FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 3 K 3278/14 EFG 2017 S. 1580 Nr. 19

Werbungskostenabzug bei Vorhalten einer Wohnung am Arbeitsort aus ausschließlich beruflichen Gründen während der Elternzeit

Leitsatz

1. Zieht eine Arbeitnehmerin bei der Geburt ihres Kindes mit ihrem Lebensgefährten an einem anderen Ort zusammen und behält sie während der Elternzeit ihre Wohnung am bisherigen Arbeitsort ohne nennenswerte Nutzung zu eigenen Wohnzwecken bei, so ist ein Werbungskostenabzug für die Wohnung am Arbeitsort weiter möglich, wenn das Vorhalten der Wohnung aus ausschließlich beruflichen Gründen erfolgt ist und denkbare andere, private Gründe entweder gar nicht vorlagen oder allenfalls völlig geringfügig und untergeordnet waren. Bei der Prüfung der beruflichen Veranlassung ist ein strenger Maßstab anzulegen.

2. Es spricht für ausschließlich berufliche Gründe, wenn die Arbeitnehmerin ein unbefristetes und ungekündigtes Arbeitsverhältnis hat, das sie zunächst nach Ende der Mutterschutz- und Elternzeit wieder aufnehmen will, wenn sie am Arbeitsort, einer Großstadt mit stark angespanntem Mietmarkt, für den Fall der Kündigung des alten Mietvertrages mit einer sehr niedrigen Miete bei Neuanmietung einer Wohnung zum Zeitpunkt der geplanten Wiederaufnahme der Berufstätigkeit mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und einer erheblich höheren Miete hätte rechnen müssen, und wenn sie unmittelbar nach dem Zeitpunkt, zu dem sie anders als ursprünglich geplant eine neue Arbeitsstelle an einem anderen Ort angenommen hat, den Mietvertrag für die Wohnung am bisherigen Arbeitsort gekündigt hat.

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 S. 1, EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5

Instanzenzug: ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Abziehbarkeit von Kosten für das Vorhalten einer Wohnung in B… als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Streitjahr 2011.

I.

Die 1967 geborene Klägerin war seit 1998 als Augenärztin (Oberärztin) an einer ehemals städtischen Klinik, inzwischen C… GmbH, in B… tätig, spätestens seit 2000 mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag (FG-A Bl. 72). Ebenfalls seit 1998 bewohnte die Klägerin eine 2½-Zimmer-Wohnung, 65 m², zur Miete, zuletzt für monatlich warm 760,62 EUR.

Am TT.MM.2010 brachte sie ihre Tochter D… zur Welt. Am beantragte sie Elternzeit für den Zeitraum bis (FG-A Bl. 68). Am beantragte sie Verlängerung der Elternzeit bis (FG-A Bl. 75).

Nach der Geburt zog sie zu ihrem Lebensgefährten E…, der in F… arbeitete und wohnte, kündigte die B… Wohnung jedoch nicht. Ende 2010 ging sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach G…, wo dieser eine J…-Stelle gefunden hatte. An der dortigen Augenklinik nahm sie eine Teilzeitstelle als Augenärztin in dem während der Elternzeit möglichen Umfang an und beendete ihre Habilitation.

Die Planung der Familie war die, dass der Familienwohnsitz mit dem Kind in G… bleiben sollte und die Klägerin nach dem Ende der Elternzeit wieder auf ihrer Vollzeitstelle in B… arbeiten würde. Die Klägerin hoffte darüber hinaus, in B… Chefärztin werden zu können (was sich allerdings nicht verwirklichte, da der Vertrag ihres bisherigen Chefs mehrfach, letztlich bis fast zur Vollendung von dessen 70. Lebensjahr, verlängert wurde). Da in B… ein starker Wohnungsmangel herrscht, die bisherige Wohnung der Klägerin aufgrund des alten Mietvertrages preisgünstig war und ein Auszug und eine spätere Wohnungssuche mit erneutem Einzug mit erheblichem finanziellem wie organisatorischem Aufwand verbunden gewesen wäre, behielt die Klägerin die B… Wohnung während des Aufenthalts in G… weiter bei. Um die Kosten jedoch gering zu halten, vermiete sie die B… Wohnung teilweise unter. Von September 2010 bis April 2012 waren nacheinander zwei Untermieter (vgl. FG-A Bl. 82) mit in der Wohnung, die ein Zimmer mit Mitbenutzung von Bad und Küche bei der Klägerin gemietet hatten. Die Klägerin war selbst nur selten in der B… Wohnung, sie musste in B… noch ein zu Ende gehendes Forschungsprojekt betreuen, was einen Aufenthalt in B… von im Streitjahr ca. 2 Tagen pro Monat erforderlich machte. Sie hatten in dem nicht untervermieteten Zimmer jedoch weiterhin ihre Möbel stehen.

