Verdeckte Einlage von GmbH-Anteilen in andere Kapitalgesellschaft und Weiterveräußerung der eingelegten Anteile: Rückabwicklung der Weiterveräußerung kein rückwirkendes Ereignis im Hinblick auf den die verdeckte Einlage besteuernden Einkommensteuerbescheid des Gesellschafters
Verzinsung nach § 233a AO auch in Fällen der bestandskräftigen rechtswidrigen Bescheidänderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen
Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 AO und nicht nach § 233a Abs. 2a AO bei vom FA unzutreffend auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO gestützter Änderung eines bestandskräftigen Bescheids zu Gunsten des Steuerpflichtigen
Leitsatz
1. Hat der Alleingesellschafter seine Anteile an mehreren GmbH`s in eine neugegründete GmbH verdeckt eingelegt und wurde bei der Besteuerung dieser verdeckten Einlage nach § 17 Abs. 1 S. 2 EStG der Wert der eingelegten Anteile anhand des Veräußerungserlöses bestimmt, den die neugegründete GmbH aus der teilweisen sofortigen Veräußerung der eingelegten GmbH-Anteile an einen fremden Dritten erzielt hat, so liegt im Hinblick auf den die verdeckte Einlage besteuernden, bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid des Gesellschafters kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vor, wenn später der fremde Dritte die neugegründete GmbH erfolgreich vor dem Landgericht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags verklagt hat und die neugegründe GmbH sowie der Gesellschafter persönlich als Gesamtschuldner dazu verurteilt worden sind, dem fremden Dritten den bei der Veräußerung gezahlten Kaufpreis zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Rückabtretung und Rückübertragung der veräußerten GmbH-Anteile zu übertragen. Der Umstand, dass sich nachträglich ein niedrigerer Wert der Geschäftsanteile der GmbH-Anteile herausgestellt hat, ist insoweit eine wertaufhellende Tatsache, nicht jedoch ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
2. Hat das FA gleichwohl den bestandskräftigen und festsetzungsverjährten Einkommensteuerbescheid unzutreffend nach § 175 Abs. 1 S. 1 N. 2 AO geändert und die Besteuerung der verdeckten Einlage rückgängig gemacht, ohne dass tatsächlich die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift vorgelegt hätten, so richtet sich die Verzinsung des Steuererstattungsbetrages nach der Grundregel des § 233a Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 AO und nicht nach der für Änderungen gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geltenden Ausnahmeregelung des § 233a Abs. 2a AO. Für die Frage, ob eine Steuererstattung, die in einem Änderungsbescheid zur Einkommensteuer festgesetzt ist, auf einem rückwirkenden Ereignis beruht, ist nicht darauf abzustellen, welche Änderungsnorm im Bescheid genannt wurde, sondern darauf, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anwendung des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO tatsächlich – objektiv – vorlagen.
3. Eine Verzinsung nach § 233a AO ist auch in Fällen der bestandskräftigen rechtswidrigen Bescheidänderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen vorzunehmen
Gesetze: AO § 233a Abs. 2a, AO § 233a Abs. 1, AO § 233a Abs. 2 S. 1, AO § 233a Abs. 3 S. 1, AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, EStG § 17 Abs. 1 S. 2
Instanzenzug: Verfahren Urteil Urteil
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Verurteilung des beklagten Finanzamts zur Festsetzung von Guthabenzinsen zur Einkommensteuer 2006.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1972 geborene Kläger wurde für das Jahr 2006 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau B. vom beklagten Finanzamt C. zur Einkommensteuer veranlagt. Mittlerweile ist der Kläger von Frau B. geschieden und nunmehr mit seiner neuen Partnerin, Frau D., verheiratet.
Der Kläger ist Immobilienkaufmann und war vormals Alleingesellschafter folgender Kapitalgesellschaften: E. GmbH, F. GmbH sowie G. GmbH.
Im Mai 2006 gründete er die H. GmbH. Er war Alleingesellschafter und Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Ebenso im Mai 2006 übertrug er die Geschäftsanteile an den zuvor genannten drei Kapitalgesellschaften zum Nominalwert auf die neu gegründete H. GmbH.
