FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 10 K 10105/15 EFG 2017 S. 1179 Nr. 14

Keine Berücksichtigung weiterer Verluste bei Anfechtung nur der Verlustfeststellungsbescheide und unterlassener Anfechtung des Steuerbescheids bzw. des Gewerbesteuermessbetragsbescheids mit einer Steuerfestsetzung von 0 EUR

Leitsatz

1. Nach der Neuregelung des § 10d Abs. 4 EStG und § 35b Abs. 2 GewStG durch das Jahressteuergesetz 2010 ist auch dann eine Beschwer i. S. v. § 350 AO bzw. 40 Abs. 2 FGO für eine Anfechtung eines Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbetragsbescheids gegeben, wenn die festgesetzte Steuer bzw. der festgesetzte Messbetrag 0 EUR betragen, der Steuerpflichtige aber den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen im Hinblick auf eine begehrte Verlustberücksichtigung rügt.

2. Hat die Steuerpflichtige mit dem Ziel einer höheren Verlustberücksichtigung aber nicht den Körperschaftsteuer- bzw. den Gewerbesteuermessbetragsbescheid, sondern nur die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlusts angefochten, sind jedoch der Körperschaftsteuer- bzw. der Gewerbesteuermessbetragsbescheid verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar, so ist eine Berücksichtigung der geltend machten weiteren Verluste nach § 10d Abs. 4 S. 4 und 5 AO bzw. § 35b Abs. 2 GewStG ausgeschlossen (Anschluss an ; gegen ).

Gesetze: EStG § 10d Abs. 4 S. 4, EStG § 10d Abs. 4 S. 5, AO § 350, KStG § 8 Abs. 1, GewStG § 35b Abs. 2 S. 3, GewStG § 10a, FGO § 40 Abs. 2

Instanzenzug: ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand:

Die Klägerin wies in ihrem bei dem Beklagten zusammen mit den Steuererklärungen für 2011 eingereichten Jahresabschluss zum einen Verlust i.H.v. 25.496,81 EUR aus. Dabei wurden unter dem Kto. 4780 „Fremdarbeiten (Vertrieb)” Aufwendungen i.H.v. 24.791,41 EUR als Betriebsausgaben verbucht.

Auf die Anforderung des Beklagten vom reichte die Klägerin als Nachweis eine Rechnung der B… Inc., Miami vom über den gebuchten Betrag ein. Im Rahmen eines Benennungsverlangens nach § 160 Abgabenordnung (AO) vom 13. August 2013 wies der Beklagte darauf hin, dass es sich nach Mitteilung des Bundeszentralamtes für Steuern bei der B… Inc. um eine wirtschaftlich nicht aktive Domizilgesellschaft (Briefkastenfirma) handele. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 27. September 2013 ein „Memo” der B… Inc., unterschrieben von C… vor, nach dem es sich um eine Verwechslung zweier gleichnamiger Gesellschaften handele.

Am erließ der Beklagte Bescheide über Körperschaftsteuer für 2011 mit einer festgesetzten Körperschaftsteuer von 0 EUR, über den Gewerbesteuermessbetrag für 2011 mit einem Gewerbesteuermessbetrag von 0 EUR, über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum mit einem festgestellten verbleibenden Verlustvortrag von 705 EUR sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den mit einem festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust von 705 EUR. Ausweislich der Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid blieben die als Betriebsausgaben geltend gemachten Fremdleistungen unberücksichtigt. Die Klägerin habe nicht widerlegt, dass es sich bei der B… Inc. um eine Domizilgesellschaft handele; eine Verwechslung liege ebenfalls nicht vor, da die Handelsregisternummer übereinstimme.

Mit fristgemäß eingelegten Einsprüchen begehrte die Klägerin die Berücksichtigung der geltend gemachten Fremdleistungen als Betriebsausgaben.

Mit Einspruchsentscheidung vom , auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 8 ff. Streitakte), wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung berief er sich darauf, dass der Betriebsausgabenabzug zu Recht versagt worden sei, weil die Klägerin dem Benennungsverlangen nicht nachgekommen sei.

Mit ihrer fristgemäß eingereichten Klage wegen der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den vom begehrt die Klägerin jeweils die Verlustfeststellung i.H.v. 25.497 EUR und verfolgt insoweit ihr Begehren auf Berücksichtigung der vom Beklagten versagten Betriebsausgaben weiter. Hinsichtlich der Einzelheiten ihres diesbezüglichen Vortrags wird auf ihren Schriftsatz vom (Bl. 39 ff. der Streitakte) Bezug genommen.

