NWB-EV Nr. 11 vom Seite 377

Fehlerquellen im Pflichtteilsrecht

Fallstricke erkennen und vermeiden

Dr. Ingeborg Haas *

Anders als man vielleicht annehmen könnte, kann ein Erbe nach deutschem Recht nicht völlig frei darüber entscheiden, wer nach seinem Tod Anteil an seinem Vermögen hat bzw. wen er ausdrücklich von der Erbfolge ausschließt. Die Personen, die von Gesetzes wegen pflichtteilberechtigt sind, haben in der Regel einen Anspruch, aus der Erbmasse einen gesetzlich vorgegebenen Mindestanteil zu erhalten. Dies gilt sogar dann, wenn beispielsweise der Kontakt zu einem Pflichtteilsberechtigten seit Jahren nicht mehr bestanden hat. Nur in ganz engen, vom Gesetz vorgegebenen Fällen ist es möglich, dass der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten vollständig von der Teilhabe am Erbe ausschließt. Problematisch wird dies dann, wenn bei den letztwilligen Verfügungen dieser Umstand nicht berücksichtigt wird und die Erben durch Pflichtteilsrechte belastet werden, die nicht einkalkuliert waren. Dies kann dann dazu führen, dass Sachwerte, die eigentlich erhalten werden sollten, verwertet werden müssen, um den Anspruch zu bedienen. Auch drohen langwierige Rechtsstreitigkeiten, wenn die Existenz von Pflichtteilsansprüchen nicht im Vorfeld berücksichtigt worden ist und sie erst in einem gerichtlichen Verfahren geklärt werden müssen. Dem gilt es vorzubeugen, indem bei der Gestaltung von letztwilligen Verfügungen die Pflichtteilsansprüche „richtig“ berücksichtigt werden. Im Gegenzug müssen Personen, die enterbt wurden, ihre Rechte und vor allem die Fristen für ihre Geltendmachung kennen.

Kernaussagen
  • Irrtümer im Rahmen des gesetzlichen Pflichtteils finden sich häufig bei der Bestimmung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten sowie bei der Berechnung der Höhe des Pflichtteils. Allein durch eine Beteiligung des Pflichtteilsberechtigten am Erbe kann sein Pflichtteilsanspruch nicht ausgeschlossen werden, wenn der Erbteil kleiner ist als der Pflichtteilsanspruch.

  • Eine vollständige Entziehung des Pflichtteils ist nur in ganz wenigen Ausnahmefällen möglich, bspw. wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser oder einer ihm nahe stehenden Person nach dem Leben getrachtet oder sich gegenüber diesen eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens schuldig gemacht hat. Allein eine persönliche Verfehlung des Pflichtteilsberechtigten reicht nicht aus.

  • Bei lebzeitigen Zuwendungen ist zu beachten, dass diese, wenn sie auf den Pflichtteil angerechnet werden sollen, ausdrücklich mit einer entsprechenden Bestimmung vorgenommen werden müssen. Sie können weiterhin zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch führen mit der Folge, dass sie dem Nachlass zugerechnet werden müssen. Der Anspruch reduziert sich allerdings ?pro rata temporis? mit jedem Jahr, das seit der Schenkung vergangen ist.

I. Fehlerquelle: Falsche Vorstellung vom Pflichtteilsrecht

1. Überblick

Nach dem deutschen Erbrecht steht bestimmten Personen, die in einer genau definierten verwandtschaftlichen Beziehung zum Erblasser stehen, ein Anspruch zu, an dessen Erbe teil zu haben. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2005 noch einmal ausdrücklich daran festgehalten, dass insbesondere Kindern grundsätzlich ein Anspruch zusteht, auch wenn sie sich beispielsweise von den Eltern entfremdet oder mit ihnen zerstritten haben. Das BVerfG hat auch festgehalten, dass diese Teilhabe unabhängig vom Bedarf des Kindes ist. Darin unterscheidet sich die deutsche Handhabung beispielsweise von der in den USA, wo die Verteilung auch am Bedarf ausgerichtet werden kann und finanziell versorgte Kinder keinen Anspruch haben. Nur in ganz klar gesetzlich geregelten Fällen darf der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten von der Teilhabe am Erbe ausschließen (, 1 BvR 188/03 NWB WAAAB-85480 und vom - 1 BvR 188/ 03 NWB LAAAB-85595, siehe dazu unter II.).

