Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bei gerichtlich geltend gemachten Schadenersatzforderungen; Berichtigung eines fehlerhaften Bilanzansatzes bei Wechsel der Gewinnermittlungsart
Leitsatz
1. Bei der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme hieraus zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können.
2. Der Steuerpflichtige kann nach den Umständen des Einzelfalls nicht verpflichtet sein, eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wegen eines gegen ihn geführten Klageverfahrens zu bilden, wenn nach einem von fachkundiger dritter Seite erstellten Gutachten sein Unterliegen im Prozess am Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich ist.
3. Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit gebietet, dass eine Personengesellschaft, die gemäß § 4 Abs. 1 UmwStG an einen unzutreffenden Bilanzansatz in einer steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft gemäß § 3 Satz 1 UmwStG gebunden ist, diesen Bilanzierungsfehler beim Wechsel der Gewinnermittlungsart gewinnneutral korrigieren kann, wenn er sich bislang steuerlich nicht ausgewirkt hat.
Gesetze: EStG § 4 Abs. 1 Satz 1; EStG § 4 Abs. 3; EStG § 5 Abs. 1 Satz 1; HGB § 249 Abs. 1 Satz 1; UmwStG § 3 Satz 1 und Satz 3; UmwStG § 4 Abs. 1; UmwStG § 4 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2; GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug: (EFG 2013, 11),
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft eine Steuerberatungskanzlei und erzielt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit.
2 Sie wurde mit Vertrag vom ... August 2004 u.a. durch Verschmelzung im Wege der Neugründung durch Übertragung des Vermögens der O-AG zu Buchwerten gegründet.
3 Die Übernahme des Vermögens durch die Klägerin erfolgte gemäß § 2 des Verschmelzungsvertrages im Innenverhältnis rückwirkend mit Wirkung zum Ablauf des . Mit Beginn des galten alle Handlungen der O-AG als für Rechnung der Klägerin vorgenommen. Der Verschmelzung wurde die Bilanz der O-AG zum als Schlussbilanz gemäß § 17 Abs. 2 des Umwandlungsgesetzes in der maßgeblichen Fassung (UmwG) zugrunde gelegt. Der bildete zugleich den steuerlichen Übertragungsstichtag gemäß § 2 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes in der im Jahr 2003 und im Streitjahr 2004 anwendbaren Fassung (UmwStG).
4 Die Klägerin übernahm die Buchwerte aus der Schlussbilanz der O-AG. Eine eigene Eröffnungsbilanz zum oder zum erstellte sie nicht, sondern ging zum unmittelbar zur Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2004 maßgebenden Fassung (EStG) über. Sie knüpfte in ihrer Überleitungsrechnung an die Schlussbilanz der O-AG an und ermittelte wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart einen Überleitungsverlust in Höhe von 1.163.742,91 €. Diesen erklärte sie im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung des Streitjahres 2004.
5 Streitig ist nach einer Außenprüfung im Rahmen des Wechsels der Gewinnermittlungsart die Beurteilung des folgenden Sachverhalts:
6 O war im Jahr 1998 zu 1/6 an der O-AG beteiligt und neben drei weiteren Anteilseignern auch deren Vorstandsmitglied. Zugleich war er an der C-AG beteiligt und bildete zusammen mit zwei weiteren Personen deren Aufsichtsrat. Zwischen der O-AG und der C-AG wurde Anfang 1998 ein Beratungsvertrag unter Vereinbarung eines Honorars in Höhe von 931.500 DM geschlossen. Im Mai/September 2003 machte die C-AG, an der O zwischenzeitlich die Anteilsmehrheit erworben hatte, gegenüber der O-AG, aus der O ausgeschieden war, Ansprüche auf Rückzahlung des Beratungshonorars klageweise vor dem Landgericht…(LG) geltend. Sie begründete ihren Anspruch damit, die Honorarvereinbarung sei nichtig bzw. unwirksam (§§ 134, 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 4 der Steuerberatervergütungsverordnung), der Beratervertrag sei aus aktienrechtlichen Gründen unwirksam (§ 114 des Aktiengesetzes —AktG—) und es habe sich um eine verbotene Einlagenrückgewähr (§§ 62, 57 AktG) gehandelt. Die O-AG verkündete O den Streit mit der Aufforderung, auf ihrer Seite beizutreten.
