FG Baden-Württemberg Urteil v. - 5 K 500/17 EFG 2018 S. 1444 Nr. 17

Von einem Arbeitnehmer nach einem Autounfall auf dem Weg zur Arbeit selbst getragene Behandlungs- und Operationskosten nicht zusätzlich zur Entfernungspauschale als Werbungskosten abziehbar

Leitsatz

Auch vom Steuerpflichtigen selbst getragene Behandlungs- bzw. Krankenhauskosten nach einem Autounfall (im Streitfall: operative Nasen- und Ohrenmuschelkorrektur zur Wiederherstellung des zertrümmerten Gerichtsknochens und des Nasenbeins) auf dem Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sind mit der Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG abgegolten (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG) und nicht zusätzlich zur Entfernungspauschale als Werbungskosten abziehbar. Aufgrund der Zugehörigkeit der Aufwendungen zu den Werbungskosten scheidet auch ein Abzug als außergewöhnliche Belastungen aus (gegen H 9.10 der LStH 2014, wonach Unfallkosten grundsätzlich als allgemeine Werbungskosten neben der Entfernungspauschale berücksichtigt werden können).

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, EStG § 9 Abs. 1 S. 1, EStG § 9 Abs. 1 S. 2, EStG § 9 Abs. 2 S. 1, EStG § 33 Abs. 2 S. 2, LStH 2014 H 9.10

Instanzenzug: Verfahren Urteil

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Abzugsfähigkeit von ärztlichen Behandlungskosten nach einem Autounfall auf dem Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte als Werbungskosten.

Die verheirateten Kläger wurden im Streitjahr 2014 zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Beide Kläger erzielten als kaufmännische Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die Klägerin außerdem Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Kläger haben zwei sich in Ausbildung befindliche Kinder, für die sie im Streitjahr kindergeldberechtigt waren.

Die Klägerin machte in ihrer am beim Beklagten eingereichten ESt-Erklärung Kosten in Höhe von 2.402,00 EUR für einen Autounfall geltend, den sie im Februar 2013 auf ihrem Arbeitsweg erlitten hatte. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um von der Klägerin getragene Kosten für eine operative Nasen- und Ohrmuschelkorrektur.

Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Bescheid vom zur ESt und behandelte die streitgegenständlichen Kosten dabei hauptsächlich als nicht abzugsfähig. Lediglich Kosten für Kontaktlinsen und Zuzahlungen wurden in Höhe von insgesamt 545,39 EUR als außergewöhnliche Belastung anerkannt, wobei dies keine steuerlichen Auswirkungen hatte. Die Summe der anerkannten außergewöhnlichen Belastungen betrug 2.250,00 EUR.

Gegen diesen ESt-Bescheid legten die Kläger mit Schriftsatz vom Einspruch ein, mit dem sie weiterhin die Anerkennung der unfallbedingten Kosten in Höhe von 2.402,00 EUR als Werbungskosten begehrten. Da diese Kosten im Nachgang des Unfalls auf dem Rückweg von der Arbeit entstanden seien, unterfielen sie als Folgekosten der Einkunftsart „nichtselbständige Arbeit” und seien also als Werbungskosten abzugsfähig. Dabei sei es zur Wiederherstellung des zertrümmerten Gesichtsknochens und des Nasenbeins der Klägerin auch notwendig gewesen, die konkreten ärztlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen, obgleich die Berufsgenossenschaft die Kosten nicht übernommen habe. Dies liege allein daran, dass die Leistungen nicht zur sog. Grundversorgung zählten. Für die medizinische Behandlung sei mit 2.000,00 EUR zudem ein faires Pauschalhonorar vereinbart worden.

Im Einspruchsverfahren forderte der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom auf, Unterlagen zum Schriftverkehr mit der Berufsgenossenschaft vorzulegen. Dieses Verlangen wiesen die Kläger mit der Begründung zurück, ein solcher Schriftverkehr habe gar nicht stattgefunden, da sich das behandelnde Krankenhaus hinsichtlich der Frage der Kostenübernahme üblicherweise direkt an die Berufsgenossenschaft wende. Zudem übernehme diese, wie vorgetragen, lediglich eine Grundversorgung, zu der der für die „Wiederherstellung des Gesichts” der Klägerin notwendige ärztliche Eingriff ohnehin nicht gezählt habe.

Mit Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Nach Auffassung des Beklagten seien gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sämtliche Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte bereits durch die Entfernungspauschale abgegolten. Für Behandlungs- bzw. Krankenhauskosten nach einem Wegeunfall kämen die gleichen Grundsätze zur Anwendung wie für Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Reparatur eines bei einem Wegeunfall beschädigten PKW entstünden. Insoweit könne auf das (Az.: VI R 29/13) verwiesen werden. Ein Abzug der streitgegenständlichen Kosten als Werbungskosten sei danach ausgeschlossen. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG sei eindeutig und verstoße als zulässige Pauschalierung nicht gegen Verfassungsrecht. Auch ein Abzug der Behandlungskosten gemäß § 2 Abs. 4 i.V.m. § 33 EStG scheide – ungeachtet der Frage, ob diese überhaupt als außergewöhnliche Belastung zu qualifizieren seien – von vorneherein aus, da die Kosten jedenfalls die zumutbare Belastung gem. § 33 Abs. 1, 3 EStG nicht überstiegen.

Gegen den ESt-Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhoben die Kläger mit Schriftsatz vom Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg, mit der sie ihr Begehren – unter Bezugnahme auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren – vollumfänglich weiterverfolgen. Sie tragen vor, dass (Behandlungs-)Kosten eines Wegeunfalls durchaus neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abzugsfähig seien und verweisen insoweit auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Meister auf eine Anfrage des Abgeordneten Dr. Troost in BT-Drs. 18/8523 vom respektive den darin zum Ausdruck kommenden Willen der Bundesregierung. Dieser stelle eine Abkehr von der Rechtsprechung des (a.a.O.) dar. Im vorliegenden Fall sei jedenfalls von der durch die Bundesregierung insoweit geschaffenen Möglichkeit des Abzugs der Kosten aus Billigkeitsgründen Gebrauch zu machen. Die Klarstellung des parlamentarischen Staatssekretärs sei eindeutig, woran der Beklagte gebunden sei.

Obgleich sie in mehreren Schriftsätzen bemüht gewesen seien, das Prozedere zwischen der behandelnden Klinik und dem Kostenträger Berufsgenossenschaft darzulegen, wolle der Beklagte dies nicht verstehen. Dieser nehme nicht zur Kenntnis, dass die Klinik regelmäßig vor einem Eingriff mit dem Kostenträger die Kostenübernahme und den Umfang der Operation abspreche und genehmigen lasse. Auf die Ausführungen im Einspruchsverfahren werde insoweit Bezug genommen. Aufgrund der Situation, dass die Unfallspuren auch heute leider noch gut zu erkennen seien, seien sie entsetzt darüber, dass die Argumentation des Finanzamtes unterschwellig auf eine versteckte Schönheitsoperation abziele.

Die Kläger beantragen,

den ESt-Bescheid zuletzt vom dahingehend zu ändern, dass bei den nichtselbstständigen Einkünften der Klägerin weitere Werbungskosten in Höhe von 2.402,00 Euro berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom . In der Antwort der Bundesregierung zur Anfrage des Abgeordneten Dr. Troost vom werde zunächst ausgeführt, dass mit der Entfernungspauschale alle Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte abgegolten seien. Im Übrigen verweist der Beklagte darauf, dass der vorliegende Fall auch nach der von den Klägern in Bezug genommenen Äußerung der Bundesregierung nicht anders zu entscheiden sei. Danach könnten Aufwendungen für den Arbeitsweg allenfalls in Ausnahmefällen über die Entfernungspauschale hinaus als Werbungskosten Berücksichtigung finden. Ein solcher Ausnahmefall liege hier jedoch ohnehin nicht vor. Denn insoweit sei entscheidend, dass die streitgegenständliche ärztliche Behandlung der Klägerin medizinisch nicht notwendig gewesen sei. Dies ergebe sich zum einen aus der Krankenhausrechnung, die entgegen § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) Umsatzsteuer ausweise, und zum anderen aus der unterbliebenen Kostenübernahme durch die Berufsgenossenschaft.

