Sorgfalts- und Redepflichten des Wirtschaftsprüfers
Beachtung der gesetzlichen und fachlichen Regeln bei Abschlussprüfungen und Beratungsaufträgen
Der Wirtschaftsprüfer hat in Prüfungs- und Beratungsaufträgen stets eine gewissenhafte Sorgfalt zu beachten. Was sich hinter dem Begriff der Sorgfaltspflicht verbirgt, ist dabei vom Einzelfall abhängig und bedarf der Konkretisierung. Eine mögliche Ausprägung der allgemeinen Sorgfalt ist auch die Redepflicht des Wirtschaftsprüfers in allgemeinen Prüfungsaufträgen und in besonderen Situationen. Der Beitrag enthält eine grundlegende Auseinandersetzung mit Sorgfalts- und Redepflichten sowie eine Analyse einschlägiger Rechtsprechung. Er soll somit eine Hilfestellung geben für die Sensibilisierung in besonderen Situationen.
Schmitz/Lorey/Harder, Berufsrecht und Haftung der Wirtschaftsprüfer, Herne 2013, Kap. V. Kernberufspflichten NWB OAAAE-33300
Die Sorgfaltspflicht gehört für den Wirtschaftsprüfer zum alltäglichen Geschäft. Sie umfasst gewissenhaftes und gründliches Vorgehen. Aufgezeigt werden die Konsequenzen für Verantwortungs- und Haftungsbereiche.
In der sog. Redepflicht zeigt sich die Sorgfalt in spezifischer Form. Insbesondere die weitreichenden Konsequenzen von § 332 HGB machen deutlich, dass in besonderen Situationen die gesetzlichen und die fachlichen Regeln auch priorisierte Aufmerksamkeit erhalten müssen.
Die Rede- und Berichtspflicht ergibt sich für den Wirtschaftsprüfer nicht allein durch die Pflicht zur vollständigen und richtigen Darstellung seiner Prüfungsergebnisse im Prüfungsbericht. Auch in Beratungssituationen können sich Hinweis- und Informationspflichten ergeben, die aus den fachlichen Regeln und der Rechtsprechung hergeleitet werden.
I. Die allgemeine Sorgfaltspflicht
1. Vorbemerkungen
[i]Graumann, Wirtschaftliches Prüfungswesen, 3. Aufl., Herne 2012, Kap. II.5. Pflichten des Abschlussprüfers im Rahmen der Abschlussprüfung NWB QAAAE-05940 Dienes, Prüfung und prüferische Durchsicht integrierter Berichte, WP Praxis 2/2015 S. 36 NWB LAAAE-82206 Schumm, Ordnungsmäßigkeit einer Abschlussprüfung bei vorsätzlicher Bilanzfälschung, StuB 1/2014 S. 25 NWB HAAAE-52061 Folgt man der sprachlichen Definition des Wortes „Sorgfalt“, versteht man darunter ganz allgemein Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit [1]. So ergibt sich die Sorgfalt als ein gründliches und umsichtiges Vorgehen, das alle aktuellen Regeln der Kunst (lege artis), den Stand der Technik (state of the art) und den Stand der Wissenschaft berücksichtigt. Für den beruflichen Bereich hat der Wirtschaftsprüfer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO seinen Beruf u. a. gewissenhaft auszuüben. Und die Berufssatzung für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (BS WP/vBP) konkretisiert die Gewissenhaftigkeit in § 4 Abs. 1 als Aufgabenerfüllung, bei der der Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigte Buchprüfer an das Gesetz gebunden ist, sich über die geltenden Bestimmungen der Berufsausübung zu unterrichten und die fachlichen Regeln zu beachten hat. Tatsächlich ist die Berufssatzung damit schon eine gewisse Hilfe. Denn § 4 Abs. 1 BS WP/vBP enthält zwei wichtige Botschaften an den Wirtschaftsprüfer:
Zum einen handelt ein Wirtschaftsprüfer nicht mehr gewissenhaft, wenn er gesetzliche Grenzen überschreitet. Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es wird aber noch näher betrachtet werden, was damit gemeint ist.
Zum anderen ist sein Handeln nur dann gewissenhaft, wenn der Wirtschaftsprüfer sich zuvor mit den Bestimmungen der Berufsausübung und den fachlichen Regeln vertraut gemacht hat und diese auch einhält. Auch dies soll im Folgenden weiter untersucht werden.
2. Bindung an gesetzliche Regelungen
Die Bindung an das Gesetz im Rahmen der Wirtschaftsprüfertätigkeit ist in erster Linie die Beachtung der Gesetze für die Berufsausübung. In der Kommentierung zu § 43 WPO [2] werden hier §§ 318, 319, 323 und 324 HGB sowie die WPO selbst S. 88genannt, ebenso aber auch die speziellen gesetzlichen Regelungen §§ 316-317, 320-322 HGB, sowie Einzelbestimmungen in AktG, GmbHG, KWG u. a. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
Nach § 317 Abs. 1 Satz 1 HGB ist in die Prüfung des Jahresabschlusses die Buchführung einzubeziehen. Folglich verstößt der Wirtschaftsprüfer gegen eine zwingende gesetzliche Regelung, wenn er eine Jahresabschlussprüfung ohne die Überprüfung der Buchführung durchführt. Er darf die Buchführung des zu überprüfenden Unternehmens nicht einfach „hinnehmen“, sondern muss sie im Rahmen der üblichen Stichprobenprüfung auf Vollständigkeit und Richtigkeit kontrollieren.
Ein weiteres Beispiel aus der Rechtsprechung – für erfreulicherweise in dieser Form seltene Überschreitungen gesetzlicher Regeln – macht es noch deutlicher:
Bereits im Jahr 2003 hatte das OLG Celle [3] über den Fall eines Wirtschaftsprüfers zu entscheiden, der es bei einem Kapitalanlagemodell übernommen hatte, die Mittelverwendung zu kontrollieren, jedoch über mehrere Jahre hinweg diese Kontrolle nicht durchführte. Der beklagte Wirtschaftsprüfer bestätigte allerdings „mit Bericht und Siegel“, dass die Mittelverwendung Jahr für Jahr ordnungsgemäß gewesen sei. Tatsächlich lag dem Kapitalanlagemodell aber ein betrügerisches Schneeballsystem zugrunde. Das OLG Celle sah in den Bestätigungen des Wirtschaftsprüfers Beihilfehandlungen zum Betrug, also einen klaren Gesetzesverstoß. Es bedarf kaum eines Kommentars, dass derartige Handlungen eines Wirtschaftsprüfers natürlich nicht gewissenhaft sind.
