Hessisches Finanzgericht  Urteil v. - 1 K 877/15

Zwingende Gründe, die die Selbstnutzung des erworbenen Familienheims unmöglich machen

Leitsatz

  1. Gesundheitliche Einschränkungen stellen erst dann zwingende objektive Gründe dar, die nicht zur Versagung der Steuerbefreiung für das Familienheim führen, wenn das selbstständige Führen eines Haushalts dem Erwerber schlechthin und nicht nur in dem konkreten sich im Nachlass befindlichen Familienheim unmöglich ist.

  2. Führt der Erwerber trotz seines Gesundheitszustandes den Haushalt des Familienheim noch nahezu ein Jahr weiter, um in dieser Zeit eine adäquate Wohnmöglichkeit zu finden, liegen keine zwingenden Gründe vor, die den Erwerber an dem Bewohnen seines Familienheims ändern.

Gesetze: ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin eine Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b des Erbschaftsteuergesetzes in der zum Besteuerungszeitpunkt geltenden Fassung (ErbStG) trotz ihres Auszugs aus dem Familienheim beanspruchen kann.

Die Klägerin ist die Alleinerbin ihres am…August 2012 verstorbenen Ehemannes Herrn E (Erblasser). Bestandteil des Nachlasses war unter anderem das Grundstück … in …, Eigentumswohnung Aufteilungsplan Nr. …, in dem die Eheleute gemeinsam und nach dem Tod des Erblassers bis zu ihrem Auszug im November 2013 die Klägerin alleine wohnte (Familienheim). Das Grundstück wurde nach Auszug der Klägerin im Jahr 2014 veräußert.

In ihrer Erbschaftsteuererklärung vom machte die Klägerin betreffend des Familienheims eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG geltend. Zur Begründung trug sie vor, trotz ihres Auszugs aus dem Familienheim sei die Steuerbefreiung zu gewähren, da ihr die weitere Selbstnutzung aus objektiv zwingenden Gründen nicht mehr möglich gewesen sei. Ihrem weiteren Verbleib in dem Familienheim hätten gesundheitliche Gründe entgegen gestanden, die auf die dramatischen Umstände des Versterbens des Erblassers in dem Familienheim zurückzuführen seien. Hinsichtlich des konkreten Geschehensablaufs wird auf das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom (Bl. 123 ff. der Erbschaftsteuerakte) Bezug genommen. Dies habe bei ihr eine schwere akute Belastungsstörung ausgelöst, deren Heilung ohne eine räumliche und endgültige Trennung von dem Familienheim nicht möglich gewesen sei. Zum Nachweis verwies die Klägerin auf die ärztliche Bescheinigung des Chefarztes der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik der Klinik … Dr. … vom…Oktober 2013 (Bl. 127 [u. 138] der Erbschaftsteuerakte), auf die ärztliche Bescheinigung des Internisten Dr. … vom…Juli 2013 (Bl. 129 der Erbschaftsteuerakte), auf den Abschlussbericht des Krankenhauses … vom…September 2012 (Bl. 130 f. der Erbschaftsteuerakte bzw. Bl. 22 f. der Gerichtsakte), den Entlassungsbericht des Chefarztes der Klinik Dr. … vom…November 2012 (Bl. 130 ff. der Erbschaftsteuerakte bzw. Bl. 24 ff. der Gerichtsakte) sowie die Bescheinigung der Heilpraktikerin … vom…September 2013 (Bl. 126 [u. 137] der Erbschaftsteuerakte), auf die Bezug genommen wird. Darin heißt es u.a. „Insgesamt stellt das Bewohnen dieses Hauses für sie [die Klägerin] seit dem Todesfall eine fast unerträgliche Belastung dar, da sie, auch wenn sie das entsprechende Stockwerk meidet, trotzdem immer wieder an das entsprechende Geschehen erinnert wird. Aus fachärztlicher Sicht muss daher dringend zu einer möglichst baldigen Änderung der Wohnsituation geraten werden, bevorzugt mit Änderung des Wohnortes. Ferner muss aus gesundheitlichen Gründen zu einer vollständigen Lösung von dem jetzigen Haus geraten werden (Verkauf), da sie [die Klägerin] im Falle einer Vermietung doch immer wieder - zum Teil unvorbereitet - mit dieses Haus betreffenden Angelegenheiten konfrontiert würde” (Auszug aus der ärztlichen Bescheinigung vom…Oktober 2013 des Dr. …) und „Es ist ihr [der Klägerin] nicht möglich, das gemeinsame Wohnhaus weiterhin zu bewohnen […]. Teil der Therapie ist die Erarbeitung eines Neuanfangs, zu dem auch der Umzug aus diesem emotional für sie sehr belasteten Haus gehört sowie der Neuanfang in einer psychisch stärkenden Umgebung” (Auszug aus der Bescheinigung vom…September 2013 der Heilpraktikerin …). Da die Finanzverwaltung als objektiv zwingende Gründe für den Wegfall der Selbstnutzung sowohl die fehlende Möglichkeit des Führens eines eigenen Hausstandes aufgrund Pflegebedürftigkeit als auch die notwendige (dauerhafte) Unterbringung in einem Pflegeheim aufgrund des Gesundheitszustands des Erwerbers anerkenne, sei auch im Streitfall die beantragte Steuerbefreiung zu gewähren.

