USt direkt digital Nr. 3 vom Seite 17

Marktplatzhaftung – BMF veröffentlicht einige Erläuterungen zur Neuregelung

Dr. Hans-Martin Grambeck *

Mit dem „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ wurden Regelungen zu den Aufzeichnungspflichten (§ 22f UStG) und zur Haftung (§ 25e UStG) für die Betreiber elektronischer Marktplätze beschlossen. Das Einzelheiten der Neuregelung näher erläutert.

I. Aufzeichnungspflichten gemäß § 22f UStG

1. Verfahren zur Bescheinigung UST 1 TI

Kernelement der Neuregelung ist die Bescheinigung UST 1 TI, mit der das zuständige deutsche Finanzamt die umsatzsteuerliche Registrierung des betreffenden Händlers bestätigt. Im Regelfall ist diese Bescheinigung Voraussetzung dafür, dass der Marktplatzbetreiber der Inanspruchnahme im Wege der Haftung entgehen kann. Zu begrüßen ist, dass das dazugehörige Antragsformular USt 1 TJ auch in englischer Sprache bereitgestellt wurde, vgl. z. B. auf der Homepage des Landesamtes für Steuern Niedersachsen.

Zu den Ausführungen im ist Folgendes festzustellen:

  • Der Antrag soll postalisch bzw. per E-Mail beim Finanzamt eingereicht werden, er kann auch formlos erfolgen. Letz­teres dürfte in der Praxis bedeutungslos sein, weil keine Gründe gegen die Nutzung des Formularvordruckes ersichtlich sind. Soweit der verfügbare Platz nicht ausreicht, um alle Marktplätze bzw. Account-Namen anzuführen, unter denen der Antragsteller aktiv ist, kann eine gesonderte Aufstellung beigefügt werden.

  • Die Bescheinigung macht keine Aussage dazu, ob der Antragsteller seinen Umsatzsteuerpflichten nachkommt. Dies ergibt sich bereits aus der Aufmachung der Bescheinigung. Der Markplatzbetreiber sollte sich aber immer bewusst sein, dass er bei der internen Risikokontrolle nicht „blind“ auf die Bescheinigung vertrauen soll.

  • Das BMF weist darauf hin, dass grundsätzlich auch Kleinunternehmer auf Antrag eine Bescheinigung erhalten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Kleinunternehmergrenze des § 19 UStG nur für Steuerinländer gilt. In der Praxis geben diese Unternehmen oftmals keine Umsatzsteuererklärung ab. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Finanzämter infolge der Antragstellung zur Abgabe jährlicher Umsatzsteuererklärungen auffordern, um einen besseren Einblick in die umsatzsteuerliche Position des Steuerpflichtigen zu erhalten.

  • Wenn der Händler im Inland keine steuerbaren Umsätze ausführt, kann mangels Registrierungspflicht keine Bescheinigung erteilt werden. Das BMF nennt den Fall des ausländischen Versandhändlers, der die inländische Meldeschwelle (100.000 €, § 3c Abs. 3 UStG) nicht überschreitet bzw. den Direktimport von Kleinstsendungen (22 €, § 1a EUStBV). Keine Verpflichtung zur umsatzsteuerlichen Registrierung besteht insbesondere auch dann, wenn der Marktplatzteilnehmer als Nichtunternehmer/Privatperson registriert ist, für ausländische Unternehmen, die im Inland nur an Unternehmer liefern (die ihrerseits den innergemeinschaftlichen Erwerb zu erklären haben) oder bei Importen, für die der Warenempfänger die Einfuhrumsatzsteuer schuldet (Nichtanwendung von § 3 Abs. 8 UStG). Die Marktplatzbetreiber werden sich also mit einer Reihe von Ausnahmen vertraut machen müssen. Laut dem BMF-Schreiben muss der Marktplatzbetreiber „auch in diesen Fällen einen entsprechenden Nachweis in geeigneter Weise vorhalten“, namentlich die Abgabe einer „entsprechenden Erklärung“ durch den Händler.

    Dieser Punkt ist bedeutsam. Offensichtlich soll es nicht ausreichen, dass der Händler gegenüber dem Marktplatzbetreiber erklärt, dass er nicht registriert ist. Vielmehr soll auch ein (plausibler) Grund geliefert und vom Marktplatzbetreiber dokumentiert werden. Diese Regelung dürfte weitaus schwieriger zu handhaben sein als das formulargebundene Bestätigungsverfahren für registrierte Händler. Ggf. sollten Marktplatzbetreiber hierfür ein eigenes Formular vorhalten, um sich nicht mit unterschiedlich ausfallenden Rechtfertigungen der Händler auseinandersetzen zu müssen.

