Niedersächsisches Finanzgericht  Urteil v. - 9 K 178/14 EFG 2016 S. 1049 Nr. 13

Wiedereinsetzungsgrund – Darlegungsanforderungen

Leitsatz

  1. Zu den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO.

  2. Ist ein Ast. fachkundig vertreten, haben weder das FA noch das FG den Ast. über den erforderlichen Inhalt des Wiedereinsetzungsgesuchs aufzuklären oder zur Ergänzung eines insoweit unzulänglichen Vortrags aufzufordern.

  3. Der Stpfl. und sein Vertreter dürfen darauf vertrauen, dass eine werktags aufgegebene Postsendung am folgenden Werktag den Empfänger erreicht.

  4. Der steuerliche Berater darf seinen Büroangestellten Anweisungen zur Übermittlung und Anweisung fristwahrender Schriftsätze erteilen und grds. darauf vertrauen, dass die zuverlässigen und gut geschulten Angestellten auch ihnen nur mündlich erteilte Weisungen befolgen.

  5. Wird von einem StB innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO dargelegt, an welchem Tag das Schriftstück in welcher Weise (Versendung zur Post) von einer Mitarbeiterin auf den Weg zum FA gebracht wurde und zur Glaubhaftmachung eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt, so ist diesem Vortrag der Kern des Wiedereinsetzungsgrunds „Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung” eindeutig zu entnehmen. Die spätere Benennung der Personen, die die Austragung aus dem Postausgangsbuch und den Einwurf in den nunmehr genau benannten Briefkasten vorgenommen haben, stellt lediglich eine (zulässige) Ergänzung des Vortrags zum Absendevorgang dar.

Gesetze: AO § 110

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Streitig sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO) wegen eines verspätet eingelegten Einspruches und in materiell-rechtlicher Hinsicht die Anerkennung der Zahlung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags nach § 154 des Baugesetzbuches (BauGB) als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Der Kläger erzielte im Streitjahr 2012 Einkünfte aus selbständiger Arbeit, aus der Vermietung verschiedener Grundstücke und sonstige Einkünfte.

Bis März 2008 erzielte der Kläger Einkünfte aus der Vermietung des Grundstücks …., H. Da er im Jahre 2008 aus Altersgründen seine Tätigkeit als Arzt in H. aufgab und seinen Wohnort nach V. verlegte, veräußerte er nach vorheriger Beendigung der Mietverhältnisse das vorgenannte Grundstück zum .

Im Jahr 2009 erhielt er von der Stadt H. einen Festsetzungsbescheid über einen Ausgleichsbetrag nach § 154 BauGB in Höhe von 179.862 €. Der zugrunde liegende Beschluss über die Anliegerbeiträge stammte aus dem Jahr 2007, sodass der Kläger auch Schuldner dieses Ausgleichsbetrags war. Der Kläger ging gegen diesen Bescheid gerichtlich vor. Das Gerichtsverfahren endete im Jahr 2012 mit einem Vergleich, wonach der Kläger nunmehr einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 80.938 € - in monatlichen Raten zahlbar – zu leisten hatte. Auf das Streitjahr 2012 entfiel ein gezahlter Teilbetrag von 29.171,64 €. Zudem zahlte der Kläger in 2012 in diesem Zusammenhang entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 8.685,48 €.

Den Gesamtbetrag von 37.857,12 € erklärte der Kläger zunächst nicht in seiner Einkommensteuererklärung 2012.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 vom legte er deshalb mit Schreiben seiner Steuerberaterin … vom 26. Februar 2014 Einspruch ein und machte den vorstehenden Gesamtbetrag als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Ausweislich des Eingangsstempels des Beklagten ging das Einspruchsschreiben erst am 6. März 2014 beim Finanzamt ein.

Mit Schreiben vom wies das beklagte Finanzamt den Kläger darauf hin, dass der Einspruch verspätet eingegangen und damit unzulässig sei.

