Änderungsmöglichkeit eines Erbschaftsteuerbescheides nach Eintritt der Festsetzungsverjährung
Leitsatz
Ein bestandskräftiger Erbschaftsteuerbescheid kann nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG geändert werden, wenn nachträglich eine wirtschaftliche Belastung eintritt.
Gesetze: § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 5 BewG, § 6 BewG
Instanzenzug:
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Änderungsmöglichkeit eines Erbschaftsteuerbescheides nach Eintritt der Festsetzungsverjährung.
Die Klägerin und ihre beiden Brüder sind die Erben des am verstorbenen A. Am fand die Testamentseröffnung statt und der Testamentsvollstrecker reichte im Anschluss daran die Erbschaftsteuererklärung bei dem beklagten Finanzamt ein.
Der Beklagte setzte die Erbschaftsteuer gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom auf einen Betrag in Höhe von 77.066,00 € fest.
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt C gegen die Klägerin und ihre Brüder als Erben Einkommensteuer in Höhe von insgesamt 180.347,23 € fest, die bei der Berechnung der Erbschaftsteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug gebracht worden ist.
Diese Einkommensteuerschuld resultierte aus einer Beteiligung des Erblassers an einer Kommanditgesellschaft (X KG), die einen sog. "Sanierungsgewinn" erzielte. Das für diesen Sanierungsgewinn zuständige Finanzamt E bejahte zunächst mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung der X und dann erneut mit Änderungsbescheid vom die Voraussetzungen des (Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen; Steuerstundung und Steuererlass aus Billigkeitsgründen) und stellte einen steuerfreien Sanierungsgewinn fest. Auch der weitere Änderungsbescheid vom weist noch einen steuerfreien Sanierungsgewinn aus. Mit letztmaligem Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung der X wich das Finanzamt E erstmalig von seiner ursprünglichen rechtlichen Bewertung ab, erklärte den Sanierungsgewinn als nicht steuerfrei und setzte diesen als außerordentliche Einkünfte fest. Das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt C änderte demzufolge den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 mit Datum vom und erfasste die außerordentlichen Einkünfte aus der Beteiligung an der X KG als Veräußerungsgewinn.
Mit den Schreiben vom , und beantragten die Klägerin und ihre beiden Brüder, die mit Einkommensteuerbescheid vom festgesetzte Steuer als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Zur Begründung führten sie aus, dass die durch das Finanzamt C festgesetzte Einkommensteuer eine vom Erblasser herrührende Schuld sei und dementsprechend als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt werden müsse. Sie verwiesen insoweit auf eine neue Entscheidung des Aktenzeichen II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, in der dieser durch Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung klarstelle, dass die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig seien.
Der Beklagte wies den Antrag mit Bescheid vom mit der Begründung zurück, dass eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung nicht mehr in Betracht käme, da die Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2011 eingetreten sei. Zwar erkannte der Beklagte die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Steuerschulden aus dem Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit an, verneinte aber die Änderungsmöglichkeit des Bescheides mit der Begründung, dass eine einschlägige Korrekturvorschrift nicht gegeben sei.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom form- und fristgerecht Einspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, dass der BFH seine Rechtsprechung nicht nur in Bezug auf die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der vom Erblasser herrührenden Einkommensteuerschulden aus dem Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten geändert habe, sondern auch eine Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung -AO- erfolgt sei. Danach sei in ihrem Fall ein rückwirkendes Ereignis gegeben.
Außerdem habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt, sich gegen den Erbschaftsteuerbescheid in Bezug auf die erst sehr viel später festgesetzte Einkommensteuernachzahlung zu wehren. Die Nachzahlung resultiere aus einem Grundlagenbescheid aus einer Gesellschaftsbeteiligung an der "X KG". Eine Änderung der Einkommensteuerschuld aufgrund dieses Grundlagenbescheides sei zu keiner Zeit erkennbar gewesen.