2. Pflichtteilsberechtigte

Pflichtteilsberechtigt sind nicht alle gesetzlichen Erben, sondern ausdrücklich nur S. 378

  • die Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel- und Urenkelkinder usw.),

  • der Ehegatte,

  • der überlebende Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft,

  • die Eltern des Erblassers, soweit der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlassen hat (§ 2303 BGB).

Insbesondere Geschwister des Erblassers sind zwar gesetzliche Erben, nicht aber pflichtteilsberechtigt.

Bei der Berücksichtigung der maßgeblichen Personen, die für die Ermittlung des gesetzlichen Erbteils und damit eines Pflichtteilsanspruchs heranzuziehen sind, ist darauf zu achten, dass Verwandte nur dann einen gesetzlichen Erbanspruch haben, wenn kein Verwandter einer vorausgehenden Ordnung vorhanden ist. Das Gesetz teilt die Erben in unterschiedliche Ordnungen ein, die sich aus der verwandtschaftlichen Nähe ableiten (§§ 1924 ff. BGB).


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Ordnung
Verwandtschaftsverhältnis
Pflichtteilsanspruch
1.
Abkömmlinge des Erblassers
Ja
2.
Eltern [1]
Ja
3.
Großeltern und deren Abkömmlinge
Nein
4.
Urgroßeltern und deren Abkömmlinge
Nein

Innerhalb der einzelnen Ordnungen schließt ein lebender Elternteil eigene Abkömmlinge von der Erbfolge aus.

Wenn also auch Eltern des Erblassers grundsätzlich pflichtteilsberechtigt sind, so sind sie dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser Abkömmlinge (Kinder und Kindeskinder) hat (§ 2309 BGB). Die Eltern gehören zu Erben der zweiten Ordnung. Die Kinder sind Erben der ersten Ordnung.

Fehler Nr. 1:

Von Ehepaaren oder Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft wird häufig übersehen, dass die Eltern des erstversterbenden Partners einen Pflichtteilsanspruch haben, wenn keine Abkömmlinge des Erstversterbenden existieren. Sie sind nämlich gesetzliche Erben zweiter Ordnung, die dann einen Anspruch haben, wenn kein gesetzlicher Erbe erster Ordnung vorhanden ist. Aber nur Abkömmlinge sind Erben erster Ordnung – nicht der Partner.

Fälschlicherweise wird aber unterstellt, der überlebende Partner würde alles erben, wenn keine Kinder da sind. Tatsächlich erbt er in der Regel aber nur ½ und erhält über den fiktiven Zugewinnausgleich zusätzlich ¼. Wenn er in einem Testament zum Alleinerben gemacht wurde, steht den Eltern immer noch ½ des verbleibenden ¼ zu.

Fehler Nr. 2:

Die oben genannten Personen haben nicht nur dann einen Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil, wenn sie von der Erbfolge vollständig ausgeschlossen (enterbt) sind, sondern auch dann, wenn sie zwar Erbe geworden sind, der auf sie entfallende Anteil an der Erbschaft aber kleiner ausfällt als der Pflichtteilsanspruch, den sie erhalten würden, wenn sie nicht geerbt hätten. Eine Fehlerquelle liegt hier in der Fehlvorstellung, dass durch eine Beteiligung am Erbe der Pflichtteilsanspruch ausgeschlossen werden kann.

Beispiel

Erblasser E hinterlässt ein Vermögen i. H. von 1.000.000 €. Zum Zeitpunkt des Todes ist er mit F verheiratet und hat aus dieser Ehe zwei Kinder K3 und K4. Aus erster Ehe hat er ebenfalls zwei Kinder K1 und K2, zu denen aber in den letzten 20 Jahren keinerlei Kontakt bestanden hat.

Im Testament verfügt E, dass seine Ehefrau F die Hälfte des Vermögens in Form des Wohnhauses erhält. Seine beiden Kinder aus der Ehe mit F sollen je 225.000 € erhalten, diese Werte stecken in den ihnen zugewandten Eigentumswohnungen. Die beiden Kinder aus erster Ehe erhalten je 25.000 € Barvermögen. E geht davon aus, dass damit deren Ansprüche befriedigt sind und seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder die Immobilien behalten können.

