Vergütungen der für eine gemeinnützige Einrichtung im Bereich der teilstationären Tagespflege im Fahrdienst tätigen Fahrer nach § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei
Leitsatz
1. Bürgerschaftlich engagierte Fahrer, die in neunsitzigen Bussen an weniger als 12 Stunden pro Wochen und damit nebenberuflich für eine in der Altenhilfe tätige gemeinnützige Einrichtung im Bereich der teilstationären Tagespflege ältere pflegebedürftige Menschen an ihrer Wohnung abholen und zur Tagespflege bringen bzw. von der Tagespflege wieder zur Wohnung bringen und u. a. den Menschen beim Ein- und Aussteigen sowie beim Anschnallen helfen sowie sich mit ihnen unterhalten, erbringen eine im Rahmen des § 3 Nr. 26 EStG steuerfreie „nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen”.
2. Der Umstand, dass der Hol- und Bringdienst anders als Kranken- oder Behindertentransporte jeweils von nur einem Fahrer allein durchgeführt wird, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, diese Tätigkeit nicht mehr als Pflege, sondern als Sachleistung (Beförderung) anzusehen. Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26, 3. Alt. EStG verlangt anders als die Tätigkeiten der in § 3 Nr. 26 1. Alt. EStG genannten Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer keine bestimmte Intensität der Betreuung im Sinne einer Einflussnahme auf die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der gepflegten Person.
3. In Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Zielsetzung, das bürgerschaftliche Engagement für alte Menschen zu stärken und anzuerkennen, ist der Begriff der „Pflege” in § 3 Nr. 26 EStG weit auszulegen (vgl. ; ).
Gesetze: EStG § 3 Nr. 26, EStG § 3 Nr. 26 Alt. 3, EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1, SGB XI § 41 Abs. 1 S. 2, SGB XII § 71 Abs. 2 Nr. 5
Instanzenzug: Verfahren
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids, ob Vergütungen für Fahrer, die für eine Einrichtung der teilstationären Tagespflege im Fahrdienst tätig waren, nach § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes in den für die Jahre 2011 bis 2014 jeweils geltenden Fassungen (EStG) steuerfrei sind.
Die Klägerin, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der Trägerschaft der A – Genossenschaft X e.V., ist im Bereich der Altenhilfe tätig und betreibt in X das Seniorenzentrum A (www….A.de). Angeboten werden u.a. vollstationäre Dauerpflege (… Plätze), Kurzzeitpflege (… Plätze), Betreutes Wohnen (… Wohneinheiten), ein ambulanter Pflegedienst sowie … Gruppen (insgesamt Plätze) teilstationäre Tagespflege (vgl. § 41 des Elften Buches Sozialgesetzbuch –SGB XI–). Die Klägerin ist nach § 5 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit.
Die Einrichtung der Tagespflege ist von Montag bis Freitag bzw. Samstag ab 8 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Sie wird an einem oder mehreren Tagen pro Woche von älteren (von Einzelfällen abgesehen Jahrgang 1935 und älter) pflegebedürftigen Menschen, den „Gästen”, besucht. Von den Gästen (133) sind mindestens 82 % (109) über 75 Jahre alt (Jahrgang 1935 und älter). 58 % (77) der Gäste waren bei Abschluss der Nutzungsverträge bereits in die Pflegestufen I, II oder III (vgl. § 14, § 15 SGB XI i.d.F. des Gesetzes vom –SGB XI a.F.–) eingestuft, teilweise war eine entsprechende Einstufung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch in Vorbereitung. Auf die dahingehenden Angaben in den mit den Gästen abgeschlossenen Nutzungsverträgen (LO – Anlagenkonvolut 7) wird Bezug genommen. Wegen der von der Klägerin zu erbringenden Leistungen wird auf den Rahmenvertrag für teilstationäre Pflege gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI (im Folgenden Rahmenvertrag; Anlage 4 zur Klagebegründung, Gerichtsakten Bl. 47 ff.) verwiesen.
Teil der im Rahmen der Tagespflege von der Klägerin zu erbringenden Leistungen ist die notwendige Beförderung der Gäste von der Wohnung zur Einrichtung und zurück (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; § 1 Abs. 3 Buchst. g des Rahmenvertrags; Nr. 3 b der Nutzungsverträge). Diese Fahrten werden mit zwei Kleinbussen […] (9 Sitzer, davon 2 Rollstuhlplätze), die bis zu acht Gäste befördern können, durchgeführt. Die Busse sind mit einer Hebebühne ausgestattet. Der Platz des Fahrers ist nicht von den Plätzen der Gäste abgegrenzt.