Mit Bescheid vom setzte das FA Erbschaftsteuer in Höhe von …,-- € fest, ohne die Steuerbefreiung zu berücksichtigen. Vielmehr wurde der Wert des Familienheims mit dem durch Bescheid des Finanzamtes … vom festgestellten Grundbesitzwert in Höhe von …,-- € angesetzt. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es: „Die Steuerbefreiung für das bisher genutzte Familienwohnheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG kann leider nicht gewährt werden, da die für den Auszug der Erbin verantwortliche psychische Unzumutbarkeit des dortigen Wohnenbleibens keinen objektiv zwingenden Grund nach dem Erbschaftsteuergesetz darstellt.”

Mit ihrer Sprungklage vom , der das FA am zugestimmt hat, verfolgt die Klägerin ihr Rechtschutzbegehren weiter. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, sie (die Klägerin) habe schon vor dem Tod ihres Mannes unter psychischen Problemen gelitten und habe deswegen wiederholt psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Durch die mit dem Erblasser geschlossene Ehe habe sich ihr Zustand ein großes Stück stabilisiert, wenn es auch immer wieder zu depressiven Phasen gekommen sei, die auch von Suchtproblemen begleitet worden seien. Auch aufgrund dieser Vorbelastungen hätten die schrecklichen Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod des Erblassers zu einer posttraumatischen Belastungsstörung und zu Depressionen nach dem Trauerfall geführt. Die psychische Erkrankung sei so lange nicht erfolgsversprechend therapierbar und damit heilbar gewesen, wie sie sich noch in der Umgebung aufgehalten habe, die Anlass für die psychische Erkrankung gewesen sei. Daher habe sie sich bereits kurze Zeit nach dem Tod des Erblassers bemüht, ein neues Objekt zu erwerben. Die habe jedoch einige Zeit in Anspruch genommen, da es nicht leicht gewesen sei, innerhalb … ein neues Objekt zu erwerben. Ein Wegzug aus dieser Umgebung oder eine Mietwohnung sei für sie nicht in Betracht gekommen, um ihre Freunde und ihre Haustiere (u.a. …), die ihr viel Kraft gegeben hätten, nicht zu verlieren. Darüber hinaus habe sie nach den Ereignissen mehrfach bei ihrer Freundin übernachtet, um nicht in den Familienheim verbleiben zu müssen. Sie leide heute noch unter den traumatischen Erlebnissen, stehe unter diesbezüglicher hausärztlicher Betreuung und nehme vom Hausarzt verordnete Psychopharmaka ein. Die psychische Erkrankung sei ein zwingender Grund, der eine Selbstnutzung des bisherigen Familienheims zu eigenen Wohnzwecken ausschließe. Die Aufgabe des bisherigen Familienheims sei aus gesundheitlichen Gründen zwingend geboten gewesen und habe damit keiner eigenen Willensentscheidung unterlegen. Zum Nachweis hat die Klägerin die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen sowie Bescheinigungen des Internisten Dr. … vom…Oktober 2015 und des Chefarztes der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik der Klinik … Dr. .. vom…Dezember 2015 vorgelegt. Hinsichtlich deren Inhalts wird auf die Anlagen zum Schriftsatz vom (Bl. 15 ff. der Gerichtsakte), sowie die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen (Bl. 89 f. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Erbschaftsteuerbescheid vom dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf …,-- € herabgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es vor, die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG genannten „zwingenden Gründe” seien in der Gesetzbegründung (Bundestags-Drucksache - BT-Drs. - 16/11107, S. 8) konkretisiert. Bei den dort genannten Gründen wie Pflegebedürftigkeit oder Tod handele es sich um zwingende „objektive Gründe”. Die Finanzverwaltung habe sich dem in der Richtlinie R E 13.4 Abs. 6 Satz 7 f. der Erbschaftsteuerrichtlinien (ErbStR 2011) angeschlossen. Im Streitfall sei es jedoch so, dass Klägerin zwar in dem Familienheim hätte wohnen bleiben können, aufgrund ihrer Erinnerungen und den negativen Empfindungen habe sie dies nicht mehr gewollt und es auf eigenen Wunsch hin verlassen, auch wenn sie ggf. durch ihre psychischen Leiden hierzu veranlasst worden sei. Solche Hinderungsgründe seien jedoch nicht objektiv zwingend, sondern subjektiver Natur. Auch im Schrifttum würden psychische Belastungen aufgrund von Erinnerungen an die in der Wohnung mit dem Ehegatten/Lebens-partner gemeinsam verbrachte Zeit zu den subjektiven bzw. persönliche Gründen gezählt (so Kieblein in Rödl/Preißer, ErbStG, 2009, § 13 .2). Eine Steuerbefreiung in Fällen mit psychischer Belastung zu gewähren, widerspreche auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes, das bezwecke, ein Familienheim durch die steuerliche Entlastung im Familienverbund zu belassen. Selbst wenn eine psychische Erkrankung als zwingender objektiver Grund anzusehen sei, könne die Steuerbefreiung nicht berücksichtigt werden, da sich die Klägerin mit dem Verkauf des Familienheims der Möglichkeit begeben habe, bei einer Verbesserung ihrer Erkrankung die Selbstnutzung wieder aufzunehmen. Insoweit werde auf R E 13.4 Abs. 6 Satz 10 ErbStR 2011 verwiesen.