3. Gesetzliche Regelungen in der Beratungssituation
Die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit in Form der Bindung an das Gesetz bezieht sich nicht allein auf Prüfungstätigkeiten des Wirtschaftsprüfers oder gar nur auf die Vorbehaltsaufgaben der Wirtschaftsprüfer. Gem. § 2 Abs. 2 und 3 WPO darf der Wirtschaftsprüfer u. a. auch in steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten beraten. Da § 43 WPO allgemeine Berufspflichten benennt, ist er auch in solchen Beratungssituationen an das Gesetz gebunden.
Um auch hier ein Beispiel aus der Rechtsprechung zu benennen, sei ein berufsgerichtliches Verfahren, das vom LG Koblenz [4] entschieden wurde, kurz erläutert:
Ein Steuerberater hatte in einem langjährigen Mandat Tipps gegeben, wie die Geschäftsführung einer Firmengruppe eine schwarze Kasse führen konnte, wie weiteres Schwarzgeld generiert werden konnte und der Steuerberater war auch teilweise in die Verwaltung der schwarzen Kasse involviert. Er wurde in einem Strafverfahren wegen mehrfacher Beihilfe zur Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuerhinterziehung verurteilt. Im berufsrechtlichen Verfahren vor dem LG Koblenz wurde ihm ein Verweis mit Geldbuße erteilt [5]. Die Begründung des LG Koblenz stützt sich explizit darauf, dass der Steuerberater „seine Pflicht verletzte, sich Tätigkeiten zu enthalten, die mit dem Beruf des Steuerberaters nicht vereinbar sind“ [6], also ein Verstoß gegen § 57 Abs. 2 Satz 1 StBerG.
Auch die allgemeinen Berufspflichten für Wirtschaftsprüfer enthalten in § 43 Abs. 2 Satz 1 WPO die identische Formulierung, der Fall hätte also bei einem („Nur“-)Wirtschaftsprüfer identisch entschieden werden können. Tatsächlich hätte aber – wohl richtiger – die Begründung einer berufsrechtlichen Sanktion auch auf § 57 Abs. 1 StBerG für Steuerberater bzw. auf § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO für die Wirtschaftsprüfer gestützt werden können. Denn wie schon aufgezeigt, gehört es zur gewissenhaften Ausübung des Berufes, die gesetzlichen Regelungen einzuhalten. Ein Gesetzesverstoß, z. B. in Form der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, ist also auch in Beratungssituationen selbstverständlich ein Verstoß gegen die gewissenhafte Ausübung des Berufes.
4. Die für die Berufsausübung geltenden Bestimmungen
Die für die Berufsausübung geltenden Bestimmungen sind ein eigenes Tatbestandsmerkmal für die gewissenhafte und damit sorgfältige Ausübung des Berufes. Das wichtigste Regelwerk für derartige Bestimmungen ist die WPO und die BS WP/vBP. Die Kompetenz für die Berufssatzung liegt gem. § 57 Abs. 3 WPO beim Beirat der Wirtschaftsprüferkammer und der Inhalt der Satzung bindet den gesamten Berufsstand der Wirtschaftsprüfer (vgl. § 34 BS WP/vBP). Im Sinne einer gewissenhaften Berufsausübung müssen daher die Berufsangehörigen die Satzungsbestimmungen beachten. Satzungsregeln zu beachten heißt in erster Linie, diese Regeln zu kennen [7]. Der Wirtschaftsprüfer muss somit wissen, dass die Ausübung seines Berufes mehr oder weniger stark reguliert ist, u. a. durch die Berufssatzung und deren kommentierende Begründung.
Viele der dort genannten Bestimmungen sind jedem Wirtschaftsprüfer schon aus der Sache heraus geläufig. So ist es im Berufstand z. B. durchgängig bekannt, dass „die Mitwirkung an der Führung der Bücher oder an der Aufstellung des zu prüfenden Jahresabschlusses (...) unwiderleglich die Besorgnis der Befangenheit“ begründet (§ 23a Abs. 3 Satz 1 BS WP/vBP). Und für die weniger geläufigen Regelungen tut der Wirtschaftsprüfer gut daran, in einer Situation, in der er Zweifel bekommen muss, wie er sich richtig zu verhalten hat, die berufsrechtlichen Bestimmungen zu prüfen, ob sie für diese Situation Regeln, Handlungsanweisungen oder Orientierung geben. Damit können die berufsrechtlichen Regeln im Sinne einer gewissenhaften Berufsausübung beachtet werden. S. 89
5. Die fachlichen Regeln
Über § 4 Abs. 1 BS WP/vBP sind Wirtschaftsprüfer auch verpflichtet, die fachlichen Regeln zu beachten. Hierzu zählen die Verlautbarungen der WPK, wobei sich die WPK hinsichtlich solcher Verlautbarungen, die die fachliche Berufsausübung betreffen, bekanntlich zurückhält. In der Kommentierung zur WPO wird auf die (veraltete) VO 1/2006 zur Qualitätssicherung in der Wirtschaftsprüferpraxis verwiesen [8]. Eine wirklich fachliche Regelung ist dies aber wohl nicht, da die VO 1/2006 lediglich in abstrakter Form Hinweise dazu gibt, welche Bestandteile ein Qualitätssicherungssystem erfordert [9].
Zu beachten sind aber auch insbesondere die fachlichen Regelungen in Form der Verlautbarungen des IDW. Es steht außer Zweifel, dass diese fachlichen Äußerungen keinerlei Gesetzescharakter haben und somit in formaler Hinsicht weit unterhalb der WPO oder der BS WP/vBP anzusiedeln sind. Allerdings sind etwa 85 % der Wirtschaftsprüfer im IDW auf freiwilliger Basis organisiert und haben sich satzungsgemäß an die Verlautbarungen gebunden.