Der Beklagte änderte den ESt-Bescheid für das Streitjahr zuletzt am nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hinsichtlich hier nicht streitiger Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb ab. Der Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt nunmehr 146.437,00 EUR.

Auf Nachfrage der Berichterstatterin im Erörterungstermin am erläuterten die Kläger, dass sie wegen der Kostenübernahme kein Verfahren gegen die Berufsgenossenschaft geführt hätten. Diese habe nur die Grundversorgung übernommen. Eine Erstattung durch die Krankenkasse sei wiederum nicht in Betracht gekommen, da die Berufsgenossenschaft gegenüber dieser vorrangig einzustehen habe. Sie begehren die Anwendung der Billigkeitsregelung, wie in der Äußerung des parlamentarischen Staatssekretärs in der vorgelegten Bundestagsdrucksache beschrieben.

Mit Schriftsatz vom , der am bei Gericht eingegangen ist, trugen die Kläger ergänzend vor, mittlerweile ohne Erfolg Kostenübernahmeanträge bei der Berufsgenossenschaft und der Krankenkasse gestellt zu haben. Sie legten Kopien des insoweit erfolgten Schriftverkehrs vor. Aus diesen Dokumenten sei ersichtlich, dass eine notwendige (Erst-)Behandlung vorgelegen habe, die mit Fallpauschalen abgegolten und dadurch nicht die vollen Wiederherstellungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Darum seien zusätzliche ärztliche Leistungen notwendig gewesen. Auch noch nach der medizinischen Erstbehandlung habe eine traumatische, also unfallbezogene Schädigung der Nasenpartie vorgelegen, die durch die dann erfolgten Operationsleistungen habe behandelt werden können. Dies bestätige der Kollegenbrief des Dr. Y. an den einweisenden HNO Dr. Z. vom klar.

Diese Operationsleistungen seien nicht mehr durch das Gesundheitswesen gedeckt.

Die Kläger sind weiter der Auffassung, dass unfallverursachte Personenkosten steuerlich anders zu behandeln seien, als unfallbedingte Sachkosten. Allein letztere fielen unter die Entfernungspauschale. Diese Auffassung teile auch Herr A. von der OFD. Unfallverursachte Personenkosten, die wie hier auf der unmittelbaren Rückfahrt von der Arbeitsstätte, also im Rahmen der Einkunftsart nichtselbständige Arbeit entstanden seien, seien dagegen als Werbungskosten i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG unabhängig von § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1-7 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen. Damit verböte es sich nach § 33 Abs. 2 S. 2 EStG zugleich, die geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastung anzusetzen. Sie weisen insoweit auch darauf hin, dass sich die Frage der Behandlung von unfallverursachten Personenkosten in der Vergangenheit nicht gestellt habe, da das Gesundheitswesen eine Vollversicherung gesichert habe, die mittlerweile jedoch nicht mehr existiere.

Die Berufsgenossenschaft C…, habe der Klägerin mit Schreiben vom mitgeteilt: ”(…) Nach Eingang der Aufnahmeanzeige vom D-Krankenhaus G. haben wir auch dieser Klinik gegenüber die Kostenzusage erteilt und die entsprechende Rechnung über den dortigen stationären Aufenthalt vom xx.-xx.xx.2014 beglichen (…). Die Übernahme weiterer Kosten (Zusatzvereinbarungen zu Privatleistungen oder unfallunabhängige Behandlung) ist nicht möglich.” Zuvor habe die Berufsgenossenschaft bereits dem Hospital J. eine Kostenzusage für die nach den für die Sozialversicherungsträger geltenden Sätzen entsprechend der DRG-Fallpauschale erteilt. Aus den diesen Schreiben beigefügten Anlagen gehe hervor, dass das D-Krankenhaus G. am einen Kostenübernahmeantrag für die stationäre Behandlung der Klägerin bei der Berufsgenossenschaft gestellt habe. Die Berufsgenossenschaft habe die Kostenübernahme nach den für sie geltenden Sätzen zugesagt und der Klinik den am in Rechnung gestellten Betrag in Höhe von 3.485,04 EUR erstattet.