Nach Auffassung der Klägerin könne die Argumentation des Beklagten bereits deshalb nicht richtig sein, da alle Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide ansonsten auf unbestimmte Zeit offengehalten werden müssten, um nicht durch Eintritt der Festsetzungsverjährung der Änderungsmöglichkeiten von Bescheiden verlustig zu gehen.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Bescheid vom als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zwar grundsätzlich in Betracht käme, aber an der eingetretenen Festsetzungsverjährung scheitern würde. Ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, welches zur Durchbrechung der Festsetzungsverjährung führen könne, läge ebenfalls nicht vor. Insbesondere könne die Einkommensteuernachzahlung nicht als rückwirkendes Ereignis gewertet werden, da die Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis entstehen würden, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Der der Einkommensbesteuerung zugrunde liegende, durch gesonderte und einheitliche Feststellung ermittelte, nicht steuerbefreite Sanierungsgewinn sei der Klägerin bereits mit Bescheid vom vom zuständigen Finanzamt E bekannt gegeben worden. Die Änderung des Grundlagenbescheides sei also nicht aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses erfolgt, sondern durch die rechtliche Würdigung von Tatbeständen, die bei Erlass des Erbschaftsteuerbescheides bereits bekannt gewesen seien. Dass diese steuerlichen Folgerungen erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich im Jahr 2012, gezogen worden seien, ändere nichts daran, dass der Tatbestand, an den die Einkommensbesteuerung knüpfe, bereits im Todesjahr verwirklicht worden sei. Eine Berücksichtigung der nachträglich im Jahr 2012 festgesetzten Einkommensteuernachzahlung für das Jahr 2007 als Nachlassverbindlichkeit könne deshalb nicht mehr erfolgen.
Hierin liege auch kein Verstoß gegen das Grundgesetz oder das Rechtsstaatsprinzip. Die Erlangung des Rechtsfriedens durch Eintritt formeller und materieller Bestandskraft entspräche dem Willen des Gesetzgebers.
Mit Schreiben vom hat die Klägerin Klage beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht erhoben mit dem Ziel der Änderung des Erbschaftsteuerbescheides vom dergestalt, dass die Einkommensteuerschuld des Erblassers aus dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamt C vom als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt wird.
Sie vertrat zunächst die Auffassung, dass zur Zeit der Beantragung der Änderung des Erbschaftsteuerbescheides im August 2012 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO beginne die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem jeweiligen Erwerb erlangt habe. Die Klägerin habe erst mit dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung für das Jahr 2007 des Finanzamtes E vom Kenntnis von der Beteiligung an der X KG erlangt. Damit wäre die Festsetzungsverjährung frühestens mit Ablauf des Jahres 2013 eingetreten.
Darüber hinaus habe die Klägerin erst mit der Feststellung des nicht steuerfreien Sanierungsgewinns mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung vom Kenntnis einer möglichen Einkommensteuerschuld erlangt. Die Klägerin sei weiter davon ausgegangen, dass der Folgebescheid zur Einkommensteuerfestsetzung noch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung des Erbschaftsteuerbescheides erfolgen würde. Deshalb habe sie im Jahr 2012 dann die Anträge auf Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung gestellt.
Die Klägerin trägt weiterhin vor, dass sie aufgrund der zunächst vom Finanzamt E getroffenen Annahme eines steuerfreien Sanierungsgewinns nicht wirtschaftlich belastet gewesen und eine Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit damit zunächst ausgeschieden sei. Sie verweist insoweit auf ein , EFG 2015, 1618 - 1620. Erst als das Finanzamt E seine Rechtsauffassung mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung vom geändert habe, sei die Einkommensteuernachzahlung wahrscheinlich geworden. Die Klägerin habe dann nach der Einkommensteuerfestsetzung mit Änderungsbescheid vom Kenntnis von der "richtigen" Steuerlast gehabt, die sie dann auch bezahlt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei sie auch wirtschaftlich belastet gewesen. Sie ist daher der Auffassung, dass mit dem Änderungsbescheid zur Einkommensteuer vom aus einer aufschiebend bedingten Last eine unbedingte Last geworden sei. Damit sei nach § 6 Abs. 2 Bewertungsgesetz -BewG- i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern, zu denen auch die Erbschaftsteuer gehöre, nach dem tatsächlichen Wert zu berichtigen. Bei der Berichtigung nach § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG komme es auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht an. Die Berichtigung sei bis zum Ablauf des Jahres zu beantragen, welches auf den Eintritt der Bedingung folge. Der Antrag sei mit Schreiben vom und gestellt worden, die tatsächliche Belastung sei am eingetreten.
Sie beantragt daher (sinngemäß),
die Einkommensteuerschuld des Erblassers aus dem Bescheid des Finanzamt C vom unter der Steuernummer 27/187/12089 anteilig in Höhe von 60.115,74 € als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen und die bisher festgesetzte Erbschaftsteuer entsprechend herabzusetzen.