Gerichtsentscheidungen zu der Anwendung der IDW Prüfungsstandards deuten ebenfalls darauf hin, dass Gerichte diese fachlichen Verlautbarungen zumindest als quasi-verbindlich einordnen. Ein typisches Argument gegen die Verbindlichkeit von Prüfungsstandards des IDW ist häufig, dass es sich beim IDW um einen privatrechtlichen Verein handelt und deswegen alle Verlautbarungen dieses Vereins auch lediglich „privaten Charakter“ haben könnten. In allein rechtlicher Dimension gedacht, ist diese Argumentation auch durchaus vertretbar. Nichtsdestotrotz haben die fachlichen Verlautbarungen des IDW aber auch den Charakter einer besonderen Expertise für die dort aufgegriffenen Fragestellungen. Damit sind derartige fachliche Verlautbarungen für Gerichte als Beurteilungsgrundlage, ob ein Wirtschaftsprüfer ordnungsgemäße Arbeit verrichtet hat, auch gerade nicht allein eine „unverbindliche private Meinung“ [10]. Dies ist aus zwei Aspekten verständlich:
Zum einen greifen Wirtschaftsprüfer bei der Durchführung von Prüfungshandlungen auf die einschlägigen IDW Verlautbarungen zurück und halten dies sowohl in ihren Auftragsbestätigungen als auch in den abschließenden Prüfungsberichten fest. Es stellt dann schon eine Pflichtverletzung dar, wenn die Vorgaben dieser Verlautbarungen bei den Prüfungshandlungen nicht eingehalten werden. Dabei ist der rechtliche Charakter der fachlichen Verlautbarungen des IDW für die Frage der Einhaltung des vertraglich vereinbarten Inhalts des Prüfungsauftrags unerheblich. Der Wirtschaftsprüfer, der sich bei Vertragsabschluss verpflichtet oder im Prüfungsbericht bestätigt, seine Prüfungshandlungen nach den IDW Verlautbarungen auszuführen bzw. ausgeführt zu haben, muss dies aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung auch einhalten. Anderenfalls ist der Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt.
Zum anderen kommen die fachlichen Verlautbarungen des IDW durch die Einbindung vieler Experten zustande, die sich mit den relevanten Themen intensiv beschäftigen. Dieser Charakter einer besonderen Expertise macht die fachlichen Verlautbarungen zu einer Zusammenfassung der besten fachlichen Handhabung. Jeder Wirtschaftsprüfer kann für sich in Anspruch nehmen, eine noch bessere Vorgehensweise für die Behandlung eines bestimmten Problems herausgefunden zu haben. Das muss er aber im Zweifelsfall dann auch begründen können. Lediglich die fachlichen Verlautbarungen des IDW nicht zu beachten, um im Nachhinein zu argumentieren, dass sie rechtlich keinen bindenden Charakter haben können, ist nicht ausreichend. Vielmehr muss der Wirtschaftsprüfer für den Zweifelsfall eine überzeugende Begründung liefern, dass die fachliche Verlautbarung des IDW das angegangene Problem unzutreffend oder unvollständig behandelt und er durch seine angewandte Methodik eine fachlich bessere Behandlung geschaffen hat.
So stellte der BGH in dem o. g. Urteil [11] fest, dass der handelnde Wirtschaftsprüfer bei einer Abschlussprüfung keine Rechtsanwalts- und Saldenbestätigungen eingeholt und wesentliche Verbindlichkeiten des geprüften Unternehmens nicht überprüft hatte. Der geprüfte Jahresabschluss wurde einer Verschmelzung zugrunde gelegt und im Späteren zeigten sich erhebliche Fehler in der Bilanzierung. Man mag in rechtlicher Hinsicht die fachlichen Verlautbarungen des IDW – hier u. a. zur Durchführung von Saldenbestätigungen – als unverbindlich ansehen. Der ersatzlose Verzicht auf sinnvolle Prüfungshandlungen ist aber keinesfalls eine bessere Vorgehensweise, die die Nichtbeachtung der IDW Standards rechtfertigen oder entschuldigen kann. Im Zweifelsfall – also in einem gerichtlichen oder berufsaufsichtsrechtlichen Verfahren – wird dem Wirtschaftsprüfer zur Last gelegt werden, dass er eine versierte Expertenauffassung in Form der IDW Verlautbarungen ohne Begründung und/oder ersatzlos unbeachtet ließ. Dies kann nicht als ordnungsgemäße oder gewissenhafte Berufsausübung eingeordnet werden.
II. Die Redepflicht
1. Vorbemerkungen
Die sog. Redepflicht wird durch § 332 HGB geregelt. Dort sind die Verstöße gegen die Berichtspflichten verbunden mit der Androhung von hohen Strafen. Im Sinne einer sorgfältigen Berufsausübung liegt ein wesentlicher Verstoß gegen gesetzliche Pflichten und fachliche Regeln vor, wenn der Wirtschaftsprüfer gegen seine Redepflicht verstößt. Hierzu umfasst § 332 Abs. 1 HGB drei Tatbestandsvarianten:
das „unrichtig Berichten“,
„im Prüfungsbericht erhebliche Umstände Verschweigen“ undS. 90
„einen inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerk erteilen“.
Die qualifizierten Formen dieser Tatbestandsvarianten sind in § 332 Abs. 2 HGB genannt, wenn der Wirtschaftsprüfer
gegen Entgelt
mit Bereicherungsabsicht und/oder
mit Schädigungsabsicht
handelt. Dem notwendigen Bestimmtheitsgebot für strafrechtliche Normen entsprechend sind die Tatbestandsvarianten klar erläutert. Allerdings ergeben sich noch einige Besonderheiten:
Der Geltungsbereich der Berichtspflicht nach § 332 HGB ist nach allgemeiner Auffassung auf die gesetzlich vorgeschriebenen Abschlussprüfungen begrenzt. Damit fallen unter § 332 HGB Jahresabschlussprüfungen, Prüfungen von IAS-Einzelabschlüssen nach § 325 Abs. 2a HGB, Prüfungen von Lageberichten und Konzernabschlüssen usw., wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Alle freiwilligen Prüfungen werden nicht über § 332 HGB sanktioniert.
