Steuererstattung nach Rechtsprechungsänderung
Anmerkungen zum und allgemeine Hinweise
Immer mal wieder kommt es zu Urteilen, die Steuerpflichtigen die rückwirkende Berufung auf eine Umsatzsteuerbefreiung ermöglichen. Im anschließenden Abwicklungsverfahren ergeben sich regelmäßig einige Stolperfallen, welche man möglichst frühzeitig umgehen sollte.
A. Hintergrund
Zu den Besonderheiten der Umsatzsteuer gehört es, dass Erklärungen oftmals über mehrere Jahre rückwirkend berichtigt werden können. Anlass für rückwirkende Steuerbefreiungen ist nicht selten eine unzureichende Umsetzung des Unionsrechts. In einem aktuellen Fall klagte ein Arbeitsvermittler erfolgreich vor dem BFH gegen die Umsatzbesteuerung der Personalvermittlung gegen Vermittlungsgutschein (). Stellt ein Gericht im Einzelfall die Rechtswidrigkeit fest, können sich auch Betroffene in vergleichbaren Fällen unmittelbar auf die MwStSystRL berufen. Erforderlich ist, dass die Finanzverwaltung entsprechende Urteile anerkennt und im Bundessteuerblatt veröffentlicht.
B. Berichtigungserklärungen
Der Erstattungsanspruch lässt sich am einfachsten über berichtigte Umsatzsteuererklärungen durchsetzen. Die Finanzverwaltung wertet entsprechende Eingänge automatisch als Antrag auf Änderung der bislang vorliegenden Steueranmeldung. Es bedarf keines weiteren Einspruchs. Etwas anderes kann gelten, wenn Verjährungseintritt droht und Änderungsanträge nicht rechtzeitig erstellt werden können.
Wurde zuvor bereits ein Vorläufigkeitsvermerk aufgenommen, ist zumindest dann keine weitere Steuererklärung notwendig, wenn aus den gemachten Angaben die zutreffende Besteuerung abgeleitet werden kann. Dafür muss eindeutig erkennbar sein, welche der erklärten Einnahmen und Ausgaben von der Steuerbefreiung erfasst werden. Für den laufenden Besteuerungszeitraum können wahlweise berichtigte Voranmeldungen oder später eine entsprechende Jahreserklärung abgegeben werden.
C. Rückwirkend Kleinunternehmer?
Erbringt der Steuerpflichtige unter Berufung auf die (rückwirkende) Steuerbefreiung ausschließlich steuerfreie Umsätze, ist er wenigstens mit Wirkung für die Zukunft Kleinunternehmer nach § 19 UStG. Der freiwillige Übergang zur Regelbesteuerung ist möglich, aber regelmäßig nur bei einem steuerpflichtigen Nebengewerbe potentiell zweckmäßig.
Nach hier vertretener Auffassung greift die Kleinunternehmerregelung gleichsam rückwirkend. Denn die Rechtswirkung von § 19 UStG ist zunächst zwingend. Die Regelbesteuerung kommt für Betroffene nur bei einer Verzichtserklärung in Betracht. Diese kann ausdrücklich oder – in der Praxis überwiegend – konkludent in der Steuererklärung erfolgen. Eine konkludente Regelbesteuerungserklärung muss nach der Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung allerdings als solche verstanden werden können, vgl. . Geht aber die Verwaltung selbst – wie im Fall der Arbeitsvermittler – von steuerpflichtigen Umsätzen aus, kann in einer entsprechenden Steuererklärung kein Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung gesehen werden. Entsprechend kommt § 19 UStG rückwirkend zur Anwendung.
Da nach der Änderung eine erstmalige Kleinunternehmerfestsetzung vorgenommen wird, kann anschließend im Rahmen der Einspruchsfrist im Bedarfsfall der Übergang zur Regelbesteuerung erklärt werden. Wie die Finanzverwaltung die Thematik handhabt, erscheint derzeit unklar. Einschlägige Rechtsprechung liegt – soweit ersichtlich – nicht vor.