Hier sind die K1 und K2 zwar Erben geworden, doch ist die Quote, die sie an der Erbschaft erhalten, niedriger als ihr Pflichtteilsanspruch, der ½ des gesetzlichen Anspruchs beträgt. Gesetzlich steht den Kindern die Hälfte des Vermögens zu. Damit hätte zwischen den vier Kindern 500.000 € gleichermaßen verteilt werden müssen, so dass jedes Kind 125.000 € erhalten hätte. Die Hälfte von 125.000 € beträgt 62.500 €. Nach der testamentarischen Verfügung haben die beiden Kinder aus erster Ehe aber nur 25.000 € erhalten, so dass sie einen Anspruch haben, von den anderen Erben F, K3 und K4 den Differenzbetrag i. H. von jeweils 37.500 € zu erhalten.

Da die anderen Erben nur Sachvermögen erhalten haben, müssen sie die Pflichtteilszahlung finanzieren oder den Sachwert verwerten, um die nötige Liquidität zu erhalten.

Hätte E das berücksichtigt, hätte er entsprechend vorsorgen können. Er hätte beispielsweise zu Lebzeiten mit den Kindern K1 und K2 einen Pflichtteilsverzicht vereinbaren oder über eine Lebensversicherung die nötige Liquidität für die Pflichtteilsauszahlung ansparen können (siehe unten).

Obwohl die Kinder also Erben geworden sind, sind sie auch Pflichtteilsberechtigte.

3. Pflichtteilsberechnung

Die Höhe des Pflichtteils ergibt sich aus der gesetzlichen Erbquote. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

Fehler Nr. 3:

Eine Fehlerquelle liegt in der Berechnung der Pflichtteilsquote, so dass auch dort, wo der Pflichtteilsanspruch als solcher erkannt wird, von falschen Beträgen ausgegangen wird und dann die Gestaltung nicht zu dem Ziel führt, was eigentlich angestrebt wurde.

Um die gesetzliche Erbquote zu ermitteln, sind zunächst alle gesetzlich erbberechtigten Personen einzubeziehen – auch die Personen, die das Erbe ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt wurden. Die Erben, die allerdings bereits zu Lebzeiten des Erblassers auf ihren Erbteil verzichtet haben, werden nicht einbezogen. Sodann ist unter Berücksichtigung aller beteiligten gesetzlichen Erben anhand der gesetzlich in den §§ 1924 ff. BGB vorgegebenen Regelungen der Erbteil zu S. 379ermitteln. Die testamentarisch vorgegebene Verteilung spielt für diese Betrachtung keine Rolle.

Beispiel

E und F leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und haben zwei Kinder (K1 und K2). K1 hat vor Jahren bereits gegen Zahlung einer Abfindung auf seinen Erbteil [2] verzichtet.

Im Testament hat E verfügt, dass F Alleinerbin wird. Er ging dabei davon aus, dass K2 mit K1 einen gesetzlichen Anspruch auf ½ des Erbes hätte und dieser jedem hälftig zustehen würde. Damit hätte K2 ein Pflichtteilsanspruch i. H. der Hälfte aus ¼ zugestanden. Entsprechende Barmittel standen zur Verfügung.

Mit dieser testamentarischen Regelung hat er K2 faktisch enterbt. Ihm steht daher ein Pflichtteilsanspruch zu. Die gesetzliche Erbfolge wäre in diesem Fall, da K1 aber verzichtet hat, folgende:

Da die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben, erhält F von Gesetzes wegen 1/4 des Vermögens des E als sogenannten fiktiven Ausgleich des Zugewinns (§ 1371 BGB). Ein weiteres Viertel erbt F nach § 1931 Abs. 1 BGB. Die verbleibende Hälfte des Erbes steht den Kindern zu (§§ 1930, 1924 BGB). Zwar erben mehrere Kinder grundsätzlich zu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 4 BGB), doch ist hier K1 aufgrund des Pflichtteilsverzichts bei dieser Berechnung außen vorzulassen. K2 würde damit ein gesetzlicher Erbanspruch i. H. von 1/2 des Nachlasses zustehen. Da K2 aber durch die testamentarische Regelung von der Erbschaft ausgeschlossen ist, reduziert sich sein Anspruch um die Hälfte, so dass er 1/4 als Pflichtteilsanspruch geltend machen kann. Satt dem kalkulierten 1/8 kann K2 also 1/4 des Gesamterbes geltend machen.

