Neue Spielregeln für die strafbefreiende Selbstanzeige
Die Rechtslage ab 1. 1. 2015
Mit dem [i]Schreibvorlage Berichtigungs- bzw. Nacherklärung (Selbstanzeige) NWB BAAAB-05338; „Hinweise an Mandanten für das Selbstanzeigeverfahren“ NWB LAAAE-52184; „Selbstanzeige gem. § 371 AO“ NWB SAAAE-46633Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom (BGBl 2014 I S. 2415, nachfolgend „AO-Änderungsgesetz“) wurden die Rahmenbedingungen für die Abgabe strafbefreiender Selbstanzeigen einerseits deutlich verschärft, andererseits jedoch auch partielle Erleichterungen mit besonderer Relevanz für Unternehmen eingeführt. Weniger als vier Jahre nach den einschneidenden Änderungen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vom (BGBl 2011 I S. 676) muss sich die Beratungspraxis erneut auf neue Spielregeln einstellen. Der Gesetzgeber hat sich nicht für eine behutsame Weiterentwicklung entschieden, sondern sehr massiv in den gesetzlichen Tatbestand eingegriffen. Von wesentlicher Bedeutung ist die neue Frist von zehn Kalenderjahren als Mindestmaß für die Vollständigkeit einer Selbstanzeige in § 371 Abs. 1 AO und der deutlich erhöhte Selbstanzeigezuschlag gem. § 398a AO, bei dem ein Absehen von Strafe möglich ist. Obwohl die Neuregelung von langer Hand vorbereitet wurde, zeigen die neuen Regeln handwerkliche Schwächen und führen in Teilbereichen zu vermeidbaren Auslegungsschwierigkeiten. [i]Götzenberger, Auslandsvermögen legalisieren – Strafbefreiende Selbstanzeige, NWB Verlag Herne, 2. Aufl. 2015. ISBN: 978-3-482-64962-2Auch wenn das tradierte Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige aus guten Gründen beibehalten wurde, bleibt abzuwarten, ob von der „goldenen Brücke“ angesichts deutlich gestiegener finanzieller Risiken in Zukunft noch in gleicher Weise wie bislang Gebrauch gemacht werden wird. Zudem hat der Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die in bestimmten Konstellationen keinen sicheren Schluss darüber zulassen, ob eine strafbefreiend wirkende Selbstanzeige noch möglich ist oder nicht. Die Neuregelung wird nachfolgend im Überblick dargestellt und der alten Rechtslage bis zum gegenübergestellt.
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I. Strafbefreiende Selbstanzeige
[i]Bußgeldbefreiende Selbstanzeige gem. § 378 AO unverändertWie bereits beim Schwarzgeldbekämpfungsgesetz beschränken sich die Änderungen auf die Selbstanzeige bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung gem. § 371 AO. Die Regeln für die bußgeldbefreiende Selbstanzeige in § 378 AO haben sich trotz redaktioneller Änderungen im Wortlaut der Vorschrift nicht verändert, weswegen nach wie vor eine Teilselbstanzeige möglich ist.
1. Anwendung der Neuregelung
[i]Keine detaillierte AnwendungsregelungGemäß Art. 3 des AO-Änderungsgesetzes sind die Neuregelungen am in Kraft getreten. Anders als beim Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verzichtet der Gesetzgeber auf eine detaillierte Anwendungsregelung im Einführungsgesetz zur AO, die für die Abgrenzung zwischen alter und neuer Rechtslage auf den Zeitpunkt des Eingangs einer Selbstanzeige beim Finanzamt abstellt. Auch wenn unter praktischen Gesichtspunkten nicht zu erwarten ist, dass die Straf- und Bußgeldsachenstellen bis zum eingereichte Selbstanzeigen, bei denen ein Ermittlungsverfahren erst in 2015 eröffnet wird, an der neuen Gesetzeslage messen und dies einer verständigen Würdigung des Gesetzes entspricht, handelt es sich bei dem Fehlen einer ausführlichen Anwendungsregelung um eine vermeidbare handwerkliche Schwäche. Nach dem Bericht des Finanzausschusses vom (nachfolgend „Bericht Finanzausschuss“) sollen vor dem abgegebene Selbstanzeigen, über deren Wirksamkeit erst in diesem Jahr entschieden wird, in Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB am Maßstab der aus Sicht des Betroffenen mildesten Regelung zu messen sein (BT-Drucks. 18/3439 S. 7). Soweit die Neufassung partiell Erleichterungen vorsieht, etwa für Steueranmeldungen in § 371 Abs. 2a AO, können danach auch vor dem verwirklichte Sachverhalte privilegiert sein, über deren strafrechtliche Würdigung in 2015 entschieden wird (dazu unten I, 5, d).
2. Erweiterte Anforderungen an Vollständigkeit
a) Berichtigungsverbund nach alter Rechtslage
[i]Nochmals gesteigerte Anforderungen an VollständigkeitDie durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführten gestiegenen Anforderungen an die Vollständigkeit einer Selbstanzeige sind mit der Neuregelung nochmals erweitert worden. Nach alter Rechtslage bis zum konnte nur derjenige auf eine Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO hin Straffreiheit erlangen, der zu allen (strafrechtlich) unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben korrigiert oder die unterlassenen Angaben nachholt (sog. Berichtigungsverbund). Lag kein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 AO vor, erstreckte sich der Berichtigungsverbund auf die reguläre strafrechtliche Verfolgungsfrist von fünf Jahren; bei einem besonders schweren Fall umfasste der Berichtigungsverbund zehn Jahre. Anknüpfungspunkt für die Vollständigkeit einer Selbstanzeige war somit allein die Dauer der strafrechtlichen Verfolgungsfrist gem. §§ 78 ff. StGB, § 376 AO. Dies führt insbesondere bei einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung zu praktischen Schwierigkeiten, weil die Dauer der strafrechtlichen Frist von der nicht immer klaren Verwirklichung eines Regelbeispiels gem. § 370 Abs. 3 AO abhängt.
b) Rechtslage ab
Nachdem noch im Referentenentwurf des AO-Änderungsgesetzes vom eine einheitliche strafrechtliche Verfolgungsfrist von zehn Jahren für sämtliche Fälle der Steuerhinterziehung vorgeschlagen wurde, setzt die Neuregelung zum auf eine Kombination von strafrechtlicher Verfolgungsfrist und einer nach der S. 31Gesetzesbegründung festen „fiktiven“ Frist von zehn Kalenderjahren. Eine wirksame Selbstanzeige setzt somit nach dem neu gefassten § 371 Abs. 1 AO voraus, dass vollständige Angaben
zu allen (strafrechtlich) unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart,
[i]Mindestfrist von zehn Kalenderjahrenmindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.