7 Ende 2003 gab die O-AG auf Verlangen ihrer Hausbank ein Gutachten über die Erfolgsaussichten der Klage der C-AG bei der Rechtsanwaltskanzlei W in Auftrag, welche nach Prüfung aller von der C-AG geltend gemachten Anspruchsgrundlagen im Gutachten vom zu dem Ergebnis kam, ein Unterliegen der O-AG sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es sei daher vertretbar, in der Bilanz zum keine Rückstellung gemäß § 249 des Handelsgesetzbuchs (HGB) zu bilden. Die am von den Vorstandsmitgliedern unterzeichnete Bilanz der O-AG auf den enthielt dementsprechend keine Rückstellung wegen einer ungewissen Verbindlichkeit gegenüber der C-AG.
8 Am ... Mai 2004 schlossen die O-AG und die C-AG vor dem LG einen Vergleich, in dem sich die O-AG verpflichtete, 50 % der Klageforderung (234.000 €) verteilt auf sieben Raten an die C-AG zu zahlen. Die O-AG verzichtete zudem auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen O.
9 Im Rahmen einer bei der Klägerin und der O-AG durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die O-AG habe für die Verpflichtung gegenüber der C-AG in ihrer Bilanz zum eine Rückstellung in Höhe von 931.500 DM (467.065 €) bilden müssen.
10 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte den Feststellungen der Außenprüfung. Aufgrund der Rückstellungsbildung erhöhte sich der Verlust der O-AG für 2003. Das FA erließ einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2003 und einen geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftsteuer auf den für die O-AG. Die festgesetzte Körperschaftsteuer betrug unverändert 0 € und der festgestellte Verlustvortrag erhöhte sich. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
11 Korrespondierend dazu erhöhte das FA bei der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin im geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2004 die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 467.065 €, da im Rahmen der Überleitungsrechnung wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart die Rückstellung gewinnerhöhend aufzulösen sei.
12 Einspruch und Klage gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 11 veröffentlichtem Urteil vom 3 K 77/11 die Klage abgewiesen.
13 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die O-AG sei nicht verpflichtet gewesen, eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dementsprechend seien der Übergangsverlust aufgrund des Wechsels der Gewinnermittlungsart wieder zu erhöhen und die Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Streitjahr zu mindern.
14 Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 2004 vom in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 467.065 € niedriger festzustellen sind.
15 Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II. 16 Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
17 Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die O-AG zur Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten in der steuerlichen Übertragungsbilanz zum verpflichtet gewesen ist (s. hierzu unter II.1.). Im Rahmen der Überleitungsrechnung wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart im Streitjahr 2004 ist daher für die Klägerin in der Gewinnfeststellung kein gewinnerhöhender Korrekturposten zu berücksichtigen (s. hierzu unter II.2.).
18 1. Die O-AG musste in ihrer steuerlichen Schlussbilanz i.S. des § 3 UmwStG zum wegen des gegen sie geführten Klageverfahrens entgegen der Auffassung des FG keine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit gegenüber der C-AG bilden.
19 a) Nach § 1 Abs. 2 UmwStG i.V.m. § 2 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwG gelten für die Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine Partnerschaftsgesellschaft die §§ 3 bis 10 UmwStG.
20 In der nach § 3 Satz 1 UmwStG auf den steuerlichen Übertragungsstichtag (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG) zu erstellenden steuerlichen Schlussbilanz kann die übertragende Körperschaft bei einer Verschmelzung ihre Wirtschaftsgüter mit dem Buchwert oder einem höheren Wert ansetzen. Buchwert ist der Wert, der sich nach den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt (§ 3 Satz 3 UmwStG). Dabei sind alle übergehenden aktiven und passiven Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz anzusetzen.
21 Das handelsrechtliche Passivierungsgebot von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Steuerbilanz (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291; , BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122, sowie vom IV R 7/11, BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302, jeweils m.w.N.) und damit auch für die steuerliche Schlussbilanz der O-AG i.S. des § 3 Satz 1 und Satz 3 UmwStG gelten.
22 b) Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach —deren Höhe zudem ungewiss sein kann— sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln (BFH-Urteil in BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302).
