Berichtigung; Fälligkeit; Leistung; Steuerentstehung; Umsatzsteuer; Vereinnahmung; Vergütung
Rechtsfrage
1. Ist Artikel 63 MwStSystRL unter Berücksichtigung der dem Steuerpflichtigen zukommenden Aufgabe als Steuereinnehmer für den Fiskus einschränkend dahingehend auszulegen, dass der für die Leistung zu vereinnahmende Betrag
a) fällig ist oder
b) zumindest unbedingt geschuldet wird?
2. Bei Verneinung der ersten Frage: Ist der Steuerpflichtige verpflichtet, die für die Leistung geschuldete Steuer für einen Zeitraum von zwei Jahren vorzufinanzieren, wenn er die Vergütung für seine Leistung (teilweise) erst zwei Jahre nach Entstehung des Steuertatbestands erhalten kann?
3. Bei Bejahung der zweiten Frage: Sind die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der ihnen nach Artikel 90 Absatz 2 MwStSystRL zustehenden Befugnisse berechtigt, bereits für den Besteuerungszeitraum der Steuerentstehung von einer Berichtigung nach Artikel 90 Absatz 1 MwStSystRL auszugehen, wenn der Steuerpflichtige den zu vereinnahmenden Betrag mangels Fälligkeit erst zwei Jahre nach Eintritt des Steuertatbestands vereinnahmen kann?
Gesetze: RL 2006/112/EG Art 63, RL 2006/112/EG Art 65, RL 2006/112/EG Art 90 Abs 1, RL 2006/112/EG Art 90 Abs 2, UStG § 13 Abs 1 Nr 1, UStG § 17 Abs 2 Nr 1
Instanzenzug (anhängig gemeldet seit 28.10.2017): , Vorabentscheidungsersuchen
Dieses Verfahren ist erledigt
erledigt durch:
- Urteil
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des (C-548/17 - B) geht es um die sog. Sollbesteuerung bei der Umsatzsteuer. Nach der Sollbesteuerung (§ 16 Abs. 1 S. 1 UStG) entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldezeitraums, in dem die Leistung ausgeführt worden ist. Auf die Fälligkeit oder die Vereinnahmung des Entgelts kommt es nicht an. Dies führt dazu, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer auf die von ihm ausgeführten Leistungen an das Finanzamt abführen muss, auch wenn er das Entgelt noch nicht vereinnahmt hat. Sofern das Entgelt erst nach Ablauf des Voranmeldezeitraums fällig wird, muss der Unternehmer die Umsatzsteuer somit vorfinanzieren. Korrespondierend zu dieser Sollbesteuerung kann der Unternehmer aber auch sein Vorsteuerabzugsrecht unabhängig vom Fälligkeits- oder Zahlungszeitpunkt geltend machen, sobald er eine Leistung bezogen hat und ihm diese in Rechnung gestellt wurde.
Kleinere Unternehmer (mit einem Gesamtumsatz bis 500.000 EUR oder bei Befreiung von der Buchführungspflicht nach § 148 AO) sowie Freiberufler (i.S.d. § 18 EStG) können dagegen beim Finanzamt die sog. Istbesteuerung (§ 20 UStG) beantragen. Danach entsteht die Umsatzsteuer erst in dem Zeitpunkt, in dem der Unternehmer das Entgelt tatsächlich vereinnahmt. Eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den leistenden Unternehmer tritt in diesem Fall nicht ein.
Der Streitfall betrifft eine Spielervermittlerin, die im bezahlten Fußball tätig ist. Bei erfolgreicher Vermittlung von Profifußballspielern erhielt sie Provisionszahlungen von den aufnehmenden Fußballvereinen. Die Provisionszahlungen waren in Raten verteilt auf die Laufzeit des Arbeitsvertrages des Spielers zu leisten, wobei die Fälligkeit und das Bestehen der einzelnen Ratenansprüche unter der Bedingung des Fortbestehens des Arbeitsvertrages zwischen Verein und Spieler standen.
Das Finanzamt ging davon aus, dass die Klägerin ihre im Streitjahr 2012 erbrachten Vermittlungsleistungen auch insoweit bereits in 2012 zu versteuern habe, als sie Ratenzahlungen für diese Vermittlungsleistungen vertragsgemäß erst im Jahr 2015 beanspruchen konnte. Es erließ einen Umsatzsteuerbescheid für 2012, in dem es die anteiligen Provisionszahlungen aus der Vermittlung von Spielern, die erst im Jahr 2015 fällig waren, bereits im Streitjahr der Umsatzsteuer unterwarf. Das Finanzgericht gab der hiergegen gerichteten Klage statt.
