Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht  Urteil v. - 3 K 9/18

Kindergeld: Ermessensreduzierung auf Null bei Nichtberücksichtigung des eigenen Verschuldens der Familienkasse

Leitsatz

Die Nichtberücksichtigung des eigenen Verschuldens der Familienkasse kann im Einzelfall zur Ermessensreduzierung auf Null führen.

Gesetze: AO § 227 Abs. 1

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Billigkeitserlass einer Kindergeldrückforderung unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung des Kindergeldes auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Der Kläger ist am xx.xx.1995 geboren und erhielt das Kindergeld aufgrund des Abzweigungsbescheides vom für den Zeitraum Januar 2015 bis einschließlich Mai 2016 direkt ausbezahlt. Kindergeldberechtigt war seine Mutter.

Mit Schreiben vom teilte die Beklagte der Kindergeldberechtigten zunächst mit, dass ein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld für den Kläger nicht mehr bestehe und die Kindergeldfestsetzung entsprechend ab dem Monat Januar 2015 aufzuheben sei, da dieser seiner Meldepflicht bei der Arbeitsvermittlung nicht nachgekommen sei.

Mit Schreiben vom meldete sich das Jobcenter des Kreises A bei der Beklagten und beantragte für den Kläger Kindergeld, da er sich dort ausbildungsplatzsuchend gemeldet habe. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom die Abzweigung des Kindergeldes und Zahlung an ihn selbst, da er nicht mehr mit seiner Mutter in einem Haushalt lebe. Nachdem der Kläger die aufgrund des Schreibens des Jobcenters von der Beklagten geforderten Unterlagen übersandt hatte, bewilligte diese das Kindergeld mit Bescheid vom ab Januar 2015 mit dem Hinweis, dass das durch das Jobcenter vorverauslagte Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2015 verrechnet werde. Mit weiterem Bescheid vom bewilligte die Beklagte die Abzweigung des monatlichen Kindergeldes zugunsten des Klägers. Die Belehrung über die Mitwirkungspflichten des Klägers lautete wie folgt: "Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie verpflichtet sind, jede wichtige Veränderung - wie z. B. Umzug, Beendigung der Ausbildung und ähnliches - unverzüglich unter Angabe der Kindergeldnummer und des Namens des Kindergeldberechtigten der obengenannten Familienkasse mitzuteilen.". Anschließend wurde das Kindergeld dann bis einschließlich Mai 2016 ausbezahlt und entsprechend bei den Sozialleistungen nach dem SGB II in Abzug gebracht.

Mit Bearbeitungshinweis vom stellte die Beklagte fest, dass der streitbefangene Kindergeldfall zur Überprüfung anstehe, da der Kläger ein Kind ohne Ausbildungsplatz sei und diese Fälle halbjährlich zu überprüfen seien. Diese Überprüfung erfolgte laut Aktenlage nicht.

Mit weiterem Bearbeitungshinweis vom stellte die Beklagte erneut fest, dass ein weiteres halbes Jahr vergangen sei und eine weitere Überprüfung des Falles hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen für ein Kind ohne Ausbildungsplatz anstünde. Diese Überprüfung erfolgte ebenfalls laut Aktenlage nicht.

Am xx.xx.2016 vollendete der Kläger das 21. Lebensjahr, woraufhin die Beklagte die Bewilligung der Kindergeldzahlung für den Kläger mit Bescheid vom aufhob. Mit Schreiben vom forderte die Beklagte das Jobcenter des Kreises A auf, mitzuteilen, ob der Kläger in der Zeit von März 2015 bis Mai 2016 durchgehend ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen sei. Der Kläger erhielt mit gleichem Datum eine Abschrift des Schreibens.

Mit Schreiben vom beantragte das Jobcenter erneut die Festsetzung von Kindergeld für den Kläger. Zeitgleich informierte es die Beklagte darüber, dass der Kläger seit März 2015 keine Bewerbungen auf Ausbildungsplätze vorgelegt habe und daher nicht mehr ausbildungsplatzsuchend gemeldet sei. Die Beklagte forderte daraufhin die Kindergeldberechtigte mit Schreiben vom auf, die entsprechenden Nachweise für die Ausbildungsplatzsuche einzureichen. Diese teilte daraufhin mit, dass sie darüber keine Angaben machen könne, da der Kläger seit November 2014 nicht mehr bei ihr wohne. Der Kläger teilte darüber hinaus mit, dass er Leistungen nach dem SGB II erhalten habe und das Kindergeld vollumfänglich angerechnet worden sei. Er habe kein Geld zu viel erhalten. Im Rahmen seiner Weiterbewilligungsanträge im Mai 2015, im November 2015 und im Mai 2016 habe ihn niemand darüber informiert, dass er diese Nachweise einreichen müsse. Er ging davon aus, dass das Jobcenter die Meldung "ausbildungsplatzsuchend" für den streitgegenständlichen Zeitraum bestätigen würde.

Mit Bescheid vom hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Kläger ab März 2015 auf und forderte den Betrag in Höhe von insgesamt 2.830,00 € zurück. Sie wies die Kindergeldberechtigte daraufhin, dass sie den Betrag aufgrund der Abzweigung vom Kläger fordern würde. Mit Bescheid vom forderte die Beklagte den Betrag vom Kläger.

Mit Schreiben vom wies der Kläger auf eine Vollstreckungsankündigung hin und erklärte, dass er keinen Rückforderungsbescheid erhalten habe. Darüber hinaus vertrat er die Auffassung, dass ein Rückforderungsanspruch nicht bestehen könne, da er Leistungen nach dem SGB II erhalten habe und das Kindergeld in Abzug gebracht worden sei. Er hätte ohne die Kindergeldzahlung höhere Leistungen nach dem SGB II erhalten können. Durch die Rückzahlung des Kindergeldes würde er also schlechter gestellt werden. Er würde nicht nur kein Kindergeld erhalten, er könne diese Beträge auch nicht nachträglich vom Jobcenter fordern. Letztlich habe man ihm im Jobcenter bestätigt, dass er einen Anspruch auf Kindergeld habe. Er habe auf diese Angaben vertraut.

Mit Datum vom erließ die Beklagte einen neuen Rückforderungsbescheid gegenüber dem Kläger. Zur Begründung führte sie aus, dass ein Anspruch auf Kindergeldzahlung für den Kläger nicht bestanden habe, da er seine Bemühungen um einen Ausbildungsplatz nicht nachgewiesen habe.

Mit Schreiben vom 19. April legte der Kläger gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Nachweise für seine Bemühungen um einen Ausbildungsplatz legte er nicht vor. Zur Begründung führte er erneut die Verrechnung mit den Leistungen nach dem SGB II an.

Mit Entscheidung vom wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück, da der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er ausbildungsplatzsuchend gewesen sei.

Mit Schreiben vom stellte der Kläger einen Antrag auf Erlass des Rückforderungsbetrages in voller Höhe gem. § 227 der Abgabenordnung (AO) mit der bereits bekannten Begründung der Verrechnung mit den SGB II- Leistungen.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Antrag auf Erlass ab, da die Voraussetzungen des § 227 AO nicht gegeben seien.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom Einspruch ein.