23 aa) Es steht nicht im Ermessen des Kaufmanns, ob er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung bildet. Eine bloß subjektive Einschätzung liefe dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider. Deshalb muss das Vorhandensein der Belastung nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden (, BFHE 213, 364, BStBl II 2006, 749; Frotscher in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 5 Rz 363a; Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz D 70).
24 bb) Ob das Bestehen oder Entstehen der Verbindlichkeit wahrscheinlich und die Inanspruchnahme hieraus zu erwarten ist, richtet sich somit nach den objektiven Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung —oder spätestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§§ 243 Abs. 3, 264 Abs. 1 HGB) aufzustellen gewesen wäre— bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände (, BFHE 238, 173, BStBl II 2013, 76; , BFH/NV 2013, 545, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind als „wertaufhellend” jedoch nur die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung lediglich bekannt oder erkennbar wurden.
25 Nicht wertaufhellend, sondern wertbegründend und damit nicht zu berücksichtigen, sind solche Umstände, die am Bilanzstichtag objektiv noch nicht vorlagen. Hierzu gehören z.B. prozessbeendende Maßnahmen, die erst nach dem Bilanzstichtag erfolgen, wie etwa ein nach dem Bilanzstichtag ergangenes, das Verfahren beendendes Urteil, eine Klagerücknahme, ein Rechtsmittelverzicht oder der Abschluss eines Prozessvergleiches. Denn eine nach dem Bilanzstichtag getroffene Disposition oder (endgültige) Entscheidung über den Streitgegenstand vermag nicht rückwirkend oder „wertaufhellend” das tatsächlich zum Bilanzstichtag fortbestehende Risiko zu beseitigen. Die Umstände beruhen vielmehr auf Entschließungen oder Entscheidungen, die erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wurden (vgl. , BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802; vom IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; vom I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688; vom I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544).
26 cc) Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit („Ungewissheit” i.S. des § 249 HGB) und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme ist zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können. Das Bestehen der Verbindlichkeit ist nur anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage zu prüfen. Auch hier kann sich indes ergeben, dass es nicht nur ungewiss, sondern unwahrscheinlich ist, ob die Anspruchsgrundlage erfüllt ist. So kann gerade bei gesetzlichen Schadenersatzansprüchen oder bei Rückforderungsansprüchen wie im Streitfall zu unterscheiden sein zwischen dem Risiko bzw. der Wahrscheinlichkeit des rechtlichen Bestehens einer Schadenersatz- oder Rückzahlungsverpflichtung dem Grunde nach und dem Risiko, ob der Gläubiger den Steuerpflichtigen —auch bei sicherer oder wahrscheinlich bestehender Verpflichtung— tatsächlich in Anspruch nehmen wird (vgl. Günkel/ Bongaerts in Prinz/Kanzler [Hrsg.], Neue Wirtschafts-Briefe, Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl., Rz 5566; Schubert in Beck Bil-Komm., 9. Aufl., § 249 HGB Rz 42; vgl. auch , BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371).
27 dd) Die für die Rückstellungsbildung erforderliche Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kaufmanns muss einzelfallbezogen im Wege einer Prognose anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden. Es müssen aus der Sicht des Bilanzstichtages mehr objektive Gründe für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme als dagegen sprechen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der vermeintliche Gläubiger am Bilanzstichtag bereits im Klagewege gegen den Steuerpflichtigen vorgeht. Die „Gefahr” der Inanspruchnahme besteht dann solange fort, bis der Anspruch nicht rechtskräftig abgewiesen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige als Beklagter zunächst in einer Instanz obsiegt hat. Denn für den Steuerpflichtigen besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (s. oben unter II.1.b bb) das Risiko, aufgrund einer Entscheidung der nachfolgenden Instanz in Anspruch genommen zu werden, jedenfalls dann weiter, wenn der Prozessgegner ein (nach den objektiven Erkenntnismöglichkeiten am Bilanzstichtag) nicht offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel eingelegt hat oder noch einlegen kann (BFH-Urteil in BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; in BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688; Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 694).
28 ee) Die darüber hinaus erforderliche Prognose, ob das Bestehen der gerichtlich geltend gemachten Forderung überwiegend wahrscheinlich ist, bezieht sich —wie dargelegt— auf ein von der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme zu unterscheidendes Risiko. Es ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Verpflichtung dem Grunde nach rechtlich besteht. Dieses rechtliche Bestehen ist überwiegend wahrscheinlich, wenn nach allen am Bilanzstichtag objektiv gegebenen (und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren) Umständen mehr Gründe für als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen. Eine Verbindlichkeit, auch eine ungewisse, muss bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellen (BFH-Urteil in BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371).
