Abgeltungswirkung einbehaltener und als einbehalten ausgewiesener Kapitalertragsteuer auf (Schein-)Renditen aus Aktienverkäufen
Leitsatz
1. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge bereit und fähig gewesen wäre
2. Für Kapitalerträge i.S.d. § 20, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, ist die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten (§ 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG). Ist der nach den materiell-rechtlichen Regelungen des § 20 EStG zu ermittelnde Gewinn höher als die im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs berücksichtigte Bemessungsgrundlage, besteht für den darüber hinausgehenden Betrag eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG, um Steuergestaltungsmodellen einen Riegel vorzuschieben
Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, EStG, EStG § 32d Abs. 1 Nr. 1, EStG, EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2, EStG § 43 Abs. 5 S. 1, EStG § 43 Abs. 1 S. 1
Instanzenzug:
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Streitig ist die Abgeltungswirkung einbehaltener und als einbehalten ausgewiesener Kaptalertragsteuer auf (Schein-)Renditen aus Aktienverkäufen.
Die Kläger wurden in den Streitjahren 2011 bis 2013 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom und der Bescheid 2013 vom wurden bestandskräftig.
Am ging beim Finanzamt M-Stadt eine Kontrollmitteilung der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts N-Stadt ein, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Danach erzielte der Kläger in den Streitjahren bei der von B geführten Fa. "C" mit Sitz in Z Scheinrenditen aus Aktienverkäufen, die tatsächlich nie stattgefunden hätten. B habe ein Schneeballsystem unterhalten, das am aufgeflogen sei. Bis dahin habe er zahlreiche Auszahlungen vorgenommen. Anhand von Aufstellungen, bezeichnet als "Aktienhandel Einkauf und Verkauf" habe B seinen Kunden Aktienverkäufe, Aktieneinkäufe und den aktuellen Aktienbestand ihres "Depots" dargestellt. Dieser Auszug verfüge über eine von der Firma C vergebene Depotnummer, eine NDL-Nummer und eine Nummer für den Auszug. Jeder Ein- und Verkauf werde mit Wertpapiernamen, Datum, Uhrzeit, Stückzahl, Kurswert und Börse dargestellt. Zusätzlich werde der Aktienbestand des jeweiligen Depots unter Auflistung der einzelnen Wertpapiere, deren Stückzahl, Wert und Haltezeit aufgegliedert. Im Rahmen des Verkaufs habe B den Verkaufsbetrag und - nach Abzug verschiedener Kosten (darunter Abgeltungssteuer) - das Ergebnis ausgewiesen. Außerdem habe er den Gewinn/Verlust unter Abzug des Einkaufspreises berechnet. Diese Aufstellungen seien von B als Schuldner und vom jeweiligen Anleger (hier dem Kläger) als Gläubiger unterzeichnet worden. Die nach Abzug der für Neueinkäufe verwendeten Mittel verbleibenden Beträge seien dem Konto der Tochter des Klägers gutgeschrieben worden. Dividendenzahlungen seien auf den "Depotauszügen" nicht ausgewiesen. Vermutlich seien sie für einzelne Anleger erst auf Anfrage in gesonderten Schreiben berechnet worden. Depotauszüge oder andere Bankunterlagen lägen nicht vor. Die ausgewiesene Kapitalertragsteuer sei weder angemeldet noch abgeführt worden. Nach Meinung der Fahndungsprüfung haben die Kapitalerträge damit keinem Steuerabzug unterlegen. Eine Anrechnung der "Steuerbeträge" (Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag) beim Anleger sei in jedem Fall schon im Hinblick darauf, dass keine ordnungsgemäße Steuerbescheinigung vorliege, nicht möglich.
Aufgrund dieser Kontrollmitteilung erließ das Finanzamt jeweils am nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es beim Kläger aus den Anlagen bei C im Jahr 2011 Gewinne aus Aktienverkäufen i.H.v. 12.053 €, im Jahr 2012 Gewinne aus Aktienverkäufen i.H.v. 111.323 € sowie Dividendenerträge i.H.v. 840,56 € und im Jahr 2013 Gewinne aus Aktienverkäufen i.H.v. 242.888 € zusätzlich der Besteuerung unterwarf. Da wegen der Besteuerung der Scheinrenditen aus der Anlage bei C noch eine Rechtsfrage beim Landesamt für Steuern anhängig sei, wurden die Steuerpflichtigen gebeten, gegen die Änderungsbescheide Einspruch einzulegen.
