FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil v. - 5 K 1165/10 EFG 2014 S. 1497 Nr. 17

Hinzuschätzung wegen nicht ordnungsmäßiger Kassenführung bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG

Leitsatz

Eine Kassenführung ist nicht ordnungsgemäß, wenn mehrfach und betragsmäßig vereinzelt erhebliche Kassenfehlbeträge zu verzeichnen sind. Auch wenn eine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs nicht besteht, wenn ein Steuerpflichtiger zulässigerweise seinen Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung ermittelt, berechtigt die fehlende Ordnungsmäßigkeit solcher gleichwohl geführten Aufzeichnungen zur Hinzuschätzung nach § 162 AO.

Gesetze: AO § 162 Abs. 2, AO § 146 Abs. 1, EStG § 4 Abs. 3, FGO § 96 Abs. 1 S. 1

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Hinzuschätzung.

Der Kläger war als Einzelunternehmer in der Baubranche tätig. Seinen Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) i. S. d. § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Seine Steuererklärungen gab der Kläger im Februar 2003 ab.

Wegen einer im Jahr 2002 telefonisch angebrachten anonymen Anzeige, wonach der Kläger üblicherweise Bauleistungen ohne Rechnungserstellung erbringen würde, führte das damalige Finanzamt … vom Februar 2007 bis November 2008 beim Kläger eine Betriebsprüfung (Bp) durch.

Der Prüfer stellte fest, dass viele Bargeschäfte getätigt und monatlich Kassenbücher geführt worden sind. Die Tageseinnahmen wurden einzeln ermittelt, die Kassen- und Bankbelege und das Journal in Dateiform aufbewahrt. Ein Rechnungseingangs- und ausgangsbuch sowie ein Bestandsverzeichnis für das Anlagevermögen wurden geführt. Die Belegführung war geordnet, die Belege enthielten Kontierungsvermerke. Inventuren wurden durchgeführt. Unterlagen über die Bestandsaufnahme des Vorratsvermögens und Saldenlisten für Forderungen lagen vor. Die vom Prüfer durchgeführte Umsatz- und Vorsteuerverprobung blieb ebenso ohne Beanstandung wie die Auswertung von Kontrollmitteilungen über teilweise erfolgte Barzahlungen, die der Kläger als Einnahmen erfasst hatte. Der Prüfer forderte von der Ehefrau des Klägers deren private Girokontounterlagen bei der „N.-Bank” und das Konto des Klägers bei der „D-Bank” an. Der Prüfer verneinte die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen wegen unstreitiger Kassenfehlbeträge sowie Falschbuchungen zu Entnahmen per Scheck. Während sich nach der ersten vom Prüfer erstellten Geldverkehrsrechnung bei einem Privatverbrauch von ca. 84.000 DEM ein Fehlbetrag i.H.v. ca. 60.000 DEM ergeben hatte, verblieb nach der dem Kläger übersandten zweiten Geldverkehrsrechnung u.a. bei Ansatz eines Privatverbrauchs von ca. 56.000 DEM ein Fehlbetrag von ca. 30.000 DEM. Die letzte handschriftliche Geldverkehrsrechnung des Prüfers ergab einen Fehlbetrag i.H.v. 8.700 DEM, wobei im Wesentlichen die dem Kläger zur Verfügung stehenden Barmittel erhöht worden waren. Im Ergebnis der Prüfung blieben ausweislich der vorliegenden Kontoauszüge (Bl. 126 und 127 Bp-Arbeitsakte) die Geldeingänge auf dem Konto des Klägers bei der „D-Bank” vom i.H.v. 2.000 DEM und am i.H.v. 1.5 00 DEM (nicht 1.525 DEM) ungeklärt. Letztlich schätzte der Prüfer für das Streitjahr brutto einen Erlös i.H.v. 9.000 DEM hinzu, wobei es sich um eine von zwei Prüfungsfeststellungen handelte; die andere Prüfungsfeststellung betraf als steuerpflichtig angesehene Einnahmen der Ehefrau.

Das damalige Finanzamt … folgte dem Prüfer und erließ unter dem die streitgegenständlichen Änderungsbescheide. Im Einspruchsverfahren half das damalige Finanzamt … dem Einspruch hinsichtlich der Einnahmen der Ehefrau ab und wies in seiner Einspruchsentscheidung vom den Einspruch im Übrigen, d.h. wegen der vorliegend streitigen Hinzuschätzung, zurück.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage.

Der Kläger hat im Klageschriftsatz vom (sinngemäß) beantragt,

die Bescheide vom über Einkommensteuer 2001 und Umsatzsteuer 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Der Beklagte hat im Schriftsatz vom beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das während des Klageverfahrens am durch gesetzlichen Organisationsakt (Fusion) in die Beklagtenstellung eingetretene nunmehr beklagte Finanzamt (FA) hat seinen bisherigen Vortrag vertieft.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt, dass anstelle des Senats der Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet; wegen der weiteren Einzelheiten zum Erörterungstermin wird auf das Protokoll (Bl. 81ff Finanzgerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Der Berichterstatter konnte als Einzelrichter i.S.d. § 79a Abs. 3, 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) und ohne mündliche Verhandlung i.S.d. § 90 Abs. 2 FGO entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend Ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.