29 Danach kann es —worauf das FG maßgeblich abstellt— zwar für die Bildung einer Rückstellung nach den Umständen des Einzelfalls ausreichend sein, dass der Steuerpflichtige bei bereits gegen ihn gerichtlich geltend gemachten Ansprüchen in seiner Prognoseentscheidung zum Bilanzstichtag grundsätzlich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit ausgeht, wenn die Klage oder das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig, dem Grunde oder der Höhe nach willkürlich oder erkennbar nur zum Schein angestrengt worden ist und zum Bilanzstichtag keine weiteren objektiven Anhaltspunkte vorliegen, die eine genauere Prognose ermöglichen. Denn regelmäßig sind für den Ausgang des anhängigen Gerichtsverfahrens mehrere nicht zuverlässig zu prognostizierende Prozessereignisse entscheidend, wie etwa das Ergebnis einer Beweisaufnahme, das Verhalten des Prozessgegners (z.B. durch die Abgabe von überraschenden Prozesserklärungen) oder wie das Gericht über komplexe oder umstrittene Rechtsfragen entscheiden wird.
30 Sind jedoch weitere gewichtige objektive Umstände ersichtlich, die gegen ein Unterliegen im Prozess sprechen, sind auch diese im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um erst nach dem Bilanzstichtag eingetretene wertbegründende Tatsachen handelt. Zu diesen objektiven Umständen, die Eingang in die Prognose über den Ausgang des Verfahrens finden können, kann —wie im Streitfall— auch ein im Wertaufhellungszeitraum von fachkundiger dritter Seite erstelltes Gutachten gehören, welches zu dem Ergebnis kommt, das Unterliegen im Verfahren sei zum Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich. Die darauf gestützte Prognoseentscheidung des Steuerpflichtigen, die Klage werde als unbegründet abgewiesen, ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das eingeholte Gutachten sich mit allen vom Prozessgegner geltend gemachten Ansprüchen und den Fragen der prozessual notwendigen Beweiserhebung auseinandersetzt und der Ausgang des Rechtsstreits von der Entscheidung mehrerer ungeklärter Rechtsfragen sowie von einer noch nicht durchgeführten Beweisaufnahme abhängt.
31 c) Nach diesen Maßstäben hat das FG die Pflicht der O-AG zur Rückstellungsbildung zu Unrecht aufgrund des zum Bilanzstichtag anhängigen Passivprozesses mit der Begründung bejaht, die erhobene Klage sei weder offensichtlich unzulässig noch willkürlich oder zum Schein erhoben worden. Das FG hat daher zu Unrecht auch den bei der Klägerin für das Streitjahr erhöhten Gewinn aus selbständiger Arbeit als zutreffend angesehen.
32 Zwar ist die O-AG vor dem als steuerlichem Übertragungsstichtag gerichtlich in Anspruch genommen worden. Sie durfte jedoch im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung auf das innerhalb des Wertaufhellungszeitraumes zur Erstellung der Bilanz zum eingeholte Rechtsgutachten der Rechtsanwaltskanzlei W vertrauen und deshalb davon ausgehen, das Obsiegen der C-AG im Prozess und damit das Bestehen der Verbindlichkeit sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Im Streitfall tritt hinzu, dass das besagte Gutachten auf Betreiben der finanzierenden Bank, eines fremden Dritten, eingeholt wurde.
33 Der erst im Mai 2004 zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossene Vergleich war hingegen als wertbegründende Tatsache bei der Prognoseentscheidung zum nicht zu berücksichtigen, wovon das FG zutreffend ausgegangen ist. Zwar hat die O-AG erst danach auf Grundlage des Verschmelzungsvertrages vom ... August 2004 die Bilanz der O- zur jeweils handels- und steuerrechtlichen Übertragungsbilanz bestimmt. Beide Bilanzen sind jedoch nach den Regelungen über die Aufstellung des Jahresabschlusses aufzustellen (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG), sodass im Streitfall der erst im Rückwirkungszeitraum abgeschlossene Vergleich als wertbegründender Umstand nicht zum Ansatz einer Rückstellung in der steuerlichen Übertragungsbilanz führt (s. auch Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 3. Aufl., § 3 UmwStG Rz 106).