Mit notariellem Vertrag vom Mai 2006 veräußerte die H. GmbH jeweils 49 % ihrer Anteile an den genannten drei Gesellschaften an die I. AG. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 705.000 EUR für die Beteiligung an der E. GmbH (Nominalwert der veräußerten 49 %-Anteile: 12.750 EUR), 235.000 EUR für die Beteiligung an der F. GmbH (Nominalwert: 12.250 EUR) und 235.000 für die Beteiligung an der G. GmbH (Nominalwert: 12.250 EUR), also insgesamt 1.175.000 EUR.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2006 vom setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 550.990 EUR fest. Dabei behandelte er die Übertragung der Geschäftsanteile an den Gesellschaften E. GmbH, F. GmbH und G. GmbH auf die H. GmbH als verdeckte Einlage und besteuerte diese nach § 17 Einkommensteuergesetz – EStG – unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens (50 %). Er setzte insoweit Einkünfte des Klägers aus Veräußerungsgewinnen i.H.v. 1.159.500 EUR an. Den gemeinen Wert der verdeckten Einlage ermittelte er unter Berücksichtigung der von der H. GmbH im Mai 2006 erzielten Kaufpreise für die 49 %-Anteile, den der auf die vollen Anteile (100 %) hochrechnete.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid fristgemäß Einspruch ein. Er wandte sich insbesondere gegen die Höhe des angesetzten Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG. Zur Begründung des Einspruchs trug er vor, der angesetzte Veräußerungsgewinn sei seiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt. Der Begriff der verdeckten Einlage beinhalte, dass ihr keine Gegenleistung der Gesellschaft gegenüberstehe. Vorliegend könne die Gegenleistung jedoch durch Gehaltszahlungen und andererseits durch Ausschüttungen erfolgen. Auch behalte der Kläger in diesem Zusammenhang alle seine Gesellschaftsrechte, da er zum Zeitpunkt der Übertragung bei den Gesellschaften Alleingesellschafter gewesen sei.
Zudem sei die Höhe der Einlage mit dem gemeinen Wert zu ermitteln, der sich aus Verkäufen in der Vergangenheit oder aus dem Stuttgarter Verfahren ergebe. Liege die Gründung einer Gesellschaft nicht mehr als drei Jahre zurück, könne die Beteiligung maximal mit den Anschaffungskosten bewertet werden. Derartige Werte lägen sowohl für die G. GmbH (Veräußerungsertrag von 0 EUR) als auch für die F. GmbH (Veräußerungsverlust von 24.999 EUR) vor. Lediglich bei der E GmbH könnten keine Ableitungen anhand von Verkäufen aus der Vergangenheit erfolgen, jedoch sei auch hier ein Ertrag im Sinne des EStG im Zusammenhang mit der Nichtversteuerung der stillen Reserven nicht erzielt worden.
Mit der Einspruchseinlegung beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollziehung – AdV – der strittigen Steuerbeträge (Bl. 116 ESt-Akte 2006 Bd. I). Mit Verfügung vom setzte der Beklagte die Vollziehung der Einkommensteuer 2006 sowie von Nebenleistungen hierzu im Gesamtbetrag von 518.456,11 EUR gemäß § 361 Abs. 2 Abgabenordnung – AO – unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs ab Fälligkeit aus (Bl. 119 f. ESt-Akte 2006 Bd. I).
Mit Einkommensteuerbescheid für 2006 vom setzte der Beklagte die Einkommensteuer geändert auf 550.184 EUR fest (Bl. 219 ESt-Akte 2006 Bd. I). Dabei berücksichtigte er antragsgemäß Kinderbetreuungskosten sowie einen Verlust aus dem Jahr 2001.
Nach einem entsprechenden Verböserungshinweis wegen weiterer Streitpunkte setzte der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom die Einkommensteuer für 2006 erhöht auf 555.070 EUR fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück (Bl. 263 ff. ESt-Akte 2006 Bd. I). Hinsichtlich des wesentlichen Streitpunkts, der steuerlichen Behandlung der Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in eine neu gegründete Gesellschaft, verblieb der Beklagte bei der Auffassung, dass der Kläger hierdurch einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG in Höhe von 1.159.500 EUR erzielt habe.
Die nach Einspruchseinlegung gewährte AdV endete mit Fälligkeit der aufgrund der Einspruchsentscheidung zu zahlenden Steuerbeträge am .
Die daraufhin wegen der ESt 2006 erhobene Klage, welche beim erkennenden Senat zum Aktenzeichen – Az. – 3 K 3295/11 geführt wurde, wurde nach Klagerücknahme durch Beschluss vom eingestellt. Einen bei Gericht gestellten Antrag auf AdV der Einkommensteuer für 2006 hat der erkennende Senat – in teilweise anderer Besetzung – im Verfahren 3 V 3312/11 durch Beschluss vom als unbegründet zurückgewiesen.
In der Folgezeit überwies der Kläger größere Summen auf seine Steuerschuld; per war die Hauptsteuerschuld im Wesentlichen beglichen; offen blieben Säumniszuschläge in einer Größenordnung von 45.000 EUR (vgl. Klageverfahren 3 K 3151/14). Die Mittel zum Ausgleich der steuerlichen Hauptforderungen stammten aus einer verzinslichen Darlehensaufnahme des Klägers über insgesamt 550.000 EUR bei einer in J ansässigen Firma (Bl. 50 Rechtsbehelf-Hefter).
Mit dem bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid für 2006 vom waren u.a. (Nachforderungs-)Zinsen zur ESt i.H.v. 3.608 EUR festgesetzt worden (Bl. 269 ff. ESt-Akte 2006 Bd. I).