Mit Entscheidung wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nach § 227 AO Forderungen nur zu erlassen seien, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Die Einziehung der Forderung könne aus sachlichen Gründen unbillig sein. Sachliche Unbilligkeit liege vor, wenn die Einziehung der Forderung dem Zweck der anspruchsbegründenden Regelung widerspräche, mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen unvereinbar wäre. Der Erlass einer Forderung komme daher insbesondere in Betracht, wenn die Einziehung den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben oder dem Erfordernis der Zumutbarkeit widersprechen würde. Nachteile, die in der Norm selbst begründet seien, würden daher grundsätzlich nicht die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit rechtfertigen. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen könne gerechtfertigt sein, wenn bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes II als Einkommen Kindergeld festgesetzt worden, bei einer Rückforderung des Kindergeldes eine nachträgliche Korrektur der Leistungen in Höhe des Kindergeldes jedoch nicht möglich sei. Eine sachliche Unbilligkeit liege jedoch nur vor, wenn die Rückforderung nicht auf das Verhalten des Berechtigten zurückzuführen sei. Vorliegend habe der Kläger aber nicht nachgewiesen, dass er seit dem ausbildungsplatzsuchend bzw. überhaupt ausbildungswillig gewesen sei. Nach Angaben des Jobcenters habe der Kläger keine Bewerbungsunterlagen eingereicht. Der Kläger sei damit seiner Mitwirkungspflicht aus § 68 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht nachgekommen. Im Antrag auf Kindergeld habe er aber gegenüber der Familienkasse versichert, Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich mitzuteilen. Hierzu gehöre auch die Mitteilung über die fehlende Ausbildungssuchendmeldung. Die Anrechnung bei den SGB II- Leistungen könne nur dann einen Erlassgrund darstellen, wenn die Mitwirkungspflichten eingehalten würden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Im Billigkeitsverfahren sei das Verhalten des Kindergeldberechtigten, des Sozialleistungsträgers und der Familienkasse zu würdigen und abzuwägen. Im vorliegenden Fall sei der Familienkasse kein Fehlverhalten anzulasten, welches zu einer Überbezahlung des Kindergeldes geführt hätte. Im Rahmen der Ermessensabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass eine generelle Verpflichtung zum Erlass des Kindergeldrückforderungsanspruchs bei einer Anrechnung auf die bezogenen SGB II Leistungen, die Funktionsfähigkeit der Familienkasse erheblich gefährden würde. Denn für den betroffenen Kindergeldberechtigten und Empfänger von SGB II Leistungen bestünde dann keinerlei Veranlassung seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, weil das Vermeiden dieses Aufwands für ihn folgenlos bliebe. Hierdurch wäre die Arbeit der Familienkasse erheblich beeinträchtigt, da sie zur Klärung der Anspruchsvoraussetzung auf die Mitwirkung des Kindergeldberechtigten angewiesen sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner am beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht erhobenen Klage. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine im außergerichtlichen Verfahren vorgebrachten Argumente.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom in Form der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Hauptforderung in Höhe von 2.830,00 € nebst Säumniszuschlägen zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie vollumfänglich auf den Inhalt ihrer Einspruchsentscheidung.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Ablehnungsbescheid vom und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom sind teilweise rechtswidrig und verletzen den Kläger dementsprechend in seinen Rechten (vgl. § 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Die Entscheidung der Beklagten ist in den im Tenor ersichtlichen Rahmen ermessensfehlerhaft.

1.

Gemäß § 227 Abs.1 der Abgabenordnung -AO- können die Finanzbehörden (hierzu gehören auch die Familienkassen) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können keinen Billigkeitserlass rechtfertigen. Die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden (vgl. z. B. , BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155, m. w. N.). Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet werden.

Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS OGB 3/70, BStBl 1972 II, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (, BFHE 165, 178, BStBl. II 1991, 906). Einen Anspruch auf Erlass des konkret begehrten Verwaltungsakts hat der Kläger hingegen nur, wenn nur der Erlass des begehrten Verwaltungsaktes ermessensgerecht ist, sog. Ermessensreduzierung auf Null (vgl. Stapperfend in Gräber, Kommentar zur FGO, Auflage, § 101 Rz. 5). So liegt es teilweise im Streitfall.

2.

Die Beklagte hat in der Einspruchsentscheidung die Rechtsgrundsätze eines Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen zutreffend dargestellt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Billigkeitsmaßnahme hat sie im Streitfall aber teilweise ermessensfehlerhaft verneint, da sie ihr eigenes Mitverschulden hinsichtlich der Höhe des Rückforderungsbetrages nicht berücksichtigt hat.

a)

Die Erwägung der Familienkasse, auf die Rückforderung unberechtigt gezahlten Kindergeldes nicht zu verzichten, weil der Kläger als Rückzahlungsverpflichteter gegenüber einer anderen Stelle (Jobcenter) einen entsprechend höheren Leistungsanspruch gehabt hätte, ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Die Familienkasse braucht sich grundsätzlich nicht die "Ersparnis" des Sozialleistungsträgers vorhalten zu lassen. Sie hat vielmehr den durch die rechtsgrundlose Überzahlung des Kindergeldes eingetretenen eigenen Vermögensnachteil geltend zu machen.

aa)

