Tatbestand
Das klagende Land begehrt von der Beklagten, die als Bauträger tätig ist, Zahlung von Umsatzsteuer auf die Erbringung von Werkleistungen aus abgetretenem Recht.
Am schlossen die Streithelferin (AN) und die Beklagte (AG) einen Vertrag, wegen dessen Einzelheiten auf Anlage K 1 (BI. 7 ff. GA) Bezug genommen wird. In dem Vertrag verpflichtete die Streithelferin sich zur Erbringung von Fliesenarbeiten für ein von der Beklagten betriebenes Bauvorhaben.
Nach der zum Gegenstand des Vertrages gemachte Verhandlungsprotokolls (BI. 8 GA) haben sich die Streithelferin und die Beklagte dahin verständigt:
„Die Preise verstehen sich rein netto. Die Umsatzsteuer wird entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des § 13b des Umsatzsteuergesetzes vom AG direkt abgeführt."
„Jede Abtretung von Forderungen des AN gegen den AG sind nur mit Zustimmung des AG wirksam."
Dementsprechend stellte die Streithelferin der Beklagten nach Durchführung der Fliesenarbeiten keine Umsatzsteuer in Rechnung. Die Beklagte führte ihrerseits Umsatzsteuer in Höhe von 8.991,42 Euro an das klagende Land ab.
Mit Urteil vom (Az. V R 37/10) stellte der Bundesfinanzhof - entgegen der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung - fest, dass die Umsatzsteuer auch bei der Erbringung von Bauleistungen vom Unternehmer geschuldet wird, wenn der Leistungsempfänger Bauträger ist.
Am erhielt die Beklagte - auf ihren Antrag unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes - die von ihr gezahlte Umsatzsteuer zurück.
Das klagende Land nahm nun die Streithelferin auf Zahlung von Umsatzsteuer in Anspruch. Sie bot der Streithelferin - auf Grundlage des am in Kraft getretenen § 27 Abs. 19 UStG - an, ihre Steuerschuld durch Abtretung eines Anspruchs gegen die Beklagte zu erfüllen.
Die Streithelferin fertigte daraufhin neue Rechnungen gegenüber der Beklagten aus. Diese sahen eine Zahlung von Umsatzsteuer in Höhe von 8.991,42 Euro durch die Beklagte an die Streithelferin vor. Diesen Anspruch trat die Streithelferin an das klagende Land ab.
Das klagende Land ist der Auffassung, es sei durch die Abtretung Inhaberin eines Anspruchs der Streithelferin gegen die Beklagte auf Zahlung der abzuführenden Umsatzsteuer geworden. Dieser Anspruch ergebe sich daraus, dass die Streithelferin von der Beklagten nachträglich Zahlung der Umsatzsteuer wegen Störung der Geschäftsgrundlage verlangen könne.
Das klagende Land und die Streithelferin beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, an das klagende Land 8.991,42 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an das klagende Land nicht anrechenbare Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 415,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung,
dem Begehren des klagenden Landes stehe bereits entgegen, dass die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage nicht erfüllt seien. Außerdem sei eine etwaige Abtretung an das klagende Land jedenfalls aufgrund des vertraglichen Abtretungsverbots unwirksam.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das klagende Land hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung von 8.991,42 Euro aus abgetretenen Rechten (§ 398 BGB) des zwischen der Streithelferin und der Beklagten geschlossenen Werkvertrages (§ 631 Abs. 1 BGB) Ihre grundsätzlich gegenüber der Streithelferin bestehenden Verbindlichkeiten — und nur solche können auch abgetreten worden sein — hat die Beklagte erfüllt.
Ein weiterer — noch abtretbarer - Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer an die Streithelferin besteht nicht.
1. Eine wörtliche Auslegung des Vertrages zwischen der Streithelferin und der Beklagten ergibt bereits keine Pflicht der Beklagten zur Zahlung von Umsatzsteuer.
Die Parteien des Werkvertrages haben ausdrücklich vereinbart, dass die Beklagte als Auftraggeber und nicht die Streithelferin die Umsatzsteuer an die Finanzbehörden abführt. Diese Vereinbarung ist angesichts ihres eindeutigen Wortlauts nicht auslegungsfähig. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Parteien auch auf die „gesetzlichen Bestimmungen" Bezug genommen haben. Die Parteien haben mit dieser Formulierung lediglich ihre gemeinsame und zum damaligen Zeitpunkt auch zutreffende Annahme zum Ausdruck gebracht, mit ihrer Vereinbarung der damaligen unstreitigen und durch die Verwaltungspraxis und Schreiben der Finanzverwaltung auch dokumentierte Auslegung des geltenden Rechts zu entsprechen. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung dahin, im Falle einer Änderung von Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis solle die Umsatzsteuer gegebenenfalls von der Beklagten an die Streithelferin entrichtet werden, lässt sich dem Vertrag auch nicht entnehmen.