Am beantragte der Kläger beim Beklagten, den bisher bei der Einkommensteuerveranlagung für 2006 berücksichtigten und ihm zugerechneten Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG i.H.v. 1.159.500 EUR auf 0 EUR herabzusetzen. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch ein Urteil des Landgerichts K vom , welches nach einem nach Rücknahme der eingelegten Berufung rechtskräftig sei, seien die H GmbH sowie der Kläger persönlich als Beklagte als Gesamtschuldner dazu verurteilt worden, an die I AG als Klägerin den im Jahr 2006 erzielten Kaufpreis i.H.v. 1.175.000 EUR (zuzüglich Zinsen) Zug um Zug gegen Rückabtretung und Rückübertragung der mit Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vom erworbenen Anteile an den Kapitalgesellschaften E GmbH, F GmbH sowie G GmbH zu erstatten.
Der Kläger sah in diesem Vorgang ein rückwirkendes Ereignis und beantragte dementsprechend eine Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2006 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in der Weise, dass der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG lediglich noch in Höhe von 0,00 EUR zu berücksichtigen sei.
Der Beklagte schloss sich dieser Rechtsansicht an und erließ am einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006, in welchem der genannte Veräußerungsgewinn keine Berücksichtigung mehr fand. Mit dem geänderten Bescheid wurde die Einkommensteuer auf nunmehr 68.080 EUR festgesetzt, Zinsen gemäß § 233a AO zur Einkommensteuer 2006 wurden nicht festgesetzt.
Daraufhin beantragte der Kläger mit Schreiben vom , im Hinblick auf die überzahlte und nunmehr zu erstattende bzw. mit anderen Steuerverbindlichkeiten verrechnete Einkommensteuer 2006 (Erstattungs-)Zinsen gemäß § 233a AO zu seinen Gunsten festzusetzen.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom unter Hinweis darauf ab, dass nach der Regelung in § 233a Abs. 2a AO in den Fällen, in denen die Steuerfestsetzung auf einem rückwirkenden Ereignis beruhe, der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten sei, beginne. Vorliegend scheide eine Zinsfestsetzung deshalb aus, denn das rückwirkende Ereignis sei im Jahr 2016 eingetreten, der Zinslauf beginne demnach erst ab dem ( Hinweis: richtig ), also nach dem Datum der geänderten Steuerfestsetzung (). Der Ablehnungsbescheid war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben seiner steuerlichen Berater vom . Er hielt die vom Beklagten im Hinblick auf die Vorschriften der Verzinsung geäußerten Ansichten für rechtsfehlerhaft. Nach seiner, des Klägers, Auffassung seien die überzahlten Beträge jeweils ab dem Zeitpunkt zu verzinsen, zu dem die entsprechenden Zahlungen beim Beklagten eingegangen waren. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte schon seit langer Zeit darüber informiert gewesen sei, dass das rückwirkende Ereignis eintreten werde. Es könne nicht sein, dass die Zahlungen, die der Kläger auf die ursprüngliche Steuerschuld erbracht habe, über Jahre zinsfrei beim Finanzamt liegen bleiben könnten.
Der Beklagte sah das Schreiben des Klägers vom als Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom an.
Mit seiner Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer 2006 sei zu Recht abgelehnt worden. Verbleibe bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nach Minderung der festgesetzten Steuer um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und die festgesetzten Vorauszahlungen ein Erstattungs- oder Nachzahlungsbetrag, so sei dieser gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zweck dieser Regelung bestehe darin, den Liquiditätsvorteil des Steuerschuldners und den Liquiditätsnachteil des Steuergläubigers auszugleichen, unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die Verzinsung nach § 233a AO einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Für die Anwendung der Vorschrift seien daher die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall unbeachtlich. Allein die Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrags reichten für eine Zinsfestsetzung aus. Zinsen nach § 233a AO seien lediglich laufzeitabhängige Gegenleistungen für eine mögliche Kapitalnutzung. Bei der Verzinsung komme es nicht auf eine konkrete Berechnung der tatsächlich eingetretenen Zinsvor- bzw. -nachteile an.
Soweit die Steuerfestsetzung – wie im vorliegenden Fall – auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruhe, beginne der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten sei (§ 233a Abs. 2a AO). Die steuerrechtlichen Auswirkungen eines rückwirkenden Ereignisses würden daher bei der Berechnung von Zinsen erst ab einem vom Regelfall abweichenden späteren Zinslaufbeginn berücksichtigt. Dabei knüpfe die Festsetzung der Zinsen nach § 233 Abs. 2a AO in den Fällen, in denen die Steuerfestsetzung auf einem rückwirkenden Ereignis beruhe, an die tatsächlichen Liquiditätsvorteile oder -nachteile an. Damit folgten die Fälle des rückwirkenden Ereignisses dem Prinzip der Ist-Verzinsung und nicht dem der Soll-Verzinsung. Bei rückwirkenden Ereignissen werde berücksichtigt, dass das Finanzamt und der Steuerpflichtige in der Zeit bis zum Eintritt des rückwirkenden Ereignisses keine Liquiditäts- oder Zinsvorteile ziehen könnten.