II. Fehlerquelle: Pflichtteilsentziehung

1. Überblick

Grundsätzlich kann der Erblasser einem Pflichtteilsberechtigtem seinen Anteil nicht durch testamentarische Verfügung entziehen. Der Gesetzgeber hat aber in § 2333 BGB eine abschließende Aufzählung der Fälle aufgenommen, die die Entziehung auch des Pflichtteils rechtfertigen. In einem solchen Fall erhält der vermeintlich Pflichtteilberechtigte nichts aus dem Nachlass. Verfehlungen des Erben, die nicht in § 2333 BGB genannt sind, rechtfertigen keine Entziehung des Pflichtteils.

Fehler 4:

Erblasser gehen gelegentlich davon aus, dass sie völlig frei darin sind, in welchem Umfang sie Nachkommen am Erbe teilhaben lassen können. Wenigstens in den Fällen, wo Erben den Kontakt zum Erblasser abgebrochen oder sich mit diesem zerstritten haben, wird unterstellt, dass es möglich ist, diese Personen vollständig vom Erbe auszuschließen. Wie oben bereits angedeutet, ist dies aber nur in sehr engen Grenzen möglich. Geht der Erblasser fälschlicherweise davon aus, dass er einen Erben aufgrund eines Fehlverhaltens vollständig vom Erbe und auch vom Pflichtteilsanspruch ausschließen kann, führt auch dies zu Auseinandersetzungen und gegebenenfalls finanziellen Problemen der Erben, da bei der Verteilung des Erbes auf diesen Umstand nicht bereits geachtet wurde. Für den Fall, dass die Entziehung des Pflichtteilsanspruchs geplant ist, müssen daher die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 BGB genau geprüft werden, um zu gewährleisten, dass tatsächlich ein Fall vorliegt, der zur Entziehung des Pflichtteilsanspruchs führen kann.

2. Voraussetzung für die Pflichtteilsentziehung

Der Erblasser kann dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil entziehen, wenn eine der in § 2333 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen vorliegt.

a) „Nach dem Leben trachten“ (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB)

Der Pflichtteilsberechtigte hat dem Erblasser, seinem Ehegatten oder einem anderen Abkömmling „nach dem Leben getrachtet“. Dies bedeutet deutlich mehr als nur die Ausübung körperlicher Gewalt. Der betroffene Erbe muss also tatsächlich konkrete Handlungen ergriffen haben, um den Erblasser oder die sonst in der Nr. 1 genannten Personen zu töten. Seit 2010 sind hier auch Personen umfasst, die dem Erblasser ähnlich nahe stehen wie die ausdrücklich im Gesetz genannten Personen. Damit sind beispielsweise Stiefkinder des Erblassers oder nichteheliche Lebenspartner mit einbezogen worden.

Personen, die mit dem Erblasser nur in häuslicher Gemeinschaft leben, zu denen er aber keine enge Beziehung aufrecht erhält, wie sie innerhalb der Familie und damit zu den ausdrücklich genannten Personen üblich ist (beispielsweise Schwiegereltern oder Eltern des nichtehelichen Lebenspartners) sind von dem Schutzbereich nicht umfasst. In Betracht kommt aber eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB, wenn der Erbe nämlich wegen der Angriffe auf diese Person zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (§ 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB).

b) Verbrechen oder schwere Vergehen (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB)

Auch Verbrechen oder schwere vorsätzliche Vergehen gegen eine der in der vorausgegangenen Alternative genannten Personen rechtfertigen die Entziehung des Pflichtteils. Hierunter sind auch körperliche Misshandlungen zu fassen, die nicht das Ausmaß eines Angriffs auf das Leben der in der Alternative 1 genannten Personen haben müssen. Der Kreis der Personen, der hier zu berücksichtigen ist, ist mit dem Kreis der Personen identisch, der nach der vorausgegangenen Alternative unter den Schutzbereich dieser Vorschrift fällt.

c) Verletzung von Unterhaltspflichten (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB)