Die Touren (vgl. die Zusammenstellung der Klägerin für den Zeitraum 16. bis ; Anlagenkonvolut 5 Gerichtsakten Bl. 67 – 140) werden jeweils von einem Fahrer gefahren. Da die meisten Gäste sich infolge ihrer unterschiedlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen nicht selbständig von ihren Wohnungen in den Bus begeben können, werden sie von den Fahrern von der Wohnung zum Bus bzw. vom Bus in die Wohnung gebracht. Die Fahrer leisten hierbei und während der Fahrt die erforderlichen Hilfestellungen, beispielsweise beim Setzen in den Rollstuhl, bei der Versorgung mit Sauerstoffgeräten und beim Anschnallen im Bus. Bei dementen Gästen achten sie darauf, dass die notwendigen persönlichen Gegenstände dabei sind. Auch beim Bringen der Gäste vom Bus in die Einrichtung bzw. von der Einrichtung in den Bus unterstützen die Fahrer die Mitarbeiter der Tagespflege.
Bei den Fahrern handelt es sich um bürgerschaftlich engagierte, nebenberuflich tätige Mitarbeiter der Klägerin (vgl. Vereinbarung für Bürgerschaftliche Engagierte, Gerichtsakten Bl. 44). Sie werden von der Pflegedienstleitung der Klägerin oder externen Anbietern für die Durchführung der Fahrten geschult, insbesondere in Notfallsituationen in der Altenhilfe, im Umgang mit Demenz, in Validation und in Kinästhetik. Sie erhielten für ihre Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung von 6 EUR (2011, 2012) bzw. 7,50 EUR (2013, 2014) pro Stunde; die Summe der an die einzelnen Fahrer geleisteten Zahlungen überstieg nicht den Betrag von 2.100 EUR/Jahr (2011, 2012) bzw. 2.400 EUR/Jahr (2013, 2014; vgl. Tz. 2 der Anlage zum Prüfungsbericht vom , Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 46). In den einzelnen Jahren des Streitzeitraums waren jeweils 8 Fahrer im Fahrdienst tätig. Wegen des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten wird auf die Stundenaufzeichnungen der Fahrer (LO – Anlagenkonvolut 6) Bezug genommen. Die Klägerin hat im Hinblick auf den Steuerfreibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG von den an die Fahrer gezahlten Vergütungen keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt.
Nach Durchführung einer Lohnsteuer-Außenprüfung (LSt-Ap) für den Zeitraum bis war der Beklagte (das Finanzamt –FA–) der Auffassung, dass die Fahrtätigkeit, da sie –anders als im Fall der mit zwei Personen durchgeführten Behindertentransporte (Hinweis auf die , S 2121, FMNR019070009 Ziff. 2.5, juris)– keinen persönlichen Kontakt zwecks Förderung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten zulasse, nicht unter § 3 Nr. 26 EStG falle. Es könne daher lediglich der Freibetrag gemäß § 3 Nr. 26a EStG in Höhe von 500 EUR (2011, 2012) bzw. 750 EUR (2013, 2014) gewährt werden. Auf den Prüfungsbericht vom wird Bezug genommen (Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 43 – 48).
Auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen erließ das FA am nach § 42d EStG einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid über 6.052,01 EUR (Lohnsteuer 5.362,56 EUR; Solidaritätszuschlag 260,43 EUR; ev. Kirchensteuer 214,40 EUR; rk. Kirchensteuer 214,62 EUR; Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 79). Die der Haftung zugrunde gelegte Lohnsteuer für die Fahrer wurde nach Steuerklasse VI bemessen (vgl. Anlage zum Prüfungsbericht vom zur Zusammenstellung der Haftungsschuld, Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 48).
Der Einspruch der Klägerin, der sich allein darauf stützte, dass die Fahrer eine begünstigte Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG ausgeübt hätten, blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom ). Zur Begründung führte das FA aus, dass die Fahrer keine einem Betreuer vergleichbare Tätigkeit im Sinne von § 3 Nr. 26 1. Alt. EStG ausgeübt hätten, da die Tätigkeit der Fahrer keinen direkten pädagogisch ausgerichteten persönlichen Kontakt zu den betreuten Menschen beinhaltet habe. Bei einer Ein-Mann-Besetzung sei während der Fahrt keine Betreuung möglich, da sich der Fahrer voll auf die Fahrtätigkeit konzentrieren müsse. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Fahrdienst Bestandteil der Betreuungsleistung im Rahmen der Tagespflege sei. Der Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI entfalte keinerlei steuerliche Bindungswirkung und verlange keine (besondere) Vorbildung im Bereich sozialer Betreuungs- und Pflegeleistungen.