Die Klägervertreterin legte umgehend Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, die auf die Scheinrenditen entfallende Kapitalertragsteuer sei mit dem ordnungsgemäßen Einbehalt durch den Schuldner der Kapitalerträge (B) auch dann i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhoben, wenn sie tatsächlich nicht an das Finanzamt abgeführt worden sei, weil der Gläubiger der Kapitalerträge den Steuereinbehalt dulden müsse und auf die Abführung der Steuer keinen Einfluss nehmen könne (). Eine Inanspruchnahme des Gläubigers der Kapitalerträge komme in diesem Fall nach § 44 Abs. 5 EStG nur in Betracht, wenn dieser wisse, dass der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt habe und dies dem Finanzamt nicht mitteile. Im Streitfall habe der Kläger nicht gewusst, dass B die Kapitalertragsteuer auf die vermeintlichen Kapitalerträge nicht an das Finanzamt abgeführt habe.
Bei Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG werde die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben, wenn der Schuldner der Kapitalerträge entweder ein inländisches Kreditinstitut oder ein inländisches Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) sei, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Buchst. b EStG. Da die Tätigkeit des B im Wesentlichen darin bestanden habe, persönliche Empfehlungen an Kunden abzugeben, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten bezogen hätten, habe er in Form der Anlageberatung ein Finanzdienstleistungsinstitut in diesem Sinne betrieben, auch wenn er die dafür erforderliche Erlaubnis (§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG) nicht besessen - und sich damit nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG strafbar gemacht - habe. Er sei daher verpflichtet gewesen, von den ausgezahlten Beträgen Kapitalertragsteuer einzubehalten (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG), anzumelden (§ 45a Abs. 1 EStG, § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) und abzuführen (§ 44 Abs. 1 Satz 5 EStG). B habe den Steuerabzug auch vorgenommen. Er habe in seinen Abrechnungen neben den Bruttobeträgen und den auszuzahlenden bzw. zur Wiederanlage zur Verfügung gestellten Beträgen auch die jeweils einbehaltene Kapitalertragsteuer berechnet, offen ausgewiesen und tatsächlich vom Auszahlungsbetrag einbehalten. Bereits mit der Einbehaltung durch den Schuldner der Kapitalerträge sei die Kapitalertragsteuer erhoben i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Dies gelte auch dann, wenn sie nicht an das Finanzamt abgeführt werde ().
Mit Einspruchsentscheidung vom , auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurden die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH könnten auch Scheinrenditen, d.h. Renditen, die den Anlegern bescheinigt, aber tatsächlich nicht erzielt worden sein, zu steuerbaren Ein-nahmen führen. Maßgeblich sei, wie sich das vorgetäuschte Rechtsgeschäft aus Sicht des Anlegers bei objektiver Betrachtung nach dem zugrundeliegenden Vertrag und den Mitteilungen des Unternehmens darstelle. Soweit dem Anleger danach - wie hier - in seinem Namen getätigte Aktienveräußerungsgeschäfte vorgetäuscht worden seien, seien ihm daraus tatsächlich oder im Wege der Novation zugeflossene Scheinrenditen auch zuzurechnen. B sei bis Mai 2013 leistungsbereit und leistungsfähig gewesen. Die mit den angefochtenen Steuerbescheiden nachversteuerten Scheinrenditen stammten allesamt aus früheren Zeiträumen. Sie seien daher zu Recht versteuert worden. § 43 Abs. 5 EStG stehe dem nicht entgegen. Durch den schlichten Ausweis von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag auf einem fingierten Depotauszug sei keine Abgeltungswirkung eingetreten, da die in Rede stehenden Kapitalerträge nicht tatsächlich dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen hätten. Die Anlegerperspektive gelte lediglich auf der Ebene der Einkünftequalifikation. Da die Kapitalerträge tatsächlich nicht dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen hätten, seien sie im Rahmen der Einkommensteuererklärung anzugeben, § 32d Abs. 3 Satz 1 EStG.
Die Klägervertreterin hat im Klageverfahren ergänzend vorgetragen, B sei inzwischen mit Urteil des LG wegen Betrugs in 189 Fällen jeweils in Tateinheit mit Handeln ohne Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Die Revision sei vom BGH als unbegründet verworfen worden.
Nach Auffassung der Klägervertreterin hat B zwar vorgetäuscht, das ihm anvertraute Geld anzulegen und dazu auch gefälschte Depotauszüge erstellt und an die Anleger versandt, die tatsächlich vorgenommenen Auszahlungen an den Kläger seien jedoch nicht fingiert gewesen. Nicht fingiert sei auch die Ermittlung der Auszahlungsbeträge. Diese hätte ebenso vorgenommen werden müssen, wenn es sich um echte Geldanlagen, echte Aktienverkäufe und echte Gewinne gehandelt hätte. Die Abrechnungen enthielten deshalb alle Elemente einer ordnungsgemäßen Abrechnung. Da auch jeweils nur der Nettobetrag überwiesen worden sei, seien die Kapitalerträge bei Auszahlung vorschriftsmäßig gekürzt worden.