Die Regelung des § 233a Abs. 2a AO solle damit sicherstellen, dass rückwirkende Ereignisse bei der Verzinsung nach § 233a AO erst dann berücksichtigt werden, wenn entsprechende Liquiditätsvor- oder -nachteile auch tatsächlich entstanden seien.
Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 AO einerseits und nach § 233a Abs. 2a AO andererseits beruhe auf dem Gedanken, dass ein rückwirkendes Ereignis zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung noch nicht berücksichtigt werden konnte und daher weder der Steuerpflichtige noch das Finanzamt vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses einen Liquiditätsvor- oder -nachteil erlitten hätten, den zu kompensieren grundsätzlich das Ziel des § 233a AO sei. So erscheine es dem Bundesfinanzhof – BFH – in seinem Urteil vom (I R 52/09) daher auch nicht gerechtfertigt, einen Nachzahlungs- oder Erstattungsanspruch, soweit er auf einem rückwirkenden Ereignis beruht, schon für den Zeitraum vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses zu verzinsen.
Im Streitfall handele es sich bei der Herabsetzung des Veräußerungsgewinns auf 0 EUR unstrittig um ein rückwirkendes Ereignis, welches mit über die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts K eingetreten sei. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze würde ein hieraus resultierender Zinslauf am ( Hinweis: richtig: ) beginnen. Da die Änderung der Einkommensteuer 2006 aufgrund des rückwirkenden Ereignisses bereits mit Bescheid vom und damit vor Beginn eines eventuellen Zinslaufs vorgenommen worden sei, seien keine Zinsen festzusetzen gewesen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende, rechtzeitig erhobene, Klage, mit der der Kläger sein Vorbringen aus dem außergerichtlichen Vorverfahren ergänzt und vertieft. Mit weiterem Schriftsatz vom trägt der Kläger vor, es sei zweifelhaft, ob das rückwirkende Ereignis, welches zur Steuerherabsetzung führte, erst – wie vom Beklagten angenommen – im März 2017 mit dem Beschluss des Kammergerichts, welcher zur Rechtskraft des führte, eingetreten sei. Man könne insoweit auch die Auffassung vertreten, dass das rückwirkende Ereignis bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sei; hierfür käme entweder das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts K vom oder aber – wozu der Kläger neigt – bereits die Klageerhebung (im Zivilprozess) im Jahr 2012 in Betracht.
Über das ursprünglich außergerichtlich verfolgte Begehren hinaus hat der Kläger mit der Klage des Weiteren geltend gemacht, er habe auch einen Anspruch auf Erstattung der mit dem Einkommensteuerbescheid für 2006 vom festgesetzten (Nachzahlungs-) Zinsen i.H.v. 3.608 EUR. Dieses Begehren wird indes offensichtlich vom Kläger nicht weiter mit der vorliegenden Klage verfolgt, wie dem nachfolgenden Klageantrag zu entnehmen ist.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom in Form der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, den aus dem Einkommensteuerbescheid für 2006 vom sich ergebenden Einkommensteuererstattungsbetrag gemäß der Abrechnungsmitteilung vom gemäß § 233a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AO zu verzinsen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte wiederholt zur Begründung im Wesentlichen die Argumente aus den Gründen seiner Einspruchsentscheidung, soweit der Kläger die Verzinsung des Erstattungsbetrages aus dem Einkommensteuerbescheid für 2006 vom begehrt.
Darüber hinaus regt der Beklagte für den Fall einer Klagestattgabe die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts an. Insbesondere sei die Frage klärungsbedürftig, welche Zinsgestaltungen im ungewöhnlichen Fall der rechtswidrigen Aufhebung eines rechtswidrigen Bescheides zu treffen seien oder getroffen werden könnten und ob hierbei der Rechtsgedanke aus § 174 Abs. 4 AO zur Anwendung gelangen könne.
Einen gleichzeitig mit der Klageerhebung im vorliegenden Klageverfahren gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe – PKH – hat der Kläger noch vor Entscheidung über die PKH wieder zurückgenommen.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Streitakte und dem PKH-Hefter zum vorliegenden Verfahren die Streitakten zu den Klageverfahren 3 K 3295/11, 3 K 3079/13, 3 KO 3285/13, 3 K 3151/14 nebst PKH-Hefter, die Verfahrensakten zu den Az. 3 V 3312/11 nebst PKH-Hefter und 3 V 3080/13 sowie folgende vom Beklagten unter der Steuernummer geführten Steuerakten vorgelegen: ein Leitzordner mit den Unterlagen zum vorliegenden Rechtsstreit sowie je ein Bd. Einkommensteuerakte 2006 Bd. II, Vollstreckungsakte, Aufteilung 2006 Bd. I, Erlass- und Stundungsakte sowie ein Hefter AdV Zinsen, ein Hefter AdV, ein Hefter mit diversen Unterlagen sowie ein Rechtsbehelf-Hefter. Auf den Inhalt der genannten Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im zuletzt noch streitig gebliebenen Umfang begründet.