Nach dem gesetzlichen Wortlaut sind unabhängig von der verlängerten steuerlichen Festsetzungsfrist mindestens Angaben zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart „innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“ notwendig. Während der Betrachtungszeitraum noch vergleichsweise einfach zu bestimmen ist (z. B. Abgabe in 2015, Angaben ab 2005 erforderlich), ist in Bezug auf die einzubeziehenden Steuerstraftaten fraglich, ob auf den Zeitpunkt der Tatbegehung (Abgabe unrichtiger Steuererklärung) oder der Tatbeendigung (Bekanntgabe unrichtiger Steuerbescheid) abzustellen ist. Nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen dürfte gem. § 8 StGB eher auf die Tatbegehung abzustellen sein.
c) Kritik
aa) Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige steigt
[i]Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige steigtAbgesehen davon, dass die Bestimmung der Mindestfrist die skizzierten Schwierigkeiten bereitet, können die gesetzgeberischen Erwägungen zur Einführung dieser zusätzlichen Voraussetzung der Selbstanzeige nicht überzeugen. Der Hinweis auf eine in strafrechtlicher Hinsicht klare Regelung kann nur vordergründig überzeugen (BT-Drucks. 18/3018 S. 10). Für den einfachen Fall der Steuerhinterziehung, der einer strafrechtlichen Verfolgungsfrist von fünf Jahren unterliegt, steigt das Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige erheblich. Werden innerhalb der Mindestfrist von zehn Kalenderjahren für nur einen Besteuerungszeitraum unvollständige Angaben gemacht, die zu einer von der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom - 1 StR 631/10 NWB MAAAD-91363) nicht mehr tolerierten zu niedrigen Steuerfestsetzung von mehr als 5 % führen, ist die Selbstanzeige insgesamt unwirksam und führt nicht zur Straffreiheit. Es liegt auf der Hand, dass die Absicherung der Vollständigkeit für einen Zeitraum von zehn Jahren in komplexen Fällen oder bei teilweise fehlenden Unterlagen für Altjahre erhebliche praktische Schwierigkeiten bereitet und selbst durch Sicherheitszuschläge nicht in jedem Einzelfall gelöst werden kann. Durch die zusätzliche Maßgeblichkeit der strafrechtlichen Verfolgungsfrist bleiben im Übrigen die bisherigen Auslegungsschwierigkeiten hinsichtlich des Vorliegens eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung unverändert erhalten. Dies gewinnt praktische Relevanz, wenn die zehnjährige strafrechtliche Verfolgungsfrist gem. § 376 AO im Einzelfall weiter zurückreicht als die Mindestfrist von zehn Kalenderjahren.
bb) Arbeitserleichterung für Finanzverwaltung fraglich
[i]Arbeitserleichterung für Finanzverwaltung?Ob sich für die Finanzverwaltung, wie es die Gesetzesbegründung andeutet, mit der Neuregelung eine wesentliche Arbeitserleichterung einstellt (BT-Drucks. 18/3018 S. 17), ist eher zweifelhaft. Die Notwendigkeit einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen für Zeiträume außerhalb der strafrechtlichen Verfolgungsfrist von fünf Jahren, für die aufgrund der verlängerten steuerlichen Festsetzungsfrist von zehn Jahren gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO noch Steuern festgesetzt werden können, hat selbst nach Auffassung von Vertretern der Finanzverwaltung keine große praktische Relevanz; im Gegenteil wird erwartet, dass die aus strafrechtlicher Sicht bestehende Notwendigkeit einer genauen Überprüfung jedes einzelnen Jahres der Mindestfrist von zehn Jahren den scheinbaren Vorteil der umfassenden Lieferung von Besteuerungsgrundlagen durch den Steuerpflichtigen überkompensieren wird (Habammer/Pflaum, DStR 2014 S. 2267, 2269). Soweit für Altjahre ohnehin keine Bankunterlagen oder sonstigen Informationen mehr S. 32verfügbar sind, wird es de facto auf eine sachgerechte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO hinauslaufen. Weder der Steuerpflichtige noch die Finanzverwaltung werden bessere Erkenntnisse gewinnen können.
3. Neue und verschärfte Sperrgründe
[i]Erhebliche Änderungen bei den SperrgründenIm Bereich der sog. Sperrgründe, bei deren Vorliegen die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 2 AO ganz bzw. neuerdings auch teilweise entfällt, hat sich die Rechtslage erheblich verändert. Die Zahl der Sperrgründe hat sich gegenüber der alten Rechtslage von fünf auf acht erhöht, wobei der Sperrgrund des Erscheinens eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung eines Steuerdelikts wegen der Einführung einer partiellen Selbstanzeigemöglichkeit in zwei separate Tatbestände aufgespalten wurde.
