungen der streitgegenständlichen Jahre wird darauf hingewiesen, dass ”in besonderen Fällen weitere Anlagen erforderlich sein können, auf die dann in den Vordrucken hingewiesen wird, z. B.: […] AV [für] den zusätzlichen Abzug von Altersvorsorgebeiträgen als Sonderausgaben“. In Zeile 6 der Anlage AV in der Fassung der streitgegenständlichen Jahre befindet sich die Überschrift ”Für alle vom Anbieter übermittelten Altersvorsorgebeiträge wird ein zusätzlicher Sonderausgabenabzug geltend gemacht“, woraufhin in den Zeilen 7 bis 9 Felder vorgesehen sind, in welche der Steuerpflichtige nähere Angaben zu den Altersvorsorgebeiträgen eintragen kann. Bei einer sorgfältigen Lektüre der Anleitungen und Anlagen zu den Einkommensteuererklärungen hätten die Kläger zumindest Zweifel hegen müssen, ob die alleinige elektronische Übermittlung der Anbieterdaten für einen Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG ausreicht, und diesen Zweifeln nachgehen müssen. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum der Kläger scheidet somit nach Auffassung des Senats aus. Sollten sich die Kläger bei Erstellung der Einkommensteuererklärungen eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe bedient haben, hätten sie dessen grobes Verschulden ebenfalls zu vertreten (vgl. , BFHE 211, 401).

In diesem Zusammenhang verfängt auch nicht die Argumentation der Kläger, die Günstigerprüfung sei nach § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG von Amts wegen vorzunehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 EStG hat der Steuerpflichtige die Verpflichtung, eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Die Anlagen zu der Erklärung, wie sie amtlich vorgedruckt sind, bilden einen Teil dieser Erklärung (vgl. Pflüger, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Stand Juni 2016, § 25 EStG Rn. 45). Die Verpflichtung gemäß § 25 Abs. 3 EStG umfasst somit auch die Abgabe der amtlichen Anlagen. Auch der Gesetzgeber des § 10a EStG ist in selbstverständlicher Weise davon ausgegangen, dass der Sonderausgabenabzug nur gewährt wird, wenn er von dem Steuerpflichtigen entsprechend beantragt wird (vgl. Bundestags-Drucksache 16/10188, S. 24: ”Beantragt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung die Gewährung des Sonderausgabenabzugs nach § 10a EStG, werden die [vom Anbieter elektronisch übermittelten] Daten entsprechend berücksichtigt“). Dieser Auffassung des Gesetzgebers folgen Finanzverwaltung (vgl. für die Streitjahre BStBl. I 2013, 1022, Rz. 96; nachfolgend BStBl. I 201, 93 Tz. 101) und Literatur (vgl. Lindberg, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, Stand Oktober 2018, § 10a EStG Rn. 48; Hahner, in: Bordewin/Brandt, EStG, Stand September 2016, § 10a Rn. 82; Myßen, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand Mai 2004, § 10a Rn. D9 f.; Braun, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Stand Juli 2015, § 10a EStG Rn. 26; Arteaga/Veit, in: Korn, EStG, Stand August 2015, § 10a Rn. 24) soweit ersichtlich einhellig, indem sie die Abgabe der Anlage AV zur Voraussetzung des Sonderausgabenabzugs machen.

3. Weitere einschlägige Korrekturnormen sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist § 175b Abs. 1 AO, wonach ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern ist, soweit von einer mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden, für die Streitjahre noch nicht anwendbar (vgl. Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO). Für die streitgegenständlichen Veranlagungszeiträume grundsätzlich anwendbar ist hingegen die Änderungsvorschrift des § 10a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 2a Satz 6-8 EStG a.F. Es kann hier dahinstehen, ob diese Vorschrift überhaupt den Fall der Änderung eines Steuerbescheids aufgrund der erstmaligen Übermittlung von elektronischen Daten des Anbieters an die Finanzverwaltung erfasst oder sie sich nicht vielmehr auf den Fall der Änderung aufgrund der Übermittlung von korrigierten Daten beschränkt, da § 10a Abs. 5 Satz 2 EStG a.F. nur auf § 10 Abs. 2a Satz 6-8 EStG a.F. verweist und nicht zugleich § 10 Abs. 2a Satz 4 EStG a.F. bzw. § 10a Abs. 5 Satz 1 EStG a.F. in Bezug nimmt (nur von einer Korrekturmöglichkeit aufgrund übermittelter korrigierter Daten sprechend Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 10a Rn. 22; Lindberg, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, Stand April 2012, § 10a EStG Rn. 64). Eine Änderung nach dieser Vorschrift scheidet bereits aus dem Grund aus, weil wie oben dargelegt nach der gesetzgeberischen Konzeption der Günstigerprüfung des § 10a Abs. 2 EStG die Abgabe der Anlage AV integrale Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug ist. Solange die Anlage AV nicht abgegeben ist, sind die Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs nicht erfüllt. Wenn nun die Steuer ohne Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs festgesetzt wird, weil dessen Voraussetzungen nicht vollständig vorliegen, kann die Steuerfestsetzung nicht materiell unrichtig sein. Eine solche materielle Unrichtigkeit ist aber Voraussetzung für die Anwendung jeder Korrekturvorschrift (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand April 2017, Vor § 172 AO Rn. 2).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

5. Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
EFG 2019 S. 751 Nr. 10
ErbStB 2019 S. 165 Nr. 6
MAAAH-11643