2. Die zulässige Klage war insoweit begründet, als das FA einen Betrag über die ungeklärten Geldeingänge i.H.v. 3.500 DEM hinaus hinzugeschätzt hat. Das Gericht hält auf Grund der Gesamtumstände des vorliegenden Falles eine über 3.500 DEM hinausgehende Hinzuschätzung nicht für sachgerecht. Im Einzelnen:

a) Das Gericht hat gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 162 AO eine eigene, selbstständige Schätzungsbefugnis und kann daher – wie vorliegend – seine Schätzung ganz oder teilweise an die Stelle der Schätzung des FA setzen, ohne die Schätzung des FA als rechtsfehlerhaft einstufen zu müssen (z. B. , BStBl II 2004, 171). Inhaltlich geht es beim Schätzen darum, aus einem unvollständigem Sachverhalt anhand der zugänglichen gewissen Tatsachen und Indizien, zu denen auch die verletzte Mitwirkungspflicht gehört, Schlussfolgerungen zu ziehen und mit Hilfe dieser Schlussfolgerungen zu einem Ergebnis größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zu gelangen. Dabei hängt der Grad der Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Schätzung zutreffend ist, von den Umständen des Einzelfalls (z. B. , BStBl II 1992, 128).

b) Vorliegend besteht gem. § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Abgabenordnung (AO) dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis wegen der ungeklärt gebliebenen Geldeingänge und der Kassenfehlbeträge. Die anfänglich getroffene Prüfungsfeststellung von Falschbuchungen zu Entnahmen per Scheck ist für das Gericht weder aus den Akten nachvollziehbar noch hat sich der Prüfer im Weiteren Verlauf der Bp darauf gestützt.

Die Kassenführung ist – was der Kläger eingeräumt hat – nicht ordnungsgemäß, weil mehrfach und betragsmäßig vereinzelt erhebliche Kassenfehlbeträge zu verzeichnen sind. Auch wenn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs nicht besteht, wenn ein Steuerpflichtiger zulässigerweise seinen Gewinn durch EÜR ermittelt (z.B. Entscheidungen vom X B 16/12, BFH/NV 2013, 902; vom X B 57/05, BFH/NV 2006, 940), existieren offenkundig solche Aufzeichnungen. Deshalb kann offenbleiben, ob – woran wegen der Art des Betriebes und im Hinblick auf die Höhe der Umsätze Zweifel bestehen – der Kläger seinen Gewinn nach den Grundsätzen der EÜR zulässigerweise ermitteln durfte. Soweit der Kläger eingewandt hat, dass die Kasse Mutter unzulänglich geführt worden ist, ändert dies an der fehlenden Ordnungsmäßigkeit nichts [siehe aber unter 2. c)].

c) Soweit gem. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO bei einer Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass angesichts der Höhe der Umsätze im Streitjahr von über einer halben Million DEM die Buchführung im Übrigen ohne jegliche Beanstandungen geblieben ist und sich dagegen auch die vom FA vorgenommene Hinzuschätzung von 9.000 DEM als gering darstellt. Ausgehend vom Anlass der Bp, d.h. der anonymen Anzeige über üblicherweise Bargeschäfte ohne Rechnungen, haben sich dafür während der fast zwei Jahre andauernden Bp mit Ausnahme der beiden ungeklärten Geldeingänge weder Anhaltspunkte geschweige denn irgendwelche andere Prüfungsfeststellungen ergeben. Daher kommt dem unbestritten gebliebenen Einwand des Klägers, seine in solchen Dingen unbedarfte Mutter habe die Kassenführung unzulänglich gestaltet, vorliegend bei der vom Gericht für sachgerecht gehaltenen Höhe der Hinzuschätzung eine relevante Bedeutung zu. Auch die Geldverkehrsrechnung des FA mit einem zuletzt verbliebenen Fehlbetrag i.H.v. 8.700 DEM (von ehemals ca. 60.000 DEM) lässt keinen Raum für die Annahme zu, der Kläger habe über die ungeklärt gebliebenen 3.500 DEM hinaus Schwarzgelder vereinnahmt, die eine höhere Hinzuschätzung rechtfertigen könnten.

c) Die im Tenor genannten Beträge errechnen sich wie folgt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Gewinn aus Gewerbetrieb vor Bp
43.270 DEM
Erhöhung brutto (Hinzuschätzung) lt. FG
3.500 DEM
Gewinn aus Gewerbetrieb lt. FG
46.770 DEM
Lieferungen + Leistungen zu 16% vor Bp
513.959 DEM
Erhöhung netto (Hinzuschätzung) lt. FG
3.017 DEM
Lieferungen + Leistungen zu 16% lt. FG
516.976 DEM

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz1 FGO. Der Kläger begehrte eine Aufhebung der Hinzuschätzung i.H.v. 9.000 DEM (100%). Da eine Hinzuschätzung i.H.v. 3.500 DEM verblieben ist, ist der Kläger mit seiner Klage zu rund 40% unterlegen.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Fundstelle(n):
EFG 2014 S. 1497 Nr. 17
MAAAE-68930