NWB Nr. 42 vom Seite 3111

„Heute Organ, morgen Arbeitnehmer“ – der unionsrechtliche Status des GmbH-Fremdgeschäftsführers

EuGH, Urteil vom 9. 7. 2015 - Rs. C-229/14, Balkaya

Jörg Steinheimer und Dominic Baumüller *

[i]Zur Ablösung des GmbH-Geschäftsführers Werner, NWB 32/2013 S. 2556Der EuGH bestätigt mit Urteil vom - Rs. C-229/14, Balkaya NWB IAAAF-01589, die Rechtsprechungspraxis aus seinem Urteil vom - Rs. C-232/09, Danosa NWB SAAAE-15681. Jedenfalls der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist damit in aller Regel Arbeitnehmer i. S. des Unionsrechts. Bereits in der Sache „Danosa“ hatte der EuGH zu entscheiden, ob Mitglieder der Unternehmensleitung unter bestimmten Voraussetzungen als Arbeitnehmer einzustufen sind. Ausschlaggebend war das Vorliegen eines sog. Unterordnungsverhältnisses. Denn auch Geschäftsführer können auf Weisung handeln und haben oft die Abberufung – ähnlich wie der Arbeitnehmer die Kündigung – zu befürchten. In jedem Fall sei auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abzustellen, nationales Recht spiele im Hinblick auf die Auslegung der Mutterschutzrichtlinie (so bei „Danosa“) bzw. auf die Massenentlassungsrichtlinie (so bei „Balkaya“) zunächst keine Rolle. Der EuGH hat in beiden Entscheidungen diverse Kriterien aufgestellt, anhand derer sich feststellen lässt, ob ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer i. S. des Unionsrechts einzustufen ist.

Arbeitshilfe:

Zum Thema ist in der NWB Datenbank (Login über www.nwb.de) ein GmbH-Anstellungsvertrag für Fremdgeschäftsführer aufrufbar NWB DokID NWB RAAAB-05311.

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I. Sachverhalt der Entscheidung

[i]GmbH beschäftigte 19 Arbeitnehmer und einen FremdgeschäftsführerIm zugrunde liegenden Fall „Balkaya“ beschäftigte gem. der Vorlageentscheidung eine deutsche GmbH 19 Arbeitnehmer, darunter den Namensgeber der Entscheidung Herrn Balkaya, eine Mitarbeiterin, die eine vom Jobcenter in Höhe der regelmäßigen Ausbildungsvergütung geförderte [i]Fremdgeschäftsführer: keine Geschäftsanteile, nur gemeinschaftliche VertretungUmschulungsmaßnahme durchlief, und einen Fremdgeschäftsführer. Letzterer hielt keine Geschäftsanteile an der Gesellschaft und war zu deren Vertretung nur gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer berechtigt.

Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten kündigte die GmbH allen Mitarbeitern, ohne eine Massenentlassungsanzeige [i]Kündigung aller Mitarbeiter ohne Massenentlassungsanzeigegegenüber der Agentur für Arbeit zu erstatten. Eine solche Massenentlassungsanzeige ist grds. erst in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern erforderlich, soweit mehr als fünf Arbeitnehmern gekündigt werden soll (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG).

Herr Balkaya erhob Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Verden mit dem Hinweis auf die fehlende Massenentlassungsanzeige. Er argumentierte, im Rahmen der Berechnung des Schwellenwerts (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG) hätten sowohl der Fremdgeschäftsführer als auch die Umschülerin als Arbeitnehmer mitgezählt werden müssen, so dass in Konsequenz auch eine Massenentlassungsanzeige an die zuständige Agentur S. 3112für Arbeit hätte erfolgen müssen. Da eine solche jedoch fehle, sei die Kündigung aus diesem Grund bereits unwirksam.

Hinweis

Diese Argumentation war natürlich durch die in 2010 entschiedene Rechtssache „Danosa“ motiviert. Dort war die Geschäftsführerin einer lettischen Kapitalgesellschaft trotz Schwangerschaft durch Beschluss der Gesellschafterversammlung abberufen worden. Die Geschäftsführerin machte daraufhin klageweise vor Gericht geltend, die Abberufung sei wegen ihrer Schwangerschaft in rechtswidriger Weise erfolgt. Der EuGH entschied in ihrem Sinne. Er bejahte ein Unterordnungsverhältnis und damit die Arbeitnehmereigenschaft der Geschäftsführerin. Der EuGH urteilte erstmals, dass Mitglieder der Unternehmensleitung dann als Arbeitnehmer zu qualifizieren seien, wenn sie auf Weisung handeln bzw. unter Aufsicht eines anderen Organs stehen, für ihre Leistungen eine Vergütung erhalten und jederzeit von ihrem Amt abberufen werden können.