Für die B… Wohnung wendete die Klägerin im Streitjahr 2011 – unstreitig – 5.563,30 EUR auf, wobei in diesem Betrag die Einnahmen aus der Untervermietung bereits mindernd berücksichtigt sind.

Inzwischen taten sich für die Klägerin jedoch andere berufliche Möglichkeiten auf, so dass der ursprüngliche Plan, die Arbeit in B… wieder aufzunehmen, von ihr aufgegeben wurde. Am schloss sie mit der H… Klinik in I… einen Arbeitsvertrag (FG-A Bl. 54-56) über eine Vollzeitstelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin ab (Probezeit: 6 Monate). Am kündigte sie ihre B… Wohnung (FG-A Bl. 57). Im Dezember 2012 kündigte die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis in B… zum Ablauf der Elternzeit am (Kündigungsbestätigung FG-A Bl. 70-71). Im Laufe des Jahres 2013 verlegte sie mit ihrem Lebensgefährten die gemeinsame Familienwohnung nach I…, so dass jetzt dieser seine berufliche Zweitwohnung in G… hat.

II.

Mit der am beim seinerzeit zuständigen Finanzamt – FA – G… eingegangenen ESt-Erklärung 2011 machte die Klägerin Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung am Beschäftigungsort B… in Höhe von 5.563 EUR geltend. Mit ESt-Bescheid 2011 vom erkannte das FA G… diese Aufwendungen nicht an, da sich sowohl der Lebensmittelpunkt als auch die Arbeitsstätte der Klägerin in G… befanden.

Die Klägerin legte am Einspruch ein. Mit Bescheid vom des zwischenzeitlich zuständig gewordenen beklagten FA I… wurde die Festsetzung aus anderen Gründen teilweise geändert. Mit Einspruchsentscheidung vom wies dieses FA den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus, dass die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung im Sinne des EStG nicht vorgelegen hätten.

III.

Hiergegen richtet sich die am eingegangene Klage.

Die Beteiligten vertieften zunächst wechselseitig ihre Rechtsansichten, warum eine doppelte Haushaltsführung gegeben bzw. nicht gegeben sei. Der Berichterstatter wies darauf hin, dass die Aufwendungen zwar möglicherweise nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung, aber als Werbungskosten anderer Art (Vorhalten einer Wohnung zur späteren Benutzung als Wohnung am Beschäftigungsort) abziehbar sein könnten.

Die Klägerin führte darauf aus, dass der Hauptgrund für das Vorhalten der Wohnung in B… der dort schwierige Wohnungsmarkt verbunden mit ihrer Absicht, nach der Elternzeit dort wieder zu arbeiten, gewesen sei. Lediglich ergänzend sei es um die Ersparnis von Hotelkosten für die ca. 2 Tage pro Monat gegangen, an denen sie sich für das Forschungsprojekt noch habe nach B… begeben müssen. Für spätere familiäre Zwecke wäre die Wohnung sowieso zu klein gewesen. Das Arbeitsverhältnis in B… sei unbefristet gewesen, so dass die Klägerin nach Ende der Elternzeit dort ohne weiteres wieder hätte arbeiten können. Der zeitliche Abstand zwischen dem Abschluss des Arbeitsvertrages in I… () und der Kündigung des B… Wohnungsmietverhältnisses (), also dreieinhalb Wochen, sei dadurch begründet gewesen, dass allerlei zu regeln gewesen sei und die Kündigung auch mit der Untermieterin habe abgesprochen werden müssen. Im Kündigungsschreiben habe sie aber der Vermieterin angeboten, die Wohnung schon im Laufe des Monats Mai zu räumen. Mit der Kündigung des B… Arbeitsverhältnisses habe sie rein vorsorglich gewartet, bis die Probezeit in I… abgelaufen gewesen sein.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2011 vom , geändert mit Bescheid vom und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 5.563 EUR abgezogen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die B… Wohnung sei nicht der Ort der Tätigkeit der Klägerin gewesen, so dass eine doppelte Haushaltsführung im steuerrechtlichen Sinne schon begrifflich ausscheide. Aufwendungen für das Vorhalten einer Wohnung seien grundsätzlich nicht als Werbungskosten abziehbar, denn dies gehöre zum Bereich der privaten Lebensführung. Jedenfalls wären die beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge nicht trennbar.