  • Das BMF stellt klar, dass dem Antragsteller im Rahmen des papiermäßigen Verfahrens nur eine Bestätigung ausgestellt wird, bei Verlust auch eine Ersatzbescheinigung. Eine elektronische Weiterleitung an den Marktplatzbetreiber ist zugelassen. Die Weiterleitung einer Kopie muss schon deshalb ausreichen, als der Händler ggf. auf mehreren Marktplätzen aktiv ist. Da Händler gegenüber einzelnen Marktplatzbetreibern ggf. nicht offenlegen möchten, auf welchen anderen Marktplätzen bzw. unter welchen weiteren Namen sie noch aktiv sind, sollte es zulässig sein, dass die entsprechenden Angaben vor der Weiterleitung an den Marktplatzbetreiber geschwärzt werden.

  • Bei begründeten Zweifeln an der Echtheit der Bescheinigung soll sich der Marktplatzbetreiber an das für den Händler zuständige Finanzamt wenden. Unterlässt er dies, droht bei Steuerausfällen die Inanspruchnahme im Wege der Haftung. Es ist fraglich, anhand welcher Merkmale berechtigte Zweifel festgemacht werden sollen, insbesondere ausländische Marktplatzbetreiber dürften hier ihre Schwierigkeiten haben, weil sie nicht wissen können, welche Echtheitsmerkmale zu prüfen sind (z. B. Art von Dienststempeln/Unterschrift etc.).

  • Außerhalb des EWR ansässige Händler müssen mit Antragstellung einen inländischen Empfangsbevollmächtigten benennen. Unterbleibt diese Angabe, wird keine Bescheinigung erteilt. Hierzu stellt das BMF erfreulicherweise klar, dass dieser Bevollmächtigte nicht zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen nach § 3 Steuerberatungsgesetz befugt sein muss.

2. Aufzeichnungspflichten des Marktplatzbetreibers

Der Marktplatzbetreiber soll neben den Grundangaben zum Händler (Name, Adresse, Steuernummer, ggf. die vom Bundeszentralamt erteilte USt-ID-Nummer, Beginn- und Enddatum der Gültigkeit der Bescheinigung, soweit eine solche erteilt wurde, Geburtsdatum bei den als Nichtunternehmer registrierten Händlern) Angaben zu den über den Marktplatz abgewickelten Umsätzen (Ort des Beginns der Beförderung, Bestimmungsort, Zeitpunkt und Höhe des Umsatzes) aufzeichnen. Nach dem Gesetzeswortlaut greifen diese Aufzeichnungspflichten bereits ab dem , obwohl die Haftung (siehe unten) erst später greift.

Zu den ergänzenden Erläuterungen gemäß ist Folgendes festzustellen:

  • Nicht näher erläutert wird, wie die Grundangaben bei Händlern zu verifizieren sind, die keine Finanzamtsbescheinigung vorlegen können. Den Händlern ist wohl zu empfehlen, bei Privatpersonen eine Meldebestätigung bzw. Ausweiskopie anzufordern, bei Unternehmen einen ausländischen Registrierungsnachweis.

  • Dem Kunden eingeräumte Entgeltminderungen sind beim aufzuzeichnenden Entgelt zu berücksichtigen, aber nicht getrennt aufzuzeichnen.

  • Sofern der Kunde die Ware nicht annimmt, sondern zurücksendet, erübrigt sich die Aufzeichnung, weil eine Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinne verneint wird.

  • Mit Verweis auf § 147 AO stellt das BMF klar, dass Verstöße gegen die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungsfristen als Ordnungswidrigkeit gemäß § 379 AO geahndet werden können. Zu beachten ist insbesondere die bis zu 10-jährige Aufbewahrungsfrist. Bei Verstoß gegen die Vorschriften drohen Strafen bis zu 25.000 €.

  • Positiv hervorzuheben ist, dass die Aufzeichnungspflichten aus Vereinfachungsgründen abweichend vom Gesetzeswortlaut nicht schon seit dem gelten, sondern ab dem Zeitpunkt, ab dem die Haftungsregelung greift (siehe unten). Diese Regelung erscheint auch sinnvoll, weil die Aufzeichnungen die Grundlage für die Festsetzung im Haftungswege sein sollen. Bevor die Haftungsregelung überhaupt greift, bedarf es insoweit auch keiner Aufzeichnungen.