In der mündlichen Verhandlung trug die Klägerin nunmehr vor, sie sei durch den Unfall auch noch nach der medizinischen Erstbehandlung in ihrer Atmung beeinträchtigt gewesen. Dies habe sie in ihrem Beruf gestört, da sie häufig am Telefon sprechen müsse, also auf eine deutliche Aussprache angewiesen sei. Insofern sei die streitgegenständliche Folgeoperation auch notwendig für ihre Tätigkeit als kaufmännische Angestellte gewesen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze, der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten (1 Bd. ESt-Akte, 1 Bd. Rechtsbehelfsakte) verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).

1. Entgegen der Auffassung der Kläger sind die streitgegenständlichen Behandlungskosten nicht neben der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 S. 2 EStG) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

Die Behandlungskosten stellen gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG (außergewöhnliche) Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte dar. Als solche sind sie durch die Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG abgegolten, § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr (2014) geltenden Fassung sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte im Sinne des Absatzes 4 Werbungskosten. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sind durch diese Entfernungspauschale „sämtliche Aufwendungen” abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte veranlasst sind.

Die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale gilt sonach umfassend. Eine Ausnahme sieht das Gesetz allein für solche Aufwendungen vor, die durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anfallen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 EStG), sowie für Menschen mit Behinderung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 EStG). Daraus ergibt sich bereits aus dem Wortlaut wie auch systematisch, dass in sämtlichen von § 9 Abs. 2 Sätzen 2 und 3 EStG nicht erfassten Fällen auch außergewöhnliche Kosten unabhängig von ihrer Höhe unter die Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG fallen. Dies hat der BFH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung bestätigt (vgl. , BFHE 256, 86, Bundessteuerblatt –BStBl– Teil II 2017, 86; , nicht amtlich veröffentlicht, dokumentiert in Juris; sowie vom VI R 29/13, BFHE 245, 196, BStBl II 2014, 849). Hierin stimmte auch die zitierte Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Meister auf eine schriftliche Anfrage überein (abgedruckt in BT-Drucksache 18/8523 vom ; a. A. BStBl. I 2013, 1376 sowie H 9.10 LStH 2014). Insofern ist – entgegen der Auffassung der Kläger – auch nicht zwischen der Natur der außergewöhnlichen Kosten zu differenzieren. Es sind sowohl Aufwendungen für Sach- als auch für Personenschäden, die auf dem Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte entstehen, durch die Entfernungspauschale abgegolten (so auch , Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2016, 819, rkr.).

Eine anderslautende Auslegung, etwa dahingehend, dass Personenschäden nicht von der Abgeltungswirkung umfasst sind, ist nach dem Sinn und Zweck des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nach Auffassung des Senats nicht angezeigt. Denn die Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale zum Veranlagungszeitraum 2001 diente neben umwelt- und verkehrspolitischen Erwägungen auch und vor allem dem jeder Typisierung innewohnenden Gedanken der Steuervereinfachung. So sollten durch die Abgeltung „sämtlicher Aufwendungen”, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte veranlasst sind, insbesondere „Rechtsstreitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und außergewöhnlicher Kosten (z.B. Unfallkosten)” vermieden werden (BTDrucks 14/4242, S. 6; BTDrucks 14/4435, S. 9). Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn durch die Entfernungspauschale auch tatsächlich „sämtliche Aufwendungen” abgegolten werden (so ausdrücklich , BFHE 245, 196, a.a.O.).

Die umfassende Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, auch verfassungsgemäß (vgl. Beschluss vom VI R 4/15, BFHE 256, 86; Urteil vom VIII R 12/13, Juris; Urteil vom VI R 29/13, BFHE 245, 196). Der Gesetzgeber war insbesondere nicht verpflichtet, für den Fall außergewöhnlicher Aufwendungen des Arbeitnehmers eine Ausnahmeregelung zu treffen (vgl. , BFHE 245, 196). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie den immer wiederkehrenden Fahrten zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte, ist der Gesetzgeber vielmehr berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (, a.a.O.; , BVerfGE 122, 210, Bundesgesetzblatt –BGBl– I 2008, 2888; mit weiteren Nachweisen). Demgemäß erweist sich die typisierende Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für den – auch hier vorliegenden – Grundfall der immer wiederkehrenden Fahrten zur Arbeitsstätte als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (st. Rspr., z.B. , a.a.O, vom VI R 22/10, BStBl II 2012, 827, m.w.N.).