Die Tätigkeit der Fahrer sei auch nicht als Pflegetätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG anzusehen. Es müsse sich um Leistungen handeln, die im persönlichen Kontakt zum Empfänger erbracht würden. Des Weiteren müssten sie einen spezifischen, ihre Gemeinnützigkeit begründenden Inhalt haben. Daran fehle es, wenn sich die Tätigkeit fast ausschließlich auf die Leistung fahrerischer Verrichtungen beschränke und ein unmittelbarer Bezug zu den Fahrgästen im Sinne der Pflege nicht aufgebaut werden könne.
Das dem FA zustehende Auswahlermessen sei zutreffend ausgeübt worden. Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers sei ermessensfehlerfrei, wenn sie der Vereinfachung diene, weil der gleiche Berechnungsfehler bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern gemacht worden sei und nicht alle Arbeitnehmer veranlagt worden seien.
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die Tätigkeit der Fahrer für die Beförderung der Gäste von der Wohnung zur Einrichtung als nebenberufliche Pflege alter Menschen im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG anzusehen sei.
Zur Begründung lässt sie im Wesentlichen Folgendes vortragen: Beim Abholen und Zurückbringen in die Wohnung und auch während der Fahrt bestehe Kontakt zwischen Fahrer und Gästen. Die Fahrer kennen die Gäste und würden oftmals mit persönlichen Anliegen konfrontiert. Auch während der Fahrt ergäben sich Gespräche, man singe oder tausche sich über aktuelle Geschehnisse aus. Die für einen exemplarischen Zeitraum von einer Woche im Jahr 2015 vorgenommene Auswertung der Arbeitszeiten der Fahrer habe ergeben, dass 41% der Abwesenheitszeiten der Fahrer auf die Zurücklegung der Fahrstrecken entfielen und 59% auf sonstige Tätigkeiten im Rahmen der Beförderung der Gäste (vgl. Anlagenkonvolut 5, Gerichtsakten Bl. 67 – 140). Eine Reduktion der Tätigkeit der Fahrer auf die formal-technische Erbringung einer Personenbeförderungsleistung werde angesichts der Pflegebedürftigkeit der Gäste und der damit einhergehenden Fürsorgepflichten der Fahrer dem konkreten Lebenssachverhalt nicht gerecht.
Der Begriff der Pflege sei im Rahmen des § 3 Nr. 26 EStG entsprechend seiner Zwecksetzung, nachbarschaftliche Hilfe im Bereich der Altenpflege zu fördern, weit auszulegen und umfasse nicht nur die körperliche Pflege, sondern auch hauswirtschaftliche oder betreuende Hilfstätigkeiten für alte Menschen. Der geforderte unmittelbare persönliche Kontakt zum Gepflegten müsse, wie die Anerkennung der Erledigung von Einkäufen oder Schriftverkehr als „Pflege” im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG zeige, keine große Intensität aufweisen. Die Betreuung durch den Fahrer stelle eine unmittelbare Tätigkeit an den Gästen dar. Die reine Fahrleistung stehe entgegen der Ansicht des FA gerade nicht im Vordergrund. Ein Aufspalten in einen das (reine) Fahren und einen die Pflege betreffenden Anteil sei bereits denklogisch nicht möglich. Auch komme es nicht auf eine fachliche Qualifikation der Pflegenden an. Der Gesetzgeber habe mit der Begünstigung der Pflege gerade das bürgerschaftliche Engagement in der Pflege stärken wollen und Bürger ermutigen wollen, Hilfspflegetätigkeiten zu übernehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass der Haftungsbetrag um 5.906,58 EUR auf 145,43 EUR herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der reine Fahrdienst für die Gäste der Tagespflege erfülle nicht die von § 3 Nr. 26 EStG geforderten Merkmale. Eine Aufteilung in Betreuungs- und Fahrtätigkeit könne bei Behindertenfahrdiensten, die nur von einem Fahrer durchgeführt werden, nicht vorgenommen werden, da sich die Tätigkeit des Fahrers der Natur der Sache nach und seiner Verantwortung entsprechend fast ausschließlich auf die Fahrtätigkeit erstrecken müsse. Die Fahrtätigkeit enthalte kein pflegerisches/betreuendes Element dahingehend, dass es sich bei der Fahrtätigkeit einheitlich um pflegerische Leistungen handeln könne. Zwischen dem Fahrer und den Gästen entstehe kein persönlicher (pflegerischer) Kontakt, um die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Gäste zu fördern. Gelegentlich vom Fahrer geleistete Gefälligkeitsleistungen seien insgesamt von untergeordnetem Umfang, selbst wenn diese zeitlich einen nicht ganz untergeordneten Anteil der Tätigkeitszeit der Fahrer in Anspruch nähmen.