Wenn der Pflichtteilsberechtigte Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommt, die er gegenüber dem Erblasser hat, rechtfertigt dies die Entziehung des Pflichtteils. Verletzt er allerdings Unterhaltsverpflichtungen anderen Personen gegenüber, kann eine Pflichtteilsentziehung hierauf nicht gestützt werden. Praktisch hat diese Regelung aber kaum Bedeutung, da ein unterhaltsberechtigter Erblasser in der Regel auch kein Erbe hinterlassen wird.S. 380

d) Freiheitsstrafe oder ähnliches (§ 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB)

Der Pflichtteil kann entzogen werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wurde oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat aufgrund einer rechtskräftigen Anordnung untergebracht ist und es dem Erblasser wegen dieses Tatbestands nicht zugemutet werden kann, den Abkömmling am Nachlass teilhaben zu lassen. Hierunter würde beispielsweise eine Körperverletzungen fallen, die der Erbe gegenüber Personen ausgeübt hat, die mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, aber nicht zum Personenkreis der ersten und zweiten Alternative gehören – also beispielsweise die Schwiegereltern. Allerdings genügt nicht die bloße Körperverletzung, notwendig ist vielmehr, dass der Erbe wegen dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wurde. Gerade in Fällen der häuslichen Gewalt dürfte dies eine relativ große Hürde darstellen, da Anzeigen häufig nicht erstattet werden und es daher schon nicht zu einer Verfolgung der Straftat – geschweige denn zu einer Verurteilung – kommt.

Mit dieser Alternative sind aber auch all die Fälle abgedeckt, in denen beispielsweise Personen, die unter einer psychischen Störung leiden, gegen den Erblasser Gewalt ausüben und wegen einer solchen Tat aber nicht verurteilt werden können, da es an der Schuldfähigkeit mangelt. Ausgangspunkt hierfür war ein Fall, der den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2005 (, 1 BvR 188/03 NWB WAAAB-85480) zugrunde gelegen hat. Hier hat ein psychisch gestörter Sohn die Erblasserin, mit der er zusammenlebte, über Jahre regelmäßig körperlich misshandelt und letzten Endes getötet. Da zu diesem Zeitpunkt diese Alternative im Gesetz noch nicht vorgesehen war, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ihm gleichwohl der Pflichtteilsanspruch nicht entzogen werden konnte.

Praxishinweis

Um eine Pflichtteilsentziehung gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen zu können, ist es notwendig, sämtliche Nachweise zu sammeln, um die Behauptungen, die die Pflichtteilsentziehung rechtfertigen sollen, belegen zu können. Insbesondere ist es insoweit erforderlich, deutlich über die üblichen Aufbewahrungsfristen von zehn Jahren hinaus die entsprechenden Belege aufzubewahren.

3. Verzeihung

Fehler 5:

Dem Pflichtteilsberechtigten, in dessen Person die Voraussetzungen für eine Entziehung des Pflichtteils vorliegen, wird zu Lebzeiten verziehen (§ 2337 BGB). Die ist beispielsweise darin zu sehen, dass der Kontakt mit der betreffenden Person wieder aufgenommen wird und sich aus dem Umgang ergibt, dass der ursprünglich eine Entziehung des Pflichtteils rechtfertigende Sachverhalt keine Relevanz mehr haben soll. Mit einer solchen Verhaltensweise verfällt quasi die Rechtfertigung für die Entziehung des Pflichtteils, so dass der Betreffende – obwohl ursprünglich die Voraussetzung für die Entziehung des Pflichtteils vorgelegen haben – für sich zumindest den Pflichtteil in Anspruch nehmen kann.

Beispiel

Der Sohn des E wird wegen verschiedener Sexualdelikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gleichwohl hält sein Vater weiterhin den Kontakt zu ihm und besucht ihn regelmäßig in der Haft. Nach der Entlassung des Sohns kommt es zwischen den beiden zu einem Zerwürfnis, so dass der Vater den Kontakt zum Sohn abbricht. E verfügt in seinem Testament, dass er dem Sohn den Pflichtteil entzieht, da er wegen der Straftaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

In diesem Fall ist eine Entziehung des Pflichtteils nicht möglich, da der Vater durch sein Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass die Straftat, die ursächlich für die Haftstrafe war, keine Relevanz auf die Pflichtteilsberechtigung oder sogar Erbberechtigung des Sohns haben soll. Ursächlich für den Versuch, dem Sohn den Pflichtteil zu entziehen, war vielmehr das folgende Zerwürfnis zwischen den Beteiligten, das für sich genommen keine Rechtfertigung für die Entziehung des Pflichtteils darstellt. Daher ist dem Sohn der Pflichtteil nicht wirksam entzogen worden.