II. Rechtslage in Deutschland

[i]Begriff „Arbeitnehmer“Zunächst ist festzuhalten, was unter dem Begriff „Arbeitnehmer“ zu verstehen ist. Vereinfacht gesagt ist nach deutschem Recht – eine explizite, gesetzliche Regelung gibt es nicht – derjenige Arbeitnehmer, der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags zur Leistung von Diensten für einen anderen in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verpflichtet ist.

Jetzt könnte [i]Nach deutschem Recht wird der Fremdgeschäftsführer nicht als Arbeitnehmer mitgezähltman meinen, der Geschäftsführer einer GmbH erhalte auch in bestimmter Form Weisungen seitens der Gesellschafterversammlung, die er auch zu erledigen hat, und er erhält hierfür eine Vergütung. Bei der Prüfung, ob der Schwellenwert des § 17 KSchG erreicht ist, könnte also auch der Geschäftsführer miteinzubeziehen sein. Allerdings deklariert § 17 KSchG eindeutig: Als Arbeitnehmer i. S. der Vorschrift gelten nicht Organmitglieder (§ 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG). Nach deutschem Recht hat der Arbeitgeber in der Rechtssache „Balkaya“ also insoweit richtigerweise den Fremdgeschäftsführer nicht als Arbeitnehmer mitgezählt.

III. Details der Entscheidung

[i]EuGH Rs. C-229/14: Arbeitnehmerbegriff sei unionsrechtlich auszulegen ...Dies interessierte den EuGH jedoch herzlich wenig. Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Balkaya“ war der Arbeitnehmerbegriff der Massenentlassungsrichtlinie nämlich unionsrechtlich auszulegen. Es könne der Begriff „Arbeitnehmer“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG nicht durch Verweisung auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten definiert, sondern müsse vielmehr einheitlich ausgelegt werden. Problematisch war insofern der entgegenstehende Wortlaut des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG.

Der [i]... und sowohl Fremdgeschäftsführer als auch Praktikanten seien ArbeitnehmerEuGH entschied jedoch anders und urteilte, dass sowohl der Fremdgeschäftsführer als auch Praktikanten Arbeitnehmer i. S. des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) seien. Für die Betrachtung komme es dabei nicht auf das nationale Recht an. Es sei insofern irrelevant, ob beide Personen nach deutschem Recht Arbeitnehmerstatus hätten oder nicht. Der Begriff des Arbeitnehmers sei anhand objektiver Kriterien [i]Wesentliches Merkmal: Person erbringt Leistung nach Weisung einer anderen Person gegen Vergütung zu definieren, die das Arbeitsverhältnis hinsichtlich der Rechte und Pflichten prägen. Wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses nach unionsrechtlichem Begriffsverständnis sei der Umstand, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

1. GmbH-Geschäftsführer

Dass der GmbH-Geschäftsführer als Mitglied des Leitungsorgans nach deutschem Recht auf die Seite der Arbeitgeber gestellt werde, schließe unionrechtlich nicht aus, dass sich S. 3113besagter Geschäftsführer in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber der ihn anstellenden Kapitalgesellschaft befinde. Infolgedessen müsse man anhand des jeweiligen Einzelfalls prüfen, unter welchen Bedingungen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde und nach welchen Voraussetzungen eine Abberufung möglich ist. Überdies müsse ebenfalls in die Erwägung miteinfließen, in welchem Umfang Befugnisse und Kontrollrechte ausgeübt werden dürften. Man müsse differenzieren nach Art der übertragenen Aufgaben und nach dem Rahmen, in dem die Aufgaben ausgeführt werden.

Hinweis

[i]infoCenter „Gesellschafter-Geschäftsführer“ NWB XAAAB-04820 Ungewiss bleibt die Rechtslage, wenn es sich nicht um einen Fremdgeschäftsführer, sondern um einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt. Der EuGH entschied, dass der Gesellschaftsanteil für sich allein genommen noch nicht ausreiche, die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. Auch hier komme es auf das Unterordnungsverhältnis, also die jederzeitige Abberufbarkeit und Weisungsgebundenheit, an. Man kann daher wohl davon ausgehen, dass bei einer Beteiligung von mindestens 50 % die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen sein wird, da der Geschäftsführer hier seine Abberufung und Weisungen der Gesellschafterversammlung durch Ausübung seines eigenen Stimmrechts erfolgreich verhindern kann. Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer geringeren Beteiligung werden wohl wie Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer zu qualifizieren sein.