Die einschlägige Verwaltungsakte (ein Band Erbschaftsteuerakte) war beigezogen und Gegenstand der Beratung und Entscheidung.

Gründe

I. Die Klage ist unbegründet.

1. Der Erbschaftsteuerbescheid vom ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im Rahmen der Steuerfestsetzung hat das FA zu Recht das streitgegenständliche Grundstück bei der Ermittlung des Nachlasswerts berücksichtigt. Die Steuerfreiheit für Familienheime war entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht zu gewähren, da die Klägerin das im Jahr 2012 erworbene Familienheim nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt und der Senat nicht feststellen konnte, dass die Klägerin aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG).

a) Der Erwerb durch Erbanfall im Sinne des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unterliegt als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG bleibt der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes durch den überlebenden Ehegatten steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG).

b) Das Tatbestandsmerkmal „zwingende Gründe” im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG ist gesetzlich nicht definiert.

Anhaltspunkte dafür, wie der Begriff „zwingende Gründe” auszulegen ist, ergeben sich aus der im Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Begründung sowie den dort genannten Beispielen. Danach soll der Wegfall der Steuerbefreiung (nur) dann nicht eintreten, wenn zwingende, objektive Gründe vorliegen, die das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen, z.B. eine entsprechende Pflegebedürftigkeit oder Tod” (BT-Drs. 16/11107, S. 9).

Dass gesundheitliche Einschränkungen hierzu zählen können, wird im Schrifttum verschiedentlich anerkannt, ohne dies jedoch näher zu begründen (Schmitt in Tiedtke, ErbStG, § 13, Rdnr. 145; Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, ErbStG/BewG, § 13 ErbStG, Rdnr. 58; Kobor in Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG, 2. Auflage, § 13 Rdnr. 42; offen gelassen von Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Loseblatt, Stand Juli 2015, § 13, Rdnr. 71).

Das , Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2013, 715) jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass das „selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen Familienheim” nicht zwingend dahingehend zu verstehen sei, dass dem Erwerber das Führen des Haushalts in dem konkreten (von ihm erworbenen) Familienheim unmöglich sein muss, vielmehr beziehe es sich auf das Führen eines eigenen Haushaltes schlechthin. Diese Auslegung entspreche auch den in dem Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Ausnahmegründen, nämlich Pflegebedürftigkeit und Tod (vgl. BT-Drs. 16/1107, S. 9). Das FG Münster hat sich mit dieser Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zwingende Gründe” am Gesetzeszweck, nämlich das Familiengebrauchsvermögen mit Rücksicht auf die familiären Bindungen zu schützen, orientiert und sich dabei im Ergebnis der Auffassung des Bundesfinanzhofes (BFH) angeschlossen, dass eine einschränkende Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG verfassungsrechtlich geboten sei (vgl. , BStBl II 2013, 1051).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und bei Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls ist der Senat zu der Überzeug gelangt, dass die von der Klägerin vorgetragenen Gründe keine zwingenden Gründe darstellen, die eine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken entbehrlich machen.

