BGH Beschluss v. - NotSt (B) 1/20

Notarverfahren: Beiladung der Notarkammer im gerichtlichen Disziplinarverfahren

Leitsatz

Zu einem gerichtlichen Disziplinarverfahren, das die Entfernung eines Notars aus dem Amt zum Gegenstand hat, ist die Landesnotarkammer mangels rechtlichen Interesses im Sinne von § 65 Abs. 1 VwGO nicht beizuladen.

Gesetze: § 96 Abs 1 S 1 BNotO, § 3 BDG, § 65 Abs 1 VwGO

Instanzenzug: Bayerisches Oberstes Landesgericht Az: 501 DSNot 1/19vorgehend Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München Az: 40 NV 4/18

Gründe

I.

1Der Kläger hat gegen den beklagten Notar Disziplinarklage erhoben, mit der er dessen Entfernung aus dem Amt anstrebt. Die Landesnotarkammer Bayern hat beantragt, sie zum Verfahren beizuladen, weil ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt würden. Der Kläger hat sich dem Antrag angeschlossen, der Beklagte ist ihm entgegengetreten.

2Das Bayerische Oberste Landesgericht hat den Antrag auf Beiladung zurückgewiesen. Hiergegen hat die Landesnotarkammer Beschwerde eingelegt, der das Bayerische Oberste Landesgericht nicht abgeholfen und die sie dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat.

II.

3Die gemäß § 105 BNotO, § 67 Abs. 1 BDG, § 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Bayerische Oberste Landesgericht den Antrag der Landesnotarkammer auf Beiladung zum Verfahren zurückgewiesen.

41. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO sind auf das Disziplinarverfahren die Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes entsprechend anzuwenden, soweit in der Bundesnotarordnung nichts Abweichendes bestimmt ist. Die Bundesnotarordnung enthält keine Bestimmungen zur Beiladung im Disziplinarverfahren; dasselbe gilt für das Bundesdisziplinargesetz. Gemäß § 3 BDG sind ergänzend unter anderem die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden, soweit sie nicht zu den Bestimmungen des Bundesdisziplinargesetzes in Widerspruch stehen oder soweit in diesem nichts anderes bestimmt ist. § 65 Abs. 1 VwGO eröffnet die Möglichkeit, andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beizuladen.

52. Wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, wird die Möglichkeit der Beiladung Dritter im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren von Rechtsprechung (HessVGH, NVwZ-RR 2007, 566) und Literatur (Schmiemann in Schütz/Schmiemann, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 4. Aufl., Teil D, § 3 Ziff. 2.3; Weiß in GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 3, M § 3 Rn. 43; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl., § 3 Rn. 10; Kintz in BeckOK VwGO, Stand , § 65 Rn. 2; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 65 Rn. 8) abgelehnt. Es kann dahinstehen, ob die Systematik des Bundesdisziplinargesetzes (§ 58 Abs. 2 BDG einerseits, § 66 Satz 1 VwGO andererseits; § 46 Abs. 3 BDG einerseits, § 87a Abs. 1 Nr. 6 VwGO andererseits), der Streitgegenstand oder das Wesen des beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens, das allein auf die disziplinarische Ahndung von Dienstvergehen ausgerichtet ist, eine Beiladung Dritter von vornherein ausschließen. Ferner kann offenbleiben, ob diese Erwägungen nach dem Sinn und Zweck der Bundesnotarordnung auf das Disziplinarverfahren gegen Notare übertragbar sind. Denn selbst wenn dort eine Beiladung Dritter nicht von vornherein ausgeschlossen sein sollte, fehlt es jedenfalls an einem rechtlichen Interesse der Beschwerdeführerin im Sinne von § 65 Abs. 1 VwGO, das durch die Entscheidung im Disziplinarverfahren berührt werden könnte.

6a) Der Zweck der Beiladung ist es, Dritte, die nicht zum Kreis der Hauptbeteiligten gehören, deren rechtliche Interessen aber durch die gerichtliche Entscheidung unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie die Möglichkeit erhalten, sich mit ihrem Rechtsstandpunkt Gehör zu verschaffen. Ferner soll dadurch, dass die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung auch ihnen gegenüber eintreten, aus Gründen der Prozessökonomie etwaigen weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden (, juris Rn. 8; , juris Rn. 2). Ein rechtliches Interesse, das eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann, ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung in der Hauptsache auf rechtliche Interessen des Dritten einwirken kann, das heißt wenn sich seine Rechtsposition durch das Unterliegen einer der Parteien in dem anhängigen Prozess verschlechtern oder verbessern könnte (, juris Rn. 4; BVerwG, NVwZ-RR 1999, 276; jeweils m.w.N.). Der Beizuladende muss also zu einer der Parteien oder zu beiden oder zum Streitgegenstand so in Beziehung stehen, dass sich je nach dem Ausgang des Rechtsstreits seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann (, juris Rn. 2). Erforderlich ist dabei, dass der Inhalt der Entscheidung die Rechtsposition des Dritten berührt (BVerwG, NVwZ-RR 1999, 276, 277).