2. Unrichtiges Berichten
Die erste Tatbestandsvariante des „unrichtig Berichtens“ meint ein aktives falsches Formulieren von Prüfungsfeststellungen. Im Vergleich zur zweiten Tatbestandsvariante des „Verschweigens erheblicher Umstände“ fehlt es an der Klarstellung, dass die falschen Formulierungen, die der Wirtschaftsprüfer wählt, im Prüfungsbericht erfolgen müssen [12]. Dies ist aber allgemeine Auffassung, so dass nicht jede Äußerung des Wirtschaftsprüfers, die mit gesetzlichen Prüfungen zusammenhängt, für die Anwendung von § 332 HGB geeignet ist.
Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs gilt nur für solche Äußerungen, die der Wirtschaftsprüfer vorab tätigt, die aber als Teil des Prüfungsberichts zu bewerten sind, oder wenn eine Berichterstattung in einem abgetrennten Teil des Prüfungsberichts erfolgt. Damit gehören vorläufige Äußerungen des Wirtschaftsprüfers nicht zum Prüfungsbericht und stellen damit auch keine Äußerung i. S. von § 332 Abs. 1 Var. 1 HGB dar. Die abschließende Berichterstattung erfolgt im Prüfungsbericht und der Wirtschaftsprüfer hat bis zum Zeitpunkt, in dem er den Prüfungsbericht abschließt, noch die Möglichkeit, jedwede vorläufige Äußerung zu revidieren [13].
Dieser Tatbestand setzt zwei subjektive Elemente voraus. Das erste subjektive Element ist Teil des objektiven Tatbestands. Denn der Wirtschaftsprüfer berichtet nur dann unrichtig i. S. von § 332 Abs. 1 Var. 1 HGB, wenn seine Äußerungen im Prüfungsbericht von seinen subjektiven Feststellungen aus der Prüfung abweichen. Es kommt an dieser Stelle also nicht darauf an, was der Wirtschaftsprüfer objektiv hätte feststellen können oder müssen, als er z. B. die Jahresabschlussprüfung durchführte, sondern allein, was er tatsächlich festgestellt hat [14]. Weicht dann die Berichterstattung im Prüfungsbericht von diesem tatsächlich festgestellten Prüfungsergebnis ab, ist der objektive Tatbestand des § 332 Abs. 1 Var. 1 HGB erfüllt. Anschließend erfolgt die Prüfung des zweiten subjektiven Elementes, nämlich dem sog. subjektiven Tatbestand. Eine Strafbarkeit nach § 332 Abs. 1 HGB setzt stets vorsätzliches Handeln voraus, eine Strafbarkeit wegen fahrlässig falscher Berichterstattung kennt das Gesetz nicht. Somit muss die Abweichung zwischen tatsächlich getroffenen Prüfungsfeststellungen und der dazu erfolgten Äußerungen im Prüfungsbericht auch vom Wirtschaftsprüfer gewollt sein, mindestens in der Form des bedingten Vorsatzes (dolus eventualis). Möglich ist freilich auch der direkte Vorsatz bzw. die Absicht (dolus directus I + II).
Ein weiterer interessanter Aspekt zur Abgrenzung zwischen der ersten und der zweiten Variante des § 332 Abs. 1 HGB ist die Frage, ob sich das unrichtige Berichten ebenfalls auf erhebliche Umstände beziehen muss. Dies ist für § 332 Abs. 1, Var. 2 HGB durch den Wortlaut der Regelung eindeutig. Für die erste Variante von § 332 Abs. 1 HGB – das unrichtige Berichten im Prüfungsbericht – sind die erheblichen Umstände nicht erwähnt. Aus strafrechtlicher Sicht, und damit abschließend, ist diese Diskussion aber zugunsten einer restriktiven Auslegung von § 332 Abs. 1 Var. 1 HGB geklärt. So beschloss das KG Berlin mit dem expliziten Hinweis auf die verfassungsrechtlich notwendige restriktive Auslegung von sog. Blankettnormen, dass sich auch das unrichtige Berichten nach § 332 Abs. 1 Var. 1 HGB auf erhebliche Umstände beziehen muss [15]. Somit ist zu erklären, wann ein erheblicher Umstand im Sinne der Vorschrift vorliegt:
Da der Tatbestand bereits direkt auf die §§ 321 und 322 HGB verweist, gilt alles als erheblicher Umstand, worüber nach diesen Vorschriften zwingend berichtet werden muss [16]. M. E. ist die Erheblichkeit aber nicht gleichzusetzen mit der Wesentlichkeit [17]. Die Wesentlichkeit in der Abschlussprüfung ist nach ihrer Konzeption die Möglichkeit, einen risikoorientierten Prüfungsansatz durchzuführen [18]. Durch die Festlegung einer angemessenen Wesentlichkeit für den Abschluss als Ganzes und die Toleranzwesentlichkeit [19] wird dem Wirtschaftsprüfer die Möglichkeit gegeben, eine hinreichende Sicherheit zu erlangen, dass falsche Angaben in der Rechnungslegung aufgedeckt werden. Der Wirtschaftsprüfer erlangt folglich ausreichende Sicherheit für seine Prüfungsaussagen, ohne dass eine Vollprüfung durchgeführt werden müsste. Damit setzt die Frage der Wesentlichkeit aber zum Beginn einer Prüfung an und ist unerlässlicher Teil der Prüfungsplanungen. S. 91
Die Erheblichkeit von Umständen, über die im Prüfungsbericht berichtet werden muss, ergibt sich aber erst zum Abschluss einer jeden Prüfung. Sie ist zeitlich anders verortet und schon deswegen nicht deckungsgleich mit der Frage der Wesentlichkeit. So mag z. B. eine Unrichtigkeit bei der umsatzsteuerlichen Behandlung von Lieferungen ins Drittland für sich genommen unterhalb der Wesentlichkeitsgrenze liegen. Sie kann aber, wenn sie entdeckt wurde, ein erheblicher Umstand sein, über den zu berichten ist. Denn auch wenn der Abschlussprüfer im Rahmen seiner Prüfung keinerlei Kenntnisse darüber gewinnt, wie es zu einer solchen Unrichtigkeiten gekommen ist (vorsätzliche Steuerhinterziehung, leichtfertige Steuerverkürzung oder schlicht ein fahrlässiger Fehler), mag dieser Sachverhalt für die Geschäftsführung und/oder das Aufsichtsgremium ein erheblicher Umstand sein, die Behandlung solcher Vorgänge einer detaillierten internen Prüfung zu unterziehen. Das durch den Abschluss vermittelte Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (§ 321 Abs. 2 Satz 3 HGB) muss dadurch aber keinesfalls unzutreffend sein und es muss sich auch nicht um eine Unrichtigkeit handeln, die den Bestand oder die Entwicklung des geprüften Unternehmens wesentlich beeinträchtigt (§ 321 Abs. 1 Satz 3 HGB).
