FG Münster Urteil v. - 7 K 1015/18 Kg

Kindergeld

Mehraktige Berufsausbildung, Anzeige

Leitsatz

1) Eine weiterführende Ausbildung in Form eines Masterstudiums kann noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

2) Ergibt sich die Absicht der Fortsetzung des Studiums bereits aus dem tatsächlichen Geschehensablauf und sind die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt, führt die verspätete Anzeige der beabsichtigten Fortsetzung gegenüber der Familienkasse nicht zur Versagung des Kindergeldanspruchs (gegen V 6.1 Abs. 1 Satz 8 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem EStG, DA-KG 2017).

Gesetze: EStG § 32 Abs 4 Satz 2; EStG § 63 Abs 1 Satz 1; EStG § 32 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst a

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die verspätete Anzeige der Fortsetzung einer mehraktigen Berufsausbildung zur Versagung des Kindergeldanspruchs für vor der Anzeige abgelaufene Berücksichtigungszeiträume führt.

Die Klägerin ist Mutter des am 00.00.19xx geborenen Sohnes K. Nach Beendigung der Gesamtschule im Juni 2012 nahm dieser ein duales Studium im Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik auf. Dabei absolvierte er die betriebliche Studienzeit bei der X-IT in N und die theoretischen Abschnitte bei der Hochschule Y in O. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag zwischen der X AG und dem Sohn der Klägerin vom (Bl. 15-27 der Kindergeldakte) Bezug genommen.

Die Beklagte gewährte der Klägerin für die Dauer dieser Ausbildung, die nach dem Vertrag am enden sollte, Kindergeld für ihren Sohn und hob die Festsetzung mit Bescheid vom ab Januar 2016 auf.

Im Januar 2018 beantragte die Klägerin rückwirkend Kindergeld für Ihren Sohn ab Januar 2016 und legte hierfür Immatrikulationsbescheinigungen der Hochschule Z F ab dem Sommersemester 2016 bis zum Wintersemester 2017/18 vor. Hierbei handelt es sich um den Studiengang … in Teilzeit zum Erwerb des Master of Science. Hierzu gab die Klägerin an, dass ihr Sohn vom bis zum wöchentlich 34 Stunden bei der X GmbH in C gearbeitet habe. Ferner reichte sie Unterlagen ein, aus denen sich ergibt, dass das Bachelorstudium bereits zum mit dem Bachelor of Science abgeschlossen worden war und sich ihr Sohn im Januar 2016 für das Masterstudium beworben hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die hierzu eingereichten Unterlagen (Bl. 75-96 der Kindergeldakte) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2017 ab, weil der Sohn der Klägerin bereits eine erste Berufsausbildung bzw. ein Erststudium abgeschlossen habe. Es fehle an einem engen zeitlichen Zusammenhang, weil der Sohn nicht spätestens im Folgemonat nach Abschluss seiner ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsmaßnahme eine Bewerbung nachgewiesen habe bzw. keine schriftliche Erklärung abgegeben habe, sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit einem konkreten Berufsziel bewerben zu wollen. Da der Sohn neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, könne er nicht mehr berücksichtigt werden.

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass sich das Masterstudium als integrativer Teil einer einheitlichen Erstausbildung darstelle. Damit liege ein enger sachlicher Zusammenhang vor. Der enge zeitliche Zusammenhang ergebe sich daraus, dass sich der Sohn zum nächstmöglichen Zeitpunkt für das Masterstudium beworben habe. Bereits im Dezember 2015 sei er bei der Beklagten persönlich vorstellig geworden und habe mitgeteilt, dass das Bachelorstudium beendet worden sei und ein anschließendes Masterstudium aufgenommen werde. Hierbei sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Antragstellung unnötig sei, da aufgrund der Erwerbstätigkeit ohnehin kein Anspruch auf Kindergeld bestehe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom in Form der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, Kindergeld für das Kind K für den Zeitraum Juli 2017 bis einschließlich Dezember 2017 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Einspruchsentscheidung.

In der Sache hat am ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung, FGO).

Die Klage ist zulässig und begründet.

I. Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Juli bis Dezember 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Kindergeld für Ihren Sohn K.

1. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht ein Anspruch auf Kindergeld für volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Das Masterstudium … an der Hochschule Z F stellt eine Ausbildung im Sinne dieser Vorschrift dar.

2. Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Dabei sind eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

Die vom Sohn der Klägerin parallel zum Masterstudiengang ausgeübte Erwerbstätigkeit von 34 Wochenstunden ist unschädlich, denn er hatte mit Abschluss des Bachelorstudiums an der Hochschule Y O weder eine erstmalige Berufsausbildung noch ein Erststudium abgeschlossen. Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlichen geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Maßgeblich ist dabei der vom Kind angestrebte Beruf, wobei ihm und seinen Eltern ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung zukommt. Demnach kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (, BStBl. II 2015, 152). Für die Qualifikation als einheitliche Ausbildung kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (, BStBl. II 2016, 615 m.w.N.).

a. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem vom Sohn der Klägerin durchgeführten Bachelor- und dem anschließenden Masterstudium liegt vor. Baut ein Masterstudiengang auf dem vorherigen Bachelorstudium auf (sog. konsekutives Masterstudium im Sinne von § 19 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes), genügt dies für den erforderlichen sachlichen Zusammenhang (, BStBl. II 2016, 166). Nach den vorliegenden Unterlagen hat der Sohn der Klägerin an der Hochschule Y O den Bachelor of Science erworben und mit dem sich anschließenden Studium an der Hochschule Z F den Master auf Science angestrebt. Im Übrigen ist der sachliche Zusammenhang der beiden Studiengänge zwischen den Beteiligten unstreitig.

b. Auch der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang ist gegeben. Hierfür ist erforderlich, dass das Kind nach Abschluss seines ersten objektiv berufsqualifizierenden Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt (, BStBl. II 2016, 166). Die Ausbildung muss zum nächstmöglichen Zeitpunkt fortgesetzt werden, wobei schulorganisatorische oder andere objektive Gründe, die einer unmittelbaren Aufnahme entgegenstehen, unschädlich sind (, BStBl. II 2018, 548). Der Sohn der Klägerin hat sich unmittelbar nach Abschluss des Bachelorstudiengang im November 2015 zum nächst möglichen Semester (Sommersemester 2016) im Januar 2016 beworben. Die hierdurch entstandene Lücke ist allein durch organisatorische Gründe im Studienablauf zurückzuführen.

Dass der Sohn der Klägerin nicht im Dezember 2015 schriftlich die beabsichtigte Aufnahme eines Masterstudiums bei der Familienkasse angezeigt hat, steht dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang nicht entgegen. Soweit die Beklagte aus V 6.1 Abs. 1 Satz 8 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem EStG (DA-KG 2017) eine Berechtigung ableiten will, Kindergeld allein wegen einer verspäteten Erklärung zu versagen, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Aus dieser Vorschrift ergibt sich bereits nicht, dass Kindergeld stets zu versagen ist, wenn die beabsichtigte Fortsetzung einer einheitlichen Ausbildung nicht im Monat nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts angezeigt wird. Vielmehr stellt die Regelung allgemein auf die Glaubhaftmachung einer Absicht ab. Im Streitfall ergibt sich die Absicht der Fortsetzung des Studiums aber bereits aus dem tatsächlichen Geschehensablauf (s.o.), so dass es auf eine Glaubhaftmachung nicht mehr ankommt. Darüber hinaus kann der Zeitpunkt einer Anzeige allenfalls ein Indiz gegen die Glaubhaftigkeit eines Vortrags sein, eine Kindergeldfestsetzung aber nicht vollständig ausschließen, wenn die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind (, Juris; 7 K 2356/17 Kg und 7 K 3294/17 Kg, Juris). Unabhängig davon ist das Gericht an Verwaltungsanweisungen nicht gebunden.

Vor diesem Hintergrund verzichtet der Senat darauf, darüber Beweis zu erheben, ob der Sohn der Klägerin tatsächlich – wie von ihr vorgetragen – im Dezember 2017 bei der Familienkasse vorstellig geworden ist, um die beabsichtigte Aufnahme des Masterstudiums dort anzuzeigen.

3. Der Kindergeldanspruch besteht zwar für die gesamte Dauer des Masterstudiums, ist aber verfahrensrechtlich auf die letzten sechs Monate vor Antragstellung begrenzt, wenn der Antrag – wie im Streitfall – nach dem gestellt wurde (§ 66 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 49a Satz 7 EStG). Im Übrigen kann das Gericht über den Antrag nicht hinausgehen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO im Hinblick auf das gegen das ) beim BFH anhängige Revisionsverfahren III R 33/18 zugelassen.

Anmerkung

ECLI:DE:FGMS:2018:1031.7K1015.18KG.00

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 5/2019 S. 234
HAAAH-03173