[i]Erleichterungen für anschlussgeprüfte UnternehmenVon besonderer Relevanz für Unternehmen ist die neu eingeführte Möglichkeit einer „partiellen“ Selbstanzeigemöglichkeit gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c i. V. mit Abs. 2 Satz 2 AO für Steuerarten und Zeiträume, die nicht Gegenstand einer Prüfungsanordnung oder einer bereits begonnenen steuerlichen Außenprüfung sind. Insbesondere anschlussgeprüfte Unternehmen haben somit die Möglichkeit, durch partielle Selbstanzeigen steuerstrafrechtliche Risiken abzuschichten. Das Vollständigkeitsgebot nach § 371 Abs. 1 AO wird dadurch auf Steuerstraftaten einer Steuerart begrenzt, die nicht Gegenstand des sachlichen und zeitlichen Umfangs einer (angekündigten) Außenprüfung sind (BT-Drucks. 18/3018 S. 12). Somit findet die Mindestfrist von zehn Kalenderjahren gem. § 371 Abs. 1 AO keine Anwendung. In der Praxis muss im Einzelfall genau abgewogen werden, ob von der Möglichkeit einer partiellen Selbstanzeige Gebrauch gemacht werden sollte. Der Chance, bestimmte Zeiträume wirksam aus dem steuerstrafrechtlichen Risiko zu nehmen, steht das Risiko gegenüber, durch eigene Erklärung eine strafrechtliche Verfolgung für die gesperrten Zeiträume auszulösen und die Betriebsprüfung für diese Themen zu sensibilisieren.
a) Bekanntgabe der Prüfungsanordnung
[i]Prüfungsanordnung sperrt nunmehr umfassendNach altem Recht konnte die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung in personeller Hinsicht nur beschränkte Wirkung entfalten, weil der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO a. F. nur den Fall einer Bekanntgabe gegenüber „dem Täter oder seinem Vertreter“ abdeckte. Wurde eine Prüfungsanordnung somit nur allgemein an das Unternehmen oder „z. H. der Geschäftsführung“ adressiert, trat eine Sperrwirkung erst mit dem tatsächlichen Erscheinen des Prüfers zur steuerlichen Prüfung gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO a. F. ein.
Diese aus Sicht der Finanzverwaltung bestehende Regelungslücke wird mit der Neufassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO geschlossen (BT-Drucks. 18/3018 S. 11). Mit der umfassenden Aufzählung des „an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i. S. des § 370 Abs. 1 oder dessen Vertreter“ und der Oder-Verknüpfung wird erreicht, dass die Bekanntgabe an einen der Genannten auch für die übrigen Täter und Teilnehmer (Anstifter, Gehilfen) einer Steuerhinterziehung sperrt. Somit tritt im unternehmerischen Bereich bei einer Steuerverkürzung zugunsten eines Unternehmens eine umfassende Sperrwirkung bereits dann ein, wenn die Prüfungsanordnung regulär gegenüber dem Unternehmen („dem Begünstigten i. S. des § 370 Abs. 1“) oder dem Steuerberater („oder dessen Vertreter“) bekannt gegeben wurde. Die gleiche Rechtsfolge ergibt sich, wenn die Prüfungsanordnung dem Geschäftsführer als potenziellem Täter oder dem Leiter der Steuerabteilung als potenziellem Gehilfen zur Kenntnis gebracht wurde. Aus der Perspektive eines Täters oder Teilnehmers steigt somit das Risiko, eine gesperrte und somit vollständig unwirksame Selbstanzeige abzugeben, erheblich. So S. 33wird z. B. ein ausgeschiedener Geschäftsführer oder Mitarbeiter der Steuerabteilung nicht mehr sicher beurteilen können, ob und für welche Steuerarten dem Unternehmen eine Prüfungsanordnung bekannt gegeben wurde. Es ist offensichtlich, dass die damit verbundene Unsicherheit negative Auswirkungen auf die Bereitschaft haben wird, das Wagnis einer Selbstanzeige einzugehen.
b) Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
[i]Sperre für Täter und Teilnehmer (Anstifter, Gehilfe)Vergleichbar dem Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung stellt der neu gefasste Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO nunmehr auf die Person des an der Tat Beteiligen ab, womit sowohl der Täter als auch der Gehilfe oder Anstifter von der Sperrwirkung erfasst wird. Nach der Gesetzesbegründung soll der Gehilfe einer Steuerhinterziehung für eine strafbefreiende Selbstanzeige gesperrt sein, wenn die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens gegenüber dem Täter bekannt gegeben wurde (BT-Drucks. 18/3018 S. 11). Leider zeigt sich auch an dieser Stelle eine handwerkliche Schwäche des Gesetzes. Da ausdrücklich von „dem an der Tat Beteiligten“ und nicht von „einem an der Tat Beteiligten“ die Rede ist, kann die Sperrwirkung nach dem gesetzlichen Wortlaut und entgegen der Gesetzesbegründung nur gegenüber solchen Personen greifen, denen gegenüber die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurde. Diese Sichtweise entspricht der tradierten Ausgestaltung des Sperrgrunds und trägt dem Charakter der strafbefreienden Selbstanzeige als persönlichem Strafaufhebungsgrund Rechnung. Es bleibt abzuwarten, wie die Praxis mit dieser Schwäche in der Formulierung umgehen wird. Dass dem Wortlaut der Regelung auch nach Auffassung der Finanzverwaltung letztlich entscheidende Bedeutung beizumessen ist, zeigt die Neufassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO, mit der eine möglicherweise nicht gewollte, aber gleichwohl bestehende Regelungslücke geschlossen wurde.
c) Erscheinen eines Amtsträgers
[i]Neuer Wortlaut – Verzicht auf Amtsträger „der Finanzverwaltung“Die Aufspaltung des bisher einheitlichen Sperrgrunds des Erscheinens eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung eines Steuerdelikts in § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO a. F. in zwei separate Sperrgründe ist lediglich redaktioneller Natur. Wegen der Einführung einer partiellen Selbstanzeigemöglichkeit im Zusammenhang mit steuerlichen Außenprüfungen und der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (dazu oben I, 3) bestand die Notwendigkeit, den gesetzlichen Wortlaut entsprechend anzupassen.
