Ausbildung; Einzelunternehmer; Fahrerlaubnis; Fahrlehrer; Mehrwertsteuer; Privatlehrer; Rechnung; Unterricht
Rechtsfrage
1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1?
2. Sollte Frage 1 zu bejahen sein:
Kann sich die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehr- und der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen vom (BGBl I 1969, 1336), zuletzt geändert durch das Gesetz vom (BGBl I 2016, 2722, FahrlG) und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben?
3. Sollte Frage 2 zu verneinen sein:
Setzt der Begriff des "Privatlehrers" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt?
4. Sollten Fragen 2 und 3 zu verneinen sein:
Wird ein Unterrichtender immer dann bereits als "Privatlehrer" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt oder sind an das Merkmal "Privatlehrer" weitere Anforderungen zu stellen?
Gesetze: UStG § 4 Nr 21 Buchst a DBuchst bb, RL 2006/112/EG Art 132 Abs 1 Buchst i, RL 2006/112/EG Art 132 Abs 1 Buchst j, FahrlG § 1, FahrlG § 10, EGRL 112/2006 Art 133, EGRL 112/2006 Art 134
Instanzenzug (anhängig gemeldet seit 25.08.2017): , Vorabentscheidungsersuchen
Dieses Verfahren ist erledigt
erledigt durch:
- Urteil
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v., V R 38/16, C-449/17 (A & G) geht es um die Frage, ob Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 von dem Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in der Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL erfasst ist. Zwischen den Parteien ist für das Streitjahr 2010 streitig,ob die von der Klägerin ausgeführten Fahrschulleistungen, die ihre Kunden zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B (Fahrzeuge mit zulässiger Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 Kilogramm kg und gebaut und ausgelegt zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer)und Cl (Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3 500 kg aber nicht mehr als 7500 kg und gebaut und ausgelegt zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer) in Anspruch genommen haben, nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL steuerfrei sind. Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine Fahrschule. In den von ihr ausgestellten Rechnungen wies sie keine Umsatzsteuer gesondert aus. Für das Streit jahr erklärte sie zunächst. Steuerpflichtige Umsätze. Im Dezember 2014 beantragte die Klägerin, die USt auf 0 ¤ herabzusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab.
Das FG Niedersachsen (v. , 11 K 10284/15) hatte im wesentlichen entschieden, eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG komme nicht in Betracht, weil bei den hier streitigen Leistungen im Zusammenhang mit den Fahrerlaubnisklassen B und C1 die Fahrerlaubnis nicht als Anerkennungsnachweis als berufsbildende Einrichtung in Betracht komme. Die Befreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG scheitere bereits daran, dass die Klägerin ihre Leistungen unmittelbar an ihre Schüler und nicht an die in § 4 Nr. 21 Buchstabe b UStG genannten Einrichtungen erbringe. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen. Die einheitliche Leistung der Klägerin bestehe aus der theoretischen Schulung und dem praktischen Fahrunterricht. Dabei handele es sich nicht um Schul- oder Hochschulunterricht, weil der praktische Fahrunterricht nach der im Streitjahr 2010 geltenden Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule (Beschluss der Kultusministerkonferenz v. in der Fassung des Beschlusses vom ) weder erforderlicher noch wünschenswerter Bestandteil des Schul- oder Hochschulunterrichts sei.
Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist, fragt der BFH, kann sich die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehr- und der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen v. (BGBl I 1969, 1336), zuletzt geändert durch das Gesetz v. (BGBl I 2016, 2722, FahrlG) und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben? Der BFH hat Zweifel, ob die Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung im Sinne von Artikel 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL anerkannt ist. Für eine Anerkennung der Klägerin durch den Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland spricht nach Auffassung des BFH, dass der Betrieb einer Fahrschule gemäß § 4 FahrlG das Bestehen einer Fahrlehrerprüfung voraussetzt und gemäß §§ 1, 10 bis 13 FahrlG der Erteilung einer von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängigen Fahrlehrer- und einer hiervon getrennten Fahrschulerlaubnis bedarf. Darüber hinaus besteht ein Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung der Fahrschüler zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern. Diese Zielsetzung habe durch § 1 Abs. 1 der im Streitjahr 2010 noch nicht in Kraft getretenen Fahrschüler-Ausbildungsordnung v. (BGBl I 2012, 1318) inzwischen ausdrückliche staatliche Anerkennung erfahren. Gegen eine Anerkennung könnte nach Auffassung des BFH sprechen, dass der EuGH zur Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL entschieden hat, dass bei der Beurteilung der Gemeinnützigkeit privater Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht insbesondere auch die Ziele, die diese Einheiten in ihrer Gesamtheit verfolgen, und die Beständigkeit ihres sozialen Engagements zu berücksichtigen sind ( Ordre des barreaux francophones und germanophone u.a. sowie v. , C-492/08, Kommission/Frankreich).
Für den Fall, dass die 2. Frage zu verneinen ist, fragt der BFH, setzt der Begriff des "Privatlehrers" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt? Der BFH hat Zweifel, ob die Rechtsform der Klägerin (GmbH) der Annahme des Merkmals "Privatlehrer" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL entgegensteht. In den bisher vom EuGH und BFH zur Unterrichtserteilung durch Privatlehrer zu beurteilenden Sachverhalten hat es sich bei den Steuerpflichtigen jeweils um Einzelunternehmer gehandelt. Auch sprachlich legt für den BFH der Begriff des "Lehrers" nahe, dass es sich um eine natürliche Person handelt. Andererseits verbiete es der Neutralitätsgrundsatz, der bei der Anwendung der in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Befreiungstatbestände zu beachten ist, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleiche Umsätze bewirken, bei der Steuererhebung unterschiedlich behandelt werden.
