Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit einer früheren Organgesellschaft als Voraussetzung für eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs der Organgesellschaft im Umsatzsteuerbescheid des Organträgers
Leitsatz
1. Allein die Stellung eines Insolvenzantrags ist noch nicht Anlass für die Annahme von Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Allerdings kann auch schon vorher die Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige zahlungsunfähig ist.
2. Nach der insolvenzrechtlichen Rspr. liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, was i. d. R. dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Dabei ist eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten regelmäßig unschädlich, es sei denn, es ist abzusehen, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Zur Feststellung dieser Kriterien ist ein Finanzplan aufzustellen, wobei gestundete Verbindlichkeiten außer Betracht bleiben.
3. Eine Zahlungseinstellung i. S. d. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO wird bejaht, wenn sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Der Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, wenn diese für mehr als einen Monat nicht gezahlt wurden.
4. Weitere Anzeichen für eine Zahlungseinstellung sind die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, Betriebssteuern, Energiekosten, die häufige Hinnahme von Pfändungen oder Wechselprotesten sowie die Aufnahme von Sanierungsbemühungen. Für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Zahlungsstockung und der Zahlungseinstellung ist wesentlich, dass die Fälligkeitstermine grundsätzlich nicht um mehr als zwei bis drei Wochen überschritten werden, weil innerhalb dieser Frist üblicherweise ein zahlungsfähiger Unternehmer die nötigen Fremdmittel mobilisieren kann.
5. Auch bei zahlungsfähigen Schuldnern ist ein Entgelt i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann. Insoweit ist ein Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, als Indiz für eine Uneinbringlichkeit anzusehen (Anschluss an FG Brandenburg .m , 1 K 2448/02); darauf, ob und inwieweit die Zahlungsverzögerungen auf Sicherungseinbehalten beruhten, kommt es nicht an.
Gesetze: UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1, UStG § 17 Abs. 1, UStG § 2 Abs. 2, InsO § 17 Abs. 2 S. 1, InsO § 17 Abs. 2 S. 2
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob während des Bestehens einer umsatzsteuerlichen Organschaft Vorsteuer einer Organgesellschaft gemäß § 17 Umsatzsteuergesetz – UStG – zu berichtigen ist.
Die Klägerin ist eine Handelsgesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter die B. GmbH als Komplementärin und die Herren C. mit einer anteiligen Einlage von 51 % und D. mit einer anteiligen Einlage von 49 % als Kommanditisten waren. C. und D. waren allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer der B. GmbH.
Bereits seit dem bestand eine E. GmbH, deren allein vertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführer C. (mit einer anteiligen Einlage von 51 %) und D. (mit einer anteiligen Einlage von 49 %) waren. Diese betrieb die Planung, Konstruktion, Entwicklung, Berechnung sowie die Herstellung und Montage von Metallkonstruktionen sowie den Handel mit den dazu gehörenden Gegenständen.
Aufgrund eines Kaufvertrags vom erwarb die Klägerin das Grundstück F.-Str. in G., das sie an die E. GmbH vermietete.
Am änderte die Gesellschafterversammlung der Klägerin deren Gesellschaftsvertrag dahingehend, dass nunmehr Beschlüsse der Einstimmigkeit bedürfen. Mit Vertrag vom und schuldrechtlicher Wirkung mit Ablauf des erwarb die H. GmbH den Kommanditanteil des D. in der Weise, dass D. den Anteil ab dem treuhänderisch für die H. GmbH hielt (s. VertragsA). Gesellschafter der H. GmbH war die I. GmbH, ab die J. GmbH. Geschäftsführer war zwischenzeitlich ein im Handelsregister nicht eingetragener Geschäftsführer namens K., später ein Herr L. K. wurde auch bei der B. GmbH am anstelle von C. und D. als Geschäftsführer bestellt (Bl. 19 Rechtsbhelfsakte – RbA – I, am eingetragen).
Am kündigte der Geschäftsführer der E. GmbH auf einer Betriebsversammlung an, dass wegen verzögerter Bauausführungen bei verschiedenen Projekten die Löhne der sog. gewerblichen Arbeitnehmer nicht fristgerecht zum gezahlt werden könnten. Diese sollten aus einem beantragten Kredit gezahlt werden. Am bat die E. GmbH die Krankenkassen ihrer Arbeitnehmer, von der Abbuchung der September- und Oktoberbeiträge bis zum Ende der 42. Kalenderwoche (deren Freitag war der ) Abstand zu nehmen. Dem kamen die Krankenkassen nach. Am wurde die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.