Dafür bestand auch kein Bedürfnis. Selbst wenn die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Änderung der Umsatzsteuerschuldnerschaft vorausgesehen hätten, wäre dies kein Grund gewesen, die Beklagte zur Zahlung der Umsatzsteuer an das klagende Land zu verpflichten. Die Beklagte hat die Umsatzsteuer entsprechend der damaligen Sach- und Rechtslage und in Erfüllung des Vertrages an die Finanzverwaltung bereits vor der Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH — V R 37/10 — Urteil vom ) gezahlt. Dass diese dann - möglicherweise voreilig - diese Umsatzsteuer wieder an die Beklagte auskehrt, berührt die zivilrechtliche Rechtslage der Streithelferin und der Beklagten nicht. Ihre wechselseitigen Verpflichtungen sind in jeder Hinsicht erfüllt.
2. Ein abtretbarer Anspruch der Streithelferin auf Zahlung von 8.991,42 Euro folgt auch nicht aus einer ergänzender Auslegung des Vertrages mit der Beklagten.
Die von Teilen der Literatur (Heuermann, DB 2015, 572, 576 f.; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 27 Rn. 51 zit. nach juris) und von einigen Finanzämtern (vgl. jeweils den Vortrag des Antragsgegners bei (U), Rn. 23 - juris; , Rn. 25 - juris) vertretene Auffassung, ein zivilrechtlicher Anspruch im Sinne des § 27 Abs. 19 UStG ergebe sich regelmäßig aus einer ergänzenden Auslegung des Vertrages zwischen Unternehmer und Leistungsempfänger, ist jedenfalls dann unzutreffend, wenn die Parteien - wie hier - ausdrücklich eine anders lautende Regelung getroffen haben.
Eine ergänzende Auslegung ist im Streitfall insbesondere ausgeschlossen, weil der Vertrag keine Regelungslücke aufweist. Die Vertragsparteien haben ausdrücklich vereinbart, dass der Auftraggeber - die Beklagte - die Umsatzsteuer abführt. Die falsche Vorstellung der Parteien vom Inhalt des § 13b UStG ändert nichts daran, dass sie die Abführung der Umsatzsteuer ausdrücklich geregelt haben (vgl. , NJW 2005, 2069, 2070).
Hierdurch unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall von dem Sachverhalt der vom klagenden Land zitierten Entscheidung des . Der BGH hielt eine ergänzende Vertragsauslegung dort für möglich. Die Parteien hatten - anders als im hier zu entscheidenden Fall - aber nicht eine unzutreffende, sondern überhaupt keine Regelung zur Abführung der Umsatzsteuer getroffen. Ist aber dem Vertrag — wie vorliegend - eine eindeutige Regelung zu entnehmen, ist er einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht zugänglich (vgl. , NJ1/1/ 2002, 2312).
Die Streithelferin hatte gegen die Beklagte auch keinen abtretbaren Anspruch auf Zahlung von 8.991,42 Euro aus § 313 BGB.
Nach dieser Vorschrift kann eine Vertragspartei Anpassung des Vertrages verlangen, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert oder sich als falsch herausgestellt haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Aus Gründen der Prozessökonomie kann statt auf Vertragsanpassung sogleich auf die angepasste Leistung geklagt werden (, NJW 2005, 2069, 2070 f.; Finkenauer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 313 Rn. 83; Unberath, in: Beck'scher Online-Kommentar zum BGB, Stand: , § 313 Rn. 86).
Dahinstehen kann im vorliegenden Fall, ob die Änderung der Praxis der Finanzverwaltung infolge des als schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlage anzusehen ist und ob die Parteien eine andere Vereinbarung getroffen hätten, wenn sie diese Änderung vorausgesehen hätten. Denn jedenfalls ist der Streithelferin das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht unzumutbar.
Das Festhalten am unveränderten Vertrag ist lediglich unzumutbar, wenn es zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde. Dies erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ( Xl ZR 189/93, NJVV 1995, 47, 48; , NJW 1995, 592, 594; , NJW 2015, 1014, 1015). Hier überwiegt aber das Interesse der Streithelferin — im Zeitpunkt der Abtretung - nicht das der Beklagten, weil die Interessen beider gleichermaßen schutzwürdig sind.