Sollten die Fragen 2 und 3 zu verneinen sein, fragt der BFH schließlich, wird ein Unterrichtender immer dann bereits als "Privatlehrer" im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt oder sind an das Merkmal "Privatlehrer" weitere Anforderungen zu stellen? Die MwStSystRL definiert den Begriff des Privatlehrers nicht. Aus ihm ergibt sich lediglich, dass eine befreite Unterrichtstätigkeit "privat" ausgeübt werden muss (vgl. , BFH/NV 2016, 435). Der EuGH hat hierzu entschieden, dass Schul- oder Hochschulunterricht dann im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL von "Privatlehrern erteilt" wird, wenn die Lehrer dabei für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln und zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen der Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht (, Haderer). Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Klägerin nach Auffassung des BFH den Fahrschulunterricht "als Privatlehrer erteilt", weil sie auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelte und der konkrete Inhalt des von ihr erteilten Unterrichts in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Qualifikationen stand. Dem Merkmal "Privatlehrer" steht nach Auffassung des BFH auch nicht entgegen, wenn die Unterrichtseinheiten, insbesondere die theoretischen, mehreren Fahrschülern gleichzeitig erteilt worden sein sollten, denn durch die Rechtsprechung sei geklärt, dass es der Anerkennung einer Tätigkeit als Privatlehrer nicht entgegensteht, wenn der Unterrichtende mehreren Personen gleichzeitig Unterricht erteilt (, Haderer). Es sei auch nicht entscheidungserheblich, ob die der Unterrichtserteilung zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen unmittelbar mit den Fahrschülern oder mit Dritten (zum Beispiel mit deren Eltern) bestanden haben. Der BFH hat aber Zweifel, ob es mit der in der Überschrift des Kapitel 2 MwStSystRL zum Ausdruck kommenden Zielsetzung der "Steuerbefreiung für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten" in Einklang steht, dass nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL jegliche Aus- und Fortbildung befreit ist, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat und die von Unterrichtenden erteilt wird, die für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln.
Insgesamt kann die Entscheidung des EuGH mit Spannung erwartet werden. Bei Annahme der Steuerbefreiung für die Leistungen eines Fahrlehrers durch den EuGH bekämen möglicherweise die vor einigen Jahren begonnen Versuche, die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen auf eine neue Stufe zu stellen, neue Nahrung. Im Rahmen des Entwurfs eines Jahrerssteuergesetzes 2013 war eine Reform bei der Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen vorgesehen. Nach einer Neufassung von § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG sollte es seinerzeit künftig vier Arten von begünstigten Einrichtungen mit teilweise unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen/Beschränkungen geben:
Einrichtungen des öffentlichen Rechts
Ersatzschulen
andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung
Privatlehrer
Zweck der Steuerbefreiung sollte weiterhin eine gleichmäßige umsatzsteuerliche Behandlung der privaten und der öffentlichen Schulen sein, da die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterhaltenen Schulen regelmäßig nicht steuerbar sind. Außerdem sollte durch die Steuerbefreiung von Bildungsleistungen der begünstigten Unternehmer gewährleistet werden, dass der Zugang zu diesen Leistungen nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn diese Tätigkeiten umsatzsteuerpflichtig wären. Nach einem neuen § 4 Nr. 21 UStG sollten Bildungsleistungen steuerfrei sein, die von folgenden begünstigten Einrichtungen erbracht werden:
Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, hierunter fallen z. B. die Bildungsleistungen der Volkshochschulen, wenn diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisiert sind,
Ersatzschulen, die gemäß Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind,
andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung, worunter auch selbständige Lehrer fallen können, sowie
Privatlehrer.
Steuerfreie Bildungsleistungen sollten nach der Legaldefinition des § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG sein:
der Schul- und Hochschulunterricht,
die Aus- und Fortbildung sowie
die berufliche Umschulung.
Das sollte sowohl für Leistungen der Einrichtungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als auch für Leistungen von Privatlehrern nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL gelten. Zum Bestandteil dieser Leistungen sollten auch diejenigen Elemente gehören, die den organisatorischen Rahmen der Einrichtung ausmachen, in der der Unterricht erteilt wird, wie zum Beispiel die Prüfungstätigkeit.
Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts sollte sich nicht nur auf Unterricht beschränken, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf eine Berufstätigkeit vermittelt, sondern auch Tätigkeiten einschließen, bei denen die Unterweisung in Schulen oder Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln. Ein direkter Bezug zu einem Beruf sollte nicht erforderlich sein.
Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erbracht werden, sollten Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf umfassen sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung hierfür sollte unerheblich sein. Steuerbegünstigte Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung sollte, entgegen der bisherigen Verwaltungsauffassung, auch im Rahmen von Tagesveranstaltungen erfolgen können.
Nach diesem Gesetzentwurf wären Fahrschulleistungen möglicherweise schon seinerzeit unter die vorgesehene Begünstigung gefallen. Ob alle Fahrschulen aber die Steuerbefreiung wirklich wollen, könnte aufgrund des mit ihr verbundenen Wegfalls des Vorsteuerabzugs (z.B. bei der Anschaffung oder dem Leasing von Fahrzeugen) eher fraglich sein.
Fundstelle(n):
KAAAG-55009