Aus der nachfolgenden Aufstellung ergibt sich, in welcher Größenordnung die Fälligkeit der im Regelbesteuerungsverfahren (kein § 13b UStG) vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten am und zurücklag (unter Einbeziehung von Gewährleistungseinbehalten):
Tabelle in neuem Fenster öffnen
fällig länger 6 Monate | 6.683,40 EUR | 1,23% | 11.964,10 EUR | 2,20% |
fällig länger 3 Monate | 16.189,83 EUR | 2,99% | 47.159,06 EUR | 8,67% |
fällig länger 1 Monat | 296.494,98 EUR | 54,73% | 318.884,08 EUR | 58,65% |
fällig kleiner 1 Monat | 222.351,43 EUR | 41,05% | 165.732,56 EUR | 30,48% |
541.719,64 EUR | 543.739,80 EUR |
Wegen der weiteren Einzelbeträge nimmt das Gericht auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom übersandten Tabellen (Bl. 77 ff. Gerichtsakte – GA –) Bezug.
Am stellte die E. GmbH einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in dem C. und D. angaben, dass die E. GmbH bei einem Großvorhaben unvergütete Ersatzmaßnahmen habe durchführen müssen, die zu einem weitgehenden Umsatzausfall in den Monaten August und September 2006 geführt hätten. Gleichwohl seien für Folgeaufträge Materialien bestellt und geliefert worden. Dies habe dazu geführt, dass die Ausgaben die Einnahmen bei Weitem überstiegen und dass bei der E. GmbH die Zahlungsunfähigkeit drohe. Ebenfalls am ordnete das Amtsgericht G. die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Wegen des Inhalts des Insolvenzgutachtens nimmt das Gericht auf Bl. 36 ff GA Bezug. Am eröffnete das AG G. das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH, das am nach Vornahme der Schlussverteilung aufgehoben wurde.
Die Beteiligten gingen (ausgehend von Abschn. 21 Abs. 4 Satz 5 Umsatzsteuer-Richtlinien – UStR – 2005) übereinstimmend davon aus, dass die E. GmbH vom bis zum Organgesellschaft der Klägerin war. Im Wege einer konkludenten Billigkeitsregelung gemäß § 163 Abgabenordnung – AO – werden die Grundsätze des Abschn. 21 Abs. 4 Satz 5 UStR ungeachtet der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung (vgl. insbesondere Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom XI R 43/08, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 232, 550, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2011, 600) und Verwaltungsanweisungen ( BStBl I 2011, 507) auf den Streitfall angewendet (vgl. die Verfügung des Vorsitzenden vom und die darauf erfolgten Äußerungen der Beteiligten vom und ).
Im Jahre 2007 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Umsatzsteuersonderprüfung durch, die u.a. das Streitjahr umfasste. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass die von der E. GmbH laut einer Offenen-Posten-Liste auf den nicht bezahlten Eingangsrechnungen Anlass zu einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 UStG in Höhe von 81.085,89 EUR gäben.
Davon ausgehend erließ der Beklagte am einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid September 2006, gegen den die Klägerin zunächst Einspruch und sodann beim erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 7 K 7313/08 Untätigkeitsklage erhob. Während des Klageverfahrens stimmte der Beklagte am der (ohne die Berücksichtigung des streitigen Berichtigungsbetrags erstellten) Umsatzsteuererklärung 2006 zu, worauf die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärten.
Am erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2006, mit dem die Jahresfestsetzung dem Ergebnis der UmsatzsteuerSonderprüfung angepasst (Minderung der Vorsteuer um 81.058,33 EUR) und die Umsatzsteuer auf -10.979,13 EUR festgesetzt wurde. Dagegen legte die Klägerin am Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückwies.
Darauf hat die Klägerin am Klage erhoben.