Soweit die Klage lediglich die genannten Bescheide, nicht aber die Bescheide über Körperschaftsteuer und über den Gewerbesteuermessbetrag für 2011 erfasst, ist die Klägerin der Ansicht, dieses Vorgehen sei auch im Hinblick auf die Regelung des § 10 d Abs. 4 Sätze 4 und 5 Einkommensteuergesetz (EStG) korrekt, da sowohl der Körperschaftsteuerbescheid als auch der Gewerbesteuermessbetragsbescheid für das Jahr 2011 noch abänderbar seien, denn beide Bescheide seien insoweit gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO zumindest teilweise vorläufig.

Außerdem handele es sich bei beiden Bescheiden um sog. Null-Bescheide, so dass Einspruch und Klage gegen diese Bescheide insoweit nach allgemeiner Auffassung mangels einer Beschwer unzulässig seien. Belastend sei hier allein die in zu geringer Höhe erfolgte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Außerdem werde auf das , Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [BFH/NV] 2015, 812) und den Beschluss des Hessischen , juris) zu vergleichbaren Sachverhalten hingewiesen. Hieraus ergebe sich die Schlussfolgerung, dass im Falle von Null-Bescheiden die Änderung des Verlustvortrages (nur) noch bzw. spätestens in einem Zeitpunkt beantragt werden müsse, in dem der begehrten Änderung eine verfahrensrechtlich fehlende Änderungsmöglichkeit der Steuerbescheide noch nicht entgegengehalten werden könne. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, denn sowohl der Körperschaftsteuerbescheid als auch der Gewerbesteuermessbescheid des Beklagten enthielten vorliegend nur „Null-Festsetzungen”. Im Zeitpunkt der Klageerhebung gegen die Verlustfeststellungsbescheide vom seien die genannten Steuerbescheide (Körperschaftsteuerbescheid und Gewerbesteuermessbetragsbescheid) noch nicht bestandskräftig gewesen, da sie noch bis zum anfechtbar gewesen seien. Es habe daher keines eigenständigen Rechtsbehelfs gegen diese Steuerbescheide mehr bedurft.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag auf 25.497 EUR festgestellt wird, sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , dahingehend zu ändern, dass der vortragsfähige Gewerbeverlust auf 25.497 EUR festgestellt wird;

sowie, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, im Hinblick auf die Regelung des § 10 d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (vom ), die nach § 31 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz [KStG] für Körperschaften entsprechend gelte, sei eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Körperschaftsteuerbescheid geschaffen worden, obwohl dieser verfahrensrechtlich kein Grundlagenbescheid sei. Entsprechendes gelte gemäß § 35 b Abs. 2 Sätze 2 und 3 Gewerbesteuergesetz (GewStG) im Hinblick auf die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes.

Aufgrund der Bestandskraft des Körperschaftsteuerbescheides und des Gewerbesteuermessbescheides könne die Klägerin daher keine abweichende Verlustfeststellung erreichen.

Soweit sie darauf verweise, dass die genannten Bescheide teilweise vorläufig ergangen seien, beziehe sich dieser Vorläufigkeitsvermerk nur auf den in den Bescheiden angegebenen Grund und Umfang, nicht hingegen auf die gekürzten Betriebsausgaben.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung die vom Beklagten für die Klägerin geführte Körperschaftsteuerakte, Gewerbesteuerakte, Bilanzakte, Vertragsakte und die Rechtsbehelfs-Akte vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).

Der Beklagte hat die begehrte Verlustfeststellung zu Recht versagt, denn der Körperschaftsteuerbescheid und der Gewerbesteuermessbescheid für 2011, die einen entsprechenden Verlust nicht ausweisen, sind bestandskräftig.

Gemäß § 10 d Abs. 4 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung besteht eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid, auch wenn dieser verfahrensrechtlich kein Grundlagenbescheid ist. Die Besteuerungsgrundlagen sind im Verlustfeststellungsbescheid so zu berücksichtigen, wie sie der letzten bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung zugrunde liegen. Eine hiervon abweichende Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlagen allein im Bescheid über den verbleibenden Verlustabzug ist grundsätzlich nicht möglich (vgl. , BFH/NV 2015, 812). Gemäß § 8 Abs. 1 KStG gilt diese Vorschrift auch im Körperschaftsteuerrecht, und § 35 b Abs. 2 Satz 2 GewStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung enthält eine entsprechende Regelung für den Gewerbesteuermessbescheid und die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes.