Teile der Literatur gehen im Ergebnis offenbar davon aus, dass eine Interessenabwägung in der von § 27 Abs. 19 UStG erfassten Konstellation regelmäßig zugunsten des steuerpflichtigen Unternehmers ausgeht, ohne allerdings unter die Tatbestandsmerkmale des § 313 BGB zu subsumieren (Fleckenstein/Weiland, BB 2014, 2391, 2394; Habammer/Schneider, BB 2015, 1108, 1110 f.; Lippross, UR 2014, 717, 722).
Hingegen äußern sich andere Teile der Literatur skeptisch zum Bestand eines zivilrechtlichen Anspruchs (Langer, DStR 2014, 1897, 1902; Neeser, UVR 2014, 333, 340; Robisch, in: Bunjes, UStG, 14. Aufl. 2015, § 27 Rn. 36; Schmölz, in: Beck'scher Online-Kommentar zum UStG, 7. Aufl. 2015, § 27 Rn. 60.1; Sterzinger, UR 2015, 293, 295 f.; Widmann, MwStR 2014, 495, 497). Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Entstehung einer zivilrechtlichen Forderung nicht gesetzlich angeordnet werden könne (Radeisen, DB 2014, 2547, 2552).
Soweit § 313 BGB von Teilen der Literatur pauschal für anwendbar gehalten wird, ist dies nicht mit der abwägungsoffenen Struktur dieser Norm vereinbar. Abzuwägen sind vielmehr einerseits das Interesse des Unternehmers - hier der Streithelferin - daran, seine Steuerschuld ohne wirtschaftliche Mehrbelastung durch Abtretung an das Finanzamt erfüllen zu können, andererseits das Interesse des Leistungsempfängers - hier der Beklagten - am Bestand der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung. Eine Anwendung von § 313 BGB kommt nur in Betracht, wenn das Interesse des Unternehmers das des Leistungsempfängers überwiegt.
Zumindest wenn - wie hier - der Leistungsempfänger bei Rückforderung der von ihm zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer nicht wusste und auch nicht wissen musste, dass dies zu einer Belastung des Unternehmers führen würde, überwiegt das Interesse des Unternehmers nicht das des Leistungsempfängers.
Als die Beklagte im Januar 2014 die Erstattung der von ihr verauslagten Umsatzsteuer beantragte, war § 27 Abs. 19 UStG noch nicht erlassen worden. Die Vorschrift wurde erst am im BGBl. (2014 I, S. 1266 ff.) verkündet und trat am in Kraft. Der Referentenentwurf wurde erst im März 2014 veröffentlicht, die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG erst im Laufe der Beratungen im Bundestag - nach Vollziehung der Erstattung der Umsatzsteuer an die Beklagte - in die Gesetzesvorlage aufgenommen.
Die Beklagte konnte bei Stellung des Erstattungsantrages im Januar 2014 nicht wissen, welche Folgen die Erstattung der von ihr verauslagten Umsatzsteuer für die Streithelferin haben würde. Zu diesem Zeitpunkt durfte sie davon ausgehen, die Erstattung werde wegen der vertrauensschützenden Regelung des § 176 Abs. 2 AO keine Auswirkungen auf die Steuerfestsetzung gegen die Streithelferin haben. Dass der Gesetzgeber die Geltung des § 176 Abs. 2 AO mit der atypischen Regelung in § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG ausschließen würde, konnte die Beklagte nicht voraussehen. In dieser Situation hatte sie ein schutzwürdiges Interesse am Bestand der Vereinbarung mit der Streithelferin.
Auf die Schutzwürdigkeit des Interesses der Beklagten ist dabei ohne Einfluss, dass § 176 Abs. 2 AO dem Steuerpflichtigen nach der jüngsten Rechtsprechung einiger Finanzgerichte ohnehin keinen Schutz gegen die Änderung von Umsatzsteuervoranmeldungen durch den Umsatzsteuerjahresbescheid bietet (; ; ebenso - in einkommenssteuerrechtlichem Kontext - ).