34 2. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung für das Streitjahr ist zu ändern. Das FA hat den Gewinn der Klägerin zu Unrecht um 467.065 € aufgrund eines Korrekturpostens für die Auflösung der Rückstellung erhöht. Dieser fehlerhafte Ansatz kann im Rahmen der Übergangsgewinnermittlung der Klägerin im Streitjahr korrigiert werden.
35 a) Vorliegend war die Klägerin als übernehmende Rechtsträgerin an die letzte steuerliche Schlussbilanz der O-AG zum gebunden. Dies folgte für sie sowohl aus der materiell-rechtlichen Bindungswirkung des übernehmenden Rechtsträgers an die Schlussbilanzwerte der übertragenden Körperschaft nach § 4 Abs. 1 UmwStG als auch im Hinblick auf die interpersonelle Geltung der Grundsätze über den Bilanzenzusammenhang.
36 Diese Bindung bestand auch hinsichtlich der infolge der Korrektur durch das FA in der Schlussbilanz der O-AG nach der Außenprüfung ausgewiesenen Rückstellung (vgl. , BFHE 153, 407, BStBl II 1988, 886; vom I R 36/12, BFH/NV 2014, 74; , BFH/NV 2013, 21). Ändert sich ein Ansatz in der steuerlichen Übertragungsbilanz nachträglich im Rahmen einer Außenprüfung, ist auch die Übernahmebilanz der übernehmenden Personengesellschaft zu ändern (vgl. , BStBl I 1998, 268, Tz. 03.14; Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, a.a.O., § 3 UmwStG Rz 70).
37 b) Es ist der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin jedoch nicht verwehrt, diesem Ansatz des FA in der steuerlichen Übertragungsbilanz der übertragenden O-AG unter Hinweis auf einen Bilanzierungsfehler, der sich bislang bei dieser steuerlich nicht ausgewirkt hat, entgegenzutreten (, BFH/NV 2013, 743, unter Rz 13; in BFH/NV 2014, 74, unter Rz 13 f.).
38 c) Ein Wechsel vom Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) zur Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG) führt ausgehend von der letzten erstellten Bilanz zu einer Überleitungsrechnung (, BFH/NV 2014, 514). Dies folgt aus der Systematik der gesetzlich geregelten Gewinnermittlungsarten und dem aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit, wonach der nach den genannten Methoden ermittelte (Gesamt-)Gewinn als Bemessungsgrundlage für die Ertragsteuern identisch sein muss. Denn auch durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart darf das Gesamtergebnis des unternehmerischen Erfolges nicht verfälscht werden (vgl. , BFHE 123, 154, BStBl II 1977, 866; vom IV R 242/80, juris; vom VIII R 5/08, juris; vom VIII R 17/10, BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820; in BFH/NV 2014, 514). Durch Gewinnkorrekturen in dieser Überleitungsrechnung wird sichergestellt, dass betriebliche Vorgänge wie Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben erfasst werden, die ansonsten wegen der unterschiedlichen Systematik des Bestandsvergleichs einerseits und der Einnahmenüberschussrechnung andererseits nicht oder aber doppelt erfasst würden (BFH-Urteile in BFHE 123, 154, BStBl II 1977, 866, und vom VIII R 5/08, juris).
39 d) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin nicht verwehrt, in ihrer Überleitungsrechnung im Streitjahr die unzutreffende Rückstellungsbildung des FA in der steuerlichen Schlussbilanz der O-AG gewinnneutral zu korrigieren.
40 aa) Zwar ist ein gewinnwirksamer Bilanzierungsfehler grundsätzlich gewinnwirksam im ersten noch änderbaren Veranlagungszeitraum zu korrigieren. Wenn sich ein solcher Bilanzierungsfehler steuerlich bislang nicht ausgewirkt hat, ist der fehlerhafte Bilanzansatz unter Durchbrechung des formellen Bilanzenzusammenhangs jedoch in der Anfangsbilanz des ersten noch änderbaren Veranlagungszeitraumes gewinnneutral durch den richtigen zu ersetzen (, BFHE 185, 492, BStBl II 1998, 443; , BFH/NV 1999, 162, unter 3.a; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317, unter Rz 77, m.w.N.). Eine „steuerliche Auswirkung” in diesem Sinne ist aufgrund eines Bilanzierungsfehlers nicht eingetreten, wenn die festgesetzte Steuer unabhängig von dem Bilanzierungsfehler in Folge von Verlusten 0 € betragen hat.