Mit Schreiben vom teilte die Steuerberaterin mit, dass das Einspruchsschreiben am mit der Deutschen Post verschickt worden sei. Dieser Tatbestand sei ihrem Postausgangsbuch zu entnehmen. Es sei ihr nicht erklärlich, warum das Schreiben mit einer derartigen Zeitverzögerung zugestellt worden sei. Die Deutsche Post gelte als zuverlässiger Bote. Sie vermute, dass es sich um ein fahrlässiges Verhalten der Post gehandelt habe, da ihr ein derartiger Zustand noch nicht vorgekommen sei. Sie habe auch mit der zuständigen Bearbeiterin in ihrer Kanzlei gesprochen, um ein fahrlässiges Verhalten ihrerseits zu prüfen. Hierbei habe sie die Antwort erhalten, dass das Schreiben am im Postausgangsbuch eingetragen und mit dem restlichen Schriftwechsel am Abend in den Briefkasten gesteckt worden sei. Sie beantragte aufgrund dessen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO.

Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg. Der Beklagte sah die Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als ausreichend an.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:

Zu Unrecht seien nachträgliche Werbungskosten i.H.v. 37.857,12 € bei den Einkünften aus der Vermietung des Grundstückes in H., …, nicht berücksichtigt worden.

Wegen des verspäteten Eingangs des Einspruchsschreibens sei dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Steuerberaterin habe ihre Mitarbeiter angewiesen, Post über das Postausgangsbuch auszutragen. Werde die Post über das Postausgangsbuch ausgetragen, so werde sie am selben Tage in den Briefkasten eingeworfen. Am sei die Post von Frau R., einer Mitarbeiterin der Steuerberaterin, über das Postausgangsbuch ausgetragen worden. Die weitere Mitarbeiterin der Steuerberaterin, Frau R., habe die über das Postausgangsbuch ausgetragene Post am selben Tage in den Briefkasten der Postfiliale „…” geworfen. Die letzte Leerung am sei gegen 17:00 Uhr erfolgt.

Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger einen Auszug aus dem Postausgangsbuch der Steuerberaterin vom sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau R. vom in Kopie vorgelegt. Bezüglich des Inhalts der eidesstattlichen Versicherung wird auf die Anlage K 4 des Schriftsatzes vom Bezug genommen.

Der Kläger bzw. die Steuerberaterin habe auf die regelmäßigen Postlaufzeiten vertrauen dürfen. Der Einspruch sei vier Werktage vor Ablauf der Frist zum Versand gebracht worden. Eine ernsthafte Gefahr der Versäumung der Einspruchsfrist habe nicht bestanden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen dürfe dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, da er auf die Postbeförderung keinen Einfluss habe. Auch auf die auf dem Briefkasten angegebenen Entleerungszeiten habe die Steuerberaterin vertrauen können.

Nachdem der Kläger zunächst die steuermindernde Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 37.857,12 € begehrt hat, haben sich die Beteiligten im laufenden Klageverfahren in materiell-rechtlicher Hinsicht auf einen steuermindernden Abzug in Höhe von 50% dieses Betrags verständigt.

Der Kläger beantragt (nunmehr),

den Einkommensteuerbescheid 2012 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 18.928,56 € niedriger festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Finanzamt verbleibt in verfahrensrechtlicher Hinsicht weiterhin bei der im Einspruchsbescheid vom vertretenen Auffassung. Mit Schreiben vom habe die Steuerberaterin lediglich auf ihr Postausgangsbuch verwiesen. Es fehle neben der lückenlosen und schlüssigen Darstellung des Absendevorgangs dessen Glaubhaftmachung durch Vorlage präsenter Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zuließen. Dies sei im Streitfall nicht geschehen.

Es sei nicht vorgetragen worden, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen getroffen worden seien. Es stelle eine Tatsache dar, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, aufgegeben habe. Die Angaben hierzu könnten nicht in einem weiteren Verfahren nachgeholt werden.