Der Kläger wird durch den Bescheid, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, den aus dem Einkommensteuerbescheid für 2006 vom resultierenden Erstattungsbetrag nach der Grundregel des § 233a AO zu verzinsen, in seinen Rechten verletzt, weil diese Ablehnung rechtswidrig war (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Deshalb ist der Beklagte verpflichtet, die Zinsfestsetzung gemäß § 233a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AO vorzunehmen.
A.
Der Einspruch vom gegen den ablehnenden Bescheid vom ist trotz Überschreitens der Einspruchsfrist von einem Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO) zulässig. Da der ablehnende Bescheid vom keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lief die Einspruchsfrist gemäß § 356 Abs. 2 AO nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bescheidbekanntgabe ab. Diese Frist ist eingehalten.
B.
Die Ausführungen des Beklagten zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung basieren auf der Annahme, dass die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids für 2006 durch Bescheid vom wegen eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfolgte. Bei Bejahung dieser Annahme wäre die Begründung des Beklagten zutreffend und der Ablehnungsbescheid rechtmäßig.
I.
Der erkennende Senat ist indes zu der Überzeugung gelangt, dass kein rückwirkendes Ereignis eingetreten ist, welches den Beklagten zur Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung für 2006 berechtigte; denn die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind vorliegend in Bezug auf den Einkommensteuerbescheid für 2006 nicht erfüllt.
1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
a) Diese Vorschrift regelt den Fall, dass sich der richtig ermittelte und steuerrechtlich beurteilte Sachverhalt durch eine später eingetretene tatsächliche Entwicklung verändert und dieser Entwicklung nach den einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften Rechtserheblichkeit für den bereits erlassenen Steuerbescheid zuzumessen ist, sie also fiktiv so behandelt wird, als wäre sie schon in dem Zeitraum eingetreten, auf den sich der Steuerbescheid bezogen hat, bzw. in dem Zeitpunkt, auf den dieser abstellt. Deshalb ist ebenso wie bei einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO eine Änderung nur dann vorzunehmen, wenn das nachträglich eingetretene Ereignis nach der dem ursprünglichen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsauffassung der Finanzbehörde rechtserheblich gewesen wäre, nicht wenn erst eine geläuterte Rechtsauffassung einem solchen Ereignis Bedeutung zuerkennt (keine allgemeine Fehlerberichtigung, die durch rückwirkende Ereignisse lediglich angeregt wird). War der Sachverhalt in seiner ursprünglichen Gestalt steuerlich nicht erfasst, weil er dem Finanzamt nicht bekannt war, rechtfertigt seine spätere Änderung nicht die Änderung. Die Berücksichtigung nachträglicher Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG kann deshalb nur erfolgen, wenn die Veräußerung der wesentlichen Beteiligung erklärt worden war (Klein/Rüsken AO § 175 Rz. 50 m. zahlr. weit. Rspr.-Nachw.).
b) Rückwirkende Ereignisse sind solche, die den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt verändern – obwohl sie erst im Nachhinein eingetreten sind, ein Besteuerungstatbestand also zunächst verwirklicht worden ist – und aufgrund steuergesetzlicher Anordnung in die Vergangenheit zurückwirken sollen, weil ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültig getroffene steuerliche Regelung an die Sachverhaltsänderung anzupassen. Es geht darum, bei einer zeitlich gestreckten Tatbestandsverwirklichung materiell-rechtlich angemessene Ergebnisse zu erzielen, wenn das Gesetz einen Sachverhalt einem bestimmten Zeitpunkt zuordnet, bei einer Änderung des Sachverhalts aber die angeordneten Rechtsfolgen korrigiert werden müssen, weil eine Korrektur zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich nicht möglich wäre oder wirtschaftlich leer liefe. Dass ein Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen (weil im Veranlagungszeitraum gegebenen) Sachverhalt später anders gestaltet, genügt indes als solches nicht; es muss kraft Gesetzes zurückwirken. Eine Absicht (innere Tatsache), die aufgegeben wird, fällt nicht rückwirkend weg (Klein/Rüsken, a.a.O. Rz. 54).