II. Haftung gemäß § 25e UStG

1. Grundzüge der Haftungsregelung

Grundsätzlich haftet der Marktplatzbetreiber für die deutsche Umsatzsteuer, die der Händler für seine Umsätze nach dem Gesetz schuldet, aber nicht ordnungsgemäß abführt. Die Finanzamtsbescheinigung UST 1 TI ist wichtige Voraussetzung für die Umgehung der Haftung. Um den Händlern die Möglichkeit zu geben, die Finanzamtsbescheinigung vom zuständigen Finanzamt einzuholen, trat die Haftung noch nicht am in Kraft. Stattdessen gilt sie für Händler mit Sitz außerhalb der EU bzw. des EWR (Island, Norwegen und Liechtenstein) ab dem , für die in der EU bzw. im EWR ansässigen Händler ab . Die Differenzierung ist je nach weiterem Verlauf des Brexit für die in Großbritannien ansässigen Händler von Bedeutung, weil sie ggf. kurzfristig den Drittländerstatus erhalten.

2. Befreiung von der Haftung

Der Marktplatzbetreiber kann sich der Inanspruchnahme durch das Finanzamt unter folgenden Umständen entziehen:

  • Er weist für den betreffenden Händler eine gültige Bescheinigung UST 1 TI vor und er hatte keine Kenntnisse (bzw. er konnte unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht wissen), dass der Händler seinen umsatzsteuerlichen Pflichten nicht nachkommt.

  • Der Händler hat sich als Nichtunternehmer registriert und der Marktplatzbetreiber hatte keinen Grund, dies anzuzweifeln.

  • Der Händler wird nach entsprechender Ansprache seitens des Finanzamts innerhalb einer vom Finanzamt gesetzten Frist vom Handel auf dem Marktplatz ausgeschlossen.

Zur Haftungsvorschrift gibt das weitere Erläuterungen:

  • Unter die Neuregelung fallen nur solche Marktplätze, auf denen Umsätze „rechtlich begründet“ werden. Maßgeblich soll demnach sein, ob der Kaufvertrag „mit Hilfe eines automatisierten Bestellvorgangs zustande gekommen ist“. „Vermittlungsmarktplätze“, bei denen der Kaufvertrag über einen anderen Weg bzw. zu einem anderen Zeitpunkt geschlossen wird, sind nicht betroffen.

  • Hinsichtlich des „hätte wissen müssen“ stellt das BMF darauf ab, ob der Marktplatzbetreiber „ihm im Rahmen seines Unternehmens offensichtliche oder bekanntgewordene Tatsachen außer Acht lässt, die auf eine umsatzsteuerliche Pflichtverletzung schließen lassen“. Das BMF betont, dass der Marktplatzbetreiber nicht aktiv nachforschen muss; dies kann im Hinblick auf einen potentiellen Haftungsschuldner auch nicht gefordert werden.

  • Erlangt der Marktplatzbetreiber Kenntnisse über ein Fehlverhalten des Händlers, muss er den Händler ansprechen. Sofern der Händler nicht innerhalb von maximal zwei Monaten reagiert, muss der Marktplatzbetreiber ihn sperren. Andernfalls riskiert er eine Inanspruchnahme im Wege der Haftung. Ferner soll das Finanzamt informiert werden. Die lange Handlungsfrist überrascht und die Regelung ist insgesamt zu ungenau. Denn es ist nicht definiert, welches Fehlverhalten vom Marktplatzbetreiber erkannt werden soll. Die Überwachung der Lieferschwelle bei Versandhändlern sowie der korrekten Anwendung von § 3 Abs. 8 UStG (anhand der im Marktplatz bekannt gemachten Lieferkonditionen) erscheinen handhabbar. Aber bereits die Unternehmereigenschaft eines Marktplatzteilnehmers – bekanntlich wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung (z. B. , BStBl 2015 II S. 919) – kann ein Marktplatzbetreiber kaum objektiv bewerten. Selbst wenn eine Registrierung vorliegt, dürfte es dem Händler unmöglich sein, etwaige Pflichtverletzungen (sprich: fehlerhafte Umsatzsteuererklärungen) zu erkennen. Es kann auch nicht verlangt werden, dass der Händler dem Marktplatzbetreiber seine Umsatzsteuermeldungen vorlegt!