[i]Rechtssache „Balkaya“: Fremdgeschäftsführer = unionsrechtlicher ArbeitnehmerIn der Rechtssache „Balkaya“ konnte der Fremdgeschäftsführer jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden. Ferner war er in Ausübung seiner Tätigkeit weisungsgebunden und unterlag der Aufsicht der Gesellschafterversammlung. Überdies hielt er keine Anteile an der GmbH. In Kumulation dieser einzelnen Punkte sah somit der EuGH den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff bestätigt.

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, die im Kontext der Richtlinie 98/59/EG anwendbar ist, dass die Eigenschaft einer Person als Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft als solche nicht ausschließen kann, dass sich diese Person in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber der betreffenden Gesellschaft befindet.

Hinweis

Vorstandsmitglieder einer AG sind auch weiterhin keine Arbeitnehmer i. S. des Unionsrechts, da der Vorstand die AG in eigener Verantwortung leitet (§ 76 Abs. 1 AktG). Kontrollrechte des Aufsichtsrats bzw. der Gesellschafterversammlung bestehen nur eingeschränkt.

2. Praktikanten

[i]EuGH: Auszubildende, Vorbereitungsdienstleistende und geringfügig Beschäftigte ebenfalls unionsrechtliche ArbeitnehmerIn der zweiten Vorlagefrage an den EuGH wollte das Arbeitsgericht Verden, Vorlagebeschluss vom - 1 Ca 35/13 wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG dahin auszulegen sei, dass eine Person, die im Rahmen eines unbezahlten Praktikums – finanziell gefördert und anerkannt durch die nationalen Jobcenter – in dem Unternehmen praktisch mitarbeitet, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen, als Arbeitnehmer i. S. dieser Vorschrift anzusehen ist. Der Begriff des Arbeitnehmers im Unionsrecht erfasst nach Ansicht des EuGH ebenfalls Personen, die

  • eine Ausbildung absolvieren,

  • einen Vorbereitungsdienst ableisten oder

  • geringfügig beschäftigt sind,

wenn sie für den Arbeitgeber nach dessen Weisungen tätig werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH spielt weder der rechtliche Kontext der Einordnung im nationalen Recht noch die Herkunft der Vergütung dafür eine Rolle, ob jemand als Arbeitnehmer anzusehen ist oder nicht.S. 3114

IV. Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht generell, insbesondere in Bezug auf die Massenentlassungsanzeige

[i]Kriterien des EuGH ermöglichen ÜberprüfungDer EuGH gibt nunmehr erneut Kriterien vor, die es den rechtsberatenden Berufen und Personalabteilungen ermöglichen, im Vorfeld einer Massenentlassungsanzeige jeden Mitarbeiter anhand der unionsrechtlichen Vorgaben auf seine Arbeitnehmereigenschaft hin zu überprüfen.

Hinsichtlich der Vertretungsorgane muss im Vorfeld einer Massenentlassung somit differenziert werden, welche Rechte und Pflichten dem Geschäftsführer gem. dem Dienstvertrag eingeräumt wurden, ob und wenn ja, in welcher Höhe der Geschäftsführer Anteile an der Gesellschaft hält, und insbesondere, was in der Satzung über die Abberufung des Geschäftsführers geregelt wurde.

Hinweis

Im Wesentlichen bleibt somit festzuhalten, dass gerade Fremdgeschäftsführer unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu subsumieren sind. § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG ist somit europarechtswidrig, was dazu führt, dass ähnliche Sachverhaltskonstellationen nunmehr von den Arbeitsgerichten europarechtskonform gewürdigt werden müssen. Unabhängig von der Problematik der Geschäftsführer wird man in Zukunft auch Praktikanten einer näheren Überprüfung zuführen müssen. In letzter Konsequenz wird man vorsorglich den Kreis der Arbeitnehmer weiter ziehen und ggf. eher eine Massenentlassungsanzeige erstatten als das Risiko eingehen, dass alle betriebsbedingten Beendigungskündigungen unwirksam sind.