Auch in den Fällen, wo zunächst aufgrund der begangenen Straftat der Kontakt abgebrochen und möglicherweise sogar im Testament die Entziehung des Pflichtteils verfügt wurde, kann die betroffene Person doch noch pflichtteilsberechtigt sein, nämlich dann, wenn im Beispielsfall der Vater zunächst den Kontakt abgebrochen, aber nach der Haftentlassung wieder Kontakt zum Sohn unterhalten hat. Auch hier führt dieses Verhalten dazu, dass der ursprünglich bestehende Grund für die Entziehung des Pflichtteils nicht mehr herangezogen werden kann, um die Pflichtteilsentziehung zu rechtfertigen.

4. Gerichtliche Klärung

Um Unwägbarkeiten in Zusammenhang mit der Entziehung des Pflichtteils schon zu Lebzeiten zu klären, hat der künftige Erblasser die Möglichkeit, eine Feststellungsklage zu erheben. Damit kann er für die Erben Sicherheit herbeizuführen, dass die von ihm einkalkulierte Entziehung des Pflichtteils tatsächlich auch trägt. Zu beachten ist aber auch hier, dass eine Verzeihung, die zeitlich nach der Feststellungsklage liegt, die Berechtigung, den Pflichtteil zu entziehen, hinfällig macht.

Formulierungsvorschlag:

„Es wird beantragt, festzustellen, dass dem Beklagten der nach dem Kläger zustehende Pflichtteilsanspruch nach § 2333 Abs. 1 BGB wegen ......... entzogen werden kann.“

III. Fehlerquelle: Regelung der Anrechnung von lebzeitigen Zuwendungen

In Fällen, in denen künftige Erblasser schon zu Lebzeiten Schenkungen an ihre künftigen Erben machen, wird gelegentlich unterstellt, dass diese Schenkungen den Pflichtteilsanspruch entsprechend reduzieren.S. 381

Beispiel

E schenkt seiner Tochter T1 zu Lebzeiten 100.000 €, da diese ein Haus baut. T2 erhält nichts. Testamentarisch setzt E seine Ehefrau zur Alleinerbin ein. Das Vermögen, das er hinterlässt, beträgt 500.000 €.

Um zu ermitteln, in welcher Höhe T1 und T2 Pflichtteilsansprüche gegenüber der Mutter geltend machen können, ist zunächst der gesetzliche Erbanspruch zu ermitteln. Da die Ehefrau ¼ des Vermögens als fiktiven Zugewinnausgleich erhält sowie einen gesetzlichen Anspruch auf ein weiteres Viertel hat, verbleiben bei ihr 250.000 €. Den Kindern T1 und T2 stehen die verbleibenden 250.000 € je zur Hälfte als gesetzlicher Anteil zu. Da der Vater durch die testamentarische Verfügung die beiden Kinder enterbt hat, reduziert sich dieser Anteil auf ½. Damit hat jede Tochter einen Anspruch auf ½ aus 125.000 €, mithin 62.500 €. E ist davon ausgegangen, dass T1, die bereits 100.000 € erhalten hat, damit keinerlei Pflichtteilsansprüche mehr gegenüber der Mutter geltend machen kann.

E hat aber übersehen, dass nur solche Schenkungen auf den Pflichtteil anzurechnen sind, die ausdrücklich mit der Bestimmung betätigt wurden, dass sie auf den Pflichtteil angerechnet werden sollen. Da eine solche Festlegung hier gefehlt hat, kann T1 weitere 62.500 € als Pflichtteil verlangen.

Praxishinweis

Um zu gewährleisten, dass Schenkungen tatsächlich auf Pflichtteilsansprüche angerechnet werden, sollte eine schriftliche Schenkungsvereinbarung festgehalten werden, in der ausdrücklich die Anrechnung der Schenkung auf den Pflichtteil vorgesehen ist.

