NWB Nr. 18 vom Seite 1422

Grundsatzurteil des BGH zur Beraterhaftung bei Insolvenz der GmbH

BGH verneint eine insolvenzrechtliche Belehrungspflicht des Steuerberaters

Dr. Thomas Ditges *

[i]Zu den Beratungsrisiken in der Insolvenz Hölscheidt, NWB 13/2013 S. 944 Mit Urteil vom - IX ZR 64/12 NWB FAAAE-34285 hat der BGH entschieden, dass das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH bei üblichem Zuschnitt keine Pflicht begründet, die Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife [i]Pape/Uhländer, Kommentar zum Insolvenzrecht, NWB Verlag Herne, 2012, ISBN: 978-3-482-63881-7besteht. Eine entsprechende drittschützende Pflicht trifft den steuerlichen Berater auch gegenüber dem Geschäftsführer der Gesellschaft nicht. So die amtlichen Leitsätze. Die Bedeutung der Entscheidung für den Berufsstand kann nicht überschätzt werden.

Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie in .

Arbeitshilfe:

In der NWB Datenbank (Login über www.nwb.de) kann unter der NWB DokID NWB PAAAC-96021 ein Mandanten-Merkblatt „Pflichten eines Geschäftsführers in der Unternehmenskrise” aufgerufen werden.

I. Der Sachverhalt

[i]Insolvenzverwalter machte Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater geltendDer klagende Insolvenzverwalter machte abgetretene Schadensersatzansprüche des Geschäftsführers der Schuldnerin gegen deren Steuerberater geltend. Vor und gelegentlich der Erstellung des Jahresabschlusses für das Jahr 2004 im Januar 2006 hatte der Steuerberater wegen handelsrechtlicher Unterdeckung die Erklärung eines Rangrücktritts durch den Gesellschafter-Geschäftsführer angeregt. In der späteren Insolvenz nahm der Verwalter den Geschäftsführer wegen rechtswidriger Kreditrückführung mit einem Betrag in Höhe von 265.000 € in Anspruch und danach als Zessionar den Steuerberater wegen des nach Anrechnung von Mitverschulden noch halben Betrags von 133.000 €. Der habe es schuldhaft unterlassen, auf mögliche Überschuldung und S. 1423Pflicht des Geschäftsleiters zur Prüfung hinzuweisen. Der Steuerberater hafte dem Geschäftsführer wegen dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des zwischen der Gesellschaft und dem Steuerberater geschlossenen Beratungsvertrags.

[i]Berufungsgericht bejahte eine insolvenzrechtliche BelehrungspflichtDas Berufungsgericht bejahte eine insolvenzrechtliche Belehrungspflicht des Steuerberaters gegenüber der GmbH, aber verneinte das Zustandekommen eines Vertrags mit Schutzwirkung für den Geschäftsführer (). Der sei in Kenntnis der insolvenzrechtlichen Situation auch nicht belehrungsbedürftig gewesen.

II. Die Entscheidung

In der zugelassenen Revision bestätigt der BGH die Erkenntnis des Vorgerichts im Ergebnis, aber nicht in der Begründung.

1. Hinweis- und Prüfungspflicht des Steuerberaters

Aus dem Mandatsvertrag habe sich nicht die Pflicht ergeben, die GmbH auf eine möglicherweise bestehende insolvenzrechtliche Überschuldung und die Pflicht des Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überschuldungsprüfung in Auftrag zu geben.

[i]BGH: Mandatsvertrag begründet keine Belehrungspflicht hinsichtlich insolvenzrechtlicher PrüfungDer Beklagte habe im Rahmen seines Dauermandats die Wahrnehmung der allgemeinen steuerlichen Interessen der GmbH übernommen. Die damit verbundenen Aufgaben richteten sich nach dem Umfang des erteilten Mandats einschließlich der Nebenpflichten, den Mandanten vor Schaden zu bewahren. Danach sei es nicht Aufgabe des Beraters, die GmbH bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht des Geschäftsführers zur insolvenzrechtlichen Prüfung hinzuweisen. Dies ergebe sich aus dem allgemeinen steuerlichen Mandat und aus der allgemeinen wirtschaftsrechtlichen Beratung nicht.