Im neu gefassten § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO ist im Gegensatz zur alten Fassung nur noch von einem „Amtsträger“ und nicht mehr von einem „Amtsträger der Finanzverwaltung“ die Rede. Zum Hintergrund der Neufassung teilte das BMF dem Finanzausschuss des Bundestags mit, dass in Steuerstraftaten nicht nur Amtsträger der Finanzbehörde, sondern auch ggf. Amtsträger anderer Behörden, z. B. der Staatsanwaltschaft oder Polizei, ermitteln. Dies werde mit der Neuregelung lediglich klargestellt, da im Erscheinen der Polizei oder des Staatsanwalts zur Überprüfung des Anfangsverdachts einer Steuerstraftat in der Regel die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liege (Ausschussdrucks. 18 (7) – 121 vom ). Dies erscheint wenig überzeugend, weil Polizei und Staatsanwaltschaft auch wegen außersteuerlicher Delikte ermitteln können und sich erst ex post eine steuerliche Relevanz ergeben kann. Die Neuregelung schafft somit vermeidbare Rechtsunsicherheiten, zumal der Begriff „Amtsträger der Finanzverwaltung“ in § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO a. F. bislang restriktiv verstanden wurde (Nachweise bei Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand 7/2011, § 371 Rn. 121 f.).S. 34
d) Umsatzsteuer- oder Lohnsteuer-Nachschau
[i]Zeitlich beschränkter Anwendungsbereich Das Erscheinen eines Prüfers zu einer Umsatzsteuer- oder Lohnsteuer-Nachschau gem. § 27b UStG, § 42g EStG bildet in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO einen völlig neuen Sperrgrund. Zur alten Rechtslage war im steuerlichen Schrifttum umstritten, ob durch eine Nachschau der Sperrgrund des Erscheinens zu einer steuerlichen Prüfung gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO a. F. ausgelöst wurde (Dißars, NWB 41/2013 S. 3210; o. V., NWB 47/2013 S. 3673; Madauß, NZWiSt 2013 S. 424). Die Regelung greift nur ein, wenn sich der Amtsträger der Finanzverwaltung gegenüber dem Steuerpflichtigen ausgewiesen hat und endet in zeitlicher Hinsicht mit dem Ende der Nachschau (d. h. dem Verlassen des Ladenlokals). Sollte die Nachschau zu Feststellungen des Prüfers führen, hat dieser jederzeit die Möglichkeit, ohne vorherige Prüfungsanordnung zu einer regulären steuerlichen Außenprüfung bzw. Lohnsteuer-Außenprüfung gem. § 42f EStG überzugehen. Wegen der jederzeitigen Übergangsmöglichkeit und der damit verbundenen Sperrwirkung gem. § 371 Abs. 2 [i]Zur Nachschau als (neuen) Selbstanzeigen-Sperrgrund s. Hilbert, NWB 40/2014 S. 2984 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO dürfte die praktische Relevanz der Regelung gering bleiben. Da der Gesetzgeber in Bezug auf die Umsatzsteuer- und Lohnsteuer-Nachschau einen völlig neuen Ausschlussgrund einführt, spricht vieles dafür, dass dieser Regelung nicht lediglich nur klarstellende Bedeutung zukommen kann.
4. Selbstanzeigezuschlag
[i]Deutlich gesteigerte finanzielle Risiken!Wesentliche Bedeutung haben die zum geänderten Regelungen zum sog. Selbstanzeigezuschlag in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 i. V. mit § 398a AO. Der mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführte Zuschlag, mit dem ein Steuerhinterzieher gegenüber dem Steuerehrlichen „wirtschaftlich stärker belastet“ werden sollte (BT-Drucks. 17/5067 S. 19), ist erheblich verschärft worden und kann insbesondere für Unternehmen zu signifikanten finanziellen Belastungen führen.
[i]Neuregelung beseitigt nur teilweise die Schwächen der alten Rechtslage Die bisherige Regelung war so konzipiert, dass eine Steuerverkürzung von mehr als 50.000 € (bezogen auf die steuerstrafrechtlich relevante Tat, definiert durch Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigen; vgl. , wistra 2000 S. 219) gem. § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO a. F. zu einem Sperrgrund führte, der gem. § 398a AO a. F. durch Zahlung der zu eigenen Gunsten verkürzten Steuer und eines Zuschlags von 5 % der hinterzogenen Steuer wieder beseitigt werden konnte. Die alte Regelung warf in ihrer praktischen Anwendung eine Reihe von Zweifelsfragen auf. So war abgesehen von der grundlegenden Rechtsnatur des Zuschlags unklar, ob neben dem Täter, der ausdrücklich in § 398a Abs. 1 AO a. F. genannt ist, auch der Teilnehmer in den Anwendungsbereich der Norm fällt bzw. zum Kreis der zuschlagpflichtigen Personen gehören kann (dazu Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand 7/2012, § 398a Rn. 3). Bei der Berechnung des Zuschlags war umstritten, ob das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zu berücksichtigen ist. Dies konnte insbesondere bei der Frage der Saldierung von Umsatz- und Vorsteuer erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Von wesentlicher Bedeutung war zudem das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Anfechtungsmöglichkeit, insbesondere für solche Fälle, in denen Streit über die Höhe des Zuschlags besteht. Leider wurden mit der gesetzlichen Neuregelung die Schwierigkeiten des alten Rechts nur teilweise beseitigt.
a) Sperrtatbestände
[i]Schwellenwert auf 25.000 € abgesenktDie grundsätzliche Eintrittsschwelle für den Selbstanzeigezuschlag wurde in der Neufassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO von 50.000 € auf 25.000 € abgesenkt. Damit werden in Zukunft wesentlich mehr Fälle in den Anwendungsbereich der Regelung fallen. Zudem stellt sich mit Blick auf die Verwaltungspraxis der Finanzbehörden die Frage, ob 25.000 € als neue Aufgriffsgrenze für die steuerstrafrechtliche Prüfung von Korrekturen zu betrachten sein wird. Abgesehen davon, dass das Überschreiten S. 35absoluter Schwellenwerte für sich genommen kein Indikator für das Vorliegen einer Selbstanzeige gem. § 371 AO darstellen kann, ist unter praktischen Gesichtspunkten zu bezweifeln, dass die Straf- und Bußgeldsachenstellen über ausreichende personelle Kapazitäten verfügen, um jedwede Korrektur von mehr als 25.000 € sinnvoll zu überprüfen.