IV.1.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am die Klägerin persönlich gehört.

2.

Die ESt-Akten Bd. 3 und 4 lagen vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FinanzgerichtsordnungFGO –).

I.

Die Aufwendungen für das Vorhalten der Wohnung in B… sind zwar keine Kosten für eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG), da die Klägerin in dieser Wohnung im Streitzeitraum gar keinen Haushalt geführt, sich kaum darin aufgehalten hat.

Sie sind jedoch als Werbungskosten anderer Art (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) abziehbar.

1.

Das Gericht ist zunächst in tatsächlicher Hinsicht davon überzeugt, dass das Vorhalten der Wohnung in B… ausschließlich aus beruflichen Gründen erfolgt ist und denkbare andere, private Gründe entweder gar nicht vorlagen oder allenfalls völlig geringfügig und untergeordnet waren.

Zwar ist bei dieser Überzeugungsbildung ein strenger Maßstab anzulegen. Denn es sind vielfach denkbare private Gründe in Betracht zu ziehen. So könnte sich die Klägerin die Wohnung z. B. auch vorgehalten haben für den Fall, dass sich das Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten und der Tochter als schwierig erweist, um ggf. einen Rückzugsort unproblematisch zur Verfügung zu haben. Im Übrigen halten sich in großen Städten mit hohem Freizeitwert Personen oft eine Zweitwohnung, weil sie gerne die Wochenenden dort verbringen, gerade wenn sie die Wohnung schon seit langer Zeit aufgrund eines alten Mietvertrags mit relativ geringer Miete innehaben. Eine rein berufliche Veranlassung für das Vorhalten einer Wohnung darf daher nicht leichtfertig angenommen werden.

a)

Entscheidend für das Gericht war zum einen der Umstand, dass die Klägerin in B… nicht lediglich eine vage Aussicht auf ein Arbeitsverhältnis hatte oder gar nur die Absicht, sich dort zu bewerben, sondern ein unbefristetes und ungekündigtes Arbeitsverhältnis, lediglich unterbrochen durch Mutterschutzzeit und Elternzeit, vorlag. Die Klägerin hätte daher, hätte sie nicht noch etwas Besseres bzw. Passenderes gefunden, ohne weiteres nach Ende der Elternzeit in B… wieder arbeiten können. Ab dann hätte auch gar kein Zweifel bestanden, dass mit der Familienwohnung in G… eine doppelte Haushaltsführung am Beschäftigungsort B… vorgelegen hätte (Wegverlegungsfall).

b)

Zum anderen war für das Gericht besonders bedeutsam, dass die Kündigung der (vorgehaltenen) B… Wohnung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Begründung des I… Arbeitsverhältnisses und damit der beruflichen Umorientierung der Klägerin erfolgt ist.

Denn wenn der ausschließliche Grund für das Vorhalten der B… Wohnung darin lag, bei Wiederaufnahme der Arbeit in B… dort wohnen zu können, dann ist dieser Grund in dem Moment weggefallen, als die Klägerin sich entschieden hatte, die Arbeit in B… nicht mehr aufzunehmen, sich also stattdessen für die Stelle in I… entschieden hatte. Aus den Umständen der Beendigung lassen sich Rückschlüsse auf die Gründe für das zunächst gegebene Vorhalten ziehen.

