Das richtige Urteil: Der BGH zum digitalen Nachlass
Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar
Im Zeitalter der digitalen Kommunikation stellt sich auch die Frage, was mit digitalen Inhalten passiert, wenn ein Erbfall eintritt. Diese Frage wurde in jüngerer Zeit unter dem Stichwort „digitaler Nachlass“ kontrovers diskutiert. Die Entscheidung des zur Rechtsnachfolge in ein Benutzerkonto bei Facebook hat endlich in einigen grundlegenden Punkten Klarheit geschaffen. Der digitale Nachlass wird uns trotzdem in Zukunft weiter beschäftigen.
Digitales Erbe muss genauso behandelt werden wie analoges Erbe. Die Rechtsnachfolge in Verträge über digitale Dienstleistungen richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften, also insbesondere nach § 1922 Abs. 1 BGB.
Die Diskussion um den digitalen Nachlass dürfte mit dem jedoch noch nicht beendet sein. Die hier zu klärenden Rechtsfragen dürften noch vielfältiger werden.
I. Der Sachverhalt
Im Dezember des Jahres 2012 wurde ein damals 15jähriges Mädchen von einer U-Bahn erfasst und starb an den Folgen ihrer Verletzungen. Der Fahrer der U-Bahn verlangte von den Eltern, die Erben ihrer Tochter geworden waren, die Zahlung von Schmerzensgeld. Er begründete seinen angeblichen Anspruch damit, es habe sich nicht um einen Unfall gehandelt. Das Mädchen habe vielmehr Suizid begangen.
Die Eltern erhofften sich Aufklärung über die Hintergründe des Geschehens durch Einsichtnahme in das Benutzerkonto ihrer Tochter bei Facebook. Sie hatte ihnen die Zugangsdaten bei Einrichtung des Benutzerkontos mitgeteilt. Der Zugriff auf das Benutzerkonto war den Eltern aber nicht mehr möglich, denn Facebook hatte auf bis heute ungeklärte Weise Kenntnis vom Tod des Mädchens erlangt und ihr Benutzerkonto in den „Gedenkzustand“ versetzt, so dass es auch bei Eingabe der Zugangsdaten nicht mehr zugänglich war.
Die Mutter der Verstorbenen klagte deshalb gegen Facebook auf Zugangsverschaffung zum Benutzerkonto und Einsichtnahme in alle dort vorgehaltenen Kommunikationsinhalte. Das NWB HAAAF-90848) gab der Klage statt, doch Facebook legte Berufung ein und das KG wies die Klage in zweiter Instanz ab ( NWB JAAAG-61871; siehe dazu die Kritik bei Pruns, ZErb 2017 S. 217). Gegen dieses Urteil legte die Mutter Revision beim BGH ein. Der zuständige III. Zivilsenat hat der Revision nun mit Urteil v. - III ZR 183/17 stattgegeben, d. h. er hat das Urteil des KG aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt (eine Zusammenfassung der Gründe findet sich auf dem YouTube-Kanal des Senders Phoenix unter http://go.nwb.de/26bbf).
Ausführlich zum digitalen Nachlass Pruns, NWB 40/2013 S. 3161; ders., NWB 29/2014 S. 2175; Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass in der Vorsorge- und Erbrechtspraxis, 2018; vgl. auch den NWB-Expertenblog von Pruns v. unter www.nwb-experten-blog.de.
II. Die grundlegenden rechtlichen Fragen
In der Diskussion um den digitalen Nachlass spielten bis zum Urteil des BGH insbesondere die folgenden Fragen eine zentrale Rolle:
Gehören digitale Hinterlassenschaften, insbesondere Kommunikationen in digitaler Form, überhaupt zum vererbbaren Vermögen?
Muss man ggf. nach den Inhalten der Kommunikation differenzieren, etwa nach privaten und geschäftlichen Inhalten?
Stehen die Rechte der Kommunikationspartner des Erblassers (Fernmeldegeheimnis, § 88 Abs. 3 TKG) der Vererbbarkeit ggf. entgegen?
Kann eine Vererbbarkeit von dem jeweiligen Dienstanbieter wirksam ausgeschlossen werden, insbesondere durch AGB?S. 262
Pruns/Herzog, Der digitale Nachlass in der Vorsorge- und Erbrechtspraxis, 2018 (weitere Informationen zum Buch unter http://shop.nwb.de).
1. Differenzierung nach Inhalten?
Die ersten beiden Fragen wurden vor allem am Anfang der Diskussion gestellt und zunächst überwog die Ansicht, dass nur Kommunikationen mit geschäftlichen Inhalten zum nach § 1922 Abs. 1 BGB vererbbaren Vermögen gehören können. Private Kommunikationen sollten dagegen nicht den Erben zustehen, sondern allenfalls den Angehörigen des Erblassers. Zum Teil wurde den Anbietern digitaler Kommunikation sogar eine Art Treuhandfunktion zugewiesen (vgl. insbesondere Hoeren, NJW 2005 S. 2113; Martini, JZ 2012 S. 1145; zum damaligen Streitstand Rott/Rott, ). Relativ bald kam man jedoch zu dem Ergebnis, dass eine solche Differenzierung nicht tragfähig ist, weil sie dem BGB fremd ist. So zeugen insbesondere die §§ 2047 Abs. 2, 2373 Satz 2 BGB davon, dass auch höchstpersönliche Aufzeichnungen des Erblassers und auch seine Briefschaften zum Nachlass gehören (grundlegend Herzog, NJW 2013 S. 3745; Pruns, ).