[i]Der äußere Verdacht der Überschuldung führe ohne konkreten Auftrag nicht zur Belehrungspflicht und zur PrüfungDie Unterdeckung im Jahresabschluss könne indizieller Hinweis auf Überschuldung sein. Die Feststellung bedürfe der Überschuldungsbilanzierung nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Die beträfen schwierige Rechtsfragen, welche für den Steuerberater in aller Regel nicht offen zutage lägen. Der bloße äußere Verdacht führe nicht ohne konkreten Auftrag zur Auferlegung der Pflicht zum Hinweis und zur Prüfung rechnerischer Überschuldung nach Fortführungs- oder Zerschlagungswerten. Das verlange auch weitere Untersuchungen, etwa hinsichtlich des Vorhandenseins von stillen Reserven, Fortführungsaussichten, subjektiven und prognostischen Elementen und anderen Erkenntnissen, welche sich für den Steuerberater nicht ohne Weiteres erschließen. Eine andere Auffassung im Schrifttum und vereinzelt in der Rechtsprechung sei mit der Beschränkung der Pflichten des Steuerberaters auf die steuerliche Beratung nicht in Übereinstimmung zu bringen, ebenso wenig mit Nebenpflichten. Insofern habe der Steuerberater kein überlegenes Wissen. Vielmehr stehe das hinter dem des Geschäftsführers zurück. Der müsse den Anlass für eine Überschuldungsprüfung beurteilen. Die Insolvenz- und Sanierungsberatung sei Nebenleistung im Berufsbild des Steuerberaters, aber nicht ohne Weiteres Inhalt des Dauermandats. Dazu Vorkehrungen zu treffen, sei originäre Aufgabe des Geschäftsführers, der sich ggf. fachkundig beraten lassen müsse.

[i]Empfehlung zur Abgabe der RangrücktrittserklärungNichts anderes folge aus der Empfehlung zur Abgabe der Rangrücktrittserklärung. Solche werde typischerweise im Zusammenhang mit drohender Insolvenz zur Abwendung einer rechnerischen Unterkapitalisierung vorgenommen. Eine Irreführung des Geschäftsführers sei insofern nicht dargelegt.

2. Drittwirkung des Mandatsvertrags?

Eine Einbeziehung des Geschäftsführers in den Schutzbereich des Steuerberatervertrags komme nicht in Betracht. Die sei zwar nicht generell zu verneinen, weil der Steuerberater über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfüge. Die mache erkennbar, S. 1424 [i]In diesem Fall keine Einbeziehung in den Schutzbereich des Mandatsvertrags dass die Prüfung der Überschuldung für den Geschäftsführer rechtliche Wirkungen hat. Indessen fehle schon eine Hinweis- und Warnpflicht des Beraters gegenüber seiner Auftraggeberin. Die drittschützenden Pflichten aus einem solchen Vertrag könnten nicht weiter reichen als die dem Berater gegenüber der Mandantin obliegenden Warn- und Hinweispflichten. Der Dritte, der selbst keine vertraglichen Beziehungen zum Berater habe, könne nicht erwarten, dass dieser ihn über Gefahren und mögliche Risiken aufkläre, auf die er im Rahmen seines allgemeinen Mandats nicht hinzuweisen hat. Anderes gelte im Falle ausdrücklichen Auftrags zur Überprüfung der Insolvenzreife.

III. Die Folgen für die Praxis

1. Keine Prüfung bei üblichem Mandatszuschnitt

Die Reichweite der Begrenzung des Haftungsspektrums für den Berufsstand kann gar nicht überschätzt werden. Der Steuerberater schuldet keine Prüfung der Insolvenzreife, jedenfalls nicht bei „üblichem Zuschnitt” des Mandats. Weder dem Geschäftsleiter als Drittem – um den es eigentlich nur ging – noch auch nur gegenüber dem Mandanten und Vertragspartner!