c) Es genügt zur Annahme eines rückwirkenden Ereignisses nicht, dass ein späteres Ereignis den für die Besteuerung maßgebenden Sachverhalt rein faktisch beseitigt, z.B. der Steuerpflichtige eine Entnahme durch eine gleich hohe Einlage ausgleicht, oder dass zivilrechtlich vereinbart wird, ein Rechtsgeschäft rückabzuwickeln, also so zu behandeln, als sei es von Anfang an nicht vorgenommen worden. Auch Realakte, d.h. Handlungen, an die das Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge knüpft (Wohnsitzbegründung, Einfuhr, Beförderung), wirken nicht in die Vergangenheit und sie können auch nicht nachträglich dadurch ungeschehen gemacht werden, dass gleichsam durch einen actus contrarius der vorherige Zustand wiederhergestellt und die durch solche Realakte bewirkte tatsächliche Veränderung für die Zukunft wieder beseitigt wird (Klein/Rüsken, a.a.O. Rz. 56).
d) Der Große Senat des BFH hat sich in seinem Beschluss vom , GrS 2/92, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1993, 897 eingehend mit der Frage auseinander gesetzt, wann ein „rückwirkendes Ereignis” bei der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines Einzelunternehmens gemäß § 16 Abs. 1 und 2 EStG vorliegt. Er hat entschieden, der Ausfall einer gestundeten Kaufpreisforderung für die Veräußerung eines Gewerbebetriebes in einem späteren Veranlagungszeitraum sei ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Veräußerungszeitpunkt. Darüber hinaus hat der (BStBl II 1994, 648; zuletzt im Urteil im BStBl II 2004, 107) entschieden und im Einzelnen begründet, dass die Grundsätze, die der Große Senat zu § 16 EStG aufgestellt hat, auch für die Besteuerung des Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG gelten. Nachträgliche Änderungen des Kaufpreises für eine wesentliche Beteiligung wirken danach auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück. Das gilt für die nachträgliche Uneinbringlichkeit oder die nachträgliche Minderung des Kaufpreises ebenso wie für die nachträgliche Erhöhung des Kaufpreises und insbesondere auch für den Fall, dass die Vertragsparteien im Zeitpunkt der Übertragung der Beteiligung noch keine abschließende Einigung über die Höhe des Kaufpreises erzielt haben oder die Höhe des Kaufpreises von der künftigen Entwicklung des Unternehmens abhängig sein soll (, BStBl II 2006, 15).
2. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen handelt es sich bei der nachträglichen Korrektur des Veräußerungsvorgangs des Jahres 2006 durch das im Jahr 2017 rechtskräftig gewordene dem Grunde nach um ein rückwirkendes Ereignis. Allerdings betraf dieses rückwirkende Ereignis nicht den im Jahre 2006 vom Beklagten gemäß § 17 EStG besteuerten Vorgang der verdeckten Einlage der Anteile des Klägers an drei Kapitalgesellschaften in die von ihm neu gegründete H GmbH, sondern den Anteils- und Übertragungsvertrag, den die H. GmbH mit der Erwerberin, der I. AG, über jeweils 49 % der Anteile an den drei Kapitalgesellschaften geschlossen hatte. Dieser entgeltliche Veräußerungsvorgang spielte sich allein in der Sphäre der H. GmbH und der I. AG ab; Einfluss auf die private Einkommenssphäre des Klägers hatte dies nicht.
a) Denn die umstrittene Steuerfestsetzung im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 2006 vom beruhte nicht auf dem genannten entgeltlichen Veräußerungsgeschäft zwischen den beiden Kapitalgesellschaften, sondern auf einer verdeckten Einlage der Anteile an den drei Kapitalgesellschaften, die der Kläger im Privatvermögen hielt, in die neu gegründete H GmbH. Hierin sah der Beklagte einen dem Kläger zuzurechnenden Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG. Dieser Vorgang der verdeckten Einlage wurde nicht wieder rückgängig gemacht; vielmehr änderte sich hieran durch die Entscheidung des Landgerichts im Jahr 2016 nichts.
b) Lediglich für Zwecke der Bewertung der verdeckten Einlage orientierte der Beklagte sich an den Verkaufserlösen, die die neu gegründete H GmbH zeitnah zur Einlagehandlung des Klägers bei der Veräußerung von jeweils 49 % der Anteile an den vom Kläger in die neu gegründete GmbH eingelegten GmbH-Anteilen erzielt hatte. Der vom Landgericht K im Jahr 2016 entschiedene und im Jahr 2017 rechtskräftig gewordene Zivilrechtsstreit hatte zum Ergebnis, dass der Erwerberin der 49 %-Anteile an den drei Kapitalgesellschaften der Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückübertragung der GmbH-Anteile zu erstatten war.
c) Somit hat sich im Jahr 2017 mit Eintritt der Rechtskraft des Landgerichtsurteils nachträglich herausgestellt, dass der Wert der vom Kläger in die neu gegründete GmbH eingelegten GmbH-Anteile niedriger war, als vom Beklagten seinerzeit angenommen. Allerdings hatte diese Erkenntnis aus dem Jahr 2017 nicht die Wirkung eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Bezug auf den Einlagevorgang, den der Beklagte seinerzeit gemäß § 17 EStG beim Kläger besteuert hatte. Denn dieser Einlagevorgang wurde durch die Gerichtsentscheidung des Landgerichts nicht berührt; der Umstand, dass sich nachträglich ein niedrigerer Wert der Geschäftsanteile der drei Kapitalgesellschaften herausgestellt hat, ist eine wertaufhellende Tatsache, nicht jedoch ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
3. Diese wertaufhellende Tatsache hätte im Jahr 2017 nicht mehr in einem Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2006 umgesetzt werden dürfen, weil hierfür keine Änderungsnorm, die eine Durchbrechung der Bestandskraft erlaubt hätte, existiert.
