Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil v. - 6 K 1630/16 EFG 2019 S. 1144 Nr. 13

Gebäude als Berichtigungsobjekt bei Verwendung nach Baufortschritt

Leitsatz

Werden einzelne Gebäudeteile eines in den Jahren 2006 bis 2008 errichteten und insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes zu unterschiedlichen Zeitpunkten fertig gestellt und die fertigen Gebäudeteile vor der Fertigstellung der übrigen bereits für die Erzielung von Umsätzen verwendet, so ist bei einer Vorsteuerberichtigung aufgrund Änderung der Flächenverhältnisse für die Verwendung auf das gesamte Gebäude als Berichtigungsobjekt abzustellen (entgegen Abschnitt 15a.3 Absatz 2 Satz 1 UStAE).

Gesetze: UStG § 15a Abs. 1; UStDV § 44 Abs. 2; UStAE 15a.3 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Tatbestand

Streitig ist, ob die Bagatellgrenzen für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG überschritten sind.

Der Kläger hat einen Weinbau-Betrieb und einen Gewerbebetrieb Weinkommission und landwirtschaftliche Dienstleistungen. Die Vermietung zweier Ferienwohnungen wurde in den Streitjahren noch nicht ausgeübt.

Seine landwirtschaftlichen Umsätze versteuerte der Kläger gemäß § 24 UStG, die übrigen gemäß § 20 UStG.

Im Jahr 2006 erweiterte der Kläger sein Betriebsgebäude und errichtete ein gemischt genutztes Wohnhaus. Nach den Plänen befinden sich im Keller eine kleine abgeschlossene Wohnung für Erntehelfer, Labor, Büro, Archiv und Räume für die Weinkommission. Im Erdgeschoss befindet sich neben privaten Wohnräumen ein Empfangsraum. Im Obergeschoss sind neben weiteren privaten Wohnräumen zwei Ferienwohnungen untergebracht.

Im Dezember 2008 waren Unter- und Erdgeschoss sowie die Wohnräume im Obergeschoss fertig gestellt.

Der Kläger ordnete das gesamte Gebäude seinem Unternehmen zu und beantragte den Vorsteuerabzug aus den Baukosten, für die selbstgenutzte Wohnung unter Berufung auf die Seeling-Rechtsprechung. Dem Weinbaubetrieb ordnete er nach dem Flächenschlüssel einen nicht abzugsfähigen Vorsteueranteil von 11,51% zu.

Die Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2009 bis 2012 galten als Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

In den Jahren 2014/2015 führte die landwirtschaftliche Betriebsprüfung des Finanzamts Neustadt beim Kläger eine Betriebsprüfung durch, deren Ergebnis in den Prüfungsberichten vom dargestellt ist.

Der Prüfer stellte fest, dass als Vermietungseinkünfte erklärte Mieteinnahmen die Wohnung für die Erntehelfer betrafen. Hinsichtlich der Nutzung des Kellergeschosses wurde Einigung darüber erzielt, dass dieses hälftig dem landwirtschaftlichen Betrieb und dem Gewerbebetrieb zuzuordnen sei; dies führte zur Neuberechnung der Flächenanteile. Die beiden Ferienwohnungen seien 2015 noch im Rohbau gewesen.

Der Prüfer ging deshalb für die Ermittlung des Vorsteuer-Berichtigungszeitraumes von der Errichtung in zwei Bauabschnitten aus, wobei die beiden Ferienwohnungen dem zweiten Bauabschnitt zugeordnet wurden.

Der Prüfer errechnete die Vorsteuerberichtigung wie folgt:


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Vorsteuer 1. Bauabschnitt gesamt
55.224,03 €
Berichtigungsbetrag bei Berichtigungszeitraum 10 Jahre
5.522,40 €
Zum Vorsteuerabzug berechtigende Nutzung lt. Verwendungsabsicht
85,66 %
tatsächliche zum Vorsteuerabzug berechtigende Nutzung
74,70 %
Änderung der maßgeblichen Verhältnisse um
- 10,95 %
Vorsteuerberichtigung 2009 bis 2012 jährlich jeweils
604,92 €.