Mit dem Wegfall der Kindergeldberechtigung hätte der Kläger einen höheren Anspruch auf SGB II- Leistungen gehabt, da das Kindergeld unstreitig angerechnet wurde. Es ist richtig, dass der Kläger nicht mehr ausbezahlt erhalten hat, als ihm nach dem SGB II-Leistungsrecht zusteht. Denn ohne den Kindergeldantrag und die entsprechenden Zahlungen durch die Familienkasse hätte er nicht weniger Geldzahlungen erhalten. Dennoch kann die Beklagte das zu Unrecht gezahlte Kindergeld nicht vom Jobcenter fordern. Die Familienkasse hat zwar durch die Zahlung von Kindergeld an den Kläger letztlich das Jobcenter vor entsprechenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewahrt, die der Kläger im Fall einer Einstellung der Kindergeldzahlungen ab März 2015 hätte beanspruchen können und die er jetzt, da vergangene Zeiträume betroffen sind, nicht mehr nachfordern kann. Für eine Inanspruchnahme des Jobcenters durch die Familienkasse fehlt aber eine Rechtsgrundlage. Die Familienkasse ist gem. § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 11 FVG eine Finanzbehörde, zu deren Gunsten die Vorschriften der §§ 102 ff. SGB X, die Ausgleichsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern regeln, nicht direkt anwendbar sind. In entsprechender Anwendung der §§ 102 ff. SGB X ermöglicht § 74 Abs. 2 EStG lediglich Erstattungsansprüche von Sozialleistungsträgern gegen die Familienkasse, nicht hingegen Ansprüche von Familienkassen gegen den Sozialleistungsträger (Felix in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 74 Rz. 4; vgl. , EFG 2014, 1944-1947; , EFG 1999, 613; nachgehend , BFHE 196, 278, BStBl. II 2002, 47).

bb)

Der , BFH/NV 2007, 1298 einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen für ernstlich erwägenswert gehalten, wenn dem Kindergeldberechtigten die Konsequenzen z. B. aus der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses offenbar nicht bewusst gewesen und wenn zudem die Weitergewährung des Kindergelds (und damit die spätere Rückforderung) auch auf fehlende Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden (Arbeitsamt, Familienkasse und Sozialamt) zurückzuführen gewesen sei (ebenso , BFH/NV 2009).

Die Verpflichtung zu einer entsprechenden Billigkeitsmaßnahme setzt aber voraus, dass der Kindergeldberechtigte seinerseits in zumutbarer Weise mitgewirkt hat und dass die Behörde hingegen nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan hat, um die ungerechtfertigte Kindergeldgewährung zu vermeiden. Dies ist dann der Fall, wenn die Familienkasse einen gebotenen Hinweis an den Kindergeldberechtigten vergessen, eine sich aufdrängende Rückfrage bei anderen Behörden unterlassen und damit die unberechtigte Kindergeldgewährung an einen unberatenen Berechtigten gefördert hat.

b)

Die Beklagte hat im Streitfall lediglich das Mitverschulden des Klägers dargestellt. Ihr eigenes Mitverschulden hinsichtlich der Höhe des Rückforderungsanspruches hat sie nicht gesehen.

aa)

Die Beklagte hat angeführt, dass der Kläger mit Bescheid vom auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen worden sei. Der Wortlaut der Belehrung enthält zwar nicht den Hinweis, welche Nachweise der Kläger genau gegenüber der Familienkasse zu erbringen hat, um einen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld zu haben. Es sind aber Beispiele benannt, wann eine Meldung bei der Beklagten zu erfolgen hat. Es hätte sich dem Kläger durchaus aufdrängen können, dass der Nachweis über das Fertigen von Bewerbungen erforderlich ist. Eine entsprechende Nachfrage bei der Beklagten hätte seine Unkenntnis beseitigen können. Die Tatsache, dass der Sachbearbeiter des Jobcenters ihn nicht explizit auf die Bewerbungsschreiben angesprochen hat, ändert an dieser Bewertung nichts. Es ist nicht überraschend, dass sich die Ausbildungsplatzsuche nicht in der behördlichen Meldung erschöpft, sondern mit bestimmten Handlungsweisen verknüpft ist (z. B. das Schreiben von Bewerbungen bzw. eine Einschreibung zu einem Studium).

bb)

Die fehlende Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden (Arbeitsamt/ Jobcenter und Familienkasse) und der sich aus dem Zeitablauf ergebende erhebliche Rückforderungsbetrag gegenüber offenbar an der unteren Grenze des Existenzminimums lebenden Personen gebietet im Streitfall einen teilweisen Billigkeitserlass nach § 227 AO.

Nach Durchsicht der beigezogenen Kindergeldakte ist auffällig, dass die zuständige Familienkasse das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld nicht in dem dafür vorgesehen Turnus überprüft hat. So ist bereits am ein Bearbeitungshinweis erfolgt. Danach hätte der zuständige Sachbearbeiter zumindest im Jobcenter nachfragen müssen, ob der Kläger immer noch ausbildungsplatzsuchend gemeldet ist. Auch ein Anfordern von Nachweisen direkt beim Kläger wäre möglich gewesen. Eine Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen fand aber nach Aktenlage nicht statt. Auch ein weiterer Bearbeitungshinweis am führte nicht zu einer Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen. Erst nachdem der Kläger das 21. Lebensjahr beendet hatte, nahm die Beklagte die Überprüfung vor.

Hätte die Familienkasse die Überprüfung tatsächlich in dem Zeitrahmen, der durch die eigenen Richtlinien vorgesehen ist, durchgeführt, wäre bereits im August 2015 aufgefallen, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben. Die Kindergeldzahlung hätte eingestellt und der Betrag ab März 2015 (bis August 2015) zurückgefordert werden können. Durch das Übergehen der Bearbeitungshinweise sind Rückzahlungsansprüche in Höhe von 1.890,00 € entstanden, die vermeidbar gewesen wären. Erschwerend kommt hinzu, dass der Familienkasse bekannt war, dass das Kindergeld im Streitfall auf die SGB II- Leistungen angerechnet werden. Der Sachbearbeiter des Jobcenters hatte den Kindergeldantrag initiiert. Es war mithin auch bekannt, dass bei einer späteren Rückforderung des Kindergeldes der Kläger die SGB II- Leistungen, die dann definitiv zu niedrig festgesetzt wurden, nicht würde rückwirkend beanspruchen können.

Im Ergebnis hat zwar der Kläger seine Mitwirkungspflichten verletzt als er keine Nachweise für Bewerbungen u. ä. einreichte, die Beklagte hätte aber mit der gebotenen Sorgfalt bei der Bearbeitung des Falles das Auflaufen eines derart hohen Rückforderungsbetrages verhindern können. Es ist auch nicht unüblich, dass die Kindergeldberechtigen oftmals keine genaue Vorstellung von den geforderten Nachweisen haben. Auch führt die sehr allgemein gehaltene Belehrung hinsichtlich der Mitwirkungspflichten nicht unbedingt dazu, dass die Kindergeldberechtigten ihre Verpflichtungen detailliert erkennen. Damit letztlich nicht derart hohe Summen zurückgefordert werden müssen, die die Betroffenen oftmals in Zahlungsschwierigkeiten bringen können, gibt es die Bearbeitungshinweise "Halbjährliche Überprüfung von Kindern ohne Arbeitsplatz".

Durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers hat die Beklagte einen Anspruch auf Rückforderung des unrechtmäßig gezahlten Kindergeldes. Die Höhe des Rückforderungsanspruches würde sich bei korrekter Bearbeitung des Streitfalles lediglich auf einen Betrag in Höhe von 1.128,00 € belaufen. Der Betrag in Höhe von 1.890,00 € für die Zeit von September 2015 bis einschließlich Mai 2016 ist nach Überzeugung des Gerichts nur entstanden, weil der Bearbeitungshinweis nicht beachtet wurde. Der Kläger kann im Nachhinein auch keine SGB II- Leistungen mehr beantragen. Das Ermessen der Beklagte ist auf Null reduziert. Der Erlass für den Zeitraum September 2015 bis einschließlich Mai 2016 ist die einzig sachgerechte Entscheidung.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO i. V. m. § 143 Abs. 1 FGO.

III.

Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben (§ 115 Abs. 2 FGO).

IV.

Die Entscheidung ergeht gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung und gem. § 79 a Abs. 3, 4 FGO durch die Berichterstatterin anstelle des Senats.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
PStR 2020 S. 146 Nr. 7
DAAAH-38662