a) Zwar könnte es sich bei dem im Jahr 2017 mit Rechtskraft des Landgerichtsurteils bekannt gewordenen Umstand, dass der Wert der vom Kläger im Jahr 2006 eingelegten GmbH-Anteile geringer als angenommen war, ggf. um eine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 AO handeln (zu den Voraussetzungen der Tatsache im Falle von Wertänderungen: siehe Klein/Rüsken, AO, § 173 Rz. 31); vorliegend kann jedoch offen bleiben, ob von einer neuen Tatsache auszugehen ist, weil eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 AO im Jahr 2017 jedenfalls gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO an der in Bezug auf die Einkommensteuerveranlagung für 2006 eingetretenen Festsetzungsverjährung gescheitert wäre. Die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer für 2006 lief, da die Steuererklärung im Jahr 2007 eingereicht worden war, am ab (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO); wegen eines Einspruchs- und Klageverfahrens kam es jedoch zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3a AO bis zur Rücknahme der Klage im Verfahren 3 K 3295/11 am (Bl. 38 in 3 K 3295/11), sodass die Festsetzungsverjährung endgültig mit der Klagerücknahme im September 2012 eintrat.
b) Somit muss festgestellt werden, dass die Änderung der Einkommensteuer für 2006 durch Bescheid vom rechtswidrig erfolgte, weil weder die Voraussetzungen zur Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses noch zur Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheides vom aus anderen Gründen vorlagen.
4. Da die Änderung des (bestandskräftigen und festsetzungsverjährten) Einkommensteuerbescheids für 2006 aus dem Jahr 2011 durch Bescheid vom bei zutreffender steuerlicher Würdigung nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO hätte erfolgen dürfen, weil tatsächlich in Bezug auf den beim Kläger besteuerten § 17 EStG-Gewinn kein rückwirkendes Ereignis eingetreten ist, richtet sich die Verzinsung des Steuererstattungsbetrages nach der Grundregel des § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AO. Die Ausnahme des § 233a Abs. 2a AO, wonach der Zinslauf in den Fällen, in denen die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) beruht, abweichend von der Regel des Abs. 2 des § 233 a AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, beginnt, greift deshalb nicht.
a) Denn für die Frage, ob eine Steuererstattung, die in einem Änderungsbescheid zur Einkommensteuer festgesetzt ist, auf einem rückwirkenden Ereignis beruht, ist nicht darauf abzustellen, welche Änderungsnorm im Bescheid genannt wurde, sondern darauf, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO tatsächlich – objektiv – vorlagen. Dies ist – wie vorstehend dargelegt – nicht der Fall gewesen.
b) Die in einem Steuerbescheid angeführte Änderungsnorm ist Teil der Begründung des Verwaltungsakts; dementsprechend macht nicht die Nennung einer unzutreffenden Änderungsnorm einen Steuerbescheid rechtswidrig, sondern nur der Umstand, dass das Ergebnis des Bescheides, also die festgesetzte Steuer bzw. die festgestellten Besteuerungsgrundlagen, falsch ist. Der BFH führt insoweit aus (Urteil vom , VIII R 85/80, BStBl II 1981, 778): „An der Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide ändert auch der Umstand nichts, dass das FA zunächst seine Änderungsbefugnis aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO herleitete. Diese Bezeichnung der Bescheide ist unschädlich, wenn materiell die Voraussetzungen für eine Änderung überhaupt vorlagen. Der BFH hat schon für den Geltungsbereich der Reichsabgabenordnung ausgesprochen, dass es nicht darauf ankommt, ob die zur Begründung der Berichtigung herangezogene Vorschrift zutrifft, weil es sich hierbei um nichts anderes als die rechtliche Begründung handelt, die jederzeit wie eine andere rechtliche Begründung ausgewechselt werden kann (Urteil vom III 43/63 S, BFHE 83, 349, BStBl III 1965, 626). Es kommt allein darauf an, dass im Zeitpunkt des Ergehens des Berichtigungsbescheides dieser durch einen Berichtigungstatbestand materiell gedeckt war (, BFHE 85, 51, BStBl III 1966, 230). An diesen Rechtsgrundsätzen hat sich auch durch das Inkrafttreten der Abgabenordnung nichts geändert „
c) Hieraus folgt für den Streitfall, dass bei der Prüfung des Anspruchs des Klägers auf Verzinsung seiner Steuererstattung gemäß § 233a AO das Gericht nicht an die Angabe des Beklagten im Steuerbescheid, dass dieser wegen eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert wurde, gebunden ist. Dies gilt selbst dann, wenn beide Beteiligte des Rechtsstreits – wie vorliegend – übereinstimmend davon ausgehen, die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2006 sei aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses erfolgt. Denn der im Finanzgerichtsprozess geltende Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen; es ist nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Die Frage, ob eine Steuerfestsetzung auf einem rückwirkenden Ereignis beruht, ist im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 233a Abs. 2a AO eine Sachverhaltsfrage, die vom Gericht aufzuklären ist. Vorliegend waren aber die Voraussetzungen zur Bescheidänderung wegen eines rückwirkenden Ereignisses objektiv nicht erfüllt (vgl. oben B.I.2. und 3.a)).
