StBMag Nr. 10 vom Seite 36

Viele Wege führen nach Rom

Die strategische Ausrichtung wird in Zeiten der Digitalisierung individueller

Autorin: Alexandra Buba, Lesezeit: 17 Min.

Netzwerk oder Partnerschaft? Fullservice oder Boutique? Nur noch Berufsträger beschäftigen und die FiBu im Ausland abwickeln? Empfehlungen, wie die strategische Ausrichtung der Kanzlei der Zukunft vor dem Hintergrund von Digitalisierung, Internationalisierung und Demografie aussehen soll, gibt es viele. Doch welche Modelle gibt es schon auf dem Markt und welche funktionieren? S. 37

Er kennt sich aus und er kennt eine ganze Menge Kanzleien. Josef Weigert ist seit zwei Jahrzehnten als Kanzleiberater aktiv und begleitet Steuerberater über Jahre und Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Gruppen. Trends und strategische Moden hat er kommen und gehen sehen und weiß, was die von ihm betreuten Kanzleien erfolgreich umsetzen konnten und was nicht.

„Man investiert heute nicht mehr auf Teufel komm raus in beratungsintensive Mandate“, sagt er. Vorbei sei die Zeit, als es oftmals darum ging, möglichst große Unternehmen in allerlei komplizierten Spezialaspekten zu beraten. Außer Prestige habe das vor allem einen erheblichen Zeitaufwand mit sich gebracht, die Deckungsbeiträge solcher Mandate ließen oftmals zu wünschen übrig, das Haftungsrisiko nahm zu. Es gebe zwar immer noch eine Reihe von Kanzleien, die stark beratungslastig seien und das auch sein wollten, so Weigert. Viele aber gingen inzwischen den Weg zurück, suchten sich kleinere, überschaubare Mandate mit geringem Haftungsrisiko. „Auf der Checkliste der Insolvenzverwalter steht der Steuerberater an Nummer zwei – warum sollte man sich dem aussetzen?“

Innovative Traditionalisten

Statt sich in komplexen Gestaltungen zu verlieren, setzten innovative Kanzleien heute wieder verstärkt auf das FiBu- und Abschlussbasisgeschäft, die „Produktion“, wie Weigert es nennt. Fachlich-inhaltlich könne der Steuerberater dieses Geschäft auch dann bewältigen, wenn er in einer Einzelkanzlei arbeite. „Ein Ziel, das ein Berater aus unserem Netzwerk schon vor zwanzig Jahren ausgegeben hat, war es, 200 Mandanten mit jeweils 20.000 Euro Umsatz zu gewinnen. Zwischenzeitlich veränderte sich diese Maßgabe hin zu größeren Mandanten. Doch mittlerweile ist er wieder zu seinem Ursprungsziel zurückgekehrt.“

Die Voraussetzung dafür, dass die „Produktion“ zukunftsfähig und ertragreich funktioniert, sind hochtechnisierte Abläufe. Realisiert werden sie „in kleinen Schritten – weil es in großen Schritten nicht geht“, so Weigert. Zentrale Bedeutung kommt dabei den Schnittstellen zum Mandanten zu. Mit viel Überzeugungsarbeit versuchen seine innovativen Berater Mandanten dazu zu bewegen, ihre Abläufe den modernen Möglichkeiten anzupassen und auf ein digitales Beleg- und Berichtswesen umzustellen.

Den Kanzleien, die dies unternehmen, verlangt die Digitalisierung im Moment nicht unerhebliche Investitionen ab und bindet zudem personelle Ressourcen für die Umstellungsprozesse. Doch mittelfristig entstehe durch die digitalen Abläufe aber eine völlig neue Kundenbindung, meint Weigert. „Gerade dann, wenn aber mehr Daten und Zahlen automatisch durchlaufen, ist wieder eine starke menschliche Komponente gefragt.“ Einen Honorarverfall befürchtet Weigert durch die zunehmende Automatisierung indes nicht – wenn die Beziehung stimmt.

Bleibt das Fibu-Geschäft im Inland?

Während eine Reihe der von Weigert betreuten Kanzleien eine Mandatsstruktur wie in früheren Jahrzehnten anstrebt, verändert sich das Anforderungsprofil an ihre Mitarbeiter stark. „In den Kanzleien werden künftig auch Informatiker arbeiten und die Mandanten dabei unterstützen, ihre Systeme in Ordnung zu halten“, so Weigert.

Doch wie sieht die Kanzlei dahinter aus? Wie ist sie organisiert? In welchen Einheiten, wo und mit welchen Mitarbeitern? „Ich glaube nicht, dass das Ausland ein großes Thema wird“, sagt Weigert. „Die FiBu bleibt hier, ganz einfach weil das Umsatzsteuergesetz ein viel zu hartes Gesetz ist und wir das gesamte Steuerberatungsgesetz schlichtweg nicht bräuchten, wenn wir es durch die Verlagerung der Tätigkeiten ins Ausland aushebeln.“

Größere Gesellschaften verfahren da freilich schon seit Jahren anders und lagern Buchführungstätigkeiten ins lohngünstigere Ausland aus. Vor einem Jahrzehnt machten die Consultingfirmen wie Cap Gemini und Kienbaum vor, wie das funktioniert, und unterhielten dazu Büros etwa in Polen. Im Fokus standen damals allerdings nur Unternehmen von 100 Mitarbeitern aufwärts. Das ändert sich gerade – denn durch die Digitalisierung wird auch die Abwicklung kleiner Mandate lukrativ. So brachte KPMG Ende des vergangenen Jahres in Großbritannien ein neues Online-Angebot auf den Markt, das sich explizit an alle 4,9 Millionen Unternehmen auf der Insel richtet und den Namen „Small Business Accounting Service“ trägt.

Auf Nachfrage, ob ein solches Angebot auch in Deutschland geplant sei, sagte KPMG Deutschland, auch in Deutschland unterstütze man mit der Initiative „Smart Start“ gezielt Startups entlang ihrer Lebenszyklusphasen mit integrierten Beratungsleistungen. Ob am Ende tatsächlich auch die kleinen und mittleren Unternehmen im Fokus sind, lässt dies offen. Angela Hamatschek, wie Weigert langjährig tätige Kanzleiberaterin, schätzt dies so ein und sagt: „Mit einem schlappen Investitionsvolumen von 40 Millionen Pfund wird es da wohl ordentlich Bewegung im Markt geben – und nicht mehr lange dauern, bis sie den Kontinent erobern.“

Für Kanzleiberaterin Angela Hamatschek gibt es nicht „die“ Zukunftsstrategie für Kanzleien.

Günstige Online-Angebote auskontern

Tatsächlich gibt es die Online-Konkurrenz in Deutschland in einzelnen Segmenten längst, neuerdings etwa mit felix1, hinter dem ETL steht, und im Lohnbereich sogar schon seit 1999 – damals gab es kurzzeitig die Lohnabrechnung für acht Mark über das Internet von der Flensburger lohndirekt AG.

Wie stellen sich die Steuerberater hier zukunftsfähig auf? Indem sie ein günstiges Online-Konkurrenzangebot auflegen? Wohl eher nicht, meint Hamatschek. „Viele Kanzleien versuchen in die digitale Welt hineinzukommen, scheitern aber heute an S. 38ihren Mandanten und Mitarbeitern“, sagt sie. Gleichwohl sieht auch sie die Digitalisierung als den entscheidenden Faktor für die Zukunftsfähigkeit einer Kanzlei.

Sich strategisch günstig zu positionieren in einer Welt mit zunehmender Automatisierung, Internationalisierung und dem damit einhergehenden Preisdruck gelänge insbesondere Kanzleien mit mehr als 20 Mitarbeitern gerade über Teilspezialisierungen und eine Schärfung ihres Profils. Dabei spielten Fachberatertitel eine Rolle, ganz oben auf der Beliebtheitsskala rangierten Unternehmensnachfolge und Heilberufe.

Boutiqueberater nicht der Trend

Gleichwohl sieht auch sie keinen Trend etwa zum Boutiqueberater. Hamatschek identifiziert den hochspezialisierten Berater zwar als eine Möglichkeit, sich für die Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen, planbar sei diese Variante aber nur schwerlich. Die Entwicklung einer Kanzlei in diese Richtung ergebe sich fast immer zufällig.

