Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen
Mit hat der BFH in der Sache VI R 60/11 NWB XAAAE-94265 entschieden, dass Aufwendungen für die Adoption eines Kindes keine außergewöhnlichen Belastungen i. S. des § 33 EStG sind. Die Kläger wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie Aufwendungen für die Adoption eines Kindes in Höhe von 8.560,68 € als außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG geltend. Wegen sog. primärer Sterilität haben die Kläger keine leiblichen Kinder. Künstliche Befruchtungsmethoden lehnen sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab. Das Finanzamt berücksichtigte die Kosten der Adoption gleichwohl nicht. Sie seien nicht zwangsläufig entstanden. Einspruch und Klage waren ebenfalls erfolglos. Mit der Revision machten die Kläger geltend, die streitigen Aufwendungen seien einer heterologen Insemination gleichzustellen und daher als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Der BFH hat die Revision der Kläger zurückgewiesen. Die Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Falle organisch bedingter Sterilität eines Partners entstünden, seien keine aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige, regelmäßig als außergewöhnliche Belastung abzugsfähige Krankheitskosten. Eine medizinische Leistung liege insoweit – anders als bei einer heterologen Insemination (, BStBl 2011 II S. 414) – weder vor noch könne eine Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Die Adoption sei in erster Linie ein Mittel der Fürsorge für elternlose und verlassene Kinder, um in einer Familie aufwachsen zu können. Entsprechend fordere § 1741 Abs. 1 BGB als Grundvoraussetzung, dass die Annahme dem Wohl des Kindes dienen müsse. Die Vorstellung von einer Adoption als medizinisch indizierter Heilbehandlung oder dieser gleichgestellten Maßnahme wäre zudem auch nicht mit dem Grundrecht des Adoptivkindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG) vereinbar, weil ein solches Verständnis das Adoptivkind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen würde, das zur Linderung einer Krankheit der Adoptiveltern diene. Die geltend gemachten Aufwendungen seien den Klägern auch nicht aus anderen Gründen zwangsläufig erwachsen. Der Entschluss zur Adoption beruhe nicht auf einer Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind anzunehmen. Dies gelte auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich wie hier die Verwirklichung des Kinderwunschs (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) beträfen. Der Senat verkenne nicht, dass der Wunsch, Kinder zu haben und aufzuziehen, bei Kinderlosen, die sich für eine Adoption entscheiden, oftmals ein wesentliches sinnstiftendes Element des Lebens sein werde. Entsprechend dürfte die ungewollte Kinderlosigkeit als schwere Belastung empfunden werden. Hieraus folge jedoch nicht, dass der Entschluss zur Adoption als Mittel zur Verwirklichung eines individuellen Lebensplans nicht mehr dem Bereich der durch den Einzelnen gestaltbaren Lebensführung zuzurechnen wäre.S. 2121
Der Kommentar
Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung, nach der Aufwendungen für Adoptionen weder aus rechtlichen noch aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen (, BStBl 1987 II S. 596, und vom - III R 301/84, BStBl 1987 II S. 495) und deshalb nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig seien, bestätigt. Das überrascht insofern, als der erkennende VI. Senat des BFH, der seit 2009 für außergewöhnliche Belastungen i. S. der §§ 33 ff. EStG zuständig ist, wenn nur diese streitig sind (bis zum Jahr 2008 war hierfür der III. Senat des BFH zuständig) in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat des in dieser Sache deutlich gemacht hat, dass er beabsichtigt, unter Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG anzuerkennen. Die beabsichtigte Änderung der Rechtsprechung hätte allerdings trotz des Zuständigkeitswechsels der Zustimmung des III. Senats des BFH und nach dem dieser – auf Anfrage des VI. Senats des BFH – am beschlossen hat, einer Änderung der Rechtsprechung nicht zuzustimmen, der (wohl unerreichbaren?) „Zustimmung“ des Großen Senats des BFH bedurft (, BStBl 2015 II S. 345). Dabei hätte sich der BFH nach einer Änderung seiner Rechtsprechung in bester Gesellschaft gefunden. Denn der Österreichische Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom Kosten einer Adoption als außergewöhnliche Belastung nach § 34 Abs. 1 des EStG anerkannt. Da im dortigen Streitfall eine In-Vitro-Fertilisation nicht möglich und die Fortpflanzungsunfähigkeit nicht freiwillig herbeigeführt worden war, habe ein Sachverhalt vorgelegen, der es „im Sinne der zur künstlichen Befruchtung entwickelten Judikatur“ und „dem darin betonten öffentlichen Interesse der Gesellschaft an Kindern“ rechtfertige, die Kosten für die Adoption als aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig anzusehen und zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zuzulassen. Auf diese Argumentation hat sich der erkennende Senat nicht eingelassen. Ob der vorliegende „Rückzieher“ dem prozessualen „Gängelband“ oder der besseren Erkenntnis in der Sache selbst geschuldet ist, bleibt (Beratungs)Geheimnis des VI. Senats des BFH. Damit steigt auch die Spannung in Sachen Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten nach § 33 EStG a. F. Denn der Große Senat hat in der Sache GrS 1/13 überdies entschieden, dass die Pflicht zur Anfrage (beim vorbefassten Senat) gemäß § 11 Abs. 3 FGO im Übrigen auch dann bestehen bleibt, wenn ein erkennender Senat (wie der VI. Senat des , BStBl 2011 II S. 1015, nach dem Zivilprozesskosten Kläger wie Beklagtem unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen können) bereits in der Vergangenheit von der Rechtsprechung eines anderen Senats (hier: ebenfalls des III. Senats des BFH) bewusst oder unbewusst abgewichen ist. Eine Fortführung der neuen Rechtsprechung zur Steuererheblichkeit von Zivilprozesskosten wäre dem VI. Senat des BFH daher nur mit Zustimmung des III. Senats des BFH bzw. des Großen Senats des BFH möglich.
Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 2120 - 2121
IAAAE-94296