Die Erheblichkeit der Umstände, über die nach § 332 Abs. 1 HGB zu berichten ist, ergibt sich demnach erst durch das abschließende Urteil des Abschlussprüfers nach durchgeführter Prüfung. Zweifellos sind alle Umstände erheblich, über die der Abschlussprüfer nach den §§ 321, 322 HGB zu berichten hat. Darüber hinaus können aber weitere Umstände vorliegen, die für den Adressaten des Prüfungsberichts von erheblicher Bedeutung sind.
3. Erhebliche Umstände verschweigen
Die zweite Variante des § 332 Abs. 1 HGB ist das bewusste Verschweigen erheblicher Umstände. Auch hier kommt es schon nach dem Wortlaut der Vorschrift darauf an, dass der Abschlussprüfer im Prüfungsbericht die erheblichen Umstände nicht nennt. Es besteht daher keine Exkulpationsmöglichkeit durch eine Erwähnung der erheblichen Umstände an anderer Stelle. Liegt beispielsweise ein schwerwiegender Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften durch Arbeitnehmer vor, reicht es nicht aus, einen sog. Management-Letter zu verfassen. Denn § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB fordert die Erwähnung schwerwiegender Verstöße explizit im Prüfungsbericht. Bezüglich der Erheblichkeit und des subjektiven Elements im objektiven Tatbestand wird auf die o. g. Ausführungen verwiesen. Der Abschlussprüfer kann nur solche Umstände verschweigen, die er auch kennt. Und somit kann auch diese Tatbestandsvariante nur vorsätzlich begangen werden.
4. Erteilen eines unrichtigen Bestätigungsvermerks
Der Bestätigungsvermerk richtet sich an einen gegenüber dem Prüfungsbericht deutlich erweiterten Adressatenkreis. Ist der Prüfungsbericht originär nur für das Aufsichtsgremium und die Geschäftsleitung gedacht, wird der Bestätigungsvermerk veröffentlicht. Der Tatbestand des § 332 Abs. 1 Var. 3 HGB ist erfüllt, wenn die Prüfungsfeststellungen einen anderen Bestätigungsvermerk erfordern, als er vom Abschlussprüfer erteilt wird. Drei Möglichkeiten sind daher theoretisch gegeben:
Ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk wird erteilt, es wäre aber ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk oder ein Versagungsvermerk erforderlich.
Ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk wird erteilt, es wäre aber ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk oder eine Versagungsvermerk erforderlich.
Ein Versagungsvermerk wird erteilt, es wäre aber ein uneingeschränkter oder eingeschränkter Bestätigungsvermerk erforderlich.
Zu der letzten Möglichkeit – Erteilung eines Versagungsvermerks nach § 322 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i. V. mit Abs. 4 HGB – ist jedoch umstritten, ob es sich bei einem Versagungsvermerk um einen Bestätigungsvermerk i. S. des § 332 Abs. 1 HGB handelt. § 332 Abs. 1 HGB spricht von dem Erteilen eines unrichtigen Bestätigungsvermerks, verweist aber mit dem Klammerzusatz auf § 322 HGB. Daraus wird gefolgert, auch der Versagungsvermerk sei ein Bestätigungsvermerk, der lediglich wegen § 322 Abs. 4 Satz 2 HGB nicht als solcher bezeichnet werden dürfe [20]. Diese Meinung ist aus zwei Gründen abzulehnen:
Zum einen gelten auch hier die restriktive Auslegung einer strafrechtlichen Norm und der notwendige Bestimmtheitsgrundsatz. Für den Adressaten der Strafrechtsnorm muss sich eindeutig ergeben, was er tun darf und was er lassen muss [21]. Ob nun aber ein Prüfungsurteil, mit dem der eigentlich gewünschte Bestätigungsvermerk versagt wird, ein Bestätigungsvermerk ist, kann schon nicht eindeutig beantwortet werden. Schließlich darf dieser (Versagungs-) Vermerk auch nicht als Bestätigungsvermerk benannt werden.
Zum anderen verkennt diese Auffassung den Inhalt des Bestätigungsvermerks. Ein solcher (uneingeschränkter oder eingeschränkter) Vermerk wird nach § 322 Abs. 3 HGB erteilt, weil damit die Übereinstimmung des aufgestellten Abschlusses mit dem Gesetz und den GoB (oder sonstiger Rechnungslegungsvorschriften) und das dargestellte Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens (im Wesentlichen) [22] bestätigt werden. Gerade dieser Bestätigungsvermerk wird durch den Versagungsvermerk nach § 322 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HGB versagt. Die Versagung eines Bestätigungsvermerks kann aber nicht gleichzeitig ein Bestätigungsvermerk sein.
Folglich ist ein zu Unrecht erteilter Versagungsvermerk kein Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit nach § 332 Abs. 1 HGB [23]. S. 92
5. Der Täterkreis
Täter einer Straftat kann nur eine natürliche Person sein. Ist ein Wirtschaftsprüfer selbst als Abschlussprüfer bestellt, kann er Täter sein. Ebenso sind explizit die Gehilfen des Abschlussprüfers genannt. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind keine natürlichen Personen und damit von § 332 Abs. 1 HGB ausgenommen. Jedoch kommen deren gesetzliche Vertreter als Täter in Betracht. Für die Gehilfen wird gemeinhin gefordert, dass es sich um qualifizierte Angestellte handeln muss, die inhaltlichen Einfluss auf das Prüfungsergebnis haben können. Nicht gemeint sind somit allein administrativ tätige Angestellte, wie z. B. Sekretärinnen [24].