Auch soweit die Leistungen der Sozialversicherungen in den vergangenen Jahren als rückläufig betrachtet werden können, die Steuerpflichtigen Krankheits- und Behandlungskosten nunmehr also vermehrt selbst tragen müssen, wie es die Kläger vortragen, begründet dies keine Zweifel an der sach- und zweckgerechten Ausgestaltung des § 9 Abs. 1 und 2 EStG. Vielmehr handelt es sich bei diesen wie sonstigen außergewöhnlichen Kosten für den Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte um Ausnahmen von dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Regelfall, die nach den Grundsätzen zulässiger Typisierung, wie dargelegt, gerade keiner Sonderregelung bedurften.

b) Nach den vorstehenden Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, hat der Beklagte zurecht einen Werbungskostenabzug i. H. der Behandlungskosten der Klägerin versagt.

aa) Auch die streitgegenständlichen Kosten sind durch die Entfernungspauschale abgegolten, da sie durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte veranlasst sind (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der die Aufwendungen verursachende Unfall ereignete sich unstreitig auf dem Weg der Klägerin von ihrer ersten Tätigkeitsstätte zu ihrer Wohnung. Dass zwischen dem Unfall und der streitgegenständlichen Operation mehrere Monate lagen, lässt den Veranlassungszusammenhang i. S. d. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht entfallen. Mit der Operation wurde die noch nach der Erstbehandlung verbliebene, unfallbedingte Veränderung der Nase der Klägerin korrigiert. Die Behandlungskosten sind damit – ungeachtet der Frage der medizinischen Notwendigkeit der Maßnahmen – durch den Unfall verursacht.

bb) Der bestehende Veranlassungszusammenhang i. S. d. § 9 Abs. 2 S. 1 EStG wird im Streitfall nicht durch einen anderen beruflichen Zusammenhang überlagert, so dass eine vorrangige Berücksichtigung der Aufwendungen als sonstige Werbungskosten gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht in Betracht kommt (zur Möglichkeit der Überlagerung des Veranlassungszusammenhangs i. S. d. § 9 Abs. 2 S. 2 EStG Loschelder, in: Schmidt, EStG-Kommentar, 36. Aufl. 2017, m.w.N.).

Es ist bereits zweifelhaft, ob – neben dem Zusammenhang des Aufwands mit der Wegstrecke i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG – (objektiv) überhaupt ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der streitgegenständlichen Operation der Klägerin und ihrer Tätigkeit als kaufmännische Angestellte besteht. Denn nach dem Einkommensteuergesetz sind Aufwendungen nur dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie hierzu in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrundes zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (st. Rspr., vgl. , Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen – BFH/NV – 2014, 1195, m.w.N.). Ein abstrakter Kausalzusammenhang allein genügt danach nicht (vgl. , BFHE 226, 321, BStBl II 2010, 198). Auch soweit unterstellt wird, dass die Klägerin – wie zuletzt vorgetragen – vor der (Folge-)Operation ihrer Nase atmungsbedingt eine weniger deutliche Aussprache hatte und dies bei beruflichen Telefonaten zuweilen zu Verständnisschwierigkeiten führte, erscheint zumindest fraglich, ob der Zusammenhang zur beruflichen Sphäre der Klägerin insoweit steuerlich erheblich sein kann.

Jedenfalls aber würde ein solcher Veranlassungszusammenhang der Aufwendungen mit der Berufsausübung der Klägerin den Veranlassungszusammenhang der Aufwendungen mit der Heimfahrt von ihrer Tätigkeitsstätte nicht überlagern. Vielmehr erscheint letzterer als enger und damit maßgeblich (vgl. zu den Kriterien , BFHE 236, 61 BStBl II 2012, 343, m. w. N.; für einen Fall sich überlagernder Veranlassungszusammenhänge , BFH/NV 2014, 1195). Bei wertender Betrachtung der Gesamtumstände des Einzelfalls stellt sich das durch die Heimfahrt bedingte Verunfallen der Klägerin an sich als das die Aufwendungen (primär) auslösende Moment dar. Den Klägern ging es mit der Folgeoperation vorrangig um die „volle” „Wiederherstellung des zertrümmerten Gesichtsknochens und des Nasenbeins” der Klägerin, also um die vollständige Beseitigung des beim Unfall erlittenen Personenschadens. Die Kläger selbst trugen wiederholt vor, die Aufwendungen hätten der „Wiederherstellung des Gesichts” der Klägerin gedient und seien dazu auch notwendig gewesen. Auf die förderliche Wirkung der Operation auch in Bezug auf die Atmung der Klägerin sowie einen insofern bestehenden Zusammenhang zur Berufsausübung der Klägerin wies diese dagegen erstmals in der mündlichen Verhandlung hin.

