OLG Oldenburg Beschluss v. - 1 Ss 51/18

Leitsatz

Sind den Finanzbehörden steuerlich erhebliche Tatsachen bereits bekannt, können sie über diese nicht mehr gem. § 370 Abs. 1 Ziffer 2. AO in Unkenntnis gelassen werden.

Gesetze: AO § 370 Abs 1 Nr 2

Instanzenzug: LG Aurich - 12 Ns 310 Js 8712/15 (158/15), 12 Ns 158/15

Gründe

1 Das Amtsgericht Aurich hatte den Angeklagten am wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hatte zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch des Angeklagten geführt. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat mit Urteil vom das freisprechende Urteil des Landgerichts Aurich - 1. kleine Strafkammer - vom aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückgewiesen.

2 Mit Urteil vom hat nunmehr das Landgericht Aurich - 2. kleine Strafkammer - die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aurich vom mit der Maßgabe verworfen, dass die verhängte Geldstrafe auf 25 Tagessätze zu je 30 EUR herabgesetzt wurde.

3 Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben und ihn freizusprechen.

4 Die zulässige Revision hat lediglich den sich aus dem Tenor ergebenden Erfolg.

1.

5 Der Schuldspruch lässt im Ergebnis Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen, wobei sich aus den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Tatbestandsverwirklichung allerdings nur in einem in Relation zur Auffassung des Landgerichts eingeschränkten Umfang ergibt.

a.

6 Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 370 Abs.1 Nr.2 AO sowohl durch einen fehlenden Hinweis auf die geänderte Steuerklasse als auch durch mangelnde Angabe der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten verwirklicht habe. Tatsächlich ist dies lediglich hinsichtlich des zuletzt genannten Verhaltens der Fall.

7 Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wird bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

8 Ob die Tatbestandsverwirklichung einer Steuerverkürzung durch Unterlassen voraussetzt, dass die zuständige Finanzbehörde sich in Unkenntnis von den nicht offenbarten steuerlich relevanten Tatsachen befunden hat, und deshalb das ungeschriebene Merkmal einer „Unkenntnis“ der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen ist, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden worden. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des Oberlandesgerichts Köln, welches die Unkenntnis als Tatbestandsmerkmal ansieht (vgl. StV 2018, 46).

9 Schon nach dem Wortlaut der Norm, der die Grenze einer Auslegung zum Nachteil des Angeklagten bildet, kann der Steuerpflichtige die zuständige Finanzbehörde nicht in „Unkenntnis“ lassen, wenn diese in Wirklichkeit bereits über alle wesentlichen für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Umstände informiert ist. Die Kenntnis bezogen auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung schließt vielmehr den Tatbestand aus.

10 Auch die Zielrichtung des Gesetzes stützt diese Auffassung. § 370 Abs. 1 AO schützt das staatliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern (vgl. BGH NJW 1998, 1568, 1576). Eine Gefährdung des geschützten Rechtsguts bei Kenntnis der Finanzbehörde ist jedoch nicht ersichtlich. Zudem werden gemäß dem neu eingeführten § 150 Abs. 7 S. 2 AO die elektronisch übermittelten Daten als Angaben des Steuerpflichtigen angesehen, so dass insoweit auch der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO aufgrund der der Finanzverwaltung durch Dritte vermittelten Kenntnis ausgeschlossen sein dürfte (vgl. Dr. Webel, Anmerkung zu OLG Köln in wistra 2018, 179).

11 Die vom Landgericht Aurich hiergegen angeführten Bedenken teilt der Senat nicht.

12 Das Erfordernis der Unkenntnis führt nicht zu einer Verdopplung der objektiven Tatbestandsmerkmale, vielmehr ist die Unkenntnis der Finanzbehörde lediglich die logische Voraussetzung dafür, dass der Täter diese in Unkenntnis lassen kann.