Das große Plus gerade der kleineren Kanzleien werde aber der persönliche Kontakt bleiben, meint auch Hamatschek. „Kleinere Mandanten wollen nicht dem Callcenter in Dublin ihre Überstunden durchsagen“, sagt sie. „Dass der Einzelkämpfer nicht aussterben wird, liegt an der deutschen Mittelstandsstruktur.“

Bleibt die Frage, wie diese Kanzleien in der zunehmenden Komplexität des Steuerrechts ihre Prozesse effizient organisieren. „Wir sehen, dass die Netzwerke größerer Kanzleien automatisierte Tätigkeiten zentralisiert irgendwohin auslagern – ins Ausland oder aber aus Effizienzgründen innerhalb Deutschlands bündeln“, sagt Hamatschek. Kleinere müssten diesem Beispiel folgen, aber dafür sorgen, dass sie an Leute auslagern, die sie im Griff haben. Das sieht auch Weigert so und plädiert nicht nur für das Inland, sondern auch für interkollegiale Lösungen.

Auslagerung mit Qualitätsmanager

Dann setzt das Problem ein – denn zwar mangelt es den Steuerberatern nicht an Offerten, doch wer als Steuerberater heute etwa den Lohn outsourcen möchte, der trifft auf wenig Flexibilität seitens der Anbieter, wenn es darum geht, dies etwa nur vorübergehend tun zu wollen. Denn das Konzept der gewerblichen Anbieter in diesem Bereich geht oftmals von einer Softwarekomponente aus, an die der Service gekoppelt ist. Nur wer die Software in Anspruch nimmt, erhält zum Beispiel den Service, dass Mitarbeiter des Anbieters einspringen können.

Steuerberater Günter Heenen aus Kleve hat das gestört. Deshalb gründete er gemeinsam mit Steuerberater Ralf Pfab aus Nürnberg die Collegium GmbH, die nicht nur den Lohn der beiden Kanzleien bündelt, sondern ihre Dienste mittlerweile auch anderen Kanzleien anbietet. „Wir können so Lohnmitarbeiter vorhalten, die auf Abruf zur Verfügung stehen“, so Heenen. Auch bei der Datev ist das Thema Lohnoutsourcing derzeit intensiv im Gespräch.

StB Günter Heenen aus Kleve bietet einen Service für Lohn-Outsourcing zusammen mit einer anderen Kanzlei..

Generell gilt beim Outsourcing der Grundsatz, dass der Mandant die Qualität der Dienstleistung, die zugekauft wird, selbstverständlich dem Steuerberater zuschreibt – unabhängig davon, ob die Auslagerung offen kommuniziert wird oder nicht. Daher braucht es in der Kanzlei in jedem Fall Fachkräfte, die die Qualität prüfen und die Fremdleistungen kontrollieren.

Den Mandanten befähigen

Ein eleganter Weg, sich der Routineaufgaben zu entledigen, und ein völlig anderer strategischer Ansatz ist es, sie ins Mandantenunternehmen selbst auszulagern. „Unser Thema ist Qualität und Kommunikation“, sagt Steuerberater Michael Tiedt aus Bremen. „Die Standarddinge soll der Mandant selbst machen.“ Das führt dazu, dass in der Kanzlei Tiedt bei drei Berufsträgern gerade einmal acht Mitarbeiter tätig sind, ein Verteilungs­ S. 39schlüssel der unüblich ist, den Steuerberater Tiedt aber für das Zukunftsmodell schlechthin hält. „Wenn wir Gespräche mit Neumandanten führen, dann hören wir sehr oft, dass der vorhergehende Berater zu wenig Zeit für sie gehabt hätte.“ Deshalb wird in der Kanzlei persönlich argumentiert und nicht nach Aktenlage beraten.