Neben dem Schwellenwert von mehr als 25.000 € kann ein Zuschlag gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO – ohne dass es auf das Überschreiten eines Schwellenwerts ankommt – festgesetzt werden, wenn ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AO vorliegt. Hervorzuheben ist, dass der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, d. h. die Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“, ausgeklammert wurde. Nach der Gesetzesbegründung rechtfertigt die besondere Strafwürdigkeit dieser Fälle eine Anwendung des § 398a AO (BT-Drucks. 18/3018 S. 12).
b) Gestaffelte Zuschlagsätze
[i]Zuschläge zwischen 10 % und 20 %Die nach altem Recht auf einen Absatz beschränkte Regelung wurde auf vier Absätze erweitert. Im neu gefassten § 398a Abs. 1 AO wird mit der Ersetzung des Begriffs „Täter“ durch „an der Tat Beteiligten“ erreicht, dass neben dem Täter auch gegenüber dem Gehilfen und dem Anstifter ein Zuschlag festgesetzt werden kann. Abgesehen von den deutlich erhöhten Zuschlagsätzen kann somit insbesondere für Unternehmen die in finanzieller Hinsicht prekäre Situation eintreten, dass neben mehrerer Tätern (z. B. bei mehrgliedriger Geschäftsführung) auch Gehilfen (z. B. der Leiter der Steuerabteilung, der unrichtige Steuererklärungen vorbereitet hat) einen Zuschlag zu entrichten haben, der für jeden Tatbeteiligten auf der Grundlage der (vollen) hinterzogenen Steuer zu berechnen ist. In Summe können somit Zuschläge anfallen, die gemessen an der Höhe der verkürzten Steuer völlig unverhältnismäßig sind.
Der bislang einheitliche Zuschlagsatz von 5 % wird in § 398a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c AO durch gestaffelte Zuschlagsätze ersetzt:
10 % bei Hinterziehungsbeträgen bis 100.000 €,
15 % bei Hinterziehungsbeträgen von mehr als 100.000 € bis 1 Mio. €,
20 % bei Hinterziehungsbeträgen von mehr als 1 Mio. €.
aa) Hinterziehungsbetrag versus hinterzogene Steuer
[i]Maßstab ist die einzelne TatFür die Ermittlung des Hinterziehungsbetrags ist aufgrund der Verweisung in § 398a Abs. 2 AO auf § 370 Abs. 4 AO jeweils auf die einzelne Tat im steuerstrafrechtlichen Sinne (definiert durch Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigen) und nicht etwa auf die im strafrechtlich verfolgbaren Zeitraum insgesamt hinterzogenen Steuern abzustellen. Dies ergibt sich unmittelbar daraus, dass Maßstab der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO die einzelne Tat ist. Für die Berechnung des Zuschlags ist die für die Vollständigkeit einer Selbstanzeige maßgebliche Frist von zehn Kalenderjahren ohne Bedeutung, da mit dieser keine Ausdehnung des strafrechtlich verfolgbaren Zeitraums verbunden ist und Rechtsfolge der Erfüllung der Bedingungen des § 398a AO ein Absehen von Strafverfolgung ist.
Eine Privatperson hinterzieht seit mehr als 20 Jahren jedes Jahr 50.000 € (Abwandlung 150.000 €) Einkommensteuer.
Auch wenn gem. § 371 Abs. 1 AO nunmehr vollständige Angaben für zehn Kalenderjahre zu machen sind, kann der Selbstanzeigezuschlag nur für den strafrechtlich noch verfolgbaren Zeitraum festgesetzt werden. Im Grundfall beträgt der Zuschlag in Summe 25.000 € (50.000 € • 10 % • 5 Jahre). Sollte die Abwandlung als besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 AO qualifizieren, beträgt der Zuschlag 225.000 € (150.000 € • 15 % • 10 Jahre).S. 36
Da für die alte Rechtslage [i]Folgerungen für die Rechtslage bis 31. 12. 2014umstritten war, ob bei der Bestimmung der „hinterzogenen Steuer“ i. S. des § 398a Nr. 2 AO a. F. das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zu berücksichtigen ist, hat sich der Gesetzgeber für die Bestimmung des „Hinterziehungsbetrags“ zu einer ausdrücklich als klarstellend bezeichneten gesetzlichen Definition in § 398a Abs. 2 AO entschlossen (BT-Drucks. 18/3018 S. 15). Danach ist für die Bestimmung des Hinterziehungsbetrags unerheblich, ob die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Dies soll insbesondere für eine danach nicht mögliche Saldierung von Umsatz- und Vorsteuer gelten.
bb) Bestimmung des anzuwendenden Prozentsatzes
Nach dem sehr klar gefassten gesetzlichen Wortlaut in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ist für die Bestimmung des Prozentsatzes von 10 %, 15 % oder 20 % auf den „Hinterziehungsbetrag“ gem. § 398a Abs. 2 AO abzustellen. Insoweit ist das Kompensationsverbot zu berücksichtigen. Anzuwenden ist der so ermittelte Prozentsatz auf die „hinterzogene Steuer“, d. h. auf den Steuerbetrag, der im Falle einer Verkürzung zu eigenen Gunsten gem. § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO effektiv nachzuzahlen ist. Auf diesen Betrag kann das Kompensationsverbot nach der klaren gesetzlichen Terminologie nicht angewendet werden (dazu Zipfel/Holzner, BB 2014 S. 2459, 2462 f.; a. A. Habammer/Pflaum, DStR 2014 S. 2267, 2270).