cc) Angesichts der klaren Gesetzeslage verfängt zudem weder der Verweis auf das (BStBl. I 2013, 1376) sowie den Hinweis 9.10 der LStH 2014, wonach Unfallkosten grundsätzlich als allgemeine Werbungskosten neben der Entfernungspauschale berücksichtigt werden können, noch derjenige auf die Auskunft des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Meister vom (BT-Drs. 18/8523), dass der Abzug in Ausnahmefällen aus Billigkeitsgründen zugelassen werden könne. Beide Ansätze sind vielmehr mit dem Gesetz nicht zu vereinen (vgl. dazu Anmerkung Dr. Bergkemper, RiBFH, zum , jurisPR-SteuerR 33/2014 Anm. 2). Eine Anwendung der Weisungen der Finanzverwaltung – insbesondere auch ein Abzug aus Billigkeitsgründen – verbietet sich. Für die Gerichte sind sie freilich ohnehin nicht bindend (vgl. dazu , BFHE 238, 216, BStBl II 2012, 782, m.w.N.). Die streitgegenständigen Aufwendungen der Kläger sind daher allein nach den einschlägigen Normen des EStG in ihrer Ausprägung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beurteilen.

Insoweit sei darauf hingewiesen, dass den Klägern ein Abzug der Unfallkosten auch nicht unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten zusteht. Denn Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und gebietet keine „Gleichheit im Unrecht” (st. Rspr., vgl. , BFHE 258, 124, BFH/NV 2017, 1220; , BFHE 238, 216, jeweils m.w.N.).

2. Eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Behandlungskosten als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 Abs. 1 EStG scheidet aus, was zwischen den Beteiligten unstreitig war.

Da die Aufwendungen ihrer Natur nach, wie dargelegt, zu den Werbungskosten zählen, sind sie gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG – ungeachtet der Frage, ob es sich dabei überhaupt um eine außergewöhnliche Belastung i. S. d. § 33 Abs. 1 EStG handelt – von vorneherein von der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen (§ 33 Abs. 2 Satz 2). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung selbst dann, wenn sich die Aufwendungen nicht (in voller Höhe) einkunftsmindernd ausgewirkt haben (st. Rspr., vgl. beispielhaft , BFHE 193, 383, BStBl II 2001, 338).

Im Übrigen kann die Frage, ob es sich bei den Behandlungskosten um eine außergewöhnliche Belastung handelt, auch deshalb dahin gestellt bleiben, weil jedenfalls die Grenze der zumutbaren Belastung nicht überschritten ist, § 33 Abs. 1 und 3 EStG. Die zumutbare Belastung der Kläger beträgt im Streitjahr ausgehend von einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 146.437,00 EUR bei Anwendung der Grundsätze des (BStBl II 2017, 684) 5.192,78 EUR. Angesichts der im Einkommensteuerbescheid 2014 festgesetzten Summe der außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 2.250,00 EUR, in der wiederum 545,39 EUR der hier geltend gemachten Behandlungskosten von 2.402,00 EUR enthalten sind, ergäbe sich unter Berücksichtigung des strittigen Differenzbetrags (1.856,61 EUR) maximal eine außergewöhnliche Belastung in Höhe von 4.106,61 EUR.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat. Der BFH hat sich bisher zwar mehrfach mit der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale beschäftigt, allerdings betraf keiner der entschiedenen Streitfälle Aufwendungen für Personenschäden.

Fundstelle(n):
EFG 2018 S. 1444 Nr. 17
GStB 2018 S. 301 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 33/2018 S. 2376
MAAAG-92874