Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil v. - 1 K 3051/98

Tatsächliche Verständigung über Zuschätzungen im Rahmen einer Schlußbesprechung

Leitsatz

Tatsächliche Verständigung über Umsatzzuschätzungen sind während der Schlußbesprechung zu einer Betriebsprüfung möglich, wenn seitens der Finanzverwaltung ein Amtsträger teilnimmt, der eine Entscheidung über die Steuerfestsetzung treffen kann.

Gesetze: AO § 80 Abs. 1, AO § 85, AO § 88, AO § 90

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der aufgrund einer Betriebsprüfung erfolgten Schätzung.

Der Kläger unterhielt in den Streitjahren mehrere Gaststätten in ..., u. a. das ... Die Steuerbescheide für die Streitjahre ergingen im wesentlichen entsprechend den Steuererklärungen, sie ergingen gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung - AO - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In 1996 und 1997 hat der Beklagte eine Betriebsprüfung bei dem Kläger durchgeführt. Im Betriebsprüfungsbericht vom ist ausgeführt, dass für alle Prüfungsjahre sich Mängel in der Kassenführung sowie erhebliche Kalkulationsdifferenzen ergaben. Der Betriebsprüfer hat für das Jahr 1993 eine Nachkalkulation durchgeführt. Hierfür ging er von dem vom Kläger erklärten Aufschlagsatz von 190 % aus. Aufgrund der Ausführungen des Klägers ist der Beklagte von einem Diebstahl von 40.000,-- DM pro Jahr ausgegangen und hat entsprechend dem erklärten Umsatz von 394.929,-- DM zuzüglich des Diebstahls von 40.000,-- DM einen Umsatz von 434.929,-- DM errechnet. Hiervon hat er den bereinigten Wareneinsatz von 136.579,-- DM abgezogen, woraus sich ein Rohgewinn von 298.350,-- DM ergibt, der einem Aufschlagsatz von 219 % entspricht. Diesen Aufschlagsatz von 219 % hat der Beklagte in den übrigen Prüfungsjahren 1992 und 1994 der Berechnung zugrunde gelegt. Danach ergab sich folgende Berechnung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1992
1993
1994
Wareneinsatz bereinigt
180.161
136.579
253.512
Aufschlag 219 %
394.552 ---------
299.108 ---------
555.191 ---------
Kalk. Umsatz
574.713
435.687
808.703
erkl. Umsatz
434.691 -------
394.929 ----------
691.307 ----------
Differenz
140.000
40.000
117.000
Sicherheitszuschlag
10.000 --------
10.000 --------
17.000 --------
150.000
50.000
134.000
Abschlag: Diebstahl
80.000 ------
40.000 ------
70.000 --------
verbleibt
70.000
10.000
64.000
(alle Beträge netto)

Diese Einnahmen-Zuschätzungen von netto 150.000,-- DM für 1992, 50.000,-- DM für 1993 und 134.000,-- DM für 1994, wurden auch der Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb wurde in 1992 um 49.745,-- DM erhöht, in 1993 um 4.000,-- DM und in 1994 um insgesamt 70.399,12 DM. In 1994 wurden noch Stromkosten und der Wareneinkauf gekürzt.

Aufgrund dieser Feststellungen hat der Beklagte geänderte Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 1992 bis 1994 am erlassen. Weiterhin hat er einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1991 ebenfalls am gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz - EStG - erlassen, da ein anderer Verlustrücktrag aus 1993 sich aufgrund der Änderungen ergeben hat. Weiterhin erging am ein geänderter Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum Schluss des Veranlagungszeitraumes 1991. Die hiergegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen vom betreffend Einkommensteuer, Umsatzsteuer 1992, 1993 und Gewerbesteuermessbetrag und am betreffend Umsatzsteuer 1994 zurückgewiesen.