[i]Rechtsprechung urteilte bislang nicht einheitlichBeides war erheblich zweifelhaft und zuvor nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung. Die Literatur hatte überwiegend anders plädiert, ebenso Teile der Rechtsprechung (BGH IX ZR 64/12, Rn. 19). Auch das OLG Köln war in der Vorinstanz noch von einer Pflicht des Steuerberaters zur Belehrung über die Überschuldung ausgegangen, allerdings nur gegenüber der GmbH als Mandantin. Allein die Erstreckung des Pflichtenkreises auf das Eigeninteresse des Geschäftsführers an der Einbeziehung in das Mandat sei nicht zumutbar. Es fehle an der Schutzwürdigkeit im Sinne der Treu- und Glauben-Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Wie in den wenigen weiteren einschlägigen Entscheidungen [i]Ditges, NWB 37/2011 S. 3131(Überblick bei Ditges, ferner OLG Celle, Urteil vom - 4 U 36/12) kann außerdem die Eigenkenntnis die Belehrungsbedürftigkeit verdrängen.

Alledem hat der BGH eine klare Absage im Ansatz erteilt. Schon die Kapitalgesellschaft als Steuerberatungsmandantin habe keinen Anspruch auf Prüfung der insolvenzrechtlichen Überschuldung gehabt. Der Steuerberater schulde weder eigene Prüfung noch auch nur den Hinweis auf die Pflicht zur Veranlassung insolvenzrechtlicher Beurteilung. Zutreffend grenzt der IX. Fachsenat für Beraterhaftung und zugleich Insolvenzrecht alle die Spekulationen aus, welche der Universalkompetenz des Steuerberaters auch die Verantwortung für insolvenzrechtliche Betrachtung implementieren wollten. Allzu [i]Keine Pflicht zur Insolvenzreifeprüfungvordergründig ist die allein semantische Identität in der Sache fundamen-tal unterschiedlichen Überschuldungsbegriffs in Handels-, Steuer- und Insolvenzrecht. Die Differenzierungen zu erkennen, ist der Steuerberater – wie der BGH betont – zwar befugt, aber nicht per se berufen. Nicht umsonst ringen Rechtsprechung und Gesetzge-ber seit jeher um den Überschuldungsbegriff. Die schon den Insolvenzrechtler fordernde Betrachtung auf den Steuerberater zu überbürden, hieße die Grenzen der Verschuldens- hin zur Garantiehaftung zu überschreiten (dazu Fahrendorf, NJW 2006 S. 1911). Der Senat ergreift die Gelegenheit, den Paradigmenwechsel zwischen handelsrechtlicher Unterdeckung und insolvenzrechtlicher Überschuldung so zu illustrieren, dass selbst die betriebswirtschaftliche Kompetenz des Steuerberaters ein insolvenzrechtliches Anforderungsprofil der Beurteilung nicht mit sich bringt. Die „Gesetzmäßigkeiten” der „komplexen Fragen” sind allzu verschieden (BGH IX ZR 64/12, Rn. 16, 17).

2. Schutzwirkung des Mandatsvertrags

Der BGH grenzt seine Erkenntnis von zwei früheren Entscheidungen ab, in welchen er die direkte Beraterhaftung gegenüber dem Geschäftsführer als Nicht-Mandanten erschlossen hatte. Das betraf die Einbeziehung des Geschäftsführers in den Schutzbereich des S. 1425Umsatzsteuermandats für die GmbH ( NWB UAAAD-96492) und die Insolvenzreifeprüfung ( NWB SAAAE-13004). Im erstgenannten Fall ergab die Leistungsnähe der Beraterleistung für die GmbH zur Umsatzsteuerverantwortlichkeit und -haftung des Geschäftsführers ein besonderes Schutzbedürfnis mit entsprechendem Pflichtengefälle. Im zweiten Fall hatte der Berater eine gesonderte werkvertragliche Verpflichtung zur Prüfung der Insolvenzreife übernommen und verletzt. Wer daraus den generellen Exzess der Beraterhaftung nach Art der Expertenhaftung auch gegenüber Dritten extrapolierte, sieht sich widerlegt. Das Pendel schwingt von Ausnahmegestaltungen zurück zur Beurteilung „üblichen Zuschnitts”.