Interessant ist die Konstellation, in der ein angestellter Prüfungsgehilfe die Unrichtigkeit in der Berichterstattung kennt, der Abschlussprüfer selbst aber keine subjektive Kenntnis davon hat. Dann handelt der Prüfungsgehilfe in mittelbarer Täterschaft nach § 25 Abs. 1 StGB, der Abschlussprüfer selbst handelt aber nicht strafbar. Im Übrigen sind aber alle denkbaren Formen der Mittäterschaft und der Beihilfe denkbar.
III. Die Redepflicht aufgrund fachlicher Verlautbarungen
Wie bereits dargestellt, ist jeder Wirtschaftsprüfer über § 4 Abs. 1 BS WP/vBP gehalten, auch die fachlichen Regeln zu beachten und zu diesen gehören auch die Verlautbarungen des IDW. Hier kann es gerade in besonderen Beratungs- bzw. Prüfungsangelegenheiten eigene Rede- und Berichtspflichten geben. Einige seien nachfolgend erwähnt:
1. Sanierungsberatung
Wird der Wirtschaftsprüfer im Rahmen einer Sanierungsberatung nach IDW S 6 [25] tätig, hat er auch die in diesem Standard geregelten Dokumentations- und Berichterstattungspflichten zu beachten. Hierzu hat er Arbeitspapiere zu führen, die es einem sachkundigen Dritten in überschaubarer Zeit ermöglichen nachzuvollziehen, auf welche Dokumente, Fakten und Annahmen sich der Wirtschaftsprüfer bei seiner Tätigkeit gestützt hat [26]. Des Weiteren muss er Bericht erstatten in schriftlicher und berufsüblicher Form. Vollständig ist eine solche Berichterstattung gegenüber dem Auftraggeber nur, wenn der Wirtschaftsprüfer dabei auch über
die notwendigerweise vorliegende Unsicherheit über Zukunftsprognosen in der integrierten Zukunftsplanung berichtet,
einen Hinweis auf die Nichtprüfung der zugrunde liegenden Jahresabschlussdaten und
einen Hinweis auf ein umfassendes oder gerade nicht-umfassendes Sanierungskonzept gibt.
Erfüllt ein Sanierungskonzept nicht diese Anforderungen an die Berichterstattung, liegt ein Verstoß gegen fachliche Regeln in Form der IDW Verlautbarungen vor. Freilich ist § 332 HGB nicht anwendbar. Indes liegt dann aber wohl ein zumindest berufsrechtlich ahndungsmöglicher Verstoß gegen die allgemeinen Berufspflichten des Wirtschaftsprüfers vor.
2. Unternehmensbewertung
Auch im Rahmen von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 ergeben sich aufgrund des IDW Standards spezielle Berichtspflichten [27]. Hier muss die Berichterstattung in Form eines schriftlichen Bewertungsgutachtens erfolgen und u. a. folgende Aspekte enthalten:
die Bewertungsaufgabe muss klar benannt sein,
die angewandten Bewertungsgrundsätze und -methoden sind darzustellen,
das Bewertungsobjekt ist zu nennen,
die der Bewertung zugrunde liegende Informationen müssen erwähnt werden,
eine Aussage zum Betriebsvermögen (notwendig und nicht notwendig) muss enthalten sein und
der ermittelte Unternehmenswert muss eindeutig genannt werden.
Ein Unternehmensbewertungsgutachten, das die vorgenannten Anforderungen nicht enthält, erfüllt nicht die berufsrechtlichen Bestimmungen. Ein Verstoß gegen fachliche Regeln und damit ein Verstoß gegen allgemeine Berufspflichten liegt dann vor.
IV. Redepflicht aufgrund besonderer Situationen
Schließlich kann sich eine Redepflicht auch aufgrund besonderer Situationen, die im Mandatsverhältnis bestehen können, ergeben. In der Praxis sind zwei Bereich regelmäßig besonders bedeutsam, so dass der Wirtschaftsprüfer hier sensibilisiert sein muss.
1. Vorberichterstattung
Der Wirtschaftsprüfer kann – insbesondere im Rahmen der Jahresabschlussprüfungen – aufdecken, dass Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung zu verzeichnen sind. Dabei wird u. a. unterschieden in
(wesentliche) falsche Angaben in der Rechnungslegung,
(wesentliche) Verstöße, in die das Management involviert ist, und
(wesentliche) Verstöße von Personen, die Einfluss auf das Interne Kontrollsystem haben [28].
Wird ein Wirtschaftsprüfer mit solchen Unregelmäßigkeiten konfrontiert, muss er eine Vorab-Berichterstattung erstellen. Denn dem Management bzw. dem Aufsichtsgremium ist über wesentliche Unregelmäßigkeiten so bald wie möglich zu berichten. Dies meint die laufende Abschlussprüfung und nicht erst den Prüfungsbericht. Bei wesentlich falschen Angaben in der Rechnungslegung ist das Management unverzüglich zu informieren, ggf. auch das Aufsichtsgremium. Liegt ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften vor, ist unverzüglich eine höhere Ebene des Managements bzw. das Aufsichtsgremium zu informieren. Und liegt ein wesentlicher Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften von Personen vor, die S. 93Einfluss auf das Interne Kontrollsystem haben können, ist unverzüglich das Management und das Aufsichtsgremium einzubeziehen. Anders ist es hingegen bei unwesentlichen Unregelmäßigkeiten. Hier kann eine Berichterstattung im Prüfungsbericht erfolgen oder eine gesonderte Berichterstattung an das Aufsichtsgremium.
2. Die Krisen- und Insolvenzsituation
Ein weiterer, in der Praxis besonders bedeutsamer Fall der Redepflicht, ist die Krisen- und eine mögliche Insolvenzsituation. Der Wirtschaftsprüfer kann hiermit im Rahmen von Prüfungs- und auch von Beratungssituationen konfrontiert sein.