Ein Einzelunternehmer gibt vorsätzlich keine Umsatzsteuervoranmeldungen für 2015 ab. Im Rahmen der (vollständigen) Umsatzsteuerjahreserklärung 2015, die das Finanzamt als Selbstanzeige wertet, erklärt er Umsatzsteuer von 1 Mio. € und abziehbare Vorsteuer von 750.000 €. Die effektive Zahllast beträgt 250.000 €.
Für die Bestimmung des „Hinterziehungsbetrags“ ist gem. § 398a Abs. 2 AO das Kompensationsverbot anzuwenden. Da die Umsatzsteuer den Betrag von 1 Mio. € nicht übersteigt, jedoch größer als 100.000 € ist, beträgt der Zuschlagsatz gem. § 398a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 15 %. Dieser ist gem. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO auf die i. S. des § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO effektiv „hinterzogene Steuer“ von 250.000 € anzuwenden. Daraus resultiert ein Zuschlag von 37.500 € (250.000 € • 15 %).
Da es sich bei der Legaldefinition des Hinterziehungsbetrags in § 398a Abs. 2 AO nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich um eine klarstellende Ergänzung handelt (BT-Drucks. 18/3018 S. 15), gelten diese Grundsätze in gleicher Weise für die Anwendung des § 398a AO a. F. Diese Sichtweise ist keineswegs neu, sondern wurde im einschlägigen Schrifttum bereits zur alten Rechtslage seit Jahren vertreten (Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand 7/2012, § 398a Rn. 7; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 398a AO Rn. 8 ff.; Madauß, NZWiSt 2014 S. 21, 22). Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis dessen von einer klarstellenden Regelung spricht, muss davon ausgegangen werden, dass auch der Zuschlagsatz von 5 % gem. § 398a Nr. 2 AO a. F. nur auf den effektiv verkürzten Steuerbetrag anzuwenden ist.
c) Sonstige Aspekte
[i]Unklare AnfechtungsmöglichkeitIn den neu angefügten Absätzen 3 und 4 des § 398a AO wurden einzelne prozessuale Aspekte geregelt. Leider hat es der Gesetzgeber versäumt, eine ausdrückliche gesetzliche Rechtsbehelfsmöglichkeit einzuführen. Besteht über die zutreffende Berechnung des Zuschlags gem. § 398a AO Streit, steht dem betroffenen Täter oder Teilnehmer keine spezielle Anfechtungsmöglichkeit zur Verfügung. Sofern allgemeine strafprozessuale Regelungen keine entsprechende Anwendung finden (Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, S. 37Stand 7/2012, § 398a Rn. 16 f.), bleibt dem Betroffenen nur der Gang in die Hauptverhandlung.
In § 398a Abs. 3 AO wird klargestellt, dass ein nach einer (vermeintlich) wirksamen Selbstanzeige gem. § 371 AO eingestelltes Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen werden kann, wenn die Finanzbehörde nachträglich erkennt, dass die Angaben im Rahmen der Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren. Damit wird deutlich, dass mit der Zahlung des Zuschlags, anders als bei einer Einstellung gem. § 153a StPO, kein Strafklageverbrauch verbunden ist.
[i]Pauschalstrafe unabhängig von Verschulden?Wird ein nach § 398a AO eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen, ist gem. § 398a Abs. 4 AO eine Erstattung des Zuschlags gesetzlich ausgeschlossen. Der gezahlte Betrag kann lediglich auf eine (daraufhin) verhängte Geldstrafe angerechnet werden. Die Regelung ist konzeptionell verunglückt und erscheint verfassungsrechtlich bedenklich. Nur für den Fall, dass eine verhängte Geldstrafe (zufällig) dem gezahlten Zuschlag entspricht, hat der Ausschluss der Erstattung keine negativen Konsequenzen für den Betroffenen. Fällt indessen eine verhängte Geldstrafe niedriger aus, wird das Verfahren gem. § 153a StPO eingestellt oder gar auf eine Freiheitsstrafe erkannt, resultiert aus dem ganz oder teilweise nicht erstatteten Zuschlag gem. § 398a AO eine ohne Berücksichtigung der individuellen Schuld bemessene Pauschalstrafe. Für diese wird nach der Konzeption des Gesetzes nicht einmal ein spezieller und ausdrücklich normierter Rechtsbehelf angeboten.
5. Sonderregelungen für die Umsatz- und Lohnsteuer
Für die Beratungspraxis erfreuliche Erleichterungen wurden in § 371 Abs. 2a AO für Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen sowie mit gewissen Einschränkungen für Umsatzsteuerjahreserklärungen eingeführt.
a) Hintergrund
[i]Privilegierungen für USt- und LSt-AnmeldungenMit der Neuregelung wird ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/3018 S. 13) der Rechtsstand vor Ergehen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vom wieder hergestellt. Nach altem Recht unterlagen verspätete Abgaben oder Korrekturen von Umsatzsteuervor- oder Lohnsteueranmeldungen, die an den Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO zu messen waren, dem strengen [i]NWB 50/2012 S. 4045Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO. Durch eine zwischenzeitlich geänderte Verwaltungsregelung (Nr. 132 Abs. 2 AStBV [St] vom , BStBl 2013 I S. 1394) konnte in diesem Bereich insbesondere wegen der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „kurzfristig“ bzw. „geringfügig“ keine ausreichende Rechtssicherheit gewonnen werden. Für Anmeldesteuern sind in besonderem Maße strukturelle Erleichterungen notwendig, da unter den Bedingungen des Massenverfahrens eine Vielzahl von steuerlich relevanten Sachverhalten in kurzen Zeitperioden, in der Regel monatlich, zutreffend steuerlich gewürdigt und den Finanzbehörden mitgeteilt werden müssen. Hinzu kommt, dass in die entsprechenden Steuerprozesse in Unternehmen über die Steuerabteilung hinaus weitere Abteilungen eingebunden sind (Einkauf, Vertrieb, Personal etc.), womit die Wahrscheinlichkeit korrekturbedürftiger Einzelsachverhalte tendenziell steigt.