V. Wissenswertes für die Praxis – Die Massenentlassungsanzeige im Lichte der EuGH-Rechtsprechung

[i]Wahl/Müller, NWB 44/2012 S. 3554Massenentlassungsanzeigen sind für Arbeitgeber – erfreulicherweise – nicht alltäglich. Daher ist es umso wichtiger, sich zumindest einen Überblick über die Voraussetzungen einer rechtswirksamen Massenentlassungsanzeige zu verschaffen.

1. Schwellenwert

Der unterste Schwellenwert (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG) für eine Massenentlassungsanzeige ist erreicht, wenn in einem Betrieb mit i. d. R. mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern fünf Mitarbeiter innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden sollen.

a) Einzubeziehender Personenkreis

[i]EigenkündigungNeben Fremdgeschäftsführern und Praktikanten sind zudem auch Arbeitnehmer einzubeziehen, die durch eine Eigenkündigung ausscheiden, soweit diese Eigenkündigung durch den Arbeitgeber veranlasst wurde, beispielsweise um eine betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung zu vermeiden.

Hinweis

Änderungskündigungen sind übrigens ebenfalls „Entlassungen“ i. S. des § 17 KSchG. Dies gilt unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer das Änderungsangebot annehmen oder ablehnen ( NWB LAAAE-71352). Ferner kommt es auch nicht auf den Kündigungsgrund im Einzelfall an. Unberücksichtigt bleiben jedoch fristlose Kündigungen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG).

[i]TeilzeitbeschäftigteTeilzeitbeschäftigte werden nicht nur anteilig unter Bezugnahme auf ihre Arbeitszeit mitgerechnet, sondern sind wie Vollzeitarbeitnehmer zu zählen. Die Rechenregeln des § 23 KSchG gelten im Rahmen des § 17 KSchG nicht.

[i]Leiharbeitnehmer Bisher noch nicht entschieden ist die Frage, ob auch Leiharbeitnehmer mit in die Berechnung des Schwellenwerts einzubeziehen sind. Soweit man auf den Schutzzweck S. 3115 [i]Freckmann, NWB 15/2013 S. 1105des § 17 KSchG abstellt, dürfte es wohl vertretbar sein, Leiharbeitnehmer von der Rechnung auszunehmen (s. a. und NWB BAAAE-40308).

b) Bezugsgröße

[i]Berechnung des Schwellenwerts: Es ist auf den betroffenen, selbständigen Betrieb abzustellenBezugsgröße ist der Betrieb des Arbeitgebers. Allerdings ist zu unterscheiden, ob ein einheitlicher Betrieb vorliegt oder mehrere voneinander unabhängige, selbständige Betriebe. Im letzteren Fall ist im Hinblick auf die Berechnung des Schwellenwerts einzig auf den jeweils betroffenen, selbständigen Betrieb abzustellen.

Anzuwenden ist der unionsrechtliche Betriebsgriff. Demnach ist ein einheitlicher Betrieb gegeben, wenn in einem Unternehmen eine differenzierbare Einheit von einer gewissen Stabilität und Dauerhaftigkeit vorliegt, die zur Erledigung von Aufgaben dient und hierbei über eine Gesamtheit von Mitarbeitern, organisatorischen Strukturen und Arbeitsmittel verfügt (s. Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 16. Aufl. 2015, § 142, Rn. 3).

c) Zeitpunkt der Berechnung

[i]Zeitpunkt des KündigungszugangsMaßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Schwellenwerte ist nicht etwa der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses, sondern der (geplante) Zeitpunkt des Kündigungszugangs.

Bei schwankender Arbeitnehmerzahl ist auf die während des überwiegenden Teils des Jahres vorhandene Personalstärke abzustellen.

d) Darlegungs- und Beweislast

[i]Arbeitnehmer muss beweisenIm Fall der gerichtlichen Auseinandersetzung trägt der klagende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anwendbarkeit des § 17 KSchG.

Hinweis

Werden nicht alle Arbeitnehmer angezeigt, die entlassen werden sollen, können sich auf diesen Fehler nur diejenigen Mitarbeiter berufen, die nicht in der Massenentlassungsanzeige erfasst sind.