2. Fernmeldegeheiminis nach § 88 Abs. 3 TKG?
Ausgehend von der grundlegenden Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zum digitalen Nachlass aus dem Jahr 2013 (Stellungnahme Nr. 34/2013 des DAV unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/id-2013-34) rückte sodann das Fernmeldegeheimnis nach § 88 Abs. 3 TKG in das Zentrum der Diskussion. Zwar gehe aus rein erbrechtlicher Sicht auch der digitale Nachlass grundsätzlich auf die Erben über, so der DAV in seiner Stellungnahme, der Schutz der Kommunikationspartner durch § 88 Abs. 3 TKG stehe der Erfüllung dieses Anspruchs aber entgegen (so insbesondere Mayen, in DAV-Stellungnahme zum digitalen Nachlass, 2013, S. 66 ff.; zustimmend etwa Deusch, ZEV 2014 S. 2). Notwendig sei das Eingreifen des Gesetzgebers, so der DAV weiter (DAV-Stellungnahme zum digitalen Nachlass, 2013, S. 6 ff., S. 92). Im Ergebnis schloss sich auch das KG in seinem nun vom BGH aufgehobenen Urteil dieser Ansicht an ( NWB JAAAG-61871).
Das LG Berlin hatte es dagegen noch anders gesehen und der BGH hat das Urteil des LG Berlin nun auch wiederhergestellt. Tatsächlich wurde die Ansicht des DAV auch relativ früh infrage gestellt (grundlegend Pruns, ; dem folgend oder ähnlich Steiner/Holzer, ZEV 2015 S. 262; NK-Nachfolgerecht/Herzog, Kap. 9 Rz. 67 ff.). So wurde beispielsweise gefragt, ob die Erben wirklich „andere“ i. S. des § 88 Abs. 3 TKG sind, denen die Anbieter digitaler Dienste keine Auskunft über die Kommunikationen des Erblassers geben dürfen, oder ob sie als Erben auch insoweit in die Rechtsstellung des Erblassers eintreten. Zudem wurde auch darauf hingewiesen, dass die Teilnehmer einer Kommunikation, unabhängig davon, ob sie analog oder digital geführt wird, in der Regel die Verfügungsmacht über die abgesendete Nachricht an den Empfänger übertragen und diese Rechtsposition Teil des Nachlasses wird (Pruns, ).
3. Ausschluss durch vertragliche Vereinbarungen, insbesondere durch AGB?
Ein weiterer Aspekt des Themas sind vertragliche Vereinbarungen über die Vererbbarkeit. Nach allgemeiner Ansicht können die Vertragsparteien übereinkommen, dass der Vertrag und die durch ihn begründeten Rechte und Pflichten beim Erbgang nicht übergehen sollen. Fraglich ist aber, ob eine solche Vereinbarung auch „einseitig“ durch Verwendung einer entsprechenden AGB-Klausel getroffen werden kann (dazu Lange/Holtwieche, ZErb 2016 S. 125, 128, die hier eher die Vertragsfreiheit betonen). Das wurde beispielsweise mit dem Hinweis verneint, eine solche Klausel verstoße gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken des § 1922 BGB, von dem sie abweicht, nicht vereinbar ist (Pruns, ) oder wesentliche Pflichten aus dem Vertrag einschränkt (ausführlich: Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass in der Vorsorge- und Erbrechtspraxis, 2018, § 5 Rz. 1 ff.).
III. Die mündliche Verhandlung vor dem BGH
Der BGH hat die aufgeworfenen Fragen nun beantwortet und einen Anspruch der Erben auf Zugang zu dem Nutzerkonto der Verstorbenen bei Facebook bejaht (die grundsätzlichen Erwägungen des Senats ergeben sich aus der Pressemitteilung Nr. 115/2018; vgl. ferner die mündliche Urteilsverkündung, die sich auf dem YouTube-Kanal des Senders Phoenix findet, http://go.nwb.de/ncyum).
1. Rechtsnachfolge
Die Rechtsnachfolge in Verträge über digitale Dienstleistungen richtet sich, wie der Senat klarstellt, grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften, also insbesondere nach § 1922 Abs. 1 BGB. Einer Differenzierung nach privaten und geschäftlichen Inhalten erteilt der Senat eine eindeutige Absage, wofür er auf § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB verweist. Es bestehe „aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln“ als „analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe“, wie es in der Pressemitteilung des BGH zutreffend heißt.
Auch ist der Nutzungsvertrag mit Facebook nicht so sehr an die Person des Vertragspartners gebunden, als dass sich hieraus ein Ausschluss der Vererbbarkeit ergeben könnte (Rechtsgedanke der §§ 38, 399 BGB).