[i]Einbeziehung des Geschäftsführers in den Schutzbereich ist nicht generell zu verneinenEnttäuscht bleibt allein die rechtsdogmatische Exzellenz zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Nach Neuorientierung der hierfür maßgeblichen Kriterien in jüngerer Rechtsprechung des BGH (IX ZR 193/10) hatten Rechtsprechung und Literatur hier den Schwerpunkt für treffliche Rechtsausführungen gesehen. Dem hat der BGH den Boden entzogen. So wird das Neben- zum Hauptthema. Die Einbeziehung des Geschäftsführers ist nicht generell zu verneinen, aber mangels Hinweis- und Warnpflicht gegenüber der GmbH obsolet. Dem Geschäftsführer als Nicht-Mandanten schuldet der Steuerberater nicht mehr als der GmbH.

[i]Empfehlung zur Erklärung des RangrücktrittsDort freilich tun sich neue Haftungspotenziale auf. Trotz Empfehlung des beklagten Steuerberaters zur Erklärung des Rangrücktritts im Umfang handelsrechtlicher Unterdeckung geht der Senat zum Sachverhalt von gänzlichem Unterlassen insolvenzrechtlicher Beratung aus (BGH IX ZR 64/12, Rn. 23). Anstelle handelsrechnerischer Betrachtung hätte die insolvenzrechtliche Bedeutung des Rangrücktritts auch den Einstieg in die Insolvenzberatung mit der Folge bedeuten können, dass die Empfehlung in die Irre und zur Haftung führt.

Praxistipp

Alsdann ist die haftungsrechtliche Empfehlung an den Berater: Weniger ist mehr. Die vollkommene Ausgrenzung jeglicher Überschuldungskompensation wirkt haftungsschonend. Indem sie dem fürsorglichen Ansatz des Steuerberaters zuwider läuft, wird sie mit der ausdrücklichen Empfehlung zu verbinden sein: Fragen Sie Ihren Insolvenzberater!

Widrigenfalls wird sich die Frage nach der Haftung des Steuerberaters erneut stellen, wiederum doppelt, einmal hinsichtlich der Mandanten-Kapitalgesellschaft, ein zweites Mal für deren Geschäftsleiter. Dazu werden die Reflexionen zur Zuhilfenahme des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte doch nicht vergebens gewesen sein.

FAZIT

Entwarnung für den Steuerberater: Die höchstrichterliche Rechtsprechung tritt der Literatur entgegen. „Dauermandat” und Vorbereitung des Jahresabschlusses durch den Steuerberater bringen die Pflicht zur Prüfung oder zu Hinweisen wegen Insolvenzreife nicht mit sich – weder gegenüber der Mandantenkapitalgesellschaft noch gegenüber deren Geschäftsleitern. Die Streitfrage ist geklärt, allerdings nur im Grundfall „üblichen Zuschnitts”. Die Mehrung der gewonnenen Einsichten steht an.

Autor

Dr. Thomas Ditges ,
Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht und Wirtschaftsmediator ist Partner der Sozietät DITGES RECHTSANWÄLTE WIRTSCHAFTSPRÜFER STEUERBERATER, Bonn. Schwerpunkte seiner beratenden und forensischen Tätigkeit liegen im Unternehmens-, Steuer- und Steuerstrafrecht, im Bankrecht und in der Beraterhaftung.

Fundstelle(n):
NWB 2013 Seite 1422 - 1425
LAAAE-34727