b) Steueranmeldungen
[i]Wirkung einer Teil-SelbstanzeigeNach der Regelungstechnik des § 371 Abs. 2a Satz 1 und 2 AO unterliegt die verspätete Abgabe oder die Korrektur einer Umsatzsteuervor- oder Lohnsteueranmeldung unter dem Blickwinkel einer Selbstanzeige nicht mehr dem strengen Vollständigkeitsgebot gem. § 371 Abs. 1 AO und der Zuschlagregelung des § 398a AO, falls der Schwellenwert von mehr als 25.000 € gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO überschritten werden sollte. Von S. 38einer Anwendung ebenfalls ausgeschlossen ist gem. § 371 Abs. 2a Satz 2 AO der Sperrgrund der Tatentdeckung gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, soweit eine Tatentdeckung aus der verspäteten Abgabe oder Korrektur der Steueranmeldung abgeleitet werden könnte. Eine Tatentdeckung aus anderen Gründen, z. B. aufgrund von Kontrollmaterial, ist allerdings ebenso möglich wie die Anwendung der Zuschlagregelung gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, § 398a AO bei Vorliegen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung in den Fällen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AO (unter Ausklammerung der Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“).
Im Ergebnis wird eine verspätete Abgabe oder eine Korrektur von Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen unter einem steuerstrafrechtlichen Blickwinkel – der in der Praxis nur in den wenigsten Fällen vorliegen dürfte – im Umfang der Abgabe oder Korrektur als wirksame Teilselbstanzeige behandelt. Leider konnte sich der Gesetzgeber trotz einer strukturell vergleichbaren Problemlage nicht dazu durchringen, die Erleichterungen auf weitere Anmeldesteuern auszudehnen (KESt, VersSt, LuftVSt etc.).
c) Jahreserklärungen
[i]Eingeschränkte Privilegierung für JahreserklärungenDie Erleichterungen für Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen gem. § 371 Abs. 2a Satz 1 und 2 AO gelten nach der Ausnahmeregelung in § 371 Abs. 2a Satz 3 und 4 AO nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen. Diese unterliegen hinsichtlich der Vollständigkeit grds. den allgemeinen Regeln des § 371 Abs. 1 AO mit der Ausnahme, dass die dem Kalenderjahr nachfolgenden „Voranmeldungen“ ausgeblendet werden. Praktische Relevanz gewinnt diese Regelung insbesondere für die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Wird z. B. die Umsatzsteuerjahreserklärung 2015 (die in 2016 abgegeben wird) als Selbstanzeige gem. § 371 AO gewertet, müssen unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit nicht zugleich die laufenden ggf. korrekturbedürftigen Voranmeldungen des Jahres 2016 mitberichtigt werden. Die nur eingeschränkte Privilegierung der Umsatzsteuerjahreserklärung ist nicht überzeugend. Es handelt sich bei dieser gem. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG ebenfalls um eine Voranmeldung, mit der in der Praxis häufig aus der Aufstellung des Jahresabschlusses resultierende Änderungen im Sinne einer „13. Voranmeldung“ vorgenommen werden. Nachvollziehbare Gründe für eine Differenzierung zwischen Voranmeldungen und einer Jahreserklärung bestehen somit nicht.
d) Zeitliche Anwendung
[i]Anwendung auf Fälle des Jahres 2014?Nach der Konzeption der Anwendungsregelung in Art. 3 des AO-Änderungsgesetzes und ausweislich des Berichts des Finanzausschusses des Bundestags (dazu oben I, 1) sind die Erleichterungen des § 371 Abs. 2a AO ebenfalls auf vor dem verwirklichte Sachverhalte anwendbar, über deren steuerstrafrechtliche Würdigung erst in 2015 abschließend entschieden wird. Gleiches muss für Sachverhalte gelten, die erst in 2015 verwirklicht werden, jedoch steuerlich relevante Sachverhalte vor dem (wie z. B. in 2015 vorgenommene Korrekturen von Voranmeldungen des Jahres 2014) betreffen.
6. Zahlung von Hinterziehungszinsen
[i]Erweiterte ZahlungsvoraussetzungenNach altem Recht konnte eine vollständige und wirksame Selbstanzeige nur dann zur Straffreiheit führen, wenn der Täter oder Teilnehmer gem. § 371 Abs. 3 AO die zu seinen Gunsten hinterzogene Steuer innerhalb angemessener Frist nachzahlte. Unbeschadet dessen musste ggf. ein Selbstanzeigezuschlag gem. § 398a AO entrichtet werden.
Nach neuem Recht müssen darüber hinaus auch Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO sowie ggf. auf Hinterziehungszinsen angerechnete Zinsen gem. § 233a AO entrichtet werden, um Straffreiheit zu erlangen. An der grundsätzlichen Konzeption, dass sich die Verpflichtung zur Nachzahlung der zu eigenen Gunsten verkürzten Steuern und S. 39nunmehr auch der Hinterziehungszinsen auf die „Tat“ i. S. des § 370 AO bezieht, ändert sich mit der Neufassung des § 371 Abs. 3 AO nichts. Die insoweit „strenge“ Nachzahlungspflicht beschränkt sich in zeitlicher Hinsicht nur auf die strafrechtlich verfolgbaren Zeiträume gem. § 78 StGB, § 376 AO von fünf bzw. zehn Jahren. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die in der Gesetzesbegründung als „fiktive Frist“ bezeichnete Mindestfrist von zehn Kalenderjahren gem. § 371 Abs. 1 AO (BT-Drucks. 18/3018 S. 10).