Hätte die Klägerin die B… Wohnung gekündigt, bevor sie den Arbeitsvertrag in I… geschlossen hätte, oder hätte sie die B… Wohnung auch noch nach dessen Abschluss über längere Zeit, Monate oder gar Jahre, beibehalten, hätte dies Zweifel wecken müssen, ob die geplante Wiederaufnahme der Arbeit in B… wirklich der ausschließliche Grund für das Vorhalten der Wohnung war und nicht doch andere Gründe zumindest mit ursächlich. Hier aber hat die Klägerin die Wohnung in B… rund dreieinhalb Wochen gekündigt, nachdem sie den Arbeitsvertrag in I… unterzeichnet hatte. Dieser (kurze) Zeitraum erklärt sich aus technischen Gründen, insbesondere mussten mit der Untermieterin Absprachen zur Beendigung getroffen werden. Außerdem hat die Klägerin die Wohnung anlässlich der Kündigung ihrer Vermieterin zur kurzfristigen Rückgabe angeboten. Der kausale Zusammenhang zwischen der Aufgabe der Absicht, wieder in B… zu arbeiten, und der Beendigung des Vorhaltens der B… Wohnung, wird durch diesen engen zeitlichen Zusammenhang besonders deutlich.

c)

Bei alldem kommt im Hintergrund hinzu, dass der Mietwohnungsmarkt in B…, wie dem Gericht amtsbekannt, stark belastet ist. Es ist für Mietinteressenten extrem schwierig, überhaupt eine passende Wohnung zu finden. Außerdem ist jeder Wohnungswechsel in der Regel mit einer höheren Miete verbunden, von den Kosten und Unannehmlichkeiten von Auszug, Wohnungssuche und erneutem Einzug ganz zu schweigen. Es ist daher bei einem absehbaren Bedürfnis nach einer Wohnung nur vernünftig und ratsam, eine bisherige Wohnung beizubehalten, auch wenn sie vorübergehend gar nicht benötigt wird.

Ginge es um eine Stadt oder eine Gemeinde in einem Kreis mit entspanntem Wohnungsmarkt, wäre ein Vorhalten einer Wohnung aus beruflichen Gründen über längere Zeit kaum denkbar, weil dann bei Bedarf unschwer eine neue Wohnung ohne Mietsteigerung gefunden werden könnte und die Kosten des Vorhaltens die Kosten des Aus- und Wiedereinzugs schnell übersteigen würden, da keine Kosten für eine künftig dauerhaft höhere Miete hinzukämen.

2.

Für Werbungskosten gibt es keine abschließende Kategorisierung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 EStG: „Werbungskosten sind auch …”). Auch wenn die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht vorliegen, können daher Werbungkosten gegeben sein, denn darunter fallen rechtlich alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlasst sind. Daher fallen Aufwendungen, die nicht durch die Nutzung einer Wohnung am derzeitigen Beschäftigungsort entstehen, sondern durch das bloße Vorhalten einer (praktisch kaum bewohnten) Wohnung am zukünftigen Beschäftigungsort, unter den Werbungskostenbegriff, wenn, wie hier, die Erwerbssphäre bei wertender Betrachtung das auslösende Moment ist.

Es handelt sich um Kosten der eigenen Kategorie „Vorhalten einer Wohnung aus ausschließlich beruflichen Gründen”.

II.1.

Die Übertragung der Berechnung auf das FA fußt auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

2.a)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

b)

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZivilprozessordnungZPO–.

3.

Gründe für die Zulassung der Revision, § 115 Abs. 2 FGO, sind nicht ersichtlich.

Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung mit dem Schwerpunkt im Tatsächlichen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DStR 2017 S. 665 Nr. 18
DStR 2018 S. 8 Nr. 7
DStRE 2018 S. 454 Nr. 8
EFG 2017 S. 1580 Nr. 19
GStB 2018 S. 163 Nr. 5
KÖSDI 2018 S. 20668 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2017 S. 2963
EAAAG-54133