D. Problemfall Steuerausweis
Erfolgt eine rückwirkende Steuerbefreiung, wurde zuvor in aller Regel mit Steuerausweis abgerechnet. Es entsteht – mit Ausnahme des hier nicht praxisrelevanten § 9 UStG – zwingend ein fehlerhafter Steuerausweis nach § 14c UStG.
Eine Verpflichtung zur Abrechnung mit Ausweis von Umsatzsteuer besteht nur gegenüber Unternehmern. In allen anderen Fällen – z. B. bei Rechnungsstellung an Privatpersonen – ist ein Steuerausweis grundsätzlich nie zu empfehlen.
Der fehlerhafte Steuerausweis führt dazu, dass eine Steuererstattung erst nach Berichtigung der Rechnungen vorgenommen werden kann. Wird die Kleinunternehmerregelung in Anspruch genommen, muss das komplexere Berichtigungsverfahren nach § 14c Abs. 2 UStG durchlaufen werden. Ansonsten kommt § 14c Abs. 1 UStG zur Anwendung (zum Berichtigungsverfahren siehe Trinks, USt direkt digital 2/2015 S. 6). In jedem Fall muss jeder Rechnungsempfänger über den fehlerhaften Steuerausweis informiert werden.
Besteht keine Steuergefährdung – weil etwa der Arbeitsvermittler nur gegenüber Hoheitsträgern abrechnete – dürfte auch das Finanzamt kaum ein übermäßiges Interesse an der aufwändigen Berichtigungsprozedur haben. Hier kann eine tatsächliche Verständigung angeregt werden. In einer vergleichbaren Konstellation veranlasste das BMF 2013 in Sachen Berufsbetreuer eine Vereinfachungsregelung.
E. Verzinsung der Erstattung
Die Verzinsung der Steuererstattung hängt davon ab, ob und in welcher Form § 14c UStG greift. Wurden keine Rechnungen mit Steuerausweis ausgestellt, wird der Erstattungsbetrag nach §§ 233 ff. AO verzinst.
Hinsichtlich der Höhe des Zinssatzes gilt weiterhin der Wert von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Für Streitzeiträume bis 2011 hat der BFH die Rechtmäßigkeit bereits bestätigt, vgl. . Nicht auszuschließen ist, dass man für spätere Zeiträume – insbesondere seit 2013 – in Bezug auf Sollzinsen zu einer anderen Bewertung kommt. Selbst dann dürfte der Gesetzgeber den Habenzinssatz jedoch kaum rückwirkend anpassen können.
Erfolgt die Berichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG (Kleinunternehmer), kommt es zur Verzinsung, soweit die Rechnungsempfänger keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben. Die Rechnungsberichtigung wirkt dann zurück, sodass ebenso die § 14c-Steuer rückwirkend entfällt, vgl. Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 6 UStAE.
A erbringt seit 2013 Arbeitsvermittlungsleistungen, die rückwirkend steuerfrei gestellt werden. Alle Vermittlungen wurden gegenüber dem örtlichen Jobcenter abgerechnet. Daneben war A in geringem Umfang als Unternehmensberater gegenüber Unternehmen B tätig. Die steuerausweisenden Rechnungen wurden am berichtigt. Das Finanzamt stellt nach Rückzahlung der Vorsteuer durch B die Beseitigung der Steuergefährdung im Januar 2016 fest.
Das Jobcenter war nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Da insoweit nie eine Vorsteuergefährdung entstand, wirken die Rechnungsberichtigungen in die Jahre 2013 und 2014 auf die jeweiligen ursprünglichen Ausstellungsdaten zurück. Für die Unternehmensberatung erlischt die Steuerschuld nach § 14c UStG erst im Januar 2016.
Ist § 14c Abs. 1 UStG anzuwenden, erfolgt nie eine rückwirkende Berichtigung, vgl. . Es erfolgt entsprechend keine Guthabenverzinsung (bzw. Verzinsung erst nach abgeschlossenem Berichtigungsverfahren). Allerdings muss die zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer zugunsten des Finanzamts verzinst werden. Gleiches gilt in den Fällen des § 14c Abs. 2 UStG, in denen der Leistungsempfänger bereits Vorsteuer geltend gemacht hat.