Eine nebenberufliche Pflegetätigkeit, die die Unterstützung bei der Grund- und Behandlungspflege, bei häuslichen Verrichtungen, bei Einkäufen, beim Schriftverkehr und bei der Altenhilfe entsprechend § 71 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) beinhalte, sei bei den Fahrern nicht zu erkennen. Eine Tätigkeit, die ihrer Art nach keine Pflege sei, sei nicht nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt.
Die gesonderte Vergütung, die von den Pflegekassen für die Beförderungen bezahlt werde, indiziere nicht, dass es sich bei den Fahrten um eine Betreuungs-/Pflegeleistung handele.
Am hat die Berichterstatterin den Streitfall mit den Beteiligten erörtert. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen (Gerichtsakten Bl. 205 ff.). Im Anschluss haben die Beteiligten unstreitig gestellt, dass (zusätzlich zu der getrennt aufgeschriebenen Hausmeistertätigkeit eines bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiters) von den im Jahr 2013 abgerechneten Zeiten der Fahrer 10 Stunden und von den im Jahr 2014 abgerechneten Zeiten 30 Stunden einer anderen Tätigkeit (z.B. Autopflege, Schneeschippen) als dem Fahrdienst zuzuordnen sind. Auf die von der Klägerin vorgenommene Berechnung der hierauf entfallenden Lohnsteuer wird Bezug genommen (Gerichtsakten Bl. 221).
Bei der Entscheidung lagen die vom FA übersandten Steuerakten (1 Bd. Lohnsteuerprüfungsakten, 1 Bd. Handakte) vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und in dem in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Umfang auch begründet. Der angefochtene Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ist, soweit darin die Vergütung der bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiter der Klägerin für ihre Tätigkeit im Fahrdienst der Tagespflege der Lohnsteuer unterworfen wurde, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.
Im Streitfall durfte die Klägerin –soweit zwischen den Beteiligten streitig– von der Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer für die Vergütungen, die sie an die im Fahrdienst der Tagespflege tätigen bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiter der Klägerin gezahlt hat, absehen, da diese der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 26 EStG unterfielen.
Nach § 3 Nr. 26 Satz 1 EStG sind Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten (1. Alt.), aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten (2. Alt.) oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen (3. Alt.) im Dienst oder im Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung –AO–) bis zur Höhe von insgesamt 2.100 EUR (2011/2012) bzw. 2.400 EUR (2013/2014) steuerfrei.
a) Bei der Klägerin handelt es sich um eine Einrichtung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG zur Förderung mildtätiger Zwecke. Die Gäste der Tagespflege gehören aufgrund ihres Alters (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 53 Ziff. 4) und körperlichen bzw. geistigen Zustands (Leistungsberechtigung nach §§ 14, 15 SGB XI a.F.) zu den persönlich hilfebedürftigen Personen gemäß § 53 Nr. 1 AO. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf keiner weiteren Erörterung.
b) Nach den vorgelegten Arbeitszeitnachweisen der Fahrer (LO Anlagenkonvolut 6) waren diese in den Streitjahren nebenberuflich tätig. Ihre durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag unter 12 Stunden. Bei den Gästen der Tagespflege handelte es sich ausweislich der vorgelegten Nutzungsverträge um alte Menschen im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG, d.h. um altersbedingt pflegebedürftige Menschen.
c) Die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Tagespflege beinhaltete die Pflege alter Menschen.