Das beklagte Finanzamt änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre entsprechend den Prüfungsfeststellungen und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Der Kläger legte gegen die Änderungsbescheide Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, die Voraussetzungen des § 15a UStG für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs lägen nicht vor (§ 15a Abs. 11 UStG i.V.m § 44 Abs. 2 UStDV). Weder die absolute Grenze von 1.000 € je Kalenderjahr für das Berichtigungsvolumen, noch die Grenze von 10% seien überschritten (8,79%). Es sei auf das gesamte Wirtschaftsgut abzustellen und nicht auf Teile davon. Die vom Prüfer vorgenommene Aufteilung in Bauabschnitte sei nicht zulässig, da das Gebäude insgesamt dem Unternehmen zugeordnet worden sei (, BStBl II 2007, 417)

Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung führte das FA aus, zur Bestimmung der geänderten Verhältnisse könne nach Bauabschnitten differenziert werden, da mehrere Berichtigungsobjekte (Raumeinheiten/Nutzungseinheiten) vorlägen (, BFH/NV 1997, 380). Die Sachbehandlung durch das FA entspreche Abschnitt 15a.3 Abs. 2 UStAE und dem (BStBl I 2005,1068).

Im Streitfall hätten sich die Flächenverhältnisse durch die Nutzung der bereits fertig gestellten Gebäudeteile vor Fertigstellung des gesamten Hauses geändert. Dass es sich bei dem gemischt genutzten Gebäude um ein einheitliches Wirtschaftsgut handele, stehe dem nicht entgegen. Die vom (BStBl II 1997, 989) festgestellte Aufteilbarkeit eines Grundstücks für Zwecke der Umsatzsteuer gelte auch für die Vorsteuerberichtigung.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, entsprechend der beabsichtigten Verwendung habe er den Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes in Höhe von 88,49% beantragt.

Das Haus sei im Dezember 2008 vollständig errichtet gewesen. In den Ferienwohnungen hätten lediglich Teile des Innenausbaus (Badarmaturen, Heizkörper) gefehlt. Wände, Böden und Decken seien erstellt gewesen, Strom- und Rohrleitungen verlegt.

In 2013 seien für die Ferienwohnungen noch Kosten für Material in Höhe von ca. 4.500 € angefallen. Der Kläger habe die Wohnungen in Eigenleistung bis Anfang 2016 fertig gestellt. Seither würden sie in Eigenregie an Feriengäste vermietet. Die Einkünfte aus der Vermietung würden als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt und der Regelbesteuerung unterworfen.

Für die Umsätze aus dem landwirtschaftlichen Betrieb habe der Kläger ab 2016 zur Regelbesteuerung optiert.

Für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG sei die maßgebliche Änderung der Verhältnisse durch einen Vergleich des Vorsteuerschlüssels zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs mit dem zum Zeitpunkt der Berichtigung zu ermitteln. Der Vorsteuerschlüssel sei bei Anschaffungs- und Herstellungskosten unter Berücksichtigung des Gesamt-Wirtschaftsguts zu bestimmen. Nach korrigierter Berechnung betrage die Änderung der Verhältnisse danach nur 8,78 €, mit der Folge, dass gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 UStDV eine Vorsteuerberichtigung unterbleibe. Auch die absolute Grenze des § 44 Abs. 2 Satz 2 UStDV sei unterschritten.

Der Kläger habe das gesamte Gebäude seinem Unternehmen zugeordnet und sei damit dem Grunde nach zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Lediglich soweit eine Verwendung für die Erzielung vom Umsätzen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb erfolge, sei der Vorsteuerabzug gemäß § 24 Abs.1 Satz 4 UStG ausgeschlossen. Die Aufteilung der Vorsteuern gem. § 15 Abs.4 Satz 1 UStG erfolge nach der voraussichtlichen Verwendung.

Handele es sich um Vorsteuern aus Herstellungskosten für ein Gebäude, so könne nur insgesamt ein einheitlicher Aufteilungsmaßstab angewendet werden; eine Vorab-Zuordnung einzelner Leistungen für bestimmte Gebäudeteile finde nicht statt. Nur wenn lediglich bestimmte Gebäudeteile angeschafft oder hergestellt würden, seien diese der jeweilige Gegenstand (, BStBl 2007, 417 und vom - V R 43/06, BStBl II 2008, 770). Der Kläger habe dem entsprechend für sämtliche Eingangsleistungen - ohne Vorabzuweisung zu einzelnen Gebäudeteilen - das gesamte Gebäude der Vorsteueraufteilung zugrunde gelegt. Diese für die Vorsteueraufteilung aufgestellten Grundsätze müssten gleichermaßen für die Vorsteuerberichtigung gelten.