Führt der Wirtschaftsprüfer eine Jahresabschlussprüfung (oder sonstige Prüfung) durch, kann IDW PS 270 [29] herangezogen werden. Stößt der Wirtschaftsprüfer auf besondere Risikofaktoren, z. B.
wiederholte Liquiditätsengpässe,
Ausfall beträchtlicher Forderungen,
„Unterbilanz“ und wesentliche Einbußen im Stammkapital,
nicht kostendeckende Fertigung,
nachhaltige Preisveränderungen im Beschaffungs- oder Absatzbereich u. ä.,
wird er überprüfen müssen, ob die Fortführung des Unternehmens noch gewährleistet ist. Hierüber ist im Rahmen der Prüfung berichten. Noch schwieriger als im Rahmen der Abschlussprüfung gestaltet sich die Berichterstattung in Beratungssituationen. Eine rechtliche Klärung, welche Hinweis- und Redepflichten zur möglichen Insolvenz in Beratungssituationen bestehen, existiert im Grunde nur für Steuerberater. Nach einigen jüngeren Entscheidungen des BGH [30] zur Steuerberaterhaftung bei möglicher Insolvenz kann man folgende Auffassung des BGH herauslesen:
Ausdrücklicher Auftrag: Wird dem Steuerberater ein ausdrücklicher Auftrag erteilt, das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes zu überprüfen, muss er eine umfassende Prüfung dazu durchführen und freilich ordnungsgemäß darüber gegenüber dem Mandanten berichten.
Allein steuerliche Beratung: Ist dem Steuerberater ein Mandat ausschließlich zur steuerlichen Beratung erteilt, besteht grundsätzlich keine Hinweispflicht, wenn er z. B. eine Unterdeckung in der Handelsbilanz zur Kenntnis erhält. Er muss sich nicht mit der Prüfung eines Insolvenzgrundes beschäftigen und schuldet auch keinen Hinweis und keine Warnung.
Erörterungen über etwaige Insolvenzreife: Spricht der Mandant gegenüber dem Steuerberater eine etwaige Insolvenzreife an und entstehen daraus konkrete Erörterungen zwischen Mandant und Steuerberater, muss der Steuerberater umfassend prüfen und zutreffende Hinweise zu einem Insolvenzgrund geben.
M. E. lässt es diese Rechtsprechung des BGH zur Steuerberaterhaftung zu, dass sich Wirtschaftsprüfer in einer größeren Haftungsgefahr bewegen, als es der „Nur“-Steuerberater tut. Nach Zugehör [31] beginnt ein steuerliches Beratungsmandat zur Erstellung des Jahresabschlusses zunächst – zumindest theoretisch – damit, einen handelsrechtlichen Jahresabschluss aufzustellen, der im Anschluss übergeleitet wird in eine Steuerbilanz. Dann müsste sich der Steuerberater aber – so Zugehör [32] – bereits mit handelsrechtlichen Fragen und somit auch möglichen Insolvenzgründen beschäftigen. Der BGH hat sich mit diese Problematik in seiner Entscheidung vom [33] jedoch explizit befasst. Nach Ansicht des BGH ist allein das Erkennen von Indizien in der Handelsbilanz kein Anlass für den Steuerberater, einem möglichen Insolvenzgrund nachzugehen. Zudem wird auch eine ältere BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1987 angesprochen, in der über den Vorwurf einer falschen Bilanzerstellung entschieden wurde [34]. Selbst bei der Erstellung einer Steuerbilanz durch einen Steuerberater leitet der BGH daraus nicht ab, dass diese ja bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes vom Steuerberater unzutreffend erstellt worden sein könnte.
Der Wirtschaftsprüfer wird in Beratungssituationen aber häufiger auch die Erstellung der Handelsbilanz übernehmen und er wird wohl auch häufiger auf handelsrechtliche Fragen – z. B. mit Auswirkungen auf das zu zeigende Ergebnis – befasst sein. Durch die Entscheidung des [35] ist dann aber die Haftungsgefahr durch Erörterungen zur möglichen Insolvenz evident. Der Mandant wird es sich kaum nehmen lassen, seinen Wirtschaftsprüfer auf die Auswirkungen einer handelsbilanziellen Unterdeckung anzusprechen.
Ebenso wird der Wirtschaftsprüfer in der Praxis auch an Bankgesprächen teilnehmen und dort für den Mandanten die aktuelle wirtschaftliche Situation erläutern. Der Wirtschaftsprüfer muss sich dann darüber klar sein, dass er Indizien für eine mögliche Insolvenz des Mandanten zu überprüfen hat, damit er nicht Gefahr läuft, eine falsche oder unzureichende Aussage zu treffen.
Mindestens muss er seiner Warnpflicht nachkommen und darauf hinweisen, dass die Geschäftsführung stets verpflichtet ist, eine mögliche Insolvenz selbst zu prüfen und in der aktuellen Situation auch ein besonderer Anlass für eine solche Prüfung vorliege.S. 94
V. Zusammenfassung und Haftungsfragen im Zusammenhang mit Verstößen gegen Sorgfalts- und Redepflichten
Die allgemeinen Sorgfaltspflichten führen in ihrer konkreten Ausformung der Redepflichten sowohl in den gesetzlichen und freiwilligen Prüfungsaufträgen als auch in Beratungssituationen zur Beachtung der gesetzlichen und fachlichen Regeln. Dabei sind Verstöße gegen die Redepflichten bei Pflichtprüfungen sogar über § 332 HGB strafbewehrt. Aber auch bei freiwilligen Prüfungen, der Sanierungsberatung, der Unternehmensbewertung und in allgemeinen Beratungssituationen gehört es zur ordnungsgemäßen Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers, vollständig und in spezieller Form zu berichten und dem Mandanten die notwendigen Hinweise für dessen Entscheidungen zu geben. Gerade in Krisenzeiten besteht für den Wirtschaftsprüfer eine erweiterte Hinweis- und Informationspflicht, wenn er, wie praktisch üblich, in betriebswirtschaftliche Überlegungen des Mandanten einbezogen wird.
Ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten bei der Berufsausübung ist zudem grundsätzlich geeignet, Anknüpfungspunkt für eine schuldrechtliche Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB zu sein. Ob daraus kausal ein Schaden entstanden ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Besonders unangenehm ist es aber für den Wirtschaftsprüfer, wenn die Haftung nicht allein auf vertragliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird, sondern auch auf das Deliktsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung ist § 332 HGB ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB und damit als Anspruchsgrundlage geeignet, einen Schadenersatz wegen Verletzung der Berichtspflichten herzuleiten. Bei einem Verstoß gegen § 332 HGB drohen dem Wirtschaftsprüfer eine strafrechtliche Verfolgung sowie ein berufsaufsichtsrechtliches oder gar berufsgerichtliches Verfahren. Außerdem haftet er auch unbegrenzt und persönlich nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 332 Abs. 1 HGB für zivilrechtliche Vermögensschäden. Da diese Haftung aber auf einer wissentlichen und deliktischen Handlung beruht, fehlt dem Wirtschaftsprüfer dann der Versicherungsschutz durch den Vermögensschadenhaftpflichtversicherer. Denn deliktisches Handeln ist nicht vom Versicherungsschutz umfasst.
Etwas anders gilt bei den Berichts- und Redepflichten, die allein aus der Beachtung fachlicher Verlautbarungen oder Beratungssituationen herrühren. Zwar kann sich daraus auch eine berufsaufsichtsrechtliche Verfolgung durch die WPK ergeben. Aber für die Frage der Haftung kommen regelmäßig allein schuldrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht. Denn die fachlichen Verlautbarungen sind keinesfalls Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB. Allenfalls kann noch über eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB nachgedacht werden, jedoch betrifft dies Ausnahmefälle. Vorsicht ist dennoch in Bezug auf den Versicherungsschutz geboten, mag es bei evidenten Verstößen gegen Rede- und Berichtspflichten dieser Art auch möglich sein, dass ein wissentlicher Pflichtverstoß angenommen werden könnte. Ein solcher trägt ebenso die Gefahr mit sich, den Versicherungsschutz zu verlieren. Eine sensible und intensive Behandlung der Frage, ob der Wirtschaftsprüfer in seiner Tätigkeit alle notwendigen Berichts- und Redepflichten beachtet hat, ist damit allemal angezeigt.
Fundstelle(n):
WP Praxis 4/2015 Seite 87
GAAAE-86311
1Vgl. Duden – Die deutsche Rechtschreibung, www.duden.de/rechtschreibung/Sorgfalt.
2Vgl. Kühl/Oeltze, in: Hense/Ulrich, WPO Kommentar, 2. Aufl., Düsseldorf 2013, § 43 Rn. 43.
3Vgl. OLG Celle, Urteil vom - 11 U 296/96.
4Vgl. .
5Nach meiner Auffassung erscheint das Urteil sehr milde. Da der Steuerberater selbst stark in die Steuerhinterziehungstaten involviert war, wäre wohl auch eine höhere berufsrechtliche Strafe gerechtfertigt gewesen.
6Vgl. .
7Vgl. Kühl/Oeltze, in: Hense/Ulrich, WPO Kommentar, 2. Aufl., Düsseldorf 2013, § 43 Rn. 35.
8Vgl. Kühl/Oeltze, in: Hense/Ulrich, WPO Kommentar, 2. Aufl., Düsseldorf 2013, § 43 Rn. 39.
9Im Übrigen sollen die im WPK-Magazin abgedruckten berufsgerichtlichen Entscheidungen und Hinweise als fachliche Verlautbarungen der WPK gelten, vgl. Kühl/Oeltze, in: Hense/Ulrich, WPO Kommentar, 2. Aufl., Düsseldorf 2013, § 43 Rn. 43, 44. Dies erscheint aber sehr fraglich, da das WPK-Magazin aufgrund der von Werbung und personenbezogenen Berichten geprägten Aufmachung kaum wie ein offizielles Mitteilungsorgan über fachliche Regelungen wirkt. Zudem werden im WPK-Magazin auch nur sehr wenige gerichtliche Entscheidungen abgedruckt, von denen der fachkundige Leser kaum den Eindruck hat, sie seien wegen ihrer überwiegenden Relevanz auf diese geringe Anzahl in einem rigiden Auswahlverfahren reduziert worden.
12Vgl. statt vieler Grottel/Hoffmann, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., München 2014, § 332 HGB Rn. 6.
13Vgl. Grottel/Hoffmann, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., München 2014, § 332 HGB Rn. 10.
14Vgl. z. B. ; OLG Frankfurt, Urteil vom - 1 U 124/07.
15Vgl. NWB UAAAD-45500. So wurde es auch schon zuvor in der Literatur vertreten, vgl. z. B. Sorgenfrei, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (StGB), München 2010, § 332 HGB Rn. 36, m. w. N. Anderer Auffassung ist wohl auch heute noch Janssen, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 3. Aufl., Baden-Baden 2013, § 332 HGB Rn. 29.
16Vgl. Grottel/Hoffmann, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., München 2014, § 332 HGB Rn. 15.
17So allerdings ausdrücklich Sorgenfrei, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (StGB), München 2010, § 332 HGB Rn. 36.
18Vgl. IDW PS 250 n. F.: Wesentlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung.
19Vgl. IDW PS 250 n. F., Rn. 15.
20Vgl. Sorgenfrei, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (StGB), München 2010, § 332 HGB Rn. 48.
21Statt vieler: Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, NK-StGB, 4. Aufl., Baden-Baden 2013, § 1 Rn. 14.
22Vgl. § 322 Abs. 4 Satz. 4 HGB für den eingeschränkten Bestätigungsvermerk.
23I. E. auch Grottel/Hoffmann, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., München 2014, § 332 HGB Rn. 28.
24Vgl. Grottel/Hoffmann, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl., München 2014, § 332 HGB Rn. 36.
25IDW S 6: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten.
26Vgl. IDW S 6, Rn. 149.
27IDW S 1 i. d. F. 2008: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen.
28Vgl. auch IDW PS 210: Zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung.
29IDW PS 270: Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung.
30Vgl. NWB SAAAE-13004; NWB FAAAE-34285; NWB TAAAE-39856; NWB UAAAE-59287.
31Vgl. Zugehör, WM 2013 S. 1965 ff.
32Vgl. Zugehör, WM 2013 S. 1965 ff.
34 IVa ZR 232/85.