2. Konsultationsverfahren

[i]Arbeitgeber und Betriebsrat müssen über geplante Entlassungen beratenSoweit ein Betriebsrat existiert, ist dieser im Rahmen des sog. Konsultationsverfahrens über die geplanten Entlassungen zu unterrichten, Arbeitgeber und Betriebsrat haben sich über diese zu beraten (§ 17 Abs. 2 KSchG). Fehlt es hieran, ist die spätere Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam. Das gilt auch bei unvollständigen Angaben. Hat der Arbeitgeber sich aufgrund einer Unternehmerentscheidung zu Massenentlassungen entschieden, hat er unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, den Betriebsrat zu konsultieren.

Alle Auskünfte, die der Arbeitgeber dem Betriebsrat zu erteilen hat, wie etwa die Gründe der geplanten Entlassungen, Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen sind explizit aufgeführt (s. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1–6 KSchG).

Hinweis

Durch die Rechtsprechung des EuGH ergibt sich nunmehr ein völlig neues Problem: Fremdgeschäftsführer sind jetzt als Arbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwerts i. d. R. zu berücksichtigen. Einerseits könnte man denken, ein Konsultationsverfahren sei für den Geschäftsführer eigentlich nicht durchführbar, da es in Deutschland keine zuständige Vertretung für Geschäftsführer gibt; der Betriebsrat ist hier nicht zuständig. Andererseits ist der Betriebsrat grds. über alle zu entlassenden Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen zu informieren. Richtig unangenehm wird die ganze Angelegenheit, wenn der Fremdgeschäftsführer mit dem Betriebsrat noch über S. 3116Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln muss und zeitgleich über seine eigene Entlassung informieren darf. Oftmals wird der Fremdgeschäftsführer selbst auch gar nicht in der Lage sein, den Betriebsrat hinsichtlich seiner eigenen Entlassung ausreichend zu unterrichten, denn die Anstellungskompetenz für Geschäftsführer steht der Gesellschafterversammlung zu. Im Zweifel ist Geschäftsführern anzuraten, dem Betriebsrat mitzuteilen, dass auch etwaige Veränderungen in der Geschäftsleitung geplant sind, über diese jedoch andere Organe entscheiden und diesbezügliche Informationen nachgereicht werden. Es muss immer im Auge behalten werden, dass eine fehlerhafte Konsultation zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen kann.

[i]Beratung mit Betriebsrat ist Wirksamkeitsvoraus-setzung für MassenentlassungenMöchte der Arbeitgeber nach bereits erfolgter Konsultation noch mehr Arbeitnehmer als ursprünglich geplant entlassen, kann der Betriebsrat eine erneute Konsultation verlangen. Nach erfolgter Unterrichtung des Betriebsrats hat sich der Arbeitgeber mit diesem zu beraten. Dies ist unumgängliche Wirksamkeitsvoraussetzung der Massenentlassungsanzeige.

Eine [i]Stellungnahme des BetriebsratsEinigung mit dem Betriebsrat ist nicht erforderlich, allerdings dürfen die geplanten Entlassungen nicht bereits „beschlossene Sache“ sein. Der Arbeitgeber muss vielmehr anbieten, über die Entlassungen zu verhandeln. Das Konsultationsverfahren ist beendet, sobald der Betriebsrat eine abschließende, schriftliche Stellungnahme abgegeben hat.

Hinweis

Die Konsultation des Betriebsrats hat stets schriftlich zu erfolgen. Ob das Konsultationsverfahren der Schriftform (§ 126 BGB) bedarf oder ob die Textform (§ 126b BGB) genügt, ist bisher seitens des BAG noch nicht entschieden worden. Ein etwaiger Verstoß gegen die Schriftform wird jedenfalls durch die abschließende, schriftliche Stellungnahme des Betriebsrats geheilt.

3. Anzeige bei der Agentur für Arbeit

[i]Inhalt der MassenentlassungsanzeigeNach Beteiligung des Betriebsrats hat der Arbeitgeber gegenüber der Bundesagentur für Arbeit die entsprechende Massenentlassungsanzeige zu erstatten (§ 17 Abs. 3 KSchG). Inhaltlich muss die Anzeige zwingend wenigstens die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1–5 KSchG genannten Punkte enthalten. Fehlen Ausführungen zu Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen (Nr. 6), hat dies nicht die Unwirksamkeit der späteren Kündigungen zur Folge. Die Anzeige selbst ist vom Arbeitgeber (Geschäftsführung) oder von einem entsprechend Bevollmächtigten persönlich zu unterschreiben.