Im Streitfall habe sich das Bauvorhaben von Anfang an auf alle drei Stockwerke als gesamtes Gebäude bezogen. Entsprechend sei auch der Rohbau in einem einheitlichen Vorgang erstellt worden. Bezüglich der Ferienwohnungen fehle lediglich der vollständige Innenausbau. Die Wohnräume im Obergeschoss hingegen seien bereits in 2008 fertig gestellt worden. Somit habe sich nicht das komplette Stockwerk in unfertigem Zustand befunden; die Betriebsprüfung sei insoweit von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Der ursprüngliche Vorsteuerabzug sei gemäß § 15a Abs. 1 UStG zu berichtigen, sofern sich innerhalb von 10 Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die maßgeblichen Verhältnisse änderten und die Änderung die Grenzen des § 44 UStDV überschreite.

Zunächst sei das Berichtigungsobjekt zu bestimmen. Soweit Abschnitt 15a.3 Abs. 2 UStAE bestimme, dass bei Verwendung nach Baufortschritt für jeden gesondert in Verwendung genommenen Teil ein eigener Berichtigungszeitraum anzunehmen sei, stelle dies lediglich klar, dass jeder Bauabschnitt ein besonderes Berichtigungsobjekt sein könne. Zur rechnerischen Ermittlung der "Änderung der Verhältnisse" treffe die Anweisung keine Aussage.

Das vom Beklagten angeführte (BStBl II 1997, 98) betreffe nur die Frage der Zuordnung zum Unternehmensvermögen. Der BFH habe seine Rechtsauffassung in dem Urteil vom - V R 98/91 (BFH/NV 1997, 380) mit Urteil vom - V R 58/00 aufgegeben.

Soweit der Beklagte für die Feststellung der Änderung der Verhältnisse isoliert von einem Vergleich der Flächen innerhalb des ersten Bauabschnitts - und damit nur einer Teilfläche des Gesamtobjekts - ausgegangen sei, widerspreche dies den gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung.

Bei folgerichtiger Betrachtung könne es bei § 15a UStG als Korrekturnorm zu § 15 UStG zur Bemessung der Änderung der Verhältnisse nicht auf den einzelnen Gebäudeteil ankommen. Ziel der Regelung sei es, einen im Zeitpunkt des Leistungsbezugs zu hohen oder zu niedrigen Vorsteuerabzug auszugleichen. Dies werde nur dann erreicht, wenn für die Berichtigung der gleiche Schlüssel wie für den ursprünglichen Vorsteuerabzug verwendet werde.

Hilfsweise sei 2009 und 2010 ein Schreib- bzw. Übertragungsfehler zu korrigieren (604,92 € anstatt 694,92 €).

Ergänzend wird auf die Klagebegründung Bezug genommen (§105 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2012 vom in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass die Vorsteuerberichtigungen in Höhe von 604,92 € p.a. rückgängig gemacht werden,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er nimmt Bezug auf die Begründung der Einspruchsentscheidung.

Ergänzend widerspricht er der Darstellung des Klägers zum Stand der Fertigstellung der Ferienwohnungen Ende 2008 unter Berufung auf die Feststellungen des Prüfers im Prüfungsbericht, wo von "Rohbau" die Rede sei.

Am erließ der Beklagte geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010, mit denen die Fehler korrigiert wurden.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Beklagte hat zu Unrecht die streitbefangenen Vorsteuerberichtigungen vorgenommen. Die Bagatellgrenzen des § 44 Abs. 2 UStDV sind nicht erreicht.

I.

Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren (§ 15a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG).

In § 44 UStDV hat der Gesetzgeber in zulässiger Weise Regelungen zu "Vereinfachungen bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs" getroffen. Haben sich bei einem Wirtschaftsgut in einem Kalenderjahr die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse um weniger als zehn Prozentpunkte geändert, entfällt bei diesem Wirtschaftsgut für dieses Kalenderjahr die Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Das gilt nicht, wenn der Betrag, um den der Vorsteuerabzug für dieses Kalenderjahr zu berichtigen ist, 1.000 Euro übersteigt (§ 44 Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStDV).

Die vom beklagten Finanzamt im Streitfall vorgenommene Vorsteuerberichtigung hat im Hinblick auf die Regelung des § 44 Abs. 2 UStDV zu unterbleiben, da nach Auffassung des Senats weder die absolute noch die relative Bagatellgrenze je Kalenderjahr überschritten sind.