7b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

8Wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, werden rechtliche Interessen der Beschwerdeführerin durch eine die Entfernung des Beklagten aus dem Amt aussprechende Entscheidung nicht dadurch berührt, dass sie damit ein Mitglied verlieren und an der Neubesetzung der dann freiwerdenden Amtsstelle mitwirken würde. Eine Verbesserung oder Verschlechterung der Rechtsposition der Beschwerdeführerin durch die Entscheidung über die Disziplinarklage lässt sich ferner nicht mit den Aufgaben der Landesnotarkammer gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 BNotO begründen. Danach hat die Notarkammer über Ehre und Ansehen ihrer Mitglieder zu wachen, die Aufsichtsbehörden bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen und für eine gewissenhafte und lautere Berufsausübung der Notare zu sorgen. Damit übt die Notarkammer zwar die Standesaufsicht über die Notare ihres Bezirks aus (Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 8. Aufl., § 98 Rn. 7; Püls in Schippel/Bracker, BNotO, 9. Aufl., § 67 Rn. 2). Dabei hat sie das Recht und die Pflicht, Missständen bei der beruflichen Tätigkeit und im außerberuflichen Verhalten einzelner Berufsangehöriger entgegenzutreten. Wird ihr der Verdacht einer Verfehlung eines Notars bekannt, hat sie dem Verdacht nachzugehen (Püls in Schippel/Bracker, aaO, Rn. 18). Ihre rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten sind aber beschränkt. Die Notarkammer ist nicht Aufsichtsbehörde im Sinne des § 92 BNotO und nicht Trägerin der Disziplinargewalt. Lediglich bei ordnungswidrigem Verhalten leichterer Art kann sie gemäß § 75 Abs. 1 BNotO eine Ermahnung aussprechen, bei der es sich um keine Disziplinarmaßnahme handelt (Püls in Schippel/Bracker, aaO, § 75 Rn. 4) und der gegenüber Maßnahmen der Aufsichtsbehörde nach § 94 BNotO (Missbilligung) oder im Disziplinarwege Vorrang haben (§ 75 Abs. 6 BNotO). Besteht der Verdacht einer Verfehlung, die über ein ordnungswidriges Verhalten leichterer Art und damit über ihre eigene Zuständigkeit hinausgeht, ist die Notarkammer zur Verständigung der Aufsichtsbehörde verpflichtet (Püls in Schippel/Bracker, aaO, § 67 Rn. 23). Sie hat dann die Aufsichtsbehörde zu unterstützen. Das Recht zu einer allgemeinen Legalitäts- oder Legitimitätskontrolle steht ihr hingegen nicht zu (vgl. Senatsbeschluss vom - NotZ 8/08, NJW-RR 2009, 349 Rn. 7). Anders als der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, der gemäß § 122 BRAO bei Weigerung der Staatsanwaltschaft, gegen einen Rechtsanwalt das anwaltsgerichtliche Verfahren einzuleiten, bei dem Anwaltsgerichtshof die gerichtliche Entscheidung über die Einleitung eines solchen Verfahrens beantragen kann, hat die Notarkammer keine vergleichbaren Rechte im Hinblick auf die Erhebung der Disziplinarklage. Die Notarkammer ist selbstverständlich nicht gehindert, gegenüber der Aufsichtsbehörde ihren Standpunkt über das Vorliegen einer Pflichtverletzung und das aus ihrer Sicht gebotene disziplinarische Vorgehen zu äußern. Ob die Aufsichtsbehörde (bzw. in Bayern der Generalstaatsanwalt in München, auf den die Befugnis zur Erhebung der Disziplinarklage gemäß § 5 Nr. 2 NotV übertragen ist) darüber hinaus verpflichtet ist, die Notarkammer vor Erhebung der Disziplinarklage zu beteiligen (vgl. dazu Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, aaO, § 98 Rn. 7; Püls in Schippel/Bracker, aaO, § 67 Rn. 24), kann hier dahinstehen. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren steht der Notarkammer ein Beteiligungsrecht jedenfalls nicht (mehr) zu. Denn die Rechtsposition der Notarkammer wird durch die Entscheidung des Disziplinargerichts auch dann nicht verbessert oder verschlechtert, wenn dieses den Vorwurf gegen den Notar anders als die Kammer beurteilen sollte.

9c) Folgte man demgegenüber der Auffassung, dass eine Beiladung der Notarkammer zum Disziplinarverfahren möglich ist, hätte dies schließlich - bei folgerichtiger Annahme materieller Beschwer (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., vor § 124 Rn. 46) - zur Folge, dass die Notarkammer als Beteiligte selbständig Rechtsmittel gegen eine ihr nicht genehme gerichtliche Entscheidung des Disziplinargerichts einlegen könnte, auch wenn die Aufsichtsbehörde (bzw. der Generalstaatsanwalt) die Entscheidung des Disziplinargerichts zu akzeptieren bereit ist. Dies führte im Ergebnis zu einer gesetzeswidrigen Verlagerung der Disziplinargewalt der Aufsichtsbehörde auf die Kammer (vgl. HessVGH, NVwZ-RR 2007, 566, 567).

III.

10Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 BNotO, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:200720BNOTST.B.1.20.0

Fundstelle(n):
AAAAH-62937