Privates Veräußerungsgeschäft: Gewinn aus der Veräußerung einer bis ins Jahr der Veräußerung zu eigenen Wohnzwecken genutzten und nur die letzten Monate bis zur Veräußerung vermieteten Eigentumswohnung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG nicht einkommensteuerbar
Leitsatz
1. Wird eine innerhalb von zehn Jahren nach ihrem Kauf wieder verkaufte Wohnung bis in das Jahr der Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt und erst beginnend während des Jahres der Veräußerung bis zum Zeitpunkt der Veräußerung (im Streitfall: von April bis Dezember) vermietet, so ist der Gewinn aus der Veräußerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG nicht steuerbar.
2. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3, 2. Alt. EStG – Nutzung der Wohnung im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken – erfordert keine Ausschließlichkeit der Eigennutzung. Es genügt vielmehr eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen (vgl. ).
Gesetze: EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3, EStG § 22 Nr. 2
Instanzenzug: Verfahren Urteil Urteil
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger im Veranlagungszeitraum 2014 einen steuerbaren Gewinn aus einem Veräußerungsgeschäft bei Grundstücken im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetzt (EStG) erzielt hat.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom eine Eigentumswohnung auf dem Grundstück […] in X für 87.000 EUR, welche er bis April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken nutzte. In den Monaten Mai 2014 bis Dezember 2014 vermietete der Kläger die Wohnung an Dritte. Mit notariellem Kaufvertrag vom veräußerte der Kläger die Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 139.000 EUR.
Der Beklagte ermittelte hieraus einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 44.338 EUR und erfasste diesen im Einkommensteuerbescheid vom .
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom erhob der Kläger hiergegen Einspruch. Dieses Schreiben befindet sich nicht in den Akten des Beklagten.
Mit Schreiben vom teilte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten unter Bezugnahme auf sein Einspruchsschreiben vom mit, dass er auf sein Einspruchsschreiben noch keine Antwort erhalten habe und auch über den mit diesem verbundenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht beschieden worden sei. Auf diesem Schreiben hat der Beklagte folgenden handschriftlichen Vermerk angebracht:
„Einspruch liegt nicht vor
Am telef. Herrn
A mitgeteilt”
Mit Schreiben vom ließ der Prozessbevollmächtigte unter Bezugnahme auf das am mit dem Beklagten geführte Telefonat dem Beklagten das Einspruchsschreiben vom „nochmals” zukommen. Weiter war in diesem Schreiben ausgeführt:
„Die zuständige Mitarbeiterin des Finanzamts Y hat mir am Telefon erklärt, dass es nicht erforderlich sei, dass ich einen Antrag stelle auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Ich gehe davon aus, dass es bei dieser Rechtsauffassung des Finanzamts Y verbleibt.”
In dem beigefügten Einspruchsschreiben vom wurde inhaltlich ausgeführt, bei dem Veräußerungsvorgang handele es sich nicht um einen steuerbaren Vorgang. Die Wohnung sei im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorausgegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. § 23 EStG fordere insoweit keine „ausschließliche” Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung. Die Vermietung sei daher – ebenso wie ein Leerstand – unschädlich.
Der Beklagte stellte im weiteren Einspruchsverfahren den – erstmaligen – tatsächlichen Zugang des Einspruchsschreibens am offenkundig unstreitig. Eine etwaige Verfristung wurde im weiteren Verfahren nicht thematisiert.
Mit Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf Rn. 25 des BStBl I 2007, 262 führte er aus, bei einer Vermietung handle es sich anders als bei einem Leerstand um eine steuerschädliche Nutzung. Das BMF-Schreiben erwähne ausschließlich einen Leerstand als unschädlich. Des Weiteren wurde in der Einspruchsentscheidung ausgeführt:
„Gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 vom legte der Ef form- und fristgerecht Einspruch ein […]”
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger unter Wiederholung seiner Rechtsauffassung sein Interesse weiter.