Eine tatsächliche Steuererstattung kann in beiden Fällen (§ 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG) erst nach Abschluss des Berichtigungsverfahrens erfolgen.
Abb.: Verzinsung in Abhängigkeit der Rechnungsstellung.
F. Sonderfall Nebenerwerb
Die Abwicklung der Steuererstattung verkompliziert sich, wenn der Betroffene steuerpflichtige Nebenumsätze erzielt hat. In Betracht kommen insbesondere echte Nebengewerbe (z. B. Solaranlage) oder zusätzliche steuerpflichtige Umsätze im Hauptgewerbe.
Liegen die steuerpflichtigen Umsätze unterhalb der Kleinunternehmergrenze von 17.500 €, greift auch insoweit § 19 UStG. Steuerausweisende Rechnungen sind nach § 14c Abs. 2 UStG zu berichtigen. Liegen hohe Vorsteuerbeträge vor, ist die Option zur Regelbesteuerung nach § 19 Abs. 2 UStG zu prüfen.
Mit seiner Personalvermittlung hat P im Jahr 2013 einen Nettoumsatz von 100.000 € erzielt. Nach Abzug von Vorsteuerbeträgen in Höhe von 9.000 € ergab sich eine Steuerschuld von 10.000 €, welche pünktlich bezahlt wurde. Parallel betrieb P eine Solaranlage, welche er am für 12.000 € zzgl. 2.280 € USt erwarb. Von Juli-Dezember erzielte P Einnahmen aus der Stromeinspeisung von 3.000 € zzgl. 570 € USt. Am berichtigte P alle steuerausweisenden Rechnungen. Das Finanzamt stellte am die Beseitigung der Steuergefährdung und die geänderte Umsatzsteuer 2013 fest.
P muss 570 € USt an den Netzbetreiber erstatten. Wegen § 19 Abs. 1 UStG muss P die Vorsteuer aus dem Solaranlagenerwerb zurückzahlen und erhält eine Erstattung von 7.720 € zzgl. 385 € Zinsen. Optiert er nach § 19 Abs. 2 UStG, geht der Zinsanspruch wegen § 14c Abs. 1 UStG verloren. Jedoch behält P die Vorsteuer aus dem Anlagenerwerb und erhält eine Erstattung von 10.000 €. Im konkreten Fall kann die Verzinsung den Vorsteuerschaden nicht kompensieren.
Liegen die steuerpflichtigen Umsätze oberhalb der Kleinunternehmergrenze oder soll nach § 19 Abs. 2 UStG optiert werden, ist die Kleinunternehmerregelung insgesamt unanwendbar. Für die Berichtigung der nun steuerfreien Hauptumsätze ist auf § 14c Abs. 1 UStG abzustellen. Eine rückwirkende Verzinsung scheidet aus.
G. Exkurs: Einkommensteuerliche Behandlung
Erwähnenswert ist, dass die Umsatzsteuererstattung einschließlich Zinsen als Betriebseinnahme der Einkommensteuer unterliegt. Auf die Gewinnermittlungsart kommt es nur hinsichtlich des Besteuerungszeitpunkts an. Bei Bilanzierung ist maßgeblich, dass das Finanzamt die Erstattungsforderung nicht bestreitet. Entscheidend ist in der Regel die Veröffentlichung des entsprechenden Urteils im Bundessteuerblatt, vgl. . Im Fall der Einnahmen-Überschussrechnung kommt es allein auf den tatsächlichen Zufluss an.
Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich schließlich bei einer Umsatzsteuererstattung für mehrere Jahre um außergewöhnliche Einkünfte nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, vgl. . Für diese kann die progressionsschonende Fünftelregelung angewendet werden, was die Steuerbelastung in der Regel merklich reduziert.
Fundstelle(n):
USt direkt digital 20 / 2015 Seite 4
NWB MAAAF-05707