Sofern sich die Klägerin auf die Regelung des § 10 d Abs. 4 Satz 5 EStG bzw. § 35 Abs. 2 Satz 3 GewStG bezieht, führt auch dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Nach der genannten Vorschrift dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung (nur) insoweit abweichend von dem Bescheid der jeweiligen Steuerfestsetzung berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung mangels Auswirkungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.

Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, denn der Körperschaftsteuerbescheid und der Gewerbesteuermessbescheid für 2011 können hier deshalb nicht geändert werden, weil diese mangels entsprechender Klageerhebung bestandskräftig geworden sind und eine Änderungsvorschrift nicht ersichtlich ist. Eine Bescheidkorrektur ist nicht allein im Hinblick auf die unveränderte Festsetzung der Körperschaftsteuer bzw. des Gewerbesteuermessbetrags i.H.v. 0 EUR unterblieben.

Nach der Neuregelung des § 10 d Abs. 4 EStG und § 35 b Abs. 2 GewStG durch das Jahressteuergesetz 2010 ist auch dann eine Beschwer i.S.v. § 350 AO bzw. 40 Abs. 2 FGO gegeben, wenn die festgesetzte Steuer 0 EUR beträgt, der Steuerpflichtige aber den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen im Hinblick auf eine begehrte Verlustberücksichtigung rügt (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 350 AO Rn. 13 m.w.N., Dokumentenstand 05.2015).

Ist eine Änderung des Steuerbescheids des Verlustentstehungsjahres unabhängig von der fehlenden betragsmäßigen Auswirkung – wie hier – auch verfahrensrechtlich nicht möglich, so bleibt es hingegen bei der Bindungswirkung des § 10 d Abs. 4 Satz 4 EStG bzw. § 35 b Abs. 2 Satz 2 GewStG (vgl. hierzu , BFH/NV 2015, 812; , BFH/NV 2017, 100; , Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2016, 662; Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 35 b GewStG Rn. 36, Dokumentenstand 10.2015).

Diese Beurteilung entspricht auch der Intention des Gesetzgebers. Dieser wollte durch die Regelung des § 10 d Abs. 4 Satz 5 EStG nicht die Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen ausschließen, sondern lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass es in den entsprechenden Fällen keiner neuen Steuerfestsetzung, also keines neuen Steuerbescheides mit geänderten Besteuerungsgrundlagen bedarf, weil sich die Höhe der Steuer nicht ändert. Demgemäß wird in der amtlichen Begründung zum Jahressteuergesetz 2010 ausgeführt, dass die Verlustfeststellung ausnahmsweise unabhängig von den der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen vorgenommen werden kann, wenn der Steuerbescheid dem Grunde nach, also nach dem steuerlichen Verfahrensrecht, korrigiert werden kann. Wäre aber die Korrektur des Einkommensteuerbescheids unabhängig von der betragsmäßigen Auswirkung auch verfahrensrechtlich nicht möglich, gilt weiterhin die „Bindungswirkung” der Steuerfestsetzung für die Verlustfeststellung (s. BundesratsDrucksache 318/10, S. 77; vgl. zum Ganzen , EFG 2016, 662 m.w.N.).

Im Hinblick auf die dargelegten Gesichtspunkte ist der von der vorliegenden Beurteilung abweichenden Auffassung des Finanzgerichts Hessen in dem von der Klägerseite zitierten Beschluss vom (4 K 307/15, juris) nach Auffassung des erkennenden Senats nicht zu folgen.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Körperschaftsteuerbescheid und der Gewerbesteuermessbescheid für 2011 gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig und damit noch änderbar seien, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass diese Vorläufigkeit nicht generell die Bestandskraft der Bescheide verhindert. Die in den Bescheiden aufgeführten Vorläufigkeitsgründe greifen hier nicht ein.

Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DStR 2017 S. 12 Nr. 47
DStRE 2018 S. 303 Nr. 5
EFG 2017 S. 1179 Nr. 14
FAAAG-50200