Die Änderungen bei § 371 Abs. 3 AO werden in der Praxis der Finanzbehörden zu einer Verlängerung der Ermittlungsverfahren führen, weil Bescheide über Hinterziehungszinsen erst im Anschluss an die Steuernachzahlung ergehen und daher nicht zusammen mit den Änderungsbescheiden in einem automatisierten Verfahren erlassen werden können.
II. Steuerliche Anlaufhemmung für „Steuern auf Kapitalerträge“
[i]Unklare Regelung zur AnlaufhemmungNeben einer Verschärfung der Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO wurde flankierend in § 170 Abs. 6 AO eine neue Anlaufhemmung für „Steuern, die auf Kapitalerträge“ entfallen, geschaffen. Zudem wurden redaktionelle Änderungen bei § 164 Abs. 4 AO vorgenommen. Nach der Gesetzesbegründung soll damit insbesondere bei im Ausland versteckten Kapitalvermögen eine nachträgliche Steuerfestsetzung erreicht werden (BT-Drucks. 18/3018 S. 10).
Die steuerliche Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 6 AO beginnt frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Finanzbehörde von den Kapitalerträgen Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres der Steuerentstehung. Die besondere Anlaufhemmung greift nur, wenn die Kapitalerträge aus Staaten oder Territorien „stammen“, die nicht EU- oder EFTA-Mitglieder sind und keinem automatischen zwischenstaatlichen Auskunftsaustausch unterliegen.
Mit der neu eingeführten Anlaufhemmung, die aus deutscher Perspektive die klassischen Hinterziehungsdestinationen Liechtenstein, Schweiz, Luxemburg und Österreich wegen des Abstellens auf die EU- oder EFTA-Mitgliedschaft nicht betrifft, soll die steuerliche Festsetzungsfrist im Ergebnis auf bis zu 20 Jahre ausgedehnt werden können. Angesichts unklarer Rechtsbegriffe („Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt“, „stammen“), die auch durch den Bericht des Finanzausschusses des Bundestags vom (BT-Drucks. 18/3439 S. 6) nicht vollständig beseitigt wurden, erscheint die Regelung handwerklich verunglückt. Selbst von Vertretern der Finanzverwaltung wird die Norm als in wesentlicher Hinsicht unklar und letztlich auch nicht praktikabel kommentiert (Habammer/Pflaum, DStR 2014 S. 2267, 2271).
Aufgrund der speziellen Anwendungsregelung in Art. 2 des AO-Änderungsgesetzes gilt die Regelung für alle „nach dem beginnenden Festsetzungsfristen“. Da das Gesetz nach Art. 3 jedoch generell erst am in Kraft tritt, kann die neue Anlaufhemmung erstmals mit Ablauf des Kalenderjahres 2015 praktische Wirkung entfalten.
Mit der zum in Kraft getretenen Neuregelung hat der Gesetzgeber sehr intensiv in die gesetzliche Systematik der strafbefreienden Selbstanzeige eingegriffen und im Ergebnis gewollt eine „deutliche“ Verschärfung der Rahmenbedingungen bewirkt (BT-Drucks. 18/3018 S. 8). Als wesentliche Punkte hervorzuheben sind die neue Mindestfrist für die Vollständigkeit einer Selbstanzeige von zehn Kalenderjahren in § 371 Abs. 1 AO sowie die Regelungen zum sog. Selbstanzeigezuschlag in den § 371 S. 40Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Nr. 4, § 398a AO. Aus Sicht der Praxis dringend gebotene Erleichterungen wurden für die Abgabe und Korrektur von Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen eingeführt. Leider konnte sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen, den Anwendungsbereich auf weitere Anmeldesteuern auszudehnen und die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige auch für die Umsatzsteuerjahreserklärung vorzusehen. Als weitere Privilegierung wurde die Reichweite der Sperrgründe „Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung“ sowie „Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung“ auf den Umfang der geprüften Steuerarten und Zeiträume beschränkt. Damit wird die strafbefreiende Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO anschlussgeprüften Unternehmen in Teilbereichen wieder zugänglich gemacht. Die Mindestfrist von zehn Kalenderjahren stellt sowohl die Berater als auch die Finanzverwaltung vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite besteht naturgemäß die Schwierigkeit, für länger zurückliegende Zeiträume die Besteuerungsgrundlagen vollständig aufzuarbeiten. Auf der anderen Seite sind die Straf- und Bußgeldsachenstellen nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, unter Einsatz entsprechender personeller Ressourcen die Mindestfrist von zehn Kalenderjahren im Detail zu prüfen. Die vom Gesetzgeber postulierte Arbeitserleichterung für die Finanzverwaltung wird sich daher nicht einstellen. Der deutlich gestiegene Selbstanzeigezuschlag bei einer herabgesetzten Eintrittsschwelle von mehr als 25.000 € führt insbesondere in Konstellationen, wo mehrere Täter oder Teilnehmer in einer strafrechtlichen Verantwortung stehen, zu einer nicht mehr verhältnismäßigen finanziellen Belastung der Selbstanzeige. Auch wird die Praxis zeigen müssen, ob sich die Schwelle von „mehr als 25.000 €“ als neue Aufgriffsgrenze der Finanzverwaltung herausbildet. Die erfreulichen und aus Sicht der Unternehmen gebotenen partiellen Erleichterungen werden durch Verschärfungen des Gesetzes im Übrigen deutlich überkompensiert. Es ist bedauerlich, dass sich der grundlegende Strukturfehler des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vom erneut wiederholt hat. Obwohl der Gesetzgeber primär auf ausländische Schwarzgeldkonten in privater Hand zielte, steigen die steuerstrafrechtlichen Risiken für Unternehmen signifikant. Für Ersteres gibt es gute Gründe, für Letzteres leider nicht.
Fundstelle(n):
NWB 2015 Seite 29 - 40
CAAAE-81947