2. Rechte Dritter
Ferner können die Nutzer von Facebook auch nicht erwarten, dass ihre Kommunikation mit dem Erblasser einer absoluten Vertraulichkeit unterliegt. Zum einen sind die Erben als Rechtsnachfolger des Erblassers nicht „andere“ i. S. des § 88 Abs. 3 TKG, wie der Senat feststellt. Zum anderen, so der Senat weiter, ist es im Bereich der analogen Kommunikation gerade die Regel, dass beispielsweise die Briefschaften des Erblassers Teil des Nachlasses sind (vgl. die bereits erwähnten §§ 2047 Abs. 2, 2373 Satz 2 BGB). Darüber hinaus ist die S. 263Kommunikation bei Facebook auch nicht so ausgestaltet, dass man mit der Geheimhaltung rechnen kann. Die Kommunikation ist nicht speziell personengebunden, sondern an ein Benutzerkonto. Die Nutzer von Facebook können deshalb bereits zu Lebzeiten ihres jeweiligen Kommunikationspartners nicht ausschließen, dass sich z. B. Dritte unberechtigten Zugriff verschaffen oder die Kommunikationspartner selbst Dritten Kenntnis verschaffen. Nach dem Tod müssen die Nutzer zudem mit der Vererbbarkeit rechnen.
3. AGB
Ein Ausschluss der Vererbbarkeit, so der Senat weiter, könne zwar auch vertraglich vereinbart werden. Allerdings ist die Gedenkzustandsrichtlinie von Facebook nicht wirksam gemäß § 305 BGB als AGB in den Nutzungsvertrag einbezogen worden, da sie im Hilfebereich und nicht bei den Nutzungsbedingungen von Facebook zu finden ist. Zudem, so der Senat weiter, ist es nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB (Inhaltskontrolle von AGB) schon grundsätzlich unzulässig, in AGB den Ausschluss der Vererbbarkeit zu vereinbaren.
IV. Bewertung
Das Urteil ist sowohl vom Ergebnis als auch von den Begründungen her zu begrüßen. Insbesondere zeigt sich, dass die Probleme des digitalen Nachlasses mit den bekannten Wertungen des BGB sachgerechten Lösungen zugeführt werden können. Der Senat hält offensichtlich eine gesetzliche Regelung des digitalen Nachlasses, wie sie beispielsweise der DAV und auch so mancher Fachautor noch kürzlich gefordert haben, für nicht erforderlich. Trotzdem hat etwa Verbraucherminister Hauk das Urteil des BGH zum Anlass genommen, mitzuteilen, dass er einen Gesetzvorschlag hat vorbereiten lassen. Ob dieser mehr Klarheit bringen würde, bleibt abzuwarten.
Dogmatischen Irrwegen in der Diskussion um den digitalen Nachlass hat der Senat jedenfalls eine deutliche Absage erteilt. Die Nachlassgestaltung darf nicht von den Entscheidungen der Anbieter digitaler Dienstleistungen abhängen, sondern muss weiter in den Händen der Erblasser bleiben.
V. Ausblick
Beendet ist die Diskussion um den digitalen Nachlass damit aber noch lange nicht. Sie dürfte tatsächlich erst jetzt beginnen.
So muss man beispielsweise fragen, ob die inzwischen von Facebook eingeführten Regelungen zur Angabe eines Nachlasskontakts (zu diesen vgl. etwa den Bericht auf spiegel.de zum Urteil, siehe hierfür http://go.nwb.de/9hue2) zulässig sind oder ggf. auch die Rechte der Erblasser und Erben unzulässig einschränken. Hier werden bereits weitere Rechtsstreitigkeiten erwartet (so die Einschätzung von Hipp, „Der nächste Rechtsstreit kommt bestimmt“, siehe hierfür http://go.nwb.de/0dwkf). Ob die von Seiten der Politik angedachten Gesetzvorschläge solche Punkte bereits abdecken, muss bezweifelt werden.
Die Bedeutung des digitalen Nachlasses dürfte zudem noch aus ganz anderen Gründen weiter wachsen. Die auf uns zukommenden Rechtsfragen werden nämlich vielfältiger werden. Wie gibt man z. B. Pflichtteilsberechtigten richtig Auskunft über digitale Hinterlassenschaften? Genügt es, die einzelnen Geräte aufzuführen oder muss man auch die dort gespeicherten Inhalte benennen? Wie ist es, wenn die Inhalte auf den Datenträgern Dritter gespeichert sind, etwa auf den Servern von Videoplattformen, etc.? Wie sind solche Inhalte bei der Berechnung des Pflichtteils zu bewerten? Man denke dazu etwa an Personen, die als Video-Blogger (Vlogger) oder „Influencer“ ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Die Entscheidung des BGH ist mithin, wie eingangs bereits angedeutet, nur ein vorläufiger Schlusspunkt der Diskussion. Die Digitalisierung wird sich weiter beschleunigen und die Beschäftigung mit dem digitalen Nachlass weiter vorantreiben.
Fundstelle(n):
NWB-EV 8/2018 Seite 261
LAAAG-89614