Formulierungsvorschlag:

„Hiermit schenke ich meiner Tochter T1 100.000 €. Diese Schenkung soll auf den Pflichtteil angerechnet werden.“

IV. Fehlerquelle: Pflichtteilsergänzungsanspruch

Schenkungen des Erblassers reduzieren das Vermögen, so dass weniger als Erbe zur Verfügung steht. Um zu verhindern, dass Schenkungen des Erblassers den Pflichtteilsanspruch reduzieren, sieht das Gesetz vor, dass neben dem Pflichtteilsanspruch, der sich gegen den oder die Erben richtet, ein sogenannter Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht. Dieser richtet sich gegen die beschenkte Person und führt dazu, dass die lebzeitigen Schenkungen dem Nachlass zugerechnet werden können. Betroffen hiervon sind sämtliche Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hat.

Wird dies bei Schenkungen nicht bereits mit einkalkuliert, kann dies dazu führen, dass der Beschenkte unter Umständen auch Jahre nach der Zuwendung verpflichtet ist, Ausgleichszahlungen zu tätigen.

Beispiel

E hinterlässt am Todestag () 1.000.000 €. Er hat zwei Kinder. Kind 1 hat am 100.000 € in bar erhalten. Eine Anrechnung auf den Pflichtteil war nicht vorgesehen. Zur Alleinerbin wird die Ehefrau testamentarisch bestimmt.

Den Kindern als gesetzlichen Erben steht in diesem Fall ein Anspruch i. H. von 500.000 € zu. Da sie durch die Alleinerbenstellung der Ehefrau enterbt wurden, haben sie einen Pflichtteilsanspruch i. H. von zusammen 250.000 €. Damit hat jedes einzelne Kind einen Anspruch i. H. von 125.000 €. Da durch die Schenkung der Nachlass aber um 100.000 € geschmälert war, steht K2 grundsätzlich ein weiteres Achtel aus 100.000 €, also 12.500 € zu.

Zu beachten ist aber, dass der Anspruch „pro rata temporis“ abschmilzt. Das bedeutet, dass pro Jahr, das seit der Schenkung vergangen ist, der Anspruch um 1/10 reduziert wird. Im Beispielsfall lag die Schenkung ein Jahr vor dem Todestag, so dass sich der Anspruch von 12.500 € entsprechend auf 11.250 € reduziert. K2 erhält also aus dem Erbe 125.000 € und aus dem Pflichtteilsergänzungsanspruch weitere 11.250 €.

V. Fehlerquelle: Fristversäumnis

Der Pflichtteilsberechtigte kann seine Ansprüche im Wege einer sogenannten Stufenklage geltend machen. Danach klagt er zunächst in der ersten Stufe die entsprechenden Auskünfte ein, um überhaupt seine Forderungen zu beziffern. Um diese Ansprüche geltend zu machen, hat er drei Jahre Zeit (§ 2332 BGB). Die Verjährung wird durch die Auskunftsklage unterbrochen. Hier ist eine häufige Fehlerquelle, dass nicht rechtzeitig die erforderlichen verjährungsunterbrechenden Maßnahmen ergriffen werden. Verweigert nämlich der Erbe die entsprechenden Auskünfte, kann hierin eine Ablehnung der Verhandlungen über den Pflichtteil gesehen werden, so dass die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen beginnt.

VI. Fazit

In Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögen, sei es zu Lebzeiten, sei es durch letztwillige Verfügungen, muss ein späterer Erblasser, der bei diesen Verfügungen Pflichtteilsberechtigte mitberücksichtigen will, um die Erben nicht unnötig mit Zahlungspflichten oder auch nur mit Auseinandersetzungen zu belasten, eine ganze Reihe von Besonderheiten beachten, die teils im Allgemeinverständnis doch in erheblichem Umfang von den gesetzlichen Vorgaben abweichen.

AUTORIN

Dr. Ingeborg Haas,
ist als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht in eigener Kanzlei in Ingelheim am Rhein tätig (www.steuer-recht-haas.de).

Fundstelle(n):
NWB-EV 11/2015 Seite 377
NWB LAAAF-06526

1Korrektur vom . Vorher: Eltern und deren Abkömmlinge

2Korrektur vom . Vorher: Pflichtteil