In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte ein Schreiben vom an den Kläger, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, vorgelegt, in dem der Prozessbevollmächtigte dem Kläger mitteilte, dass der Beklagte ihm – dem Prozessbevollmächtigten – mitgeteilt habe, dass der Einspruch vom dort rechtzeitig eingegangen sei.
Der Beklagte hat hierzu erklärt, es sei möglich, dass das Einspruchsscheiben im Amt verloren gegangen sei. Die Rechtsbehelfsstelle sei jedoch wohl davon ausgegangen, dass jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren gewesen sei, da die Abweichungen von der elektronisch eingereichten Steuererklärung im Bescheid nicht erläutert worden seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2014 vom in Form der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass sonstige Einkünfte (Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften) mit 0 EUR (bisher 44.338 EUR) angesetzt werden, hilfsweise die Zulassung der Revision.
Der Beklagte beantragt unter Wiederholung seiner Rechtsauffassung, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Zulassung der Revision.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten (ein Band Einkommensteuerakte, ein Band Allgemeine Akte) Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
I.
Der Einspruch wurde zur Überzeugung des Senats vom Beklagten zutreffend als zulässig behandelt.
Gemäß § 355 Abgabenordnung (AO) ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Feststellungslast für die (fristgerechte) tatsächliche Erhebung des Einspruchs bei der Behörde trägt der Kläger (, BStBl II 1977, 321-325, BFHE 121, 142-151; , juris). War jemand ohne Verschulden daran gehindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 110 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Der Senat kann insoweit offenlassen, ob das Einspruchsschreiben fristgerecht beim Beklagten eingegangen und dort in Verstoß geraten ist, wofür trotz des Vermerks in der Akte „Einspruch liegt nicht vor”, welcher auch dahingehend zu verstehen sein könnte, dass der Einspruch bei der zuständigen Stelle der Behörde nicht (mehr) vorliegt, angesichts der unstreitig vom Beklagten erteilten telefonischen Auskünfte und des Umstands, dass der Beklagte den Einspruch selbst als „form und fristgerecht” behandelte, einiges spricht. Denn jedenfalls hat der Beklagte zulässig konkludent Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt.
Der Kläger hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Handlung nachgeholt und das ursprüngliche Einspruchsschreiben vom , auf das wegen der weiteren Einzelheiten und des Erscheinungsbildes (insbesondere: Haken hinter der Faxnummer) verwiesen wird, (erneut) vorgelegt. Hierdurch hat der Kläger zwar grundsätzlich noch nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an eine Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung eines Einspruchsschreibens genüge getan. Vor dem Hintergrund, dass dem Prozessbevollmächtigten vom Beklagten der Hinweis gegeben wurde, dass die Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht erforderlich sei und ihm nach seinem unbestrittenen Vortrag zu einem späteren Zeitpunkt zudem mitgeteilt wurde, der Einspruch sei rechtzeitig eingegangen, erachtet es der Senat als nicht geboten, den von den Beteiligten unstreitig gestellten Sachverhalt der jedenfalls rechtzeitigen Absendung des Einspruchsschreibens in Frage zu stellen. Für eine weitere Sachverhaltsaufklärung bestand daher keine Veranlassung. Die vom Beklagten vorgetragene jedenfalls konkludent gewährte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand war daher im Ergebnis auch vor dem Hintergrund von Treu und Glauben nicht zu beanstanden.
II.
1. Gemäß § 22 Nr. 2 EStG unterliegen private Veräußerungsgeschäfte der Besteuerung. Private Veräußerungsgeschäfte in diesem Sinne sind gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG sind Wirtschaftsgüter, die
• im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken
oder
• im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden,
vom Anwendungsbereich des § 23 EStG ausgenommen.
§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG erfordert insoweit nach seinem klaren Wortlaut – anders als die 1. Alt. – keine Ausschließlichkeit der Eigennutzung. Es genügt vielmehr eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen (, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich im vorliegenden Fall um einen nicht steuerbaren Vorgang. Das Grundstück wurde im Jahr der Veräußerung bis April und in den beiden vorangegangenen Jahren vollständig zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Die Vermietung in den Monaten Mai bis Dezember ist insoweit unschädlich.