Der Senat legt für die Berechnung der Vorsteuerberichtigung entgegen der Regelung des Abschnitts 15a.3 Abs. 2 Satz 1 UStAE nicht lediglich die entsprechend dem Baufortschritt bereits in Verwendung genommenen Gebäudeteile zugrunde, sondern das gesamte Gebäude, da er dieses - und nicht einzelne Gebäudeteile - als Berichtigungsobjekt ansieht.

Die vom Beklagten in Anwendung gebrachte Verwaltungsvorschrift des Abschnitt 15a.3 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 UStAE lautet wie folgt:

"Wird ein Wirtschaftsgut, z.B. ein Gebäude, bereits entsprechend dem Baufortschritt verwendet, noch bevor es insgesamt fertig gestellt ist, ist für jeden gesondert in Verwendung genommenen Teil des Wirtschaftsguts ein besonderer Berichtigungszeitraum anzunehmen. Diese Berichtigungszeiträume beginnen jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem der einzelne Teil des Wirtschaftsguts erstmalig verwendet wird. Der einzelnen Berichtigung sind jeweils die Vorsteuerbeträge zu Grunde zu legen, die auf den entsprechenden Teil des Wirtschaftsguts entfallen."

Eine Begründung für diese Auffassung wird seitens der Finanzverwaltung weder im UStAE noch im vorliegenden Klageverfahren gegeben, wobei dem Beklagten einzuräumen ist, dass er an die zitierte Verwaltungsmeinung im UStAE gebunden ist. Die von der Verwaltung in Abschnitt 15a.3 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 UStAE geäußerte Rechtsauffassung bindet die Gerichte nicht; es handelt sich (lediglich) um eine norminterpretierende Äußerung.

Rechtsprechung zu der Frage, was bei der teilweisen Nutzung eines Gebäudes nach Baufortschritt als Berichtigungsobjekt im Sinne des § 15a UStG anzusehen ist, gibt es - soweit ersichtlich - bislang nicht.

In der Literatur wird, soweit die Frage überhaupt thematisiert wird, lediglich auf die Verwaltungsauffassung Bezug genommen, ohne diese zu begründen (z.B. Fleckenstein-Weiland in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 1. Aufl. 1995, 149. Lieferung, § 15a UStG, Rz. 535; Oelmaier in Sölch/Ringleb § 15a UStG, Rz. 151).

Der Senat konnte davon absehen, weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob die (vom Kläger jetzt bestrittenen) Feststellungen des Prüfers zum angeblichen Vorliegen zweier Bauabschnitte überhaupt vorliegen, da er schon grundsätzlich der apodiktisch in den Raum gestellten Theorie zum Baufortschritt nicht folgt. Dazu im Einzelnen:

Unionsrechtlich ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs in Art. 184 bis 192 MwStSystRL geregelt. Art. 187 MwStSystRL regelt die Vorsteuerberichtigung bei Investitionsgütern. Gemäß Art 189 lit. a) MwStSystRL können die Mitgliedsstaaten den Begriff des Investitionsguts selbst definieren.

Deutschland hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Der nationale Begriff des Wirtschaftsgutes (unionsrechtlich: Investitionsgut) ist nicht legaldefiniert. Im Ergebnis bestreitet der Beklagte im vorliegenden Klageverfahren zwar - zu recht - nicht, dass Wirtschaftsgut im vorgenannten Sinne das Gesamtgebäude ist. Indem die Verwaltung aber für Berichtigungszwecke nicht auf das "Wirtschaftsgut" (so ausdrücklich in § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG und § 44 Abs. 2 Satz 1 UStDV) sondern auf den " gesondert in Verwendung genommenen Teil des Wirtschaftsguts " abhebt, entbehrt dies einer gesetzlichen Grundlage; für diese Verwaltungsauffassung im UStAE findet sich weder unionsrechtlich noch im nationalen Recht ein Anhaltspunkt. Der Beklagte räumt zwar in seiner Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2016 (dort Seite 5) ein, dass "bei der Errichtung eines gemischt genutzten Hauses in Bauabschnitten … zwar letztlich ein Wirtschaftsgut" vorliege, dieses jedoch "umsatzsteuerlich in verschiedene Berichtigungszeiträume und zugleich in verschiedene Berichtigungsobjekte" zerfalle.