aa) Ausweislich der Gesetzesmaterialien wurde der Steuerbefreiungstatbestand des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG aus gesellschaftspolitischen Gründen eingeführt, um der für das Gemeinwesen wichtigen Tätigkeit der Pflege auch steuerliche Anerkennung zu gewähren (BT-Drs. 11/5582 S. 27, 32). Mit der Anhebung des Freibetrags auf 2.100 EUR sollten Hilfen für Helfer im Sinne von Erleichterungen für das bürgerschaftliche Engagement gegeben werden und Wertschätzung für die Menschen ausgedrückt werden, die sich bürgerschaftlich engagieren, und ein Zeichen gesetzt werden, um noch mehr Menschen zu motivieren, sich ehrenamtlich für die Gesellschaft einzusetzen (BT-Drs. 16/5200 S. 12). Auch die nochmalige Anhebung des Freibetrags auf 2.400 EUR sollte die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement stärken, bestehende Hindernisse bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten abbauen und die gesellschaftliche Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements bekunden (BT-Drs. 17/11316 S. 8).
bb) In Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Zielsetzung, das bürgerschaftliche Engagement für alte Menschen zu stärken und anzuerkennen, wird der Begriff der Pflege in § 3 Nr. 26 EStG weit ausgelegt (vgl. , EFG 2015, 1507; , juris; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 26 EStG Rz. 5b) und weiter gefasst als in § 33b Abs. 6 EStG (v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 3 Nr. 26 B26/98).
Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG setzt eine unmittelbare, in persönlichem Kontakt zum Empfänger zu erbringende Leistung des Pflegenden voraus (, BFH/NV 2004, 1405). Darunter fallen sämtliche persönlich zu erbringende Hilfeleistungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens einschließlich der Körperpflege und der Einnahme von Mahlzeiten, wobei Umfang und Dauer der Pflege ohne Bedeutung sind (vgl. Stuhrmann in Bordewin/Brandt, EStG, § 3 Nr. 26 Rz. 33; v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 3 Nr. 26 B26/102). Begünstigt sind auch nebenberufliche Hilfeleistungen bei der häuslichen Betreuung durch ambulante Pflegedienste, Unterstützungsleistungen bei der Grund- und Behandlungspflege, Hilfe bei der Haushaltsführung wie Kochen und Putzen (kritisch v. Beckerath in Kirchhof, EStG, § 3 Rz. 51 und ders. in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 3 Nr. 26 B26/102) sowie bei Einkäufen, Behördengängen, beim Schriftverkehr oder Altenpflegeleistungen im Sinne von § 71 SGB XII (vgl. FG Köln in EFG 2015, 1507; Stuhrmann in Bordewin/Brandt, EStG, § 3 Nr. 26 Rz. 33; Steiner in Lademann, EStG, § 3 Rz. 211; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 3 Rz. 1027; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 26 EStG Rz. 5b; Erhard in Blümich, EStG, § 3 Rz. 17; vgl. auch LSt-Handbuch R 3.26). Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, den Kreis der begünstigten Tätigkeiten auf sämtliche in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. und § 71 Abs. 2 SGB XII genannten Tätigkeiten zu erstrecken (vgl. , juris).
Die Tatbestandsvoraussetzung „Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen” soll den Anwendungsbereich des Befreiungstatbestands eingrenzen und erreichen, dass nur Tätigkeiten begünstigt werden, die „den eigentlichen, die Gemeinnützigkeit begründenden Inhalt” haben (v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 3 Nr. 26 B26/100).
cc) Im Sozialrecht wird die Mobilität ebenso wie die Körperpflege, Ernährung oder hauswirtschaftliche Versorgung als Bereich angesehen, in dem pflegebedürftige Personen der Hilfe bedürfen. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F. wird die Pflegebedürftigkeit einer Person u.a. mit Hilfebedarf beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung begründet.
Die Leistungen der teilstationären Pflege umfassen gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI und § 1 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenvertrags auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück. Damit sind die Beförderungskosten regelmäßig Bestandteil des Pflegesatzes. Der Einrichtung obliegt es daher sicherzustellen, dass die Gäste zur Tages- oder Nachtpflegeeinrichtung befördert werden (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 41 SGB XI Rz. 88). Wie der Transport erfolgt, liegt im Ermessen der teilstationären Einrichtung. In Betracht kommt –wie im Streitfall– ein Transport durch einrichtungseigene PKWs oder die Kooperation mit Dritten (Taxiunternehmen, andere Leistungsanbieter; vgl. Möwisch/Wasem/Heberlein, SGB-XI-Kommentar – Pflegeversicherung, § 41 Rz. 26).