Sie macht geltend, der Beklagte habe ihre Vorsteuer zu Unrecht nach § 17 UStG berichtigt. Die E. GmbH habe in den Monaten Juni 2006 bis September 2006 monatlich zwischen 191.196,51 EUR und 328.566,11 EUR getilgt (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 6 der Klageschrift, Bl. 15 GA) und habe noch am eine Zusage für eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 150.000,– EUR erhalten. Sie sei daher nicht zahlungsunfähig gewesen. Nach einer Zwischenbilanz auf den (Bl. 58 ff. GA 7 K 7313/08) sei die E. GmbH auch nicht überschuldet gewesen. Der Anstieg der Verbindlichkeiten sei darauf zurückzuführen gewesen, dass die E. GmbH seit 2004 durch einen Zuwachs an Mitarbeitern und Umsätzen gewachsen sei. Es habe nur eine gewisse finanzielle Enge bestanden, die aber aufgrund von Stundungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern und Krankenkassen nicht mit einer Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen sei. Nach dem seinerzeit erstellten Finanzplan habe die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit erst für einen Zeitpunkt nach dem bestanden. Erst durch die Verzögerung verschiedener anderer Baumaßnahmen wegen verzögerter Bereitstellung von Vorgewerken habe sich eine Finanzlücke aufgetan, die auch durch die beantragten Kredite nicht habe geschlossen werden können. Jedenfalls habe die Bank den Kreditantrag nur schleppend bearbeitet, so dass zum Ende der 42. Kalenderwoche keine Auszahlung des Kredits zu erwarten gewesen sei. Eine Tilgung der dann fälligen Sozialversicherungsbeiträge und Löhne sei ohne den Kredit nicht möglich gewesen. Daher sei – mutmaßlich in der Arbeitswoche vor dem – die Entscheidung gefallen, wegen drohender Zahlungsunfähigkeit den Insolvenzantrag zu stellen. Damit habe die Geschäftsführung der E. GmbH das Ziel verfolgt, sich vor strafrechtlichen Risiken abzusichern. Der Kreditantrag habe weiterhin verfolgt werden sollen. Erst durch weitere Verzögerungen, insbesondere bei dem Projekt X., habe bei Erstellung des Insolvenzgutachtens festgestanden, dass eine Fortführung des Unternehmens aussichtslos gewesen sei. Schon seit August 2006 seien Gespräche mit Investoren über einen Einstieg in die Unternehmensgruppe der Klägerin geführt worden, u.a. weil D. schon damals mittelfristig aus dem Unternehmen ausscheiden wollte, um attraktiven Angeboten aus dem Ausland nachzugehen. Dies habe er nach dem Streitjahr umgesetzt und sich für einige Jahre in Dubai beruflich und familiär ansässig gemacht. Mit dem Einstieg der H. GmbH sei mangels personeller Verflechtung die umsatzsteuerliche Organschaft zum weggefallen.
Die Klägerin beantragt,
abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2006 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom die Umsatzsteuer (gemindert um 81.058,33 EUR) auf -92.037,46 EUR festzusetzen,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unbegründet. Anlass für eine Berichtigung gemäß § 17 UStG bestehe nicht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits dann, wenn sich aus den Gesamtumständen ergebe, dass der Steuerpflichtige seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht mehr nachkommen könne oder werde. Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen werde deutlich, dass die E. GmbH bereits seit Juli oder August 2006 als zahlungsunfähig anzusehen gewesen sei. Die Verbindlichkeiten ab Juli 2006 hätten monatlich 172.500,20 EUR und mehr betragen. Es sei davon auszugehen, dass Löhne und Gehälter seit Juli/August 2006 rückständig gewesen seien. Ferner hätten öffentliche Abgaben in Höhe von mehr als 100.000,– EUR zum Soll gestanden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Daher habe der leistende Unternehmer bereits im September 2006 nicht mehr davon ausgehen können, seine Entgeltforderung durchzusetzen. Dem stehe das Bürgschaftsangebot nicht entgegen, da es zu keiner Ausreichung von Kreditmitteln gekommen sei. Da die wesentliche Insolvenzursache – die unbezahlten Ersatzmaßnahmen und der damit einhergehende Umsatzausfall in den Monaten Juli und August 2006 – bereits vor dem gesetzt worden war, gelte dies auch für die Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 UStG. Dem entsprechend sei die Berichtigung noch vor der Beendigung der Organschaft zum vorzunehmen gewesen und anzunehmen, dass die personellen Veränderungen in der Unternehmensgruppe vorgenommen wurden, um die umsatzsteuerliche Organschaft zu beenden.
Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 7 K 7313/08 sowie zwei Bände Rechtsbehelfsakten, je ein Band Umsatzsteuer-, Umsatzsteuer-Voranmeldungs-, Umsatzsteuersonderprüfungs-, Bilanz- und Vertragsakten, ferner eine Heftung Prüferhandakten, die vom Beklagten für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden, vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
Die Klägerin wird i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – insoweit in ihren Rechten verletzt, als der Beklagte Vorsteuer in Höhe von mehr als 1.914,26 EUR gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berichtigt hat.
I. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass die E. GmbH im Streitjahr bis zum Organgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 UStG der Klägerin war. Die möglicherweise fehlende finanzielle Verflechtung ist unerheblich, weil nach der gemäß § 163 AO ergangenen Billigkeitsregelung die Gesellschafteridentität insoweit für das Gericht bindend als ausreichend anzusehen ist. Diese Organschaft entfiel ab dem , weil es jedenfalls an der erforderlichen personellen Verflechtung fehlte, nachdem K. zum Geschäftsführer der B. GmbH, jedoch nicht der E. GmbH bestellt worden war. Für eingehende Weisungsrechte der Klägerin oder der B. GmbH gegenüber C. und D. in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der E. GmbH ist nichts ersichtlich. Ferner stellt das Unterschreiben von Steuererklärungen für zurückliegende Jahre noch keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür dar, dass anstelle des K. der C. der faktische Geschäftsführer der B. GmbH war.
II. 1. Schließlich gehen die Beteiligten zu Recht davon aus, dass eine nach dem eintretende Uneinbringlichkeit von Entgelten i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht auf den Zeitraum der Organschaft zurückwirkt ( BFHE 216, 375, BStBl II 2007, 848).
Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass sämtliche zum fälligen vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich waren. Dieses lässt sich nur für die Verbindlichkeiten feststellen, die länger als 6 Monate fällig waren (11.964,10 EUR).
Nach ständiger Rechtsprechung wird ein Entgelt i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (z.B. BFH/NV 2009, 974; Urteil vom V R 31/12 Deutsches Steuerrecht – DStR – 2014, 262).
2. Letzteres wird seit jeher bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bejaht, seit jüngerer Zeit aber auch dann, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und (gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Insolvenzordnung – InsO –) ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt oder allgemein angeordnet wird, dass die Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind (, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; vom V R 32/13, BFHE 246, 264, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2014, 986; vom V R 48/13, DStR 2014, 2452). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass der Gläubiger aufgrund der insolvenzrechtlichen Regelungen nicht in der Lage ist, seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner zwangsweise durchzusetzen.
Andererseits geht der BFH davon aus, dass allein die Stellung eines Insolvenzantrags noch nicht Anlass für die Annahme von Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist (, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; ebenso Bundesgerichtshof – BGH –, Urteil vom IX ZR 81/06, UR 2007, 742). Denn der Eröffnungsantrag kann abgelehnt werden. Allerdings kann auch schon vor den genannten Zeitpunkten die Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige zahlungsunfähig ist (, BFHE 242, 433, DStR 2013, 1883; , UR 2007, 742), was sich nach außen jedenfalls in einer Zahlungseinstellung manifestiert (, UR 2007, 742).