Folgt man der Ansicht des , EFG 2013, 715), scheiterte die Gewährung der Steuerbefreiung bereits daran, dass - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - die psychischen Probleme der Klägerin eine eigene Haushaltsführung nicht schlechthin ausgeschlossen haben, sondern nur in dem konkreten, im Nachlass befindlichen Familienheim. Für diese Auffassung sprächen nach Ansicht des Senats nicht nur die in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele, sondern auch die daraus folgende „Objektivierbarkeit” der Gründe, die eine Haushaltsführung ausschließen.

Im Ergebnis kann es jedoch offen bleiben, ob sich der Senat insoweit der vom FG Münster vertretenen Auffassung anschließt. Denn auch für den Fall, dass die zwingenden objektiven Gründe objektbezogen zu prüfen wären, ist die Klage abzuweisen. Denn der Senat vermochte nicht festzustellen, dass der Klägerin das selbständige Führen ihres Haushaltes in dem Familienheim aufgrund ihrer psychischen Probleme unmöglich war.

Die psychische Situation der Klägerin mag zwar von ihr als zwingend empfunden worden sein, unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist der Senat aber nicht zu der Überzeugung gelangt, dass dies ein Ausmaß erreichte, das der Klägerin eine Nutzung des Grundstücks als Familienheim nach dem Tod des Erblassers unmöglich machte. Entscheidend für diese Beurteilung war die Tatsache, dass die Klägerin nach ihren stationären Behandlungen in den Zeiträumen vom bis und vom bis zum wieder ihr Familienheim bezog und bis zu ihrem Auszug im November 2013 dort - unter selbständiger Fortführung ihres Haushaltes - wohnen blieb. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerseite, dass die Klägerin innerhalb dieses Zeitraums mehrfach bei ihrer Freundin übernachtet habe.

Hierbei verkennt der Senat nicht, dass der besondere Gesundheitszustand der Klägerin einer möglichst baldigen Änderung der Wohnsituation bedurfte und aus ärztlicher Sicht eine vollständige Lösung von dem früheren Familienheim angezeigt war. Dass die Klägerin trotz ihres Gesundheitszustandes das Familienheim noch nahezu ein Jahr bewohnte und ihren Haushalt selbständig weiterführte, um in dieser Zeit eine adäquate Wohnmöglichkeit zu finden, zu erwerben und dorthin umzuziehen, zeigt aber, dass es keine zwingenden Gründe waren, die die Klägerin an dem Bewohnen ihres (früheren) Familienheims hinderten. Vielmehr war es letztlich die Entscheidung der Klägerin, Mietwohnungen und entfernt liegende Objekte als keine (auch nicht zeitweise) Alternativen anzusehen, sondern abzuwarten, bis das passende Objekt erworben werden konnte, dies zu renovieren und erst dann - zur Erhaltung und ggf. Besserung ihres Gesundheitszustandes - dorthin zu ziehen. Bis zum diesem Zeitpunkt war es ihr - trotz ihres Gesundheitszustandes - möglich, zumindest zeitweise in ihrem früheren Familienheim zu verbleiben. Dies ist nach Überzeugung des Senats nicht vergleichbar, mit der „zwingenden” Aufgabe des Familienheims aufgrund des eigenen Todes oder einer - die eigenen Haushaltsführung unmöglich machenden - Pflegebedürftigkeit (vgl. R E 13.4 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2011).

Gleichzeitig zeigt die Entscheidung der Klägerin, aufgrund ihrer dramatischen und - wohl auch traumatischen - Erlebnisse ihr Familienheim aufzugeben und woanders „neu” anzufangen auch, dass die Klägerin die der Vorschrift zugrunde liegende „gegenständliche räumliche” Bindung an den früheren gemeinsamen familiären Lebensraum aufgegeben hat (vgl. insoweit auch , EFG 2013, 715 und des , EFG 2016, 731). Unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks dieser Vorschrift - nämlich durch eine Steuerbefreiung dem Erwerber zu ermöglichen, sein Familienheim beizubehalten - bedarf die Klägerin im Streitfall insofern auch nicht der geltend gemachten Steuerbegünstigung.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung letztlich auf einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Streitfalls beruht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
ErbBstg 2016 S. 260 Nr. 10
ErbStB 2016 S. 302 Nr. 10
NWB-EV 2016 S. 263 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 30/2016 S. 2246
UVR 2016 S. 269 Nr. 9
DAAAF-77879