Mit der Klage trägt der Kläger vor, dass das Lokal ... aufgrund der Tätigkeiten des Klägers eine kulturelle Bedeutung habe und es sich nicht um eine übliche Gaststätte gehandelt habe. Aufgrund der besonderen Umstände sei der Ansatz von auf Durchschnittswerten basierenden Richtsätzen nicht sachgerecht. Der Kläger habe zahlreiche Schriftsteller, Künstler, Musikgruppen mit ihren Begleitern umsonst bewirtet, weiterhin seien bei den sogenannten Karaoke-Wettbewerben wegen der ständigen Liquiditätsnot stets Sachpreise bzw. Freigetränke als Gewinn vergeben worden. Aufgrund der vielfältigen persönlichen Kontakte des Klägers zur Kultur- und Wirtschaftsszene seien regelmäßig und stets in zunehmender Anzahl Geschäftsfreunde und Gäste bewirtet worden. Der überregionale Ruf als Kultur-Szene-Lokal habe sich im wesentlichen aufgrund der zahlreichen, teilweise mehrmals wöchentlich stattfindenden, kulturellen Events gefestigt. Bei den Events seien den Gästen zur Begrüßung Freigetränke ausgegeben worden. Die zahlreichen Helfer, Ehrengäste und selbstverständlich auch die Künstler hätten jeweils freie Kost erhalten. Deshalb sei die angesetzte Zahl der frei verpflegten Personen mit 15 und die Anzahl der Getränke je Person (zwei Stück) als absolute Untergrenze anzusehen. Weiterhin hätten Mitarbeiter pro Abend Freigetränke erhalten, zum anderen bekämen Mitarbeiter als Gäste die Getränke zum halben Verkaufspreis. Hier ergebe sich ein Wareneinsatz, dem kein entsprechender Umsatz gegenüberstehe. Anzumerken sei, dass pro Mitarbeiter durchschnittlich drei Freigetränke angesetzt werden müssten. Weiterhin sei pro Abend die Anzahl von drei Mitarbeitern anzusetzen, die als Gäste das Lokal besucht hätten. Weiterhin stelle der Bargeld- und Warendiebstahl - auch indirekt durch Ausgabe von Freigetränken durch Servicekräfte entgegen der Betriebsvereinbarung - das Hauptproblem dar. Der angesetzte Bargelddiebstahl in Höhe von 50,-- DM pro Abend sei durchaus realistisch. Es sei bekannt, dass Mitarbeiter in unbeaufsichtigten Momenten zum Teil die kassierten Einnahmen selbst einsteckten, zumal der Inhaber aufgrund der starken Beanspruchung in der Kultur-Szene nicht immer persönlich die Mitarbeiter habe beaufsichtigen können. Aus dem so korrigierten bzw. bereinigten Wareneinsatz ergebe sich, dass 1992 Differenzen gegenüber dem erklärten Umsatz sich ergeben in Höhe von 9.912,-- DM, in 1993 von ./. 95.003,-- DM und in 1994 von 19.904,-- DM, jeweils ohne Umsatzsteuer. Der Kläger sei in ständiger Liquiditätsnot gewesen, für die private Lebensführung hätten ihm kaum Mittel zur Verfügung gestanden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24. September und die Einkommensteuerbescheide für 1991 bis 1994, die Umsatzsteuerbescheide für 1992 bis 1994 und die Gewerbesteuermessbescheide für 1992 bis 1994 vom dahin zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb (Gaststätte) für 1992 mit 58.647,-- DM, für 1993 mit 36.827,-- DM und für 1994 mit 35.065,-- DM angesetzt wird und die Umsatzsteuer 1992 um 18.480,-- DM, in 1993 um 4.800,-- DM und in 1994 um 17.400,-- DM herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass in der Schlussbesprechung eine tatsächliche Verständigung erzielt worden sei. In dem Prüfungsbericht sei vermerkt, dass bei allen Prüfungsfeststellungen Einvernehmen erreicht worden sei. Weiterhin sei unstreitig, dass die Buchführung des Klägers nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könne, weil sie nicht ordnungsgemäß sei. Dies sei durch die Einzelkalkulation des Prüfers, die letztlich auch von dem Kläger nicht angegriffen worden sei, bestätigt worden. Deshalb lägen die Voraussetzungen für eine Schätzung vor. Der Kläger habe bereits im Rahmen der Außenprüfung die jetzt vorgebrachten Einwände erhoben. Nachweise dafür habe er nicht vorgelegt. Es erschien lediglich glaubhaft, dass ein großer Teil der festgestellten Mehrerlöse durch Veruntreuungen des Personals wieder "abhanden gekommen" sei, so dass im Rahmen der Schlussbesprechung die im Betriebsprüfungsbericht vorgenommenen Abschläge vereinbart worden seien. Damit sei den besonderen Umständen in dem Lokal des Klägers ausreichend Rechnung getragen worden, indem die durch Einzelkalkulation ermittelten Differenzen in erheblichem Maße gemindert worden seien. Die Kalkulation des Betriebsprüfers basiere keineswegs auf Durchschnittssätzen, sondern auf einer betriebsinternen Einzelkalkulation auf Basis der Verkaufspreise laut Preislisten. Durch den erheblichen Abschlag sei der Beklagte den Einwendungen des Klägers entgegengekommen. Die vorgenommene Zuschätzung halte sich somit innerhalb des vorgegebenen Schätzungsrahmens, der voll ausgeschöpft werden könne.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Zwischen den Parteien ist in der Schlussbesprechung eine tatsächliche Verständigung vereinbart worden.

Vereinbarungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt sind - unter bestimmten Voraussetzungen - zulässig. Der BFH hat in seinen Urteilen vom VIII R 131/76, BStBl II 1985, 354; vom III R 19/88, BStBl II 1991, 45 und vom I R 13/86, BStBl II 1991, 673 entschieden, dass eine "tatsächliche Verständigung" über schwierig zu ermittelnde tatsächliche Umstände zulässig und bindend ist. Da der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung Vereinbarungen (Vergleiche) verbietet, sind Verständigungen unzulässig, soweit sie allein und unmittelbar die rechtlichen Folgen eines festgestellten Sachverhalts betreffen. Dagegen stellen Vereinbarungen der Beteiligten im Besteuerungsverfahren über die Annahme eines bestimmten Sachverhaltes oder über eine bestimmte Sachbehandlung (sog. tatsächliche Verständigung) keinen Vergleich über das anzuwendende Recht dar und sind zulässig. Eine solche "tatsächliche Verständigung" trifft in der Regel (nur) einen Ausschnitt aus dem gesamten Besteuerungssachverhalt.

Tatsächliche Verständigungen sind - bei Vorliegen der Voraussetzungen - als Vereinbarungen über eine bestimmte Sachbehandlung grundsätzlich jederzeit zulässig, nämlich immer dann, wenn bestimmte Sachbehandlungen in Frage stehen und deren (endgültige) Klärung notwendig ist, um die Festsetzung der Steuer zu fördern. Das kann in jedem Stadium des Steuerveranlagungsverfahrens gegeben sein, insbesondere bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, aber auch noch während eines anhängigen Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens.

Im Streitfall hat zwischen den Prozessbeteiligten eine tatsächliche Verständigung dahingehend stattgefunden, welcher Wareneinsatz der Berechnung zugrunde gelegt werden soll, welcher Aufschlagsatz anzunehmen ist und welche Beträge als Diebstahl abzuziehen sind. Dass eine derartige tatsächliche Verständigung getroffen worden ist, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht bestritten. Er hat lediglich ausgeführt, dass die Beteiligten von unzutreffenden Zahlen ausgegangen sind. Aber dazu dient ja gerade die tatsächliche Verständigung, um einen schwer zu ermittelnden Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen.

Bei der Schlussbesprechung hat auch auf Seiten der Finanzbehörde ein Amtsträger teilgenommen, der eine Entscheidung über die Steuerfestsetzung treffen konnte. Nach der innerbehördlichen Organisation ist dies in der Regel neben dem Vorsteher ein Veranlagungssachgebietsleiter; unter Umständen kommt auch der Leiter der Rechtsbehelfsstelle in Betracht. Aus dem Betriebsprüfungsbericht ist zu entnehmen, dass der Veranlagungssachgebietsleiter teilgenommen hat (, BFH/NV 1994, 290).

Außerdem hat der Beklagte auch zu Recht Umsatz- und Gewinnerhöhungen vorgenommen.

Die vom Beklagten vorgenommene Schätzung ist nicht zu beanstanden. Nach § 162 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Gemäß § 158 AO sind die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

Die Buchführung des Klägers war unstreitig nicht ordnungsgemäß. Wie sich aus den Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht ergibt, ergaben sich in allen Jahren Mängel in der Buchführung sowie erhebliche Kalkulationsdifferenzen.

Die vom Beklagten durchgeführte Zuschätzung ist nicht zu beanstanden.

Die Schätzung ist ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können. Auszugehen ist vom aufgeklärten Sachverhalt (, BStBl II 1986, 226). Ziel der Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Hierbei können die jeder Schätzung anhaftenden Unsicherheiten vernachlässigt werden.

Die Schätzung ist schlüssig. Nach den Ermittlungen des Beklagten ergaben sich bei einer Einzelkalkulation auf der Basis der Verkaufspreise laut Preislisten erhebliche Umsatzdifferenzen. Bei der Einzelkalkulation ist der Beklagte von dem im Streitjahr 1993 vom Kläger erklärten Aufschlagsatz von 190 % ausgegangen. Weiterhin ist er in 1993 den Einwendungen des Klägers dahingehend gefolgt, dass 40.000,-- DM als Diebstahl zu berücksichtigen sind. Diese 40.000,-- DM sind dem erklärten Umsatz von 394.929,-- DM hinzuzurechnen, was einen Betrag von 434.929,-- DM ergibt, von diesem Umsatz hat der Beklagte den bereinigten Wareneinsatz von 136.579,-- DM abgezogen, was einen Rohgewinn von 298.350,-- DM ergibt. Dies wiederum ergibt einen Aufschlagsatz von 219 %, den der Beklagte auch in den übrigen Prüfungsjahren der Berechnung zugrunde gelegt hat. An dieser Handhabung ergeben sich keine Zweifel. Der Beklagte hat den Wareneinsatz um die Personalverköstigung verringert, weiterhin hat er den Einwendungen des Klägers bezüglich der besonderen Art des Lokales und dergleichen insoweit Rechnung getragen, dass in 1992 ein Abschlag für Diebstahl und dergleichen in Höhe von 80.000,-- DM, in 1993 von 40.000,-- DM und 1994 von 70.000,-- DM gemacht worden ist. Die unterschiedlichen Beträge ergeben sich aus dem in den Streitjahren sehr schwankenden Wareneinsatz. Weiterhin hat der Beklagte auf die von ihm berechnete Differenz zu dem Aufschlagsatz von 219 % einen Sicherheitszuschlag vorgenommen, der 2,5 % des erklärten Umsatzes beträgt. Dieser Sicherheitszuschlag ist nicht zu beanstanden.

Den sowohl in der Schlussbesprechung als auch im Klageverfahren vorgebrachten Einwänden hat der Beklagte ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass er Abschläge in Höhe von 80.000,-- DM in 1992, 40.000,-- DM in 1993 und 70.000,-- DM in 1994 gemacht hat (alle Beträge netto). Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er gegen die Mitarbeiter Schritte unternommen hat, wenn er von derart hohen Beträgen ausgeht, die die Mitarbeiter sich selbst in die Tasche gesteckt haben. Es ist auch nicht allein damit zu erklären, dass der Kläger aufgrund seines kulturellen und wirtschaftlichen Engagements keine Zeit hatte, sich um seine Mitarbeiter zu kümmern.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DAAAB-12020