Hinweis

Aufgrund der neuen EuGH-Rechtsprechung ergeben sich nunmehr auch Schwierigkeiten bei der Anzeigeerstattung. Denn die Geschäftsführung – im ungünstigsten Fall bestehend aus einem Fremdgeschäftsführer, der selbst eventuell abberufen werden soll – hat eine korrekte und vollständige Anzeige zu übermitteln, die auch Veränderungen auf der Leitungsebene umfassen muss. Vorsorglich sollte die Geschäftsführung die etwaige Entlassung eines oder mehrerer Fremdgeschäftsführer bzw. Gesellschafter-Geschäftsführer mit geringer Beteiligung ebenfalls in der Anzeige aufführen.

Zeitlich darf die Anzeige nicht vor Abgabe der Stellungnahme durch den Betriebsrat bzw. jedenfalls nicht vor Ende der Beratungen mit dem Betriebsrat erfolgen. Liegt keine oder keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vor, muss der Arbeitgeber vor der Agentur für Arbeit glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat ordnungsgemäß mindestens zwei Wochen vor Anzeigeerstattung (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG) von den geplanten Entlassungen unterrichtet hat, und den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat mitteilen.S. 3117

Hinweis

Erklärt der Betriebsrat bereits vor Ablauf der Zweiwochenfrist die Konsultation für abgeschlossen, kann der Arbeitgeber auch vor Fristablauf die Massenentlassungsanzeige erstatten. Ist dies jedoch nicht der Fall, sollte der Arbeitgeber die zwei Wochen verstreichen lassen, bevor er sich an die Agentur für Arbeit wendet.

Hinweis

[i]www.arbeits agentur.deDie Agentur für Arbeit stellt ein Merkblatt für die Massenentlassungsanzeige zur Verfügung.

4. „Just-in-Time“ – korrekter Ablauf

Bei der Massenentlassungsanzeige und den später erfolgenden Kündigungen ist zwingend die richtige Reihenfolge einzuhalten:

  • Prüfung des Schwellenwerts und Entscheidung über die Entlassungen;

  • Konsultation des Betriebsrats und Beratung (bzw. eine solche zumindest anbieten);

  • nach Ablauf von zwei Wochen nach Unterrichtung des Betriebsrats Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstatten;

  • sobald die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige bestätigt (keinesfalls vorher), können die Kündigungen an die Arbeitnehmer übergeben werden.

[i]Entlassungen werden nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksamNach Eingang der Massenentlassungsanzeige und dessen Bestätigung hat der Arbeitgeber noch auf die Zustimmung der Agentur für Arbeit zu den Entlassungen (§ 18 KSchG) zu warten. Die Entlassungen werden demgemäß nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam, können jedoch bereits vorher ausgesprochen werden, um etwaige Kündigungstermine noch zu erreichen.

Fazit

Aufgrund der in den Urteilen „Danosa“ und „Balkaya“ festgelegten Voraussetzungen der Arbeitnehmereigenschaft i. S. des Unionsrechts müssen in Zukunft im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige sowohl der Fremdgeschäftsführer als auch der Praktikant in die Berechnung des Schwellenwerts miteinbezogen werden. Was freilich für die Konstellation des Gesellschafter-Geschäftsführers gilt und insbesondere die Höhe dessen Beteiligung an der Gesellschaft, bleibt offen und wird im Zweifel ebenfalls vom EuGH geklärt werden müssen.

Autoren

Jörg Steinheimer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Strafrecht. Er leitet das Nürnberger Büro der Kanzlei LIEB.Rechtsanwälte. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen im Arbeitsrecht, in der wirtschaftsrechtlichen Dauerberatung kleiner und mittelständischer Unternehmen sowie im Wirtschaftsstrafrecht. Im Arbeitsrecht berät und vertritt er vor allem Arbeitgeber und Führungskräfte. Ferner ist Steinheimer als Trainer im Arbeitsrecht sowie als Lehrbeauftragter an der TH Nürnberg Georg Simon Ohm tätig.

Dominic Baumüller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er leitet das arbeitsrechtliche und IT-rechtliche Referat im Erlanger Büro der Kanzlei LIEB.Rechtsanwälte. Schwerpunktmäßig vertritt er kleine und mittelständische Unternehmen der IT-Branche. Rechtsanwalt Baumüller doziert zusätzlich in den Bereichen Datenschutzrecht und Arbeitsrecht für Unternehmen.

Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 3111 - 3117
FAAAF-04960