Mit seinen Vorlagefragen an den EuGH möchte der BFH wissen, ob die unionsrechtlichen Regelungen zur Sollbesteuerung (Art. 63 MwStSystRL) - entgegen ihrem Wortlaut - einschränkend dahin auszulegen sind, dass die Umsatzsteuer erst entsteht, wenn das Entgelt fällig ist oder unbedingt geschuldet wird (1. Vorlagefrage).
Hilfsweise möchte er wissen, ob die Pflicht des Steuerpflichtigen zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer mit übergeordneten Besteuerungs- und Rechtsprinzipien des Unionsrechts (Grundsätze der Proportionalität der Steuer und Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 20 EUGrdRCh) vereinbar ist (2. Vorlagefrage).
Falls der EuGH dies bejaht, möchte der BFH zudem wissen, ob die Mitgliedstaaten bei hinausgeschobener Fälligkeit eine Berichtigung der Umsatzsteuer zulassen dürfen (3. Vorlagefrage).
Die Sollbesteuerung nach dem UStG entspricht den Vorgaben der Art. 63, 66 MwStSystRL. Dies stellt auch der BFH nicht in Zweifel. Er zweifelt gleichwohl daran, dass die mit der Sollbesteuerung einhergehende Vorfinanzierungspflicht der Unternehmen in Fällen, in denen der Leistungsempfänger das Entgelt erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlt, den unionsrechtlichen Grundsätzen entspricht.
Die Zweifel des BFH könnten unbegründet sein. So gibt die MwStSystRL in Art. 63 ausdrücklich vor, dass Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Abweichend hiervon "können" die Mitgliedstaaten gemäß Art. 66 MwStSystRL vorsehen, dass der Steueranspruch (lediglich) für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem späteren Zeitpunkt entsteht (spätestens bei Ausstellung der Rechnung, Vereinnahmung des Preises oder Ablauf einer bestimmten Frist). Von dieser Möglichkeit hat DEU mit der sog. Istbesteuerung nach § 20 UStG Gebrauch gemacht.
Aus der Kann-Bestimmung des Art. 66 MwStSystRL und der darin enthaltenen Einschränkung auf bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen folgt im Umkehrschluss, dass die Umsatzsteuer grundsätzlich unabhängig vom Fälligkeitszeitpunkt der Leistung entsteht.
Die unterschiedliche Behandlung von Unternehmern, je nachdem ob sie der Soll- oder der Istbesteuerung unterliegen, ist von der MwStSystRL ausdrücklich vorgesehen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der leistende Unternehmer aus seinen eigenen Leistungsbezügen die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer - unter den weiteren Voraussetzungen - unabhängig vom Zeitpunkt der Entgeltzahlung oder der Fälligkeit sofort als Vorsteuer abziehen kann (Art. 167 i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL). Gleiches gilt für den Leistungsempfänger, sofern es sich um einen Unternehmer handelt, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Insoweit besteht also ein Liquiditätsvorteil beim Unternehmer zu Lasten des Fiskus.
Auch hat es der leistende Unternehmer selbst in der Hand, eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer zu vermeiden, indem er Anzahlungen fordert oder kurze Fälligkeiten vorgibt.
In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der EuGH Zweifeln an der Vereinbarkeit ausdrücklicher Vorgaben der MwStSystRL mit allgemeinen Unionsrechtsgrundsätzen - soweit ersichtlich - stets eine Absage erteilt. Anzumerken ist aber auch, dass die Entscheidungen des EuGH erfahrungsgemäß schwer vorhersehbar sind. Zudem hat die Vereinbarkeit von Richtlinienbestimmungen mit höherrangigem Recht seit der Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta an Bedeutung gewonnen. Im Bereich der Mehrwertsteuer liegt hierzu noch keine gefestigte EuGH-Rechtsprechung vor.
Hinsichtlich des konkreten Streitfalles ist zudem anzumerken, dass die Würdigung des BFH (sowie des Finanzamtes), wonach die Klägerin ihre Vermittlungsleistungen bereits mit Abschluss der Arbeitsverträge der Fußballspieler ausgeführt hat, zweifelhaft erscheinen könnte. Da die Zahlung der Raten in den späteren Jahren vom Fortbestehen der vermittelten Arbeitsverträge abhängig war, käme hier auch eine Würdigung als wirtschaftlich teilbare Leistung in Betracht. Dann würde die Umsatzsteuer - entsprechend den Ratenzahlungen - (gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 2 und 3 UStG / Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL) erst mit (Ablauf des Voranmeldezeitraums der) Erbringung der jeweiligen Teilleistung entstehen und eine Vorfinanzierung durch die Klägerin entfallen.
Fundstelle(n):
LAAAG-61130