Sie beantragt zusätzlich,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte vollumfänglich auf seine Begründung der Einspruchsentscheidung. Zusätzlich trägt er vor, dass die Festsetzungsverjährung entgegen der Auffassung der Klägerin bereits mit Ablauf des Jahres 2011 eingetreten sei. Für den Beginn des Fristlaufs käme es nicht auf die Kenntnis des Umstandes an, welche Nachlassverbindlichkeiten auf die Erben zukämen, sondern auf die Kenntnis des Erbanfalls an sich. Diese Kenntnis habe die Klägerin spätestens mit Testamentseröffnung am erlangt.
Darüber hinaus ist der Beklagte der Auffassung, dass das von der Klägerin zitierte Urteil des FG Köln der höherrangigen Rechtsprechung des BFH insoweit widerspreche, als es auf die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Belastung der bei zum Stichtag bereits entstandenen Steueransprüchen abstelle. Außerdem weiche der vom FG Köln zu beurteilende Sachverhalt in nicht unerheblicher Weise von dem vorliegenden Sachverhalt ab. So sei dort die Steuer bereits vor dem Todestag entstanden, festgesetzt und die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden, so dass am Todestag eine von der Vollziehung ausgesetzte Nachlassverbindlichkeit zu beurteilen gewesen wäre. Im vorliegenden Fall sei die Steuer zwar entstanden, aber noch nicht festgesetzt gewesen. Würde es sich bei der am Todestag entstandenen Steuer um eine aufschiebend bedingte Last handeln, so hätte der BFH die Änderungsmöglichkeit des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht weiterhin verneint. Denn der BFH gehe weiterhin davon aus, dass es bei der Abzugsfähigkeit alleine auf die materielle Rechtslage und nicht auf die Steuerfestsetzung ankomme.
Außerdem sei die tatbestandliche Nachlassverbindlichkeit "Einkommensteuerschuld" die erbschaftsteuerliche Last i.S.d. § 6 BewG. Die Entstehung der Einkommensteuer sei aber nicht aufschiebend bedingt, sondern entstehe, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpfe. Der zur Entstehung der vorliegenden Einkommensteuerschuld führende Tatbestand des Sanierungsgewinns sei im Veranlagungszeitraum 2007 erfüllt worden.
Der Umstand der fehlenden wirtschaftlichen Belastung mache die Nachlassverbindlichkeit "Einkommensteuerschuld" als solche nicht zu einer aufschiebend bedingten Last i.S.d. § 6 Abs. 2 BewG. Lediglich der Eintritt der wirtschaftlichen Belastung sei möglicherweise aufschiebend bedingt, nicht aber die Entstehung der Last selbst.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
Gründe
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Erbschaftsteuerbescheid kann trotz bereits eingetretener Festsetzungsverjährung geändert werden.
1. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 Erbschaftsteuergesetz -ErbStG- gehören nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen. Der BFH hat deshalb in seinem Urteil vom , Az. II R 15/11, BStBl II 2012, 790, entschieden, dass Erblasserschulden i.S. des § 1967 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- auch die erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten sind, die als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren Voraussetzung verstorben wäre (vgl. BGH-Urteil in NJW 1991, 2558). Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist somit, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb "für den Erblasser" als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht (vgl. a.a.O.).
Nach diesen rechtlichen Grundsätzen ist die Einkommensteuerschuld für das Jahr 2007 (Todesjahr) im Streitfall grundsätzlich als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig.
2. Der Erbschaftsteuerbescheid vom kann auch - entgegen der Auffassung des Beklagten - gem. § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG vorliegend noch geändert werden.
a) Der BFH hat nicht nur entschieden, dass die Steuerschuld vom Erblasser "herrühren", sondern zusätzlich verlangt, dass sie auch eine wirtschaftliche Belastung darstellen muss (vgl. a.a.O., unter 2.d.; , BFH/NV 2011, 1147, unter III.7.c aa aaa).
Diese wirtschaftliche Belastung hat im Streitfall zum Zeitpunkt des Erbschaftsteuerbescheides vom noch nicht vorgelegen. Die Einkommensteuer in Höhe von insgesamt 180.347,23 € ist durch das zuständige Finanzamt C erst mit Bescheid vom festgesetzt und durch die Klägerin und ihre beiden Brüder beglichen worden. Danach ist die wirtschaftliche Belastung also vorliegend erst im Juli des Jahres 2012 eingetreten, so dass eine Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit erst dann beantragt werden konnte.