3. Nach der insolvenzrechtlichen Regelung und Rechtsprechung liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO), was in der Regel dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dabei ist eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten regelmäßig unschädlich, es sei denn, es ist abzusehen, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird (Eilenberger in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung – MünchKomm-InsO –, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 18a m.w.N.). Zur Feststellung dieser Kriterien ist regelmäßig ein Finanzplan aufzustellen (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 10 ff. m.w.N.). Gestundete Verbindlichkeiten bleiben dabei außer Betracht (, GmbH-Rundschau – GmbHR – 2013, 482). Eine Zahlungseinstellung i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO wird bejaht, wenn sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (, Der Betrieb – DB – 2006, 2683; Beschluss vom II ZR 54/12 GmbHR 2013, 482; Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 27a m.w.N.). Der Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu (, DB 2006, 2683), jedenfalls wenn diese für mehr als einen Monat nicht gezahlt wurden (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 29 m.w.N.). Weitere Anzeichen sind die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, Betriebssteuern, Energiekosten, die häufige Hinnahme von Pfändungen oder Wechselprotesten, die Aufnahme von Sanierungsbemühungen (Eilenberger in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 Rn 29). Für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Zahlungsstockung und der Zahlungseinstellung ist wesentlich, dass die Fälligkeitstermine grundsätzlich nicht um mehr als zwei bis drei Wochen überschritten werden, weil innerhalb dieser Frist üblicherweise ein zahlungsfähiger Unternehmer die nötigen Fremdmittel mobilisieren kann (Drukarczyk in MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 18 Rn 63).
4. Ausgehend von diesen Kriterien ergibt sich für den Streitfall, dass vor dem kein Insolvenzantrag gestellt und dem entsprechend weder das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH eröffnet, noch ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde. Auch von einer (allgemeinen) Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH bis zum kann nicht ausgegangen werden. Allerdings liegt kein umfassender Finanzplan vor, aus dem die Liquiditätssituation der E. GmbH ablesbar wäre. Eine nachträgliche Erstellung dürfte ausscheiden, da vermutlich im Zuge der Insolvenz keine geordnete Buchführung für den September 2006 erstellt wurde. Zudem ist inzwischen das Insolvenzverfahren der E. GmbH beendet, so dass auch keine Insolvenzverwaltung mehr besteht, die möglicherweise noch Zugriff auf Buchungsunterlagen hätte. Ohnehin sieht das Gericht es als zweifelhaft an, dass ein aus einem Finanzplan abgeleitete Übersicht über die Liquiditätslage eines Unternehmers für die Zwecke und Anwendungsbereiche des § 17 UStG für die Beurteilung der Uneinbringlichkeit geeignet wäre. Denn der damit verbundene Aufwand geht weit über das hinaus, was im steuerlichen Massenverfahren geleistet werden könnte. Hinzu kommt, dass die Uneinbringlichkeit von Verbindlichkeiten auch aus der Perspektive des Leistenden und des für ihn zuständigen Finanzamts beurteilt werden muss, wobei idealtypisch die gleichen Ergebnisse wie aus der Sicht der Leistungsempfängers erzielt werden sollten (Senatsurteil vom 7 K 7337/12, EFG 2014, 1427, Revision anhängig unter dem Az. XI R 21/14). Der Leistende und das für ihn zuständige Finanzamt haben in der Regel keinen Zugriff auf Buchhaltungsunterlagen des Leistungsempfängers.
Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Zahlungseinstellung i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dabei ist allerdings dem Beklagten einzuräumen, dass nach der Aufstellung der Klägerin in der Klageschrift (Seite 6 = Bl. 15 Gerichtsakte) der Zuwachs an Verbindlichkeiten in den Monaten August und September 2006 (728.358,73 EUR) die Tilgung von Verbindlichkeiten im gleichen Zeitraum (571.695,12 EUR) um 156.663,61 EUR übersteigt. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht feststeht, dass diese Verbindlichkeiten in vollem Umfang sofort fällig waren. Ferner zeigt der Vergleich der Aufstellungen über die Struktur der Fälligkeiten zum / (allerdings begrenzt auf die vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten, die der Regelbesteuerung unterlagen; Schriftsatz der Klägerin vom , Bl. 77 ff. GA), dass sich die Fälligkeitsdauer nicht signifikant erhöht hat. Lediglich um ca 11 Prozentpunkte hat sich der Anteil der länger als 1 Monat fälligen Verbindlichkeiten erhöht. Dies deutet darauf hin, dass es bei der E. GmbH (eventuell auch in der gesamten Branche) üblich war, den überwiegenden Teil der Lieferantenverbindlichkeiten erst mehr als einen Monat (aber nicht später als drei Monate) nach Fälligkeit zu zahlen.