Gründe

1. Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2012 vom in Gestalt der Ein-spruchsentscheidung vom ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FinanzgerichtsordnungFGO-).

a. Zu Unrecht hat der Beklagte hinsichtlich des verspätet beim Finanzamt eingegangenen Einspruchsschreibens vom eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO abgelehnt.

aa. Wiedereinsetzung ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. , BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Vertretene muss sich ein Verschulden seines Vertreters gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zurechnen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für eine Wiedereinsetzung nicht ausreicht, innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO lediglich die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Vielmehr müssen innerhalb dieser Frist auch die für eine Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen schlüssig vorgetragen werden (vgl. nur , BFH/NV 2010, 1655 m.w.N.). Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe kann auch noch „im Verfahren über den Antrag” erfolgen (, EFG 2015, 1154).

bb. Nach der Rechtsprechung des BFH kann dem Finanzamt nicht vorgeworfen werden, es hätte einen durch einen Vertreter der steuer- oder rechtsberatenden Berufe vertretenen Steuerpflichtigen innerhalb der Antragsfrist noch auf die Ergänzungsbedürftigkeit der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hinweisen müssen. Die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 110 Abs. 2 Satz 2 AO ist ausschließlich Sache des Antragstellers. Wenn dieser fachkundig vertreten ist, hat weder das Finanzamt noch das FG den Antragsteller über den erforderlichen Inhalt des Wiedereinsetzungsgesuchs aufzuklären oder zur Ergänzung eines insoweit unzulänglichen Vortrags aufzufordern (ständige Rechtsprechung: (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 14/00, BFH/NV 2000, 1349; vom V B 61/03, BFH/NV 2004, 459; vom XI B 3/11, BFH/NV 2012, 707; anderer Ansicht wohl: Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 AO Rz. 35; Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl. 2014, § 110 Rz. 89 jedenfalls für die Anforderungen an die Glaubhaftmachung).

cc. Wird der Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht oder verspätet eingegangenen Schriftstücks begründet, ist im Einzelnen auszuführen, wann, von wem und in welcher Weise es zur Post aufgegeben wurde; der Vortrag ist durch präsente Beweismittel glaubhaft zu machen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2015, 1376; , BStBl. II 2009, 577; , BFH/NV 2006, 307, m.w.N.). Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 AO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Jedoch können unklare oder unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen ist (ständige Rechtsprechung: etwa , BFH/NV 2010, 1655; , BStBl. II 2009, 577; , BFH/NV 2005, 1591; , BFH/NV 1999, 583; , BFH/NV 1995, 989; Rätke, in: Klein, AO, 12. Auflage 2014, § 110 Rn. 102).

Was genau der Kern der Wiedereinsetzungsgründe, der innerhalb der Antragsfrist vorzutragen ist, sein soll, wird in der BFH-Rechtsprechung – soweit ersichtlich - unterschiedlich beurteilt.

(a) So hat der BFH als innerhalb der Antragsfrist erforderlichen Kernvortrag u.a. ausreichen lassen, dass der Prozessvertreter vorträgt, ein fristwahrender Schriftsatz sei an einem bestimmten Tag abgesandt worden, wie sich aus beigefügten Kopien des Postausgangsbuches und der Postversendungsliste ergebe (so , BStBl. II 2009, 577). Erst im späteren Verfahren wurde der Vortrag im dortigen Streitfall dergestalt ergänzt, dass der Prozessbevollmächtigte selbst den Brief bei einer bestimmten Poststelle aufgegeben habe. In gleicher Weise hat der , BFH/NV 1995, 989) als Kernvortrag die Bezeichnung des Tags der Absendung und die Vorlage des Postausgangsbuches ausreichen lassen. Auch in diesem Verfahren hat der BFH es als zulässig erachtet, ergänzende Ausführungen zum konkreten Absendevorgang und die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der für die Absendung zuständigen Angestellten später nachzuholen.

(b) Enger wird das Begründungserfordernis vom , juris) betrachtet. Danach muss innerhalb der Antragsfrist im Einzelnen genau geschildert werden, welche Person zu welcher Zeit (Tag, Uhrzeit) in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einem bestimmten Postamt) den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, zur Post gegeben hat. Das FG bezieht sich auf BFH-Beschlüsse vom (VII B 246/02, BFH/NV 2003, 1206) und (VII B 127/03, BFH/NV 2004, 655), in denen der BFH entsprechende Begründungsanforderungen innerhalb der Antragsfrist gefordert hatte. In diesen Entscheidungen hatte der BFH die bloße Vorlage des betreffenden Auszugs aus dem Postausgangsbuch jedenfalls nicht genügen lassen, weil aus ihm nicht zu entnehmen sei, dass die Sendung tatsächlich auch zur Post gegeben worden ist, sondern die Möglichkeit bleibe, dass die Sendung in der Kanzlei versehentlich liegen geblieben sei (so auch BFH- Beschlüsse vom VII B 99/02, BStBl II 2003, 316; vom VII B 112/00, BFH/NV 2002, 798, und vom VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644).