Da für die Erbschaftsteuerfestsetzung zwischenzeitlich die Festsetzungsverjährung eingetreten ist, eröffnet nur noch § 6 Abs. 2 BewG die Möglichkeit einer Berichtigung der Erbschaftsteuerveranlagung. Andere Änderungsvorschriften scheiden vorliegend aus.
aa) Die Änderungsnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO greift nicht durch. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, soweit kein Ausschlussgrund nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 2. Hs. AO vorliegt. Die Änderungsmöglichkeiten nach § 173 AO enden jedoch mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die Festsetzungsverjährung war im Streitfall bei Antragstellung am bereits eingetreten, insbesondere ist der Beginn der Festsetzungsfrist entgegen der klägerischen Auffassung nicht gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO nach hinten verschoben worden.
Gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber "Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat". Für die "Kenntnis" reicht es nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, insoweit aus, wenn jemand sichere Kenntnis von seiner Erbeinsetzung hat (vgl. - Juris). Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift bedeutet "Kenntnis" also lediglich die sichere Kenntnis von der Einsetzung als Erbe sowie das Fehlen ernstlicher Zweifel am Bestand des Erbanfalls (vgl. mit weiteren Nachweisen BFH, a.a.O.). Nach diesen Grundsätzen ist es unerheblich, ob die Erben neben der Kenntnis ihrer Erbschaft auch noch Kenntnis über jeden einzelnen (positiven oder negativen) Vermögensgegenstand haben oder nicht. Die Frist beginnt mit der Erlangung dieser Kenntnis damit selbst dann, wenn einzelne Positionen wie z.B. eine Beteiligung oder Steuerschuld des Erblassers (noch) unbekannt sind. Einen für jeden einzelnen positiven oder negativen Vermögensgegenstand der Erbmasse individuell zu ermittelnden Beginn der Festsetzungsverjährung sieht § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht vor.
Diesen allein auf die Kenntniserlangung vom Erbrecht abstellenden Grundsatz teilt auch die Literatur (vgl. etwa König, Kommentar zur AO, 3. Aufl., § 170 Rz. 46 mit weiteren Nachweisen); z. T. wird dabei zudem auf die Höhe des Erbteils - nicht jedoch auf die Höhe und das Vorliegen einzelner Vermögensgegenstände - abgestellt (vgl. König, a.a.O. mit Verweis auf FG Hamburg, EFG 1987, 572).
Es besteht zudem Einigkeit darüber, dass der Begriff der "Kenntnis" demjenigen entspricht, welcher auch im § 30 Abs. 1 ErbStG bemüht wird. Auch im Zusammenhang mit dieser Vorschrift wird allein darauf abgestellt, ob der Erbe Kenntnis vom konkreten Erbanfall und seiner dadurch begründeten Erbenstellung hat. Eine abweichende Meinung, welche auf die Kenntnis einzelner positiver oder negativer Vermögensgegenstände abstellt, ist nach Auffassung des Gerichts nicht vorhanden.
Schließlich wird z.T. eine Parallelität zwischen dem Begriff der Kenntnis in § 170 Abs. 5 AO mit demjenigen in § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB befürwortet (vgl. hierzu FG Niedersachsen, EFG 1986, 27). Auch dieser Ansatz führt zum selben Ergebnis. Denn auch § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB stellt nicht auf die Kenntnis hinsichtlich der einzelnen Vermögensgegenstände ab, sondern allein auf die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft (, Juris).
Nach alledem ist kein Ansatz erkennbar, wonach es für die Hinauszögerung der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 5 Satz 1 AO darauf ankommt, ob die Erben konkrete Kenntnis hinsichtlich einzelner Vermögensgegenstände hatten.
Der Erblasser ist am verstorben. Die Festsetzungsverjährung ist damit mit Ablauf des eingetreten.
bb) Die Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen ebenfalls nicht vor. Wie der Beklagte in der Einspruchsentscheidung zutreffend ausführt, hat der BFH in seinem Urteil vom (II R 35/03), veröffentlicht in BFH/NV 2005, 1093-1094, die Auffassung vertreten, dass die Einkommensteuernachzahlung kein materiell rückwirkendes Ereignis darstellt. Er hat dabei darauf abgestellt, dass eine Änderung nur dann möglich sei, wenn das maßgebende Ereignis eintritt, nachdem der zu ändernde Steuerbescheid ergangen ist. Dies ist im vorliegenden Streitfall jedoch nicht gegeben, weil die Einkommensteuerschuld bereits am Ende des Veranlagungszeitraums entstanden ist. Alle späteren vom Kläger angeführten Umstände - etwa die Ermittlung des zutreffenden Aufgabegewinns durch den Betriebsprüfer sowie der Erlass eines (geänderten) Einkommensteuerbescheids - stellen lediglich Folgerungen aus dem bereits im Veranlagungszeitraum (das Jahr 2007) verwirklichten und zur rechtlichen Entstehung der Einkommensteuerschuld führenden Tatbestand dar.