41 Im Streitfall hat sich die Gewinnminderung durch Rückstellungsbildung bei der O-AG im Veranlagungszeitraum 2003 steuerlich nicht ausgewirkt, da die festgesetzte Körperschaftsteuer vor und nach der Änderung durch das FA 0 € betrug, und kann sich durch den Untergang des Verlustvortrages der O-AG nach § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG bei der Klägerin steuerlich in Zukunft nicht „mittelbar” auswirken.
42 bb) Daher wäre eine Bilanzberichtigung bei der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin im Streitjahr durch Ausbuchung der Rückstellung in einer gedachten Eröffnungsbilanz zum 1. Januar des Streitjahres 2004 gewinnneutral durchzuführen. Nichts anderes kann dann aber im Ergebnis für die Überleitungsrechnung der Klägerin im Streitjahr gelten.
43 Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit (s. unter II.2.c) gebietet, dass eine Personengesellschaft, die gemäß § 4 Abs. 1 UmwStG an einen unzutreffenden Ansatz des FA in einer steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft gemäß § 3 Satz 1 UmwStG gebunden ist, diesen Bilanzierungsfehler beim Wechsel der Gewinnermittlungsart gewinnneutral korrigieren kann, wenn er sich —wie im Streitfall— bislang steuerlich nicht ausgewirkt hat.
44 Der unzutreffende Rückstellungsansatz des FA in der Schlussbilanz der O-AG, der sich bislang steuerlich weder bei der O-AG noch bei der Klägerin ausgewirkt hat, darf demnach bei der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin nicht zu einem gewinnerhöhenden Korrekturposten in der Überleitungsrechnung führen.
45 cc) Es ist unschädlich, dass die Klägerin ihrer Überleitungsrechnung die steuerliche Schlussbilanz der O-AG und keine eigene Eröffnungsbilanz zum oder zum zugrunde gelegt hat. Denn die Klägerin wäre sowohl für eine Eröffnungsbilanz auf den als auch für eine Bilanz auf den an den Ausweis der Rückstellung in der Schlussbilanz der O-AG gebunden gewesen (§ 4 Abs. 1 UmwStG), sodass sich bei Aufstellung dieser Bilanzen und Anknüpfung der Überleitungsrechnung an diese im Streitfall keine anderen Auswirkungen ergeben hätten.
46 e) Übertragen auf die Überleitungsrechnung führt die gewinnneutrale Berichtigung des unzutreffenden Rückstellungsansatzes bei der O-AG somit bei der Klägerin nicht zu einem gewinnerhöhenden Korrekturposten. Der bislang festgestellte Gewinn von 159.105,25 € ist um 467.065 € auf ./. 307.959,75 € zu mindern.
47 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2015 II Seite 759
BB 2015 S. 1839 Nr. 31
BB 2015 S. 2604 Nr. 43
BB 2016 S. 45 Nr. 1
BBK-Kurznachricht Nr. 13/2015 S. 582
BFH/NV 2015 S. 1183 Nr. 8
BFH/PR 2015 S. 326 Nr. 10
BStBl II 2015 S. 759 Nr. 14
DB 2015 S. 1437 Nr. 25
DB 2015 S. 6 Nr. 25
DStR 2015 S. 1358 Nr. 25
DStRE 2015 S. 824 Nr. 13
DStZ 2015 S. 618 Nr. 16
EStB 2015 S. 268 Nr. 8
FR 2015 S. 754 Nr. 16
GStB 2015 S. 33 Nr. 9
GmbHR 2015 S. 836 Nr. 15
HFR 2015 S. 1013 Nr. 11
KÖSDI 2015 S. 19386 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 26/2015 S. 1898
StB 2015 S. 213 Nr. 7
StBW 2015 S. 642 Nr. 17
StBW 2015 S. 655 Nr. 17
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2015 S. 512
Ubg 2015 S. 428 Nr. 7
WPg 2015 S. 852 Nr. 16
KAAAE-92551