Zu den Leistungen der Altenhilfe gehören nach § 71 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII auch Leistungen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen. Die Leistungen können in der Beratung und Unterstützung der Hilfesuchenden bei Auswahl und Besuch der Veranstaltung bestehen (beispielsweise Unterstützung beim Erwerb von Eintrittskarten, Organisation von Fahrdiensten usw.), aber auch in der Organisation entsprechender Veranstaltungen selbst. Auch die Übernahme von Kosten ist möglich (Sehmsdorf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 71 SGB XII Rz. 24).
d) Nach diesen Grundsätzen unterfällt die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Gäste dem Begriff der Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG.
Zweifelsohne treten die Fahrer bei Erbringung des Hol- und Bringdienstes in unmittelbaren und persönlichen Kontakt zu den Gästen der Einrichtung. Sie helfen ihnen beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung und beim Ein- und Ausstieg und führen damit Tätigkeiten aus, die in § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F. genannt sind. Während der Fahrt „betreuen” die Fahrer die Gäste jedenfalls in dem Sinne, dass sie die Verantwortung für eine sichere Beförderung tragen und sich ggf. auftretender Probleme annehmen. Die Tätigkeit der Fahrer erschöpft sich daher nicht in einer nur mittelbaren Hilfe durch eine „Sachleistung”, der (reinen) Beförderung, ohne unmittelbaren Kontakt zu der zu pflegenden Person, wie beispielsweise der Reinigung der Räumlichkeiten einer Pflegeeinrichtung, der Zubereitung von Mahlzeiten in der Küche einer Einrichtung oder der Auslieferung von Essen (vgl. , juris). Auch handelt es sich bei der Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst um eine Tätigkeit, die in Zusammenhang mit der gemeinnützigen Tätigkeit der Klägerin, hier dem Betreiben einer Einrichtung der Tagespflege für ältere pflegebedürftige Menschen, steht. Dies folgt insbesondere aus der Aufnahme des Hol- und Bringdienstes in den in § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI normierten Leistungsumfang von Einrichtungen der Tagespflege.
Entgegen der Auffassung des FA sieht der Senat in Anbetracht der weiten Auslegung des Begriffes der Pflege in § 3 Nr. 26 EStG keine Veranlassung, die Tätigkeit der Fahrer im Hol- und Bringdienst der Tagespflege aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Insbesondere lässt der Umstand, dass der Hol- und Bringdienst –anders als Kranken- oder Behindertentransporte (vgl. )– von nur einem Fahrer durchgeführt wird, nicht die Schlussfolgerung zu, diese Tätigkeit nicht mehr als Pflege, sondern als Sachleistung (Beförderung) anzusehen. Pflege im Sinne des § 3 Nr. 26 3. Alt. EStG verlangt anders als die Tätigkeiten der in § 3 Nr. 26 1. Alt. EStG genannten Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer keine bestimmte Intensität der Betreuung im Sinne einer Einflussnahme auf die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der gepflegten Person. Die fehlende Notwendigkeit eines zweiten Fahrers beeinflusst nicht den unmittelbaren und persönlichen Kontakt des Fahrers zu den Gästen, der mit dem Abholen in der Wohnung beginnt und mit dem Ankommen in der Einrichtung endet. Sie führt auch nicht dazu, die Tätigkeit der Fahrer, die jedenfalls mit der Hilfe beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung und beim Ein- und Ausstieg in den Bus eindeutige und ihrem Umfang nach nicht gänzlich unbedeutende pflegerische Elemente enthält, die die „eigentliche” Fahrtätigkeit umrahmen, nicht als Pflege anzusehen. Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch im Hinblick auf andere auch von der Finanzverwaltung als Pflege im Rahmen des § 3 Nr. 26 EStG anerkannte Tätigkeiten, wie z.B. der Erledigung von Einkäufen, Behördengängen und Schriftverkehr, die ebenfalls keine intensive Betreuung der pflegebedürftigen Person beinhalten bzw. ohne diese durchgeführt werden können.
2. a) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 der Zivilprozessordnung.
b) Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Die Klägerin konnte die Hilfe eines sachkundigen Bevollmächtigten für unentbehrlich halten (vgl. , BStBl II 1968, 181).
c) Die Zulassung der Revision erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Fundstelle(n):
DStR 2018 S. 6 Nr. 48
DStRE 2019 S. 69 Nr. 2
EFG 2018 S. 1058 Nr. 12
KÖSDI 2018 S. 20780 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 31/2018 S. 2234
DAAAG-82045