Die Prozessbevollmächtigten beantragen, die Einkommensteuerbescheide 2011, 2012 und 2013 vom , für 2012 und 2013 in Gestalt der Änderungsbescheide vom , jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. 12.053 € für 2011, i.H.v. 111.323 € für 2012 und i.H.v. 242.888 € für 2013 nicht angesetzt werden und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligte beantragen für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Das Finanzamt ist der Auffassung, die von der Klägerseite zitierten BFH-Urteile VIII R 30/93 und I B 197/03 seien nicht auf den Streitfall anwendbar, weil sie noch die Rechtslage vor Einführung der Abgeltungssteuer beträfen. Im Verfahren VIII R 30/93 gehe es zudem um die Frage, wann eine Steuer i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG "erhoben" worden sei, hier sei streitig, ob Kapitalerträge der Kapitalertragsteuer "unterlegen" hätten, § 43 Abs. 5 EStG. Außerdem lägen keine ordnungsgemäßen Steuerbescheinigungen i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 45a Abs. 2 oder 3 EStG vor.
Die Beteiligten sind sich über den Zufluss und die Höhe der zugerechneten Beträge einig.
Aus den vorgelegten Unterlagen (u.a. Abrechnung vom , Anschreiben und Quittung vom ; Abrechnung vom , Anschreiben und Quittung vom , Überweisung vom ) ergibt sich, dass B nur Nettobeträge (Verkaufspreis ./. Kosten ./. Abgeltungssteuer 25 % ./. Solidaritätszuschlag 5,50 % ./. Einkauf ./. Kurssicherung für Neuaktien ) ausgezahlt hat.
Dem Gericht haben eine Einkommensteuerakte, eine Rechtsbehelfsakte und Auszüge der Kontrollmitteilung vom vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzamt hat auf die (Schein-)Gewinne aus Aktienverkäufen zu Unrecht Steuer festgesetzt, da die Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) insoweit mit dem Steuerabzug abgegolten ist.
Der Kläger hat in den Streitjahren mit den Geldanlagen bei der Fa. C Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Dazu gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) Gewinnanteile aus Aktien (Dividenden) und nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft i.S.d. Abs. 1 Nr. 1 (Aktienverkäufe).
Gewinn i.S.d. Abs. 2 ist gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Einnahmen (§ 8 EStG) sind nach ständiger Rechtsprechung zugeflossen i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG, sobald der Steuerpflichtige darüber wirtschaftlich verfügen kann. Auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in ihr nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Ein Zufluss kann auch dadurch bewirkt werden, dass Gläubiger und Schuldner vereinbaren, das Geld erneut anzulegen, wenn diese Vereinbarung auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht. Dass es sich bei den Erträgen im Streitfall um sog. "Scheinrenditen" gehandelt hat, spielt dabei keine Rolle. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge bereit und fähig gewesen wäre (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. , BStBl II 2014, 147). Das war bei den hier in Rede stehenden Beträgen unstreitig und unzweifelhaft der Fall. B hat nach Aktenlage noch im Februar 2013 Beträge an den Kläger ausgezahlt. Das Schneeballsystem ist erst durch seine Verhaftung im Mai/Juni 2013 zusammengebrochen. Über die Frage des Zuflusses als solchen, den Zuflusszeitpunkt und die Höhe der zugeflossenen Beträge besteht auch kein Streit.
Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG wird bei inländischen Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG (43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG) die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer). Die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, beträgt 25 Prozent, § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG.
Für Kapitalerträge i.S.d. § 20, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, ist die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten, § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG. Ist der nach den materiell-rechtlichen Regelungen des § 20 EStG zu ermittelnde Gewinn höher als die im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs berücksichtigte Bemessungsgrundlage, besteht für den darüber hinausgehenden Betrag eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG, um Steuergestaltungsmodellen einen Riegel vor-zuschieben (Knaupp, in Kirchhof EStG Kommentar, 16. Aufl., § 43 Rz. 25 mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung und BStBl I 2016, 85 Rz. 183). Für die Auffassung des Finanzamts, Kapitalerträge hätten der Kapitalertragsteuer nur unterlegen, wenn die Steuer angemeldet und abgeführt worden sei, gibt es weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte.
Die Abgeltungssteuer wurde mit Gesetz vom eingeführt (BGBl I 2007, 1912) und gilt nach § 52a Abs. 1 EStG erstmalig für Kapitalerträge, die dem Gläubiger nach dem zufließen. Durch die Einführung der Abgeltungssteuer sollte die gesonderte Veranlagung des Leistungsempfängers überflüssig werden.
Die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs tritt nicht ein, wenn der Gläubiger nach § 44 Abs. 1 Satz 8 und 9 und Abs. 5 in Anspruch genommen werden kann, § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG.
§ 44 Abs. 1 Satz 8 und 9 EStG i.d.F. der Streitjahre betrifft Fälle, in denen die Kapitalerträge ganz oder teilweise nicht in Geld bestehen und der in Geld geleistete Betrag nicht zur Deckung der Kapitalertragsteuer ausreicht, § 44 Abs. 1 Satz 7 EStG. Das ist hier nicht der Fall.
Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG wird der Gläubiger der Kapitalerträge nur in Anspruch genommen, wenn (1.) der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat, (2.) der Gläubiger weiß, dass der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat, und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt oder (3.) das die Kapitalerträge auszahlende inländische Kreditinstitut oder das inländische Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt hat.
Im Streitfall war B, der mit der C ein Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Buchst. b - wenn auch ohne die erforderliche Genehmigung - betrieb, "die die Kapitalerträge auszahlende Stelle" i.S.d § 44 Abs. 1 Satz 4 EStG. Er hatte deshalb gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zeitpunkt des Zuflusses der Kapitalerträge beim Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers (des Klägers) vorzunehmen. Das hat er auch getan. Aus den vorliegenden Abrechnungen ergibt sich, dass er bei Ermittlung des auszuzahlenden bzw. zur Wiederanlage zur Verfügung stehenden Betrages die auf die scheinbar erzielten Kapitalerträge entfallende Abgeltungssteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) in Abzug gebracht hat. Soweit Beträge ausgezahlt wurden, geschah dies nach Abzug der Abgeltungssteuer. Dass B tatsächlich weder Aktien gekauft, noch verkauft und deshalb tatsächlich auch keine Erträge erzielt hat, von denen er die Steuer hätte einbehalten können, spielt - entgegen der Auffassung des Finanzamts - keine Rolle. Wenn Scheinrenditen steuerbar sind, müssen auch von einem scheinbaren Ertrag einbehaltene Steuerabzugsbeträge berücksichtigt werden.
Der Kläger hat nicht gewusst, dass B die einbehaltende Kapitalertragsteuer entgegen seiner Verpflichtung nach § 45a Abs. 1 Satz 1 EStG nicht angemeldet und entgegen seiner Verpflichtung nach § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG auch nicht an das Finanzamt abgeführt hat. Er kann deshalb nicht nach § 44 Abs. 5 EStG in Anspruch genommen werden.
Nach § 43 Abs. 5 Satz 2 EStG entfällt die Abgeltungswirkung nach Satz 1 Halbsatz 1 auch in den Fällen des § 32d Abs. 2 EStG, in denen der Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent nicht gilt, und für Kapitalerträge, die zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören. Das ist hier nicht der Fall.
Auf Antrag des Gläubigers werden Kapitalerträge i.S.d. Satzes 1 in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d EStG einbezogen, § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG. Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt.
Würde man mit dem Finanzamt - entgegen dem Gesetzeswortlaut - für die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG auf die Abführung der Kapitalertragsteuer abstellen, so würde der Ausschluss nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG leerlaufen, der den Ausschluss unter die Voraussetzung der Kenntnis des Schuldners von der nicht vorschriftsmäßigen Abführung stellt.
Damit hat der Steuerabzug abgeltende Wirkung. Die Einkünfte werden nicht Teil des Veranlagungsverfahrens (vgl. Lammers, in Herrmann/Heuer/Raupach EStG Kommentar, Lfg. 277, § 36 Rz. 42). Dies ist kein Fall der Steueranrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG. Eine Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder 3 EStG ist - entgegen der Auffassung des Finanzamts - nicht erforderlich.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil noch keine Rechtsprechung des BFH zu diesem Problem vorliegt und bei der Finanzverwaltung zahlreiche Parallelverfahren geführt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2017 S. 3029 Nr. 51
EFG 2018 S. 117 Nr. 2
EStB 2018 S. 179 Nr. 5
ErbStB 2018 S. 170 Nr. 6
GStB 2018 S. 343 Nr. 10
KÖSDI 2018 S. 20590 Nr. 1
NWB-EV 2018 S. 111 Nr. 4
HAAAG-77973