Mehrere Berater unter einem Dach hält Tiedt aber für unabdingbar. „Eine Kanzlei stößt sonst fachlich sehr schnell an ihre Grenzen und der Austausch unter Kollegen ist absolut unerlässlich.“ Das stellt auch Weigert fest, wenn er auf seine Einzelkanzleien schaut. „Die Kommunikation dieser Kollegen im Netzwerk ist viel intensiver als bei den Vertretern größerer Kanzleien – innerhalb von wenigen Stunden kommen auf eine Anfrage zehn Antworten.“

StB Michael Tiedt arbeitet zusammen mit zwei weiteren Berufsträgern und gerade einmal acht weiteren Mitarbeitern in seiner Kanzlei.

Zusammenschluss als Königsweg?

Dabei gehe der Trend insgesamt schon zu größeren Einheiten, aber diese hätten ihre Grenzen bei der Konsolidierung“, so der Berater. Nicht immer ist es einfach, verschiedene Kulturen zusammenzubringen. Das betrifft sowohl die Mitarbeiter als auch die Mandanten. Lose Netzwerke müssten hingegen schon ziemlich eng sein, um zu funktionieren.

Allerdings sei es besser, wenn erst die Menschen zusammenkämen und anschließend die gesellschaftsrechtliche Seite nachzöge. „Das ist einfacher als ein formaler Zusammenschluss, wo Sie dann die Menschen zusammenbringen müssen“, weiß Weigert.

„Letztlich gibt es die Strategie für die Zukunft nicht“, meint Hamatschek. „Alle Typen von Kanzleien haben ihre Berechtigung und werden weiter existieren. Allerdings müssen sich auch alle weiterentwickeln.“ Derzeit seien die spezialisierten die erfolgreichsten, Zustrom hätten vor allem diejenigen, die sich wahrnehmbar unterscheiden würden. Potenzielle Neumandanten ließen sich vor allem dort gewinnen, wo die Nachfolge nicht sauber geregelt werde.


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abinitio Steuerberatungsgesellschaft mbH in Bremen
 
Anzahl der Kanzleipartner:
3
Anzahl weiterer Berufsträger:
3
Anzahl Berufsträger insgesamt:
6
Davon: StB
3
Vollzeitmitarbeiter [1]:
3
Gründungsjahr der Kanzlei:
2012
Jahresumsatz in Mio €:
0,5

www.abinitio-stb.de


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Steuerkanzlei Heenen in Kleve
 
Anzahl der Kanzleipartner:
1
Anzahl weiterer Berufsträger:
5
Anzahl Berufsträger insgesamt:
6
Davon: StB
5
Vollzeitmitarbeiter [2]:
17
Gründungsjahr der Kanzlei:
2009
Jahresumsatz in Mio €:
1,5

www.nedtax.eu

Mitarbeiterlimitierung als strategischer Faktor

Ein ganz wesentlicher Aspekt, der die strategische Ausrichtung mitbestimmt, ist die Möglichkeit, überhaupt noch genügend Mitarbeiter zu rekrutieren. „Wir haben zwei junge Kollegen im Netzwerk, die derzeit 20 Mitarbeiter beschäftigen, von denen ein Drittel älter als 55 Jahre ist. Die beiden beginnen jetzt, die Strukturen so zu verändern, dass sie diese Mitarbeiter in einigen Jahren nicht mehr ersetzen müssen.“

Ein wichtiger Aspekt von Zukunftsstrategien muss es auch sein, das Dienstleistungsangebot zu individualisieren – wohlgemerkt mit wenig Aufwand so zu gestalten, dass jeder Mandant das Gefühl bekommt, ein für ihn einmalig gestaltetes Angebot zu erhalten. In der Regel gelingt das durch Reduktion, „denn Steuerberater machen heute meistens viel zu viel. Das braucht der Mandant nicht und das schätzt er auch gar nicht“, sagt Hamatschek. Erst übermorgen müsse die Leitfrage sein: „Wo bewege ich mich als Steuerberater eigentlich in einem Umfeld, in dem alle Daten über den gläsernen Steuerbürger ohnehin überall zusammenlaufen und dieser mich eigentlich gar nicht mehr braucht?“

Fundstelle(n):
StBMag 10/2015 Seite 36
NWB GAAAF-04951

1Erläuterung s. S.4

2Erläuterung s. S.4