Der Senat geht bei der Stattgabe der Klage - entgegen der Verwaltungsauffassung - zunächst von der systematischen Überlegung aus, dass Zuordnungsobjekt im Streitfall nach der damaligen Rechtslage das gesamte Gebäude war (sog. Seeling-Rechtsprechung). Der Kläger hatte unstreitig das gesamte Gebäude rechtzeitig seinem Unternehmen zugeordnet (zur fristgerechten Zuordnung vgl. nur , BStBl II 2014, 81).

An dieses Wirtschaftsgut schließen die Regelungen in § 15a Abs. 1 UStG und § 44 UStDV an. Eine Aufteilung für Berichtigungszwecke in Teile dieses Wirtschaftsgutes ist dort nicht vorgesehen; abgestellt wird ausweislich des eindeutigen Gesetzeswortlautes auf das (gesamte) "Wirtschaftsgut" und seine "erstmalige Verwendung". Mit der Regelung in § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG wird die Regelung in Art. 187 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL umgesetzt. Der Vorteil dieser Regelung liegt im einheitlichen Beginn des Berichtigungszeitraumes, auch wenn Leistungsbezüge bei komplexen Wirtschaftsgütern - wie etwa bei der Errichtung eines Gebäudes - zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt sein können (Heidner in Bunjes, UStG, 17. Auflage 2018, § 15a Rn. 37) und/oder Teile des Wirtschaftsgutes zu unterschiedlichen Zeiten erstmalig verwendet werden. Diese sinnvolle Regelung wird durch die Auffassung des BMF konterkariert.

Die Auffassung des Senats steht auch in Übereinstimmung mit den höchstrichterlichen Grundsätzen zur Aufteilung der Vorsteuern nach § 15 Abs. 4 UStG. Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. Diese Vorschriften sind richtlinienkonform auszulegen. Im Anschluss an eine EuGH-Vorlage (C-332/14) hat der , BFH/NV 2016, 1654) entschieden, dass bei der Herstellung eines gemischt genutzten Gebäudes für den Vorsteuerabzug - im Gegensatz zu den Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung und Unterhaltung - nicht darauf abgestellt werden kann, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingehen; vielmehr kommt es insoweit auf die prozentualen Verwendungsverhältnisse des gesamten Gebäudes an. Bei der Herstellung eines solchen Gebäudes ermöglicht der objektbezogene Flächenschlüssel regelmäßig eine sachgerechte und "präzisere" Berechnung des Rechts auf Vorsteuerabzug als der gesamtumsatzbezogene oder der objektbezogene Umsatzschlüssel.

Im vorliegenden Streitfall hat der Kläger den sachgerechten Flächenschlüssel für die Vorsteueraufteilung verwendet. Hierbei hat er in Übereinstimmung mit der vorgenannten Rechtsprechung auf das gesamte Gebäude und seine beabsichtigte Verwendung abgestellt.

Dies rechtfertigt es nach Auffassung des Senats, für die Vorsteuerberichtigung dieselben Grundsätze anzuwenden. Dabei lässt der Senat sich von dem Gedanken leiten, dass der einheitlichen Betrachtungsweise für Zwecke der Vorsteueraufteilung gemäß § 15 Abs. 4 UStG und für Zwecke der Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a Abs. 1 UStG der Vorzug zu geben ist. Wenn für Zwecke der Vorsteueraufteilung die gesamten Herstellungskosten dem gesamten Gebäude zuzuordnen sind und sodann ein sachgerechter Schlüssel - hier der Flächenschlüssel - für die Aufteilung anzuwenden ist, so erscheint es konsequent und sachgerecht, für die Vorsteuerberichtigung ebenfalls auf die Herstellungskosten des gesamten Gebäudes abzustellen, zumal die Vorsteuerberichtigung ebenfalls aufgrund des Flächenschlüssels erfolgt.

Der Klage war nach alledem stattzugeben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten und der Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Fassung des Tenors erfolgt gemäß § 100 Abs. 2 FGO.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO zugelassen. Die Frage, ob ein Investitionsgut bei gestreckter Herstellung und Verwendung nach Bauabschnitten in mehrere Berichtigungsobjekte aufzusplitten ist, ist - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 1/2020 S. 7
DStR 2019 S. 9 Nr. 33
DStRE 2019 S. 1022 Nr. 16
EFG 2019 S. 1144 Nr. 13
GStB 2019 S. 429 Nr. 12
KÖSDI 2019 S. 21353 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2019 S. 2692
UR 2019 S. 704 Nr. 18
UStB 2019 S. 234 Nr. 8
LAAAH-15751