Online-Nachricht - Donnerstag, 22.06.2017

Arbeitsrecht | Arbeitnehmerrechte bei "Pre-packs" infolge eines Konkurses (EuGH)

Ein Konkurs, der im Rahmen eines Pre-packs eröffnet wurde, das die Übertragung eines Unternehmens vorbereiten soll, um einen schnellen Neustart bestandsfähiger Einheiten dieses Unternehmens nach der Konkurseröffnung zu ermöglichen, erfüllt gegebenenfalls nicht alle im Unionsrecht aufgestellten Voraussetzungen ().

Hintergrund: Ein „Pre-pack“ soll die Modalitäten zur Übertragung eines Unternehmens im Detail vorbereiten, um einen schnellen Neustart bestandsfähiger Unternehmenseinheiten nach der Konkurseröffnung zu ermöglichen, in dem Bestreben, so zu verhindern, dass die Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung abrupt beendet würde, damit der Unternehmenswert und die Arbeitsplätze erhalten werden.

Sachverhalt und Verfahrensgang: Am wurde ein Verwalter für die niederländische Estro-Gruppe bestellt. Am wurde die Gesellschaft Smallsteps gegründet, die einen Großteil der Betriebsstätten der Estro-Gruppe zum Neustart übernehmen sollte. Am wurde der Konkurs über das Vermögen der Estro-Gruppe eröffnet und ein „Pre-pack“ zwischen dem Verwalter und Smallsteps unterzeichnet. Rund 2.600 Arbeitnehmern, die zuvor bei der Estro-Gruppe beschäftigt waren, wurde von Smallsteps ein neuer Arbeