BFH Beschluss v. - XI S 1/15 BStBl 2015 II S. 906

Zur Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG

Leitsatz

Betrifft ein Rechtsstreit über Umsatzsteuer zwei Streitjahre und hat der Streitfall i.S. von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG offensichtlich absehbare Auswirkungen für nachfolgende Streitjahre, so ist die in dieser Vorschrift vorgesehene Erhöhung des Streitwerts auf das Dreifache des durchschnittlichen Streitwerts für die anhängigen beiden Streitjahre begrenzt.

Gesetze: GKG § 52 Abs. 3 Satz 2; GKG § 63 Abs. 2;

Instanzenzug:

Tatbestand

1 I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Antragstellerin zu 1. (Klägerin) ist Organträgerin der T-GmbH. Die T-GmbH führte sonstige Leistungen in Gestalt der Ausgabe von Mahlzeiten an ihre Arbeitnehmer aus, die hierfür einen Preis bezahlten, der sowohl unter dem marktüblichen Entgelt als auch unter den Selbstkosten der T-GmbH lag. Die Klägerin versteuerte diese Leistungen in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Besteuerungszeiträume 2006 und 2007 (Streitjahre) und die Folgejahre (2008 bis 2011) nur mit den von den Arbeitnehmern der T-GmbH für die Mahlzeiten gezahlten Preisen. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) setzte dagegen hierfür gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Selbstkosten an.

2 Die Antragsteller zu 2. vertraten die Klägerin als Prozessbevollmächtigte in dem anschließenden Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (FG) wegen Umsatzsteuer 2006 und 2007. Währenddessen ruhten die von der Klägerin eingelegten Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2008 bis 2011, die ebenfalls die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Mahlzeitengewährung betrafen, im Hinblick auf den Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung.

3 Das FG gab der Klage teilweise statt und setzte im Urteil vom als Bemessungsgrundlage für die Ausgabe der Mahlzeiten anstelle der vom FA zugrunde gelegten Selbstkosten von 109.563,26 € (2006) und 212.142,08 € (2007) nur das —über den bisher versteuerten Preisen liegende— marktübliche Entgelt in Höhe von 32.091,93 € (2006) und 64.432 € (2007) an. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 2046 veröffentlicht.

4 Gegen das Urteil des FG legte (nur) das FA mit Schriftsatz vom die vom FG zugelassene Revision ein und beantragte, das Urteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Nachdem das FA die Revision zurückgenommen hatte, stellte der Senat das Revisionsverfahren (Aktenzeichen XI R 37/13) mit Beschluss vom ein und entschied, das FA habe die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

5 Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Klägerin und die Antragsteller zu 2. für das Revisionsverfahren XI R 37/13 die Festsetzung eines nach § 52 Abs. 3 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhöhten Streitwerts in Höhe von 144.601,14 €.

6 Das FA ist dem Antrag entgegengetreten und beantragt, den Streitwert —entsprechend seinem Unterliegen vor dem FG— auf 40.460,32 € festzusetzen. Eine Erhöhung des Streitwerts komme nicht in Betracht, da die Rücknahme der Revision durch eine Änderung von § 10 Abs. 5 UStG veranlasst worden sei. Aufgrund dieser —auf alle noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen anzuwendende— Gesetzesänderung habe den Einsprüchen der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide ab 2008 entsprochen werden müssen. Diese Gesetzesänderung —und nicht das Revisionsverfahren XI R 37/13— sei ursächlich für die Umsatzsteuerminderung der Jahre ab 2008 gewesen.

Gründe

7 II. Der Streitwert wird auf 60.690,51 € festgesetzt.

8 1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.

9 Das nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hierfür erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287, unter II. —Rz 19—; vom I R 84/07, juris; vom V S 30/14, BFH/NV 2015, 346, Rz 8) liegt im Streitfall vor. Der Anwendungsbereich von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist noch nicht geklärt (vgl. z.B. Müller, Betriebs-Berater —BB— 2013, 2519; Just, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2014, 2481).

10 2. Der Streitwert bestimmt sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GKG. § 52 Abs. 3 GKG wurde durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. KostRMoG, BGBl I 2013, 2586) mit Wirkung vom wie folgt gefasst:


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"Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf."

11 Diese Vorschriften sind im Streitfall anwendbar. Das FA hat die Revision am und damit nach der Änderung von § 52 Abs. 3 GKG zum eingelegt (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG; Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a und Art. 50 2. KostRMoG).

12 3. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG wäre im Streitfall für das Revisionsverfahren ein Streitwert von 40.460,33 € festzusetzen.

13 a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers im Zeitpunkt der Einlegung der Revision (§ 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 40 GKG).

14 b) Mit der (nur) vom FA eingelegten Revision verfolgte dieses das Ziel, die Bemessungsgrundlage für die Ausgabe der Mahlzeiten auf den Wert zu erhöhen, der in den ursprünglichen Bescheiden angesetzt worden war. Für die Revision ergäbe sich damit nach § 52 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG folgender Streitwert:  


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Streitjahr
2006
2007
 
 
 
Bemessungsgrundlage nach FA
109.563,26 Euro
212.142,08 Euro
Bemessungsgrundlage nach FG
32.091,93 Euro
64.432,00 Euro
Vom FA begehrte Erhöhung
77.471,33 Euro
147.710,08 Euro
Umsatzsteuer hierauf (2006: 16 %; 2007: 19 %)
  12.395,41 Euro
  28.064,92 Euro
Summe (= Streitwert der Revision)
 
  40.460,33 Euro

15 c) Entgegen der Ansicht der Antragsteller im Antrag vom ist der Streitwert für das Revisionsverfahren nicht mit dem des erstinstanzlichen Verfahrens identisch. Dies wäre nur bei unverändertem Streitgegenstand und vollem Unterliegen des Beklagten der Fall (vgl. z.B. , BFHE 247, 119, BStBl II 2015, 37, Rz 13). Das FG hat der Klage der Klägerin jedoch nicht vollumfänglich stattgegeben.

16 4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren ist gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auf 60.690,51 € zu erhöhen.

17 a) Im finanzgerichtlichen Verfahren hat ein Antrag dann i.S. von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG „offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte“, wenn ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen, also auf den ersten Blick, erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger Steuerfestsetzungen beeinflusst (vgl. Oberverwaltungsgericht —OVG— Lüneburg, Beschluss vom 9 OA 271/14, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechung-Report —NVwZ-RR— 2015, 238, Rz 4, m.w.N.; , juris, Rz 42; Müller, BB 2013, 2519, 2520; Just, DStR 2014, 2481, 2483). Nicht ausreichend ist es, wenn dieselbe rechtliche Problematik zwar in zukünftigen Zeiträumen auftritt, die Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber nicht hinreichend sicher absehbar ist (vgl. z.B. , juris, Rz 8, zur Beihilfe für Krankheitskosten; ebenso Wiegand, Kranken- und Pflegeversicherung —KrV— 2014, 137, 139).

18 Insoweit kommt es auf die Bestimmbarkeit der zukünftigen Auswirkungen zum Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung an (OVG Lüneburg in NVwZ-RR 2015, 238, Rz 5; Wiegand, KrV 2014, 137, 140). Hierfür sind die dem Kostenbeamten bzw. dem selbst den Streitwert festsetzenden Gericht vorliegenden Akten einschließlich des Antrags auf Streitwertfestsetzung und der mit dem Antrag vorgelegten Unterlagen heranzuziehen. Ist anhand dieser Unterlagen nicht eindeutig bestimmbar, dass die Entscheidung Auswirkungen für zukünftige Steuerjahre haben wird, so scheidet eine Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG aus. Dies ergibt sich zum einen aus dem mit dem 2. KostRMoG verfolgten Ziel der „Vereinfachung des Kostenrechts“ und der Entlastung der Gerichte von der „sehr umfangreich gewordenen Kostenrechtsprechung“ (vgl. BTDrucks 17/11471 (neu), S. 133). Zum anderen wurde auf Anregung des Bundesrates die im Gesetzentwurf vorgesehene weite Formulierung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG —um „zusätzliches Konfliktpotential“ und „entsprechenden Mehraufwand“ möglichst zu vermeiden— dahingehend eingeschränkt, dass die Berücksichtigung zukünftiger Auswirkungen nur in den Fällen eine Rolle spielt, „in denen die Auswirkung für die Zukunft offensichtlich ist“ (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 311 und 312).

19 b) Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG zu erhöhen. Es ist angesichts der ruhenden Einspruchsverfahren für die Folgejahre auf den ersten Blick anhand der vorliegenden Akten erkennbar, dass zum Zeitpunkt der Revisionseinlegung offensichtlich absehbare Auswirkungen auf die Höhe der festzusetzenden Umsatzsteuer in den auf die Streitjahre 2006 und 2007 folgenden Besteuerungszeiträumen bestanden. Die Höhe beträgt insgesamt 110.918,77 €.

20 c) Nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG darf jedoch die Erhöhung um die Summe der offensichtlich absehbaren Auswirkungen „das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen“. Das bedeutet für den Streitfall, dass die Erhöhung des Streitwerts auf das Dreifache des durchschnittlichen Streitwerts der Streitjahre 2006 und 2007 begrenzt ist.

21 aa) Bei der Neuregelung von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ging der Gesetzgeber erkennbar von dem Fall aus, dass nur ein Steuerjahr (Besteuerungszeitraum) Gegenstand eines Rechtsstreits ist. In der Gesetzesbegründung wird insoweit ausgeführt, die Nichtberücksichtigung anderer Steuerjahre führe „insbesondere in finanzgerichtlichen Verfahren, die typischerweise bezogen auf die Steuererklärung eines Jahres geführt werden, sich aber für eine Mehrzahl von Jahren auswirken, zu einer systematischen Unterbewertung von Streitwerten im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung für den Kläger“ (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 245). Dem sollte die Vorschrift durch eine Erhöhung des Streitwerts in den Fällen Rechnung tragen, „in denen die Entscheidung absehbar Auswirkungen für den Betroffenen nicht nur auf das im Streit befindliche Steuerjahr, sondern auch auf zukünftige Steuerjahre haben wird“ (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 245). Gleichzeitig wurde die Erhöhung auf das Dreifache begrenzt (BTDrucks 17/11471 (neu), S. 245 und 312).

22 bb) Dementsprechend ist im Streitfall —in dem nicht nur die Steuerfestsetzung für ein Jahr rechtshängig war— die Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auf das Dreifache des Durchschnittswerts der beiden Streitjahre 2006 und 2007 zu begrenzen und der Streitwert (lediglich) auf 60.690,51 € zu erhöhen. Dieser Betrag ergibt sich aus dem Dreifachen des Durchschnittswerts der umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen in beiden Streitjahren, der im Streitfall (40.460,33 : 2 =) 20.230,17 € beträgt.

23 5. Entgegen der Ansicht des FA ist die Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht deshalb ausgeschlossen, weil entscheidende Ursache für die Rücknahme der Revision und für die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die den Streitjahren 2006 und 2007 nachfolgenden Jahre die Änderung des § 10 Abs. 5 UStG zum (vgl. Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BGBl I 2014, 1266) gewesen sei. Denn die in § 10 Abs. 5 UStG n.F. vorgesehene Begrenzung der Mindestbemessungsgrundlage auf das marktübliche Entgelt ergab sich bereits zuvor aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH (EuGH-Urteil Skripalle vom C-63/96, EU:C:1997:263, BStBl II 1997, 841, Rz 31; , BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840, unter 1. —Rz 15—; vom V R 4/10, BFHE 232, 537, BFH/NV 2011, 930, Rz 22). Dies hatte das FG in seinem vom FA mit der Revision XI R 37/13 angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt (vgl. EFG 2013, 2046, Rz 40 ff.).

24 6. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da es an einem entsprechenden Gebührentatbestand im GKG fehlt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VI S 10/09, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R866; in BFH/NV 2015, 346, Rz 24, m.w.N.).

25 7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Fundstelle(n):
BStBl 2015 II Seite 906
AO-StB 2015 S. 319 Nr. 11
BB 2015 S. 2389 Nr. 40
BFH/NV 2015 S. 1646 Nr. 11
BFH/PR 2015 S. 436 Nr. 12
BStBl II 2015 S. 906 Nr. 17
DB 2015 S. 6 Nr. 39
DStR 2015 S. 10 Nr. 39
DStRE 2015 S. 1262 Nr. 20
HFR 2016 S. 235 Nr. 3
NJW 2015 S. 10 Nr. 41
StB 2015 S. 337 Nr. 10
StBW 2015 S. 975 Nr. 25
StuB-Bilanzreport Nr. 20/2015 S. 806
KAAAF-02676