Die vorgenannten Entscheidungen belegen nämlich gerade, dass die Reichweite des § 176 Abs. 2 AO im Zeitpunkt des Erstattungsantrages der Beklagten im Januar 2014 noch nicht abschließend geklärt war. Es bestanden - anders als nach Veröffentlichung der vorgenannten Entscheidungen - auch noch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Streithelferin - unabhängig von § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG - möglicherweise nicht durch § 176 Abs. 2 AO vor einer wirtschaftlichen Mehrbelastung infolge der Änderung der Rechtsprechung zu § 13b Abs. 5 UStG geschützt werden würde.
Der BFH hatte mit seinem Beschluss vom - V B 89/09 zwar entschieden, dass § 176 Abs. 2 AO nicht auf die Änderung des Bescheides über Umsatzsteuervoranmeldungen durch den Umsatzsteuerjahresbescheid Anwendung findet. Doch musste die Beklagte diese Entscheidung nicht in ihre Überlegungen einstellen. Denn sie war nicht amtlich veröffentlicht worden. In der Literatur wurde sie - für die Kammer erkennbar - erst nach dem Erstattungsantrag der Beklagten - im Mai 2014 - erstmalig berücksichtigt (Lippross, DStR 2014, 879). Sicher war für die Beklagte im Januar 2014 nur, dass sie selbst zu Unrecht Umsatzsteuer entrichtet hatte. Die zu diesem Zeitpunkt hypothetische Möglichkeit einer der Streithelferin ungünstigen Auslegung des § 176 Abs. 2 AO musste sie in ihre Überlegungen zum Erstattungsantrag nicht einstellen.
Das Interesse der Beklagten am Bestand der vertraglichen Vereinbarung mit dem klagenden Land ist auch nicht deshalb schutzunwürdig, weil die Beklagte nach dieser Vereinbarung ohnehin die Umsatzsteuer abführen sollte und nach der Rückerstattung nun besser steht, als wäre die Vorstellung der Vertragsparteien vom Inhalt des § 13b UStG zutreffend gewesen. Denn maßgeblich für die Interessenabwägung im Rahmen von § 313 BGB ist nicht, ob eine Partei besser steht als ursprünglich beabsichtigt, sondern allein, ob der andere Vertragsteil unzumutbar schlechter steht. Im Zeitpunkt des Erstattungsantrags durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die Erstattung nicht die Streithelferin, sondern allein den Fiskus schlechter stellen würde. Die Interessen des Fiskus sind für die Beurteilung des Gleichgewichts zwischen den Vertragsparteien indes ohne Belang.
Die Streithelferin hatte demgegenüber im Zeitpunkt der Umsatzsteuererstattung an die Beklagte noch kein Interesse daran, durch Anpassung des Vertrages mit der Beklagten vor einer wirtschaftlichen Mehrbelastung verschont zu werden. Denn sie durfte ihrerseits davon ausgehen, durch § 176 Abs. 2 AO geschützt zu werden. EinerVertragsänderung hätte es zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Mehrbelastung nicht bedurft.
Erst mit Inkrafttreten des § 27 Abs. 19 UStG am entstand ein Interesse der Streithelferin an der Vertragsanpassung. Denn nunmehr war es der Streithelferin aufgrund von § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG verwehrt, sich auf § 176 Abs. 2 AO zu berufen. Verstärkt wurde dieses Interesse durch die nachfolgende Rechtsprechung der Finanzgerichte zur Unanwendbarkeit des § 176 Abs. 2 AO auf Umsatzsteuervoranmeldungen.
Der Gesetzgeber will mit der Abtretungsmöglichkeit in § 27 Abs. 19 UStG das Vertrauen lediglich des umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers schützen (BT-Drs. 18/1995, S. 111) bzw. die Derogation des Vertrauensschutzes durch die Möglichkeit der Abtretung kompensieren (Lippross UR 2014, 717, 718) Dass das Vertrauen des leistenden Unternehmers schutzwürdig ist, bedeutet jedoch nicht, dass deswegen das Vertrauen des Leistungsempfängers schutzunwürdig wäre. Aus der Gesetzesbegründung geht auch nicht hervor, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, das Vertrauen des Leistungsempfängers auf den Bestand der vertraglichen Vereinbarung nach Stellung eines Erstattungsantrags für schutzunwürdig zu erklären.
Hätte der Gesetzgeber den Vertrauensschutz des Leistungsempfängers ausschließen wollen, hätte er einen Regressanspruch des Unternehmers gegen den Leistungsempfänger durch Gesetz festschreiben müssen. Das ist jedoch nicht geschehen. Ganz im Gegenteil trägt der Gesetzgeber dem Vertrauen des Leistungsempfängers dadurch Rechnung, dass er die Befugnisse der Finanzverwaltung gegen den Leistungsempfänger mit der Abtretungskonstruktion des § 27 Abs. 19 UStG auf die vertraglichen Rechte des Unternehmers beschränkt.