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten benennt § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG gerade keine schädlichen Nutzungsarten, sondern fordert lediglich eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken in den genannten Jahren. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit eindeutig. Für die vom Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „steuerbegünstigten Leerstand” und einer „steuerschädlichen Vermietung” ergeben sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte.
b) Vielmehr spricht die Gesetzesbegründung gegen eine solche Auslegung. Mit Schaffung der Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG wollte der Gesetzgeber ungerechtfertigte Besteuerungen von Veräußerungsgewinnen bei Aufgabe des Wohnsitzes (z. B. wegen Arbeitsplatzwechsels) vermeiden (BT-Drucks. 14/23 S. 180). Dieser Zweck (Förderung der Mobilität von Arbeitnehmern) würde jedoch bei Annahme der Steuerschädlichkeit einer kurzzeitigen Zwischenvermietung bis zur Veräußerung konterkariert. Denn ein zum Umzug gezwungener Arbeitnehmer müsste dann, um eine steuerpflichtige Veräußerung zu vermeiden, die Wohnung bis zur Veräußerung, deren Zeitpunkt sich je nach Marktlage nur schwer vorhersehen lässt, leer stehen zu lassen. Im Ergebnis müsste er aus rein steuerlichen Gründen sowohl die laufenden Kosten der bisherigen Wohnung als auch die Kosten für die Wohnung am neuen Arbeitsort tragen, ohne dass es ihm möglich wäre, diese Kosten durch eine Zwischenvermietung zu minimieren. Eine solche Belastung dürfte in vielen Fällen die Betroffenen vor nicht unerhebliche finanzielle Probleme stellen und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt gewesen sein.
c) Ferner vermag auch die Unterscheidung des Beklagten zwischen einer steuerunschädlichen Vermietung vor Beginn des Dreijahreszeitraums des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG und einer steuerschädlichen am Ende des Dreijahreszeitraums nicht zu überzeugen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine langjährige Vermietung vor einer kurzzeitigen Eigennutzung unschädlich (vgl. Trossen, NWB 2017, 3256: „eine zusammenhängende Nutzung von einem Jahr und zwei Tagen [ausreichend]”), eine kurzzeitige Zwischenvermietung bis zur Veräußerung am Ende einer langjährigen Eigennutzung jedoch steuerschädlich sein sollte. Denn gerade bei ersterer Konstellation liegt eine Missbrauchsgefahr dahingehend, dass eine Eigennutzung gezielt kurzfristig zur Steuervermeidung angelegt wird, deutlich näher. Wenn eine langjährige Vermietung vor Beginn des Dreijahreszeitraums unschädlich ist (so in –, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192), so muss dies aus vorgenannten Gründen erst recht in Fällen einer kurzzeitigen Vermietung von wenigen Monaten am Ende des Dreijahreszeitraums gelten.
d) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch das vom Beklagten zitierte BMF-Schreiben (/00, FMNR471000000, Rn. 25) gerade nicht ausführt, dass eine Vermietung am Ende des Dreijahreszeitraums steuerschädlich sei, sondern lediglich darlegt, dass in diesem Zeitraum ein Leerstand unschädlich sei. Lediglich hinsichtlich einer Vermietung im mittleren Jahr des Dreijahreszeitraums führt das Schreiben zutreffend aus, dass eine solche steuerschädlich sei.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist gemäß § 139 Abs. 3 S. 3 FGO für notwendig zu erklären. Der Prozessbevollmächtigte hat einen entsprechenden Antrag gestellt und die Rechtslage war nicht von vornherein so einfach, dass sich der Kläger hätte selbst vertreten können.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2019 S. 854 Nr. 15
DStZ 2019 S. 325 Nr. 10
EFG 2019 S. 710 Nr. 9
EStB 2019 S. 513 Nr. 12
KÖSDI 2019 S. 21218 Nr. 5
NWB-EV 2019 S. 178 Nr. 5
LAAAH-13810