Die übrigen von der Zivilrechtsprechung und insolvenzrechtlichen Literatur entwickelten Kriterien für das Vorliegen einer Zahlungseinstellung lassen sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen. Zwar hat die E. GmbH die im September 2006 fällig gewordenen Löhne und Sozialversicherungsbeiträge nicht bzw. nicht vollständig gezahlt, jedoch spricht die Aktenlage dafür, dass insoweit Stundungen vorlagen oder jedenfalls geduldete Überschreitungen des Zahlungsziels. Denn den gewerblichen Arbeitnehmern wurde die Nichtzahlung der Löhne in der Betriebsversammlung vom angekündigt, worauf nach Aktenlage keine Zahlungsklagen erhoben wurden. Auch ist nicht ersichtlich, dass Arbeitnehmer die Zahlungsverzögerung/-einstellung zum Anlass genommen haben, ihre Arbeitsleistung zurückzuhalten. Ausweislich des Insolvenzgutachtens sind Kündigungen erst zum erfolgt. Ferner haben die Sozialversicherungen von den ihnen nach Aktenlage erteilten Einzugsermächtigungen keinen Gebrauch gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass stattdessen Vollstreckungsmaßnahmen gegen die E. GmbH ausgebracht wurden, sind nicht ersichtlich. Schließlich sind die Personalaufwendungen der E. GmbH immerhin noch teilweise (für Angestellte und Anfang Oktober 2006 in Höhe der Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge) getilgt worden. Dass bereits im September 2006 Betriebssteuern rückständig waren, hat der Beklagte, dem entsprechende Erkenntnisse vorliegen müssten, nicht vorgetragen. Auch für die anderen, in der Literatur genannten Verbindlichkeiten (Versicherungen, Energiekosten usw.) ist keine Zahlungseinstellung ersichtlich. Hinzu kommt, dass bei den in der zweiten Septemberhälfte fällig gewordenen Verbindlichkeiten die o.g. Frist von zwei bis drei Wochen am noch nicht überschritten war.
Es liegen auch keine ausreichenden Erkenntnisse dafür vor, dass von vornherein eine Schließung der Liquiditätslücke ausgeschlossen war. Dagegen spricht schon die noch am erteilte Bürgschaftszusage. Ein darauf gestützter Kreditantrag wurde vor der Insolvenzantragstellung nicht abgelehnt. Dass zum noch keine Kreditzusage vorlag, entsprach den üblichen Abläufen im Kreditgeschäft, die eine Prüfung durch mehrere Entscheidungsträger vorsehen. Schließlich hat der Insolvenzverwalter nach dem Insolvenzgutachten (s. Abschn. C. der Vermögensübersicht – Insolvenzspezifische Ansprüche, Bl. 50 GA) keine Rechtshandlungen ausgemacht, die nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar gewesen wären (vgl. Nieuwenhuis in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 17 Rn 139). Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.
Alles in allem bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach den zum gegebenen Umständen die Gläubiger der vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten der E. GmbH damit rechnen mussten, ihre Forderungen (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit tatsächlich nicht durchsetzen zu können. Insbesondere im Hinblick auf die Bürgschaftszusage vom war eine Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH zum noch nicht feststellbar.
5. Darüber hinaus ist auch bei zahlungsfähigen Schuldnern nach ständiger Rechtsprechung ein Entgelt i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann ( BFHE 243, 451, DStR 2014, 262). Das , juris) hat insoweit ein Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, als Indiz für eine Uneinbringlichkeit angesehen. Dem folgt der erkennende Senat. Ausgehend davon ist die Vorsteuer aus 11.964,10 EUR (= 1.914,26 EUR) zu berichtigen. Darauf, ob und inwieweit die Zahlungsverzögerungen auf Sicherungseinbehalten beruhten, kommt es nicht an ( BFHE 243, 451, DStR 2014, 262).
Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO – analog.
Die Zulassung der Revision beruht darauf, dass höchstrichterlich nicht abschließend geklärt ist, wann Zahlungsverzögerungen wegen einer Zahlungsstockung Anlass zur Berichtigung wegen Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG geben (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Fundstelle(n):
DStR 2015 S. 11 Nr. 28
DStRE 2015 S. 1185 Nr. 19
EFG 2015 S. 865 Nr. 10
PStR 2015 S. 168 Nr. 7
Ubg 2015 S. 617 Nr. 10
BAAAE-86262