dd. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(1) Es kann nicht zweifelhaft sein, dass unter Berücksichtigung der im Einspruchs- und Klageverfahren gegebenen Begründung und Glaubhaftmachung des Absendungsvorgangs von einem unverschuldeten Fristversäumnis auszugehen ist. Es wird im Einzelnen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, wann (), von wem (Frau R.) und in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten „…”) das verspätet eingegangene Schriftstück zur Post aufgegeben wurde. Die Darlegungen sind ausreichend durch eine eidesstattliche Versicherung der Frau R. und die Vorlage der Kopie des Postausgangsbuches glaubhaft gemacht worden.

Zwar wurde innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO lediglich von der Steuerberaterin mitgeteilt, dass das Einspruchsschreiben am mit der Deutschen Post verschickt worden sei. Dieser Tatbestand sei ihrem Postausgangsbuch zu entnehmen. Es sei ihr nicht erklärlich, warum das Schreiben mit einer derartigen Zeitverzögerung zugestellt worden sei. Die Deutsche Post gelte als zuverlässiger Bote. Sie vermute, dass es sich um ein fahrlässiges Verhalten der Post gehandelt habe, da ihr ein derartiger Zustand noch nicht vorgekommen sei. Sie habe auch mit der zuständigen Bearbeiterin in ihrer Kanzlei gesprochen, um ein fahrlässiges Verhalten ihrerseits zu prüfen.

Aus diesem Vortrag ist jedoch der Kern des Wiedereinsetzungsgrunds „Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung” eindeutig zu entnehmen. Es wird darlegt, an welchem Tag () das streitbefangene Schriftstück in welcher Weise (Versendung mit der Post) auf den Weg zum beklagten Finanzamt gebracht wurde. Zudem wird mitgeteilt, dass eine weitere – nicht genannte - Mitarbeiterin und nicht die Steuerberaterin selbst den Vorgang umgesetzt hat. Diese Darlegung wird durch eine Kopie des Postausgangsbuches glaubhaft gemacht. Im Klageverfahren erfolgt dann lediglich eine Ergänzung des Vortrags zum Absendevorgang in Form der Benennung der Personen, die die Austragung aus dem Postausgangsbuch und den Einwurf in den nunmehr genau benannten Briefkasten vorgenommen haben.

Hierin ist kein weiterer Wiedersetzungsgrund und kein substantiell neuer Vortrag zu sehen, sondern lediglich eine ergänzende Darlegung des bereits im Kern dargelegten Absendevorgangs.

Dass zum Teil die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten, die den Briefeinwurf vorgenommen hat, erst im Klageverfahren erfolgt ist, ist für die Wiedereinsetzung unschädlich (Rätke, in: Klein, AO, 12. Auflage 2014, § 110 Rn. 111 f.). Das verspätete Glaubhaftmachen hat allenfalls Auswirkungen auf die Kostenfolge des § 137 Finanzgerichtsordnung - FGO - (vgl. Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl. 2014, § 110 Rz. 89; ders. INF 1995, 1, 3).

(2) Dieses Ergebnis ist auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Befristung gerechtfertigt. Die Befristung dient der Sicherung einer zügigen und sachgemäßen Behandlung eines Wiedereinsetzungsbegehrens, um die Unsicherheit, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in engen Grenzen zu halten. Der Antragsteller soll nicht später neue, möglicherweise wechselnde Gründe vortragen können, für deren Glaubhaftmachung er sich bessere Erfolgsaussichten erhofft (so , BFH/NV 2012, 707).

Im Streitfall steht fest, dass der Antragsteller/Kläger später gerade nicht neue oder gar wechselnde Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen hat, sondern vielmehr seinen Kernvortrag zu dem einen Wiedereinsetzungsgrund „Rechtzeitige Absendung/ Postlaufverzögerung” nur ergänzt hat.

(3) Dass die Steuerberaterin bei einer Absendung am - vier Werktage vor Ablauf der Frist - auf den rechtzeitigen Eingang des Einspruchsschreibens beim Finanzamt vertrauen konnte, ist unzweifelhaft.

Der Steuerpflichtige und sein Vertreter dürfen darauf vertrauen, dass eine werktags aufgegebene Postsendung am folgenden Werktag den Empfänger erreicht (, BFH/NV 2006, 1504). Die übliche Dauer der Inlandsbeförderung ist allgemein bekannt und braucht daher – im Unterschied zur Absendung des Briefes – nicht glaubhaft gemacht werden (, BStBl. II 2007, 96).

(4) Davon abgesehen könnte ein Verschulden der Steuerberaterin – entgegen der Auffassung des Beklagten - im Streitfall auch nicht aus einer fehlerhaften Büroorganisation bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze hergeleitet werden.

Der steuerliche Berater darf seinen Büroangestellten Anweisungen zur Übermittlung und Anweisung fristwahrender Schriftsätze erteilen und grundsätzlich darauf vertrauen, dass die zuverlässigen und gut geschulten Angestellten auch ihnen nur mündlich erteilte Weisungen befolgen (Rätke in: Klein, Kommentar zur Abgabenordnung, 12. Auflage 2014, § 110 Rz. 74 m.w.N.). Wiedereinsetzung ist auch dann zu gewähren, wenn ein Angehöriger der rechtsberatenden Berufe, in dessen Kanzlei durch organisatorische Maßnahmen im Grundsatz eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle gewährleistet war, einer Kanzleiangestellten, die sich als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (, BStBl. II 2004, 564).

Vorliegend hat die Steuerberaterin des Klägers ihrer Mitarbeiterin Frau R. - ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung - den konkreten Auftrag erteilt, das streitbefangene Einspruchsschreiben am in den Briefkasten „…” zu werfen. Darauf, dass die langjährige Mitarbeiterin, die regelmäßig fristwahrende Tätigkeiten ausübt, diese Anweisung - auch in zeitlicher Hinsicht - auftragsgemäß ausführt, konnte die Steuerberaterin danach vertrauen. Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass Frau R. weisungswidrig das Einspruchsschreiben erst Tage später eingeworfen hat.

b. In materiell-rechtlicher Hinweis hat die Klage ebenfalls in dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Umfang – nach entsprechender Anpassung des Klageantrags - Erfolg.

Die geltend gemachten nachträglichen Werbungskosten sind danach in Höhe von 18.928,56 € steuermindernd bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.

Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2012 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO übertragen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. FGO.

Eine anderweitige Auferlegung der Kosten auf Grundlage des § 137 Satz 1 FGO kommt im Streitfall mangels Kausalität des verspäteten Vorbringens nicht in Betracht (Zur Kausalität des schuldhaften Verhaltens für die Entstehung der Kosten vgl. Ratschow in: Gräber, Kommentar zu FGO, 8. Auflage 2015, § 137 Rz. 5 m.w.N.). Auch wenn der Kläger die erst im Klageverfahren gemachten Angaben zur Vervollständigung des Absendevorgangs und dessen Glaubhaftmachung noch im Einspruchsverfahren – außerhalb der Antragsfrist – nachgeholt hätte, wäre die Entscheidung des Beklagten angesichts der im Klageverfahren vertretenen Rechtsauffassung nicht anders ausgefallen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 1. Alt. FGO).

Es bedarf aus Sicht des Senats der höchstrichterlichen Klärung, was genau der Steuerpflichtige im Falle der Behauptung einer rechtzeitigen Absendung eines fristwahrenden Schriftstücks innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO an Tatsachen vorgetragen muss, damit der Kern des Wiedereinsetzungsgrundes „Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung” ausreichend schlüssig dargelegt ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DStR 2016 S. 10 Nr. 43
DStRE 2016 S. 1525 Nr. 24
EFG 2016 S. 1049 Nr. 13
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2016 S. 2166
KAAAF-79423