13 Es entstehen auch keine Wertungswidersprüche. Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es bei der Begehungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf die Kenntnis der Finanzbehörden nicht ankommt. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Unkenntnis der Finanzbehörden auch bei Verwirklichung der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erforderlich sein soll (vgl. Dr. Webel, a.a.O.). Abweichend von der Unterlassungsvariante, deren Wortlaut explizit auf das Aufrechterhalten einer Unkenntnis abstellt, knüpft die Begehungsvariante nur an die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen an. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch in zwei obiter dicta ausgeführt, dass im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen oder das ungeschriebene Merkmal der „Unkenntnis“ der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen ist (vgl. BGH NStZ 2013, 411; BGH NStZ 2011, 408).

14 Ebenso wenig kommt es zu Strafbarkeitslücken. Zutreffend hat das Oberlandesgericht Köln bereits darauf hingewiesen, dass auch nach der hier vertretenen Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eine Versuchsstrafbarkeit möglich bleibt.

b.

15 Nach den Feststellungen der Kammer im Urteil vom hatte der zuständige Sachbearbeiter Kenntnis vom Getrenntleben des Angeklagten. Auch in dem EDV-System der Finanzbehörde zur „Anweisungshistorie“ fand sich nach den Feststellungen unter dem Datum des der Eintrag „dauernd getrennt lebend“ mit der Gültigkeitsdauer bis und ab dem . Gleichwohl blieb - aus nicht mehr feststellbaren Gründen - nach wie vor die Steuerklasse III im EDV-System für die „Sachbearbeitung 2012“ des Angeklagten hinterlegt.

16 Nach diesen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist hinsichtlich der unzutreffenden Steuerklasse III der Tatbestand einer vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, weil dem für die Veranlagung des Angeklagten zuständigen Finanzamt zum Veranlagungszeitpunkt die für die Steuerfestsetzung wesentlichen tatsächlichen Umstände bekannt waren. Auch eine versuchte Steuerhinterziehung liegt insoweit nicht vor, weil die Finanzbehörden - jedenfalls u.a. - vom Angeklagten selbst, und nicht zufällig durch Dritte, Kenntnis von den steuerlich erheblichen Tatsachen erlangt haben und der Angeklagte daher davon ausgehen durfte, dass die Behörde nicht in Unkenntnis war.

c.

17 Soweit dem Angeklagten aufgrund seines Ermäßigungsantrages ein Freibetrag, beruhend auf der Annahme, dass der Angeklagte seine Arbeitsstätte an 220 Tagen aufsuchen wird, gewährt wurde, hatten die Finanzbehörden nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Aurich hingegen keine Kenntnis, dass dies im Veranlagungszeitraum 2012 tatsächlich nur an 191 Tagen der Fall war.

18 Insoweit ist eine Strafbarkeit wegen versuchter Steuerhinterziehung gegeben. Soweit der Angeklagte in seiner Revisionsbegründung höhere Werbungskosten nennt als im Antrag auf Lohnsteuerermäßigung zunächst angegeben, wodurch sich die Steuerschuld reduziert haben soll, verfängt dies nicht, weil das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO eine „Verrechnung“ ausschließt.

19 Der Schuldspruch kann demzufolge aufrechterhalten bleiben.

2.

20 Der Strafausspruch kann mit Rücksicht auf den geringeren Schuldumfang hingegen keinen Bestand haben.

21 Die Kammer hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung die Höhe der Steuerverkürzung berücksichtigt. Dabei ist sie jedoch aus den o.a. Gründen rechtsfehlerhaft von einer Höhe von 4.972 EUR ausgegangen und hat dies zu Lasten des Angeklagten gewertet. Tatsächlich hat der Angeklagte aus den oben dargelegten Gründen jedoch nur Steuern für Werbungskosten in Höhe von 304,50 EUR verkürzt, welche sich aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Anzahl der Fahrten zur Arbeitsstätte und der im Ermäßigungsantrag angegeben Fahrten ergeben.

3.

22 Nach alledem war das angefochtenen Urteil - unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels - im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben.

23 Im Umfang der Aufhebung war die Sache somit gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - erneut an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 18 Nr. 1
PStR 2018 S. 270 Nr. 11
wistra 2019 S. 79 Nr. 2
HAAAH-03455