  • Positiv ist, dass die Darlegungs- und Feststellungslast der Kenntnis oder des Kennenmüssens steuerlichen Fehlverhaltens beim Finanzamt liegt. Dem Finanzamt wird die Inanspruchnahme des Marktplatzbetreibers im Wege der Haftung allerdings erschwert, was dem Ziel der Regelung zuwiderläuft.

  • Sofern das Finanzamt Fehlverhalten erkennt, kann es den Marktplatzbetreiber informieren und ihn auffordern, gegen den Händler vorzugehen. Leider definiert das BMF nicht, welche Reaktionsfrist hierfür zugrunde zu legen ist. Die Marktplatzbetreiber sollten im Zweifelsfall vorbereitet sein, innerhalb kurzer Zeit entsprechende Schritte vollziehen zu müssen (z. B. Sperrung eines Kontos/Einstellung von Auslieferungen an Kunden des Händlers). Technisch sollte das aber machbar sein. Den Marktplatzbetreibern ist zu empfehlen, diesen Punkt in den AGB zu regeln.

III. Beurteilung

Das beinhaltet für Marktplatzbetreiber im Hinblick auf die Aufzeichnungspflichten (Verschiebung des Beginns auf das Datum, zu dem die Haftungsregelung eingreift) und für Händler im Hinblick auf die Ernennung eines Empfangsbevollmächtigten (der kein Steuerberater sein muss) begrüßenswerte Vereinfachungen. Dessen ungeachtet bleibt es für die Marktplatzbetreiber bei einer komplexen gesetzlichen Vorschrift. Im Hinblick auf umsatzsteuerlich registrierte Händler dürfte das Bescheinigungsverfahren – insbesondere nach Umstellung auf den elektronischen Abruf – das geringere Problem sein. Mehr Arbeit werden die Fälle nicht registrierter Marktplatzteilnehmer machen, weil die Marktplatzbetreiber auch in diesen Fällen Dokumentationspflichten haben.

Fraglich bzw. sogar zweifelhaft ist,

  • inwiefern im Ausland ansässige Marktplatzbetreiber überhaupt Kenntnis von der Neuregelung erlangen. Die nach wie vor geringe Anzahl von Registrierungen für elektronische Leistungen im MOSS-Verfahren (nach vorliegenden Informationen nur ca. 1.000 Registrierungen von außerhalb der EU ansässigen Unternehmen) zeigt, dass sich entsprechende Regelungen nur schwer durchsetzen.

  • ob die Finanzämter auf Basis dieser Neuregelung jemals Umsatzsteuern im Haftungswege gegenüber Marktplatzbetreibern festsetzen werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass bereits zum aufgrund der am verabschiedeten Richtlinie (EU) 2017/2455 zumindest für den Versandhandel neue Regelungen in Kraft treten. Online-Marktplätze werden dann im Bereich des Warenhandels – vergleichbar mit der heutigen Regelung des § 3 Abs. 11a UStG für sonstige Leistungen – Teil einer fingierten Lieferkette und somit Steuerschuldner für die über solche Marktplätze abgewickelten.

  • ob es sich in der Praxis als einfacher erweist, Steuern im Haftungswege gegenüber ausländischen Marktplatzbe­ treibern festzusetzen als gegenüber (in- und ausländischen) Händlern, die sich auf diesen Marktplätzen tummeln.

Aber bereits die Tatsache, dass sich im Vorfeld der Neuregelung mehr als 5.000 Händler mit Sitz in China, Hongkong und Taiwan in Deutschland umsatzsteuerlich registriert haben (siehe Pressemitteilung des Landes Baden-Württemberg v. 27.12.2018) kann als Erfolg gewertet werden. Vergleichbar positive Meldungen zur Aufdeckung steuerunehrlichen Verhaltens verzeichnet auch Großbritannien (siehe Mitteilung von Ingrid Lunden auf www.techcrunch.com v. 10.1.2019). Die Haftungsregelung setzt also offenbar ein richtiges Zeichen für mehr Wettbewerbsgleichheit und Besteuerungsgerechtigkeit. Die Leidtragenden sind freilich die Marktplatzbetreiber, auf die mit den Aufzeichnungspflichten eine Mammutaufgabe zukommt.

Autor

Dr. Hans-Martin Grambeck,
ist als geschäftsführender Gesellschafter der auf die Umsatzsteuerberatung spezialisierten nesemann & grambeck umsatz | steuer | beratung Steuerberatungsgesellschaft in Norderstedt bei Hamburg tätig.

Fundstelle(n):
USt direkt digital 3 / 2019 Seite 17
NWB LAAAH-06666