Aber auch das dadurch erstmals entstandene Interesse der Streithelferin an einer Vertragsanpassung überwiegt aber nicht das Interesse der Beklagten am Bestand der vertraglichen Vereinbarung, weil das Interesse der Beklagten weiterhin - wie dargestellt - schutzwürdig bleibt, aber auch die Streithelferin nicht unzumutbar belastet wird.
Dem Vertrauen des leistenden Unternehmers trägt die Bundesfinanzverwaltung Rechnung, da die Erfüllung der Umsatzsteuerschuld durch Abtretung gemäß § 27 Abs. 19 UStG auch dann anzubieten ist, wenn der zivilrechtliche Anspruch - etwa wegen Verjährung oder Insolvenz des Leistungsempfängers - nicht realisierbar erscheint (BT-Drs. 18/5603, S. 4). Das zeigt, dass das Verhältnis zwischen Unternehmer und Leistungsempfänger durch § 27 Abs. 19 UStG nicht umgestaltet werden soll. Bereits die Abtretung des leistenden Unternehmers an das Finanzamt wirkt immer an „Zahlungs statt" (Schreiben des Bundesministers für Finanzen vom Rz. 8 -GZ: IV A 3 - S 0354/14/10001, IV D 3 - S 7279/11/10002 DOK: 2014/0652740) und damit zum Erlöschen des Umsatzsteueranspruchs (§ 47 AO) des klagenden Landes gegen die Streithelferin.
Die Finanzverwaltung muss die vor Erlass des § 27 Abs. 19 UStG bestehende zivilrechtliche Situation zwischen den Parteien hinnehmen. Genauso wenig wie § 27 Abs. 19 UStG einen verjährten Zahlungsanspruch wieder aufleben lässt, kann die Vorschrift dazu führen, dass das Interesse des Leistungsempfängers am Bestand der vertraglichen Vereinbarung nachträglich keinen Schutz mehr genießt. Die stillschweigende und wenig begründete Annahme eines zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs, die Aufhebung des Vertrauensschutzes nach § 176 Abs. 2 AO und die gesamte Abtretungskonstruktion dient letztlich dazu, im Ergebnis die Belastung des Leistungserbringers zu vermeiden und eine - dem materiellen Steuerrecht widersprechende - Begünstigung des Leistungsempfängers zu vermeiden (vgl. Lippross, NWB 10/2015 S. 677, 684).
Dies kann aber nicht durch eine zivilrechtliche Konstruktion ausgehebelt werden. Die damit nunmehr alleine auf formellem Recht gestützte Begünstigung des Leistungsempfängers ist die Folge der Entscheidung des Bundesfinanzhofes. Das aber gerade im öffentlichen Recht formelles und materielles Recht nicht stets übereinstimmen, ist ein bekannter rechtstatsächlicher Umstand und war auch in der mündlichen Verhandlung übereinstimmende Ansicht der Parteien. Dies ist dann aber keine Rechtfertigung für eine den Grundsätzen des Zivilrechts widersprechende Auslegung eines Vertrages oder eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB.
Ob eine abweichende Beurteilung in Fällen gerechtfertigt ist, in denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuererstattung nach Erlass des § 27 Abs. 19 UStG beantragt hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Das Gericht hat auch nicht prüfen, ob der Ausschluss der Anwendung von § 176 AO durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG verfassungswidrig ist, wie die Beklagte meint und auch das ), das ) sowie das 16V 95/15; Beschlüsse vom - 16 V 132/15, 16 V 135/15) erwogen haben. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, wann die Streithelferin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung für 2013 abgegeben hat.
Wäre § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG verfassungswidrig, würde dies lediglich zu dem gleichen Ergebnis führen, der bei unterstellter Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG vorliegend schon aus der Abwägung der Interessen von Streithelferin und Beklagter folgt.
Da der Streithelferin kein Anspruch zustand, den sie an das klagende Land hätte abtreten können, muss nicht entschieden werden, ob der Abtretung ein vertragliches Abtretungsverbot entgegengestanden hätte.
Mangels Anspruchs des klagenden Landes auf Zahlung von 8.991,42 Euro besteht schließlich weder ein Anspruch auf Zinsen noch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.
Streitwert: 8.991,42 €
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2016 S. 612
UR 2016 S. 720 Nr. 18
AAAAF-67463