5. Allerdings besteht im Streitfall die Besonderheit, dass der Änderungsbescheid zur Einkommensteuer für 2006 vom überhaupt nicht hätte ergehen dürfen, weil für eine Änderung die formell- und materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (vgl. oben B.I.3.b)).
a) Dies hat indes nach Auffassung des erkennenden Senats nicht zur Folge, dass der Kläger keinen Anspruch auf Verzinsung seiner Steuererstattung gemäß § 233a AO hat. Auch rechtswidrige Steuerbescheide – unabhängig davon, ob sie zu Unrecht einen Vorteil oder Nachteil des Steuerpflichtigen bewirken – erwachsen in Bestandskraft, und sie sind rechtsgültig, also sowohl von der Finanzbehörde als auch vom Steuerpflichtigen zu befolgen.
b) Hieraus folgt, dass eine rechtswidrig zu niedrige (Einkommen-)Steuerfestsetzung, die bestandskräftig wird, nach der Regelung in § 233a AO zu verzinsen ist. Mangels Eingreifens der Ausnahmeregel des § 233a Abs. 2a AO kommt der Grundtatbestand des § 233a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AO zur Anwendung, wonach der Unterschiedsbetrag der festgesetzten Einkommensteuer (ermittelt gemäß § 233a Abs. 3 AO) mit einem Beginn des Zinslaufs 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, zu verzinsen ist.
c) Die vom Beklagten geäußerte Ansicht, dem Kläger stehe im Fall der rechtswidrigen Änderung eines (rechtswidrigen) Einkommensteuerbescheids zu seinen Gunsten der Verzinsungsanspruch nach § 233a AO aus dem Rechtsgedanken des § 174 Abs. 4 AO nicht zu, wird vom erkennenden Senat nicht geteilt. § 174 Abs. 4 AO trifft Regelungen zur Vermeidung der ungerechtfertigten doppelten Berücksichtigung eines für den Steuerpflichtigen günstigen Sachverhalts in verschiedenen Steuerbescheiden. Diese Konstellation liegt im Streitfall weder im Hinblick auf die vorliegend zu Unrecht vorgenommene Herabsetzung des § 17 EStG-Gewinns noch im Hinblick auf die begehrte Verzinsung nach § 233a AO vor. Ansätze für eine erweiternde Auslegung des § 174 Abs. 4 AO – so wie der Beklagte es meint – sieht der Senat nicht. Die Regelungen in § 174 Abs. 4 AO sind abschließend, und sie weisen keine Regelungslücke auf.
II.
Obwohl die Einkommensteuerveranlagung für 2006 neben dem Kläger seine mit ihm zusammen veranlagte (frühere) Ehefrau betrifft, liegt kein Fall einer notwendigen Beiladung gemäß § 60 Abs. 3 FGO vor. Der BFH hat insoweit entschieden, dass auch dann, wenn gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Personen eine Erstattung von ihnen erbrachter steuerlicher Leistungen zusteht, der im Steuerbescheid ausgewiesene Erstattungsbetrag nicht durch eine notwendigerweise einheitliche Entscheidung auf beide aufzuteilen ist (, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2005/1222). Die vom BFH entwickelten Grundsätze sind auf die vom Kläger angestrebte Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO übertragbar.
III.
1) Die Übertragung der Berechnung der Zinsen auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
2) Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Insbesondere sollte der BFH Gelegenheit bekommen, die Fragen, die sich in Bezug auf die Verzinsung nach § 233a AO in Fällen der bestandskräftigen rechtswidrigen Bescheidänderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen stellen, zu beantworten.
3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, soweit der Klage stattgegeben wurde. Soweit der Kläger an seinem ursprünglichen Klagebegehren nicht mehr festhält, trägt er die Kosten gemäß § 136 Abs. 2 FGO, weil dies einer Klagerücknahme gleichkommt.
4) Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und die Abwendungsbefugnis des Beklagten richten sich nach § 151 FGO i.V.m. §§ 178 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO –.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DStR 2019 S. 10 Nr. 7
DStRE 2019 S. 393 Nr. 6
EFG 2018 S. 1777 Nr. 21
HAAAG-97494