Der Beklagte hat in der Einspruchsentscheidung zutreffend ausgeführt, dass die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist. Ob dieser Tatbestand erst später - etwa nach einer Betriebsprüfung - bescheidmäßig umgesetzt wird, ist insoweit nicht erheblich. Auch überzeugen die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung, wonach der BFH in seinem Urteil vom (II R 15/11 - Juris) zwar die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit von Steuerschulden bejaht hat, dass er aber seine Rechtsauffassung zu § 175 AO hinsichtlich der Frage der materiellen Rückwirkung nicht geändert hat. Die im Urteil vom vom BFH vorgenommene Änderung der Rechtsprechung des BFH bezog sich nicht auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 175 AO. Der Senat hat dort vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass es bei der Abzugsfähigkeit allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die Steuerfestsetzungen ankommt. Wird die Einkommensteuer also erst nach dem Erbschaftsteuerbescheid festgesetzt, ist dies unerheblich und es liegt damit kein erhebliches - materiell rückwirkendes - Ereignis vor.
cc) Die Voraussetzungen einer Änderung des Erbschaftsteuerbescheides gem. § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG sind jedoch gegeben.
Nach § 6 Abs. 1 BewG werden Lasten, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängen, nicht berücksichtigt. Jedoch ist auf Antrag die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern, also insbesondere auch der Erbschaftsteuer, bei Eintritt der Bedingung in der Weise zu berichtigen, dass die nunmehr entstandene Last berücksichtigt wird (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 2 BewG).
Im Zeitpunkt des Erbfalles und zum Zeitpunkt der Erbschaftsteuerfestsetzung war nicht sicher, ob die Einkommensteuerbelastung der Erben hinsichtlich des zunächst angenommenen steuerbegünstigten Sanierungsgewinns überhaupt entstehen wird. Es stand demzufolge auch nicht fest, ob überhaupt eine wirtschaftliche Belastung eintreten wird.
Es handelt sich bei der künftigen ungewissen Einkommensteuerbelastung der Erben zwar nicht um eine rechtsgeschäftlich bedingte Verbindlichkeit. Die Einkommensteuerschuld entsteht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Regelung des § 6 BewG gilt aber für rechtsgeschäftliche und gesetzliche Bedingungen gleichermaßen (vgl. Prof. Dr. Keuk, "Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer", DB 1973, 634 [636]). Wie bei der rechtsgeschäftlich bedingten Schuld ist auch bei der etwaigen Einkommensteuerbelastung der Erben die Grundlage für die Verpflichtung in dem für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt schon vorhanden. Wegen der in beiden Fällen bestehenden Ungewissheit, ob und wann die Verpflichtung tatsächlich entstehen wird, kommt ein sofortiger Abzug nicht in Betracht. Für nicht laufend veranlagte Steuern wird, wenn die Verpflichtung dann tatsächlich entstanden ist, der Tatsache Rechnung getragen, dass der Grund für die Verpflichtung bereits zum Bewertungsstichtag gelegt war (vgl. zum Vorgenannten insgesamt Prof. Dr. Keuk, "Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer", DB 1973, 634 [636]).
Der Anwendungsbereich des § 6 BewG ist nicht auf die rechtsgeschäftliche Bedingung beschränkt. Die Erbschaftsteuerveranlagung ist also, wenn feststeht, dass und in welcher Höhe die Last tatsächlich entstanden ist, nach § 6 Abs. 2 BewG zu berichtigen.
Der erforderliche Antrag ist durch die Klägerin mit Schreiben vom und gestellt worden. Die Jahresfrist wurde gewahrt.
3. Das klägerseits angeregte Zwischenurteil nach § 99 Finanzgerichtsordnung -FGO- scheidet vorliegend aus. Selbst wenn sich die Höhe der Einkommensteuerbelastung nachträglich noch einmal ändern sollte, käme erneut die Änderungsmöglichkeit nach § 6 BewG in Betracht. Innerhalb eines Jahres kann dann der entsprechende Antrag gestellt werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Entscheidung ergeht gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
6. Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DStR 2017 S. 8 Nr. 27
DStRE 2017 S. 1203 Nr. 19
EFG 2016 S. 1965 Nr. 23
ErbBstg 2017 S. 55 Nr. 3
ErbStB 2017 S. 5 Nr. 1
NWB-EV 2017 S. 45 Nr. 2
NWB-EV 2017 S. 70 Nr. 2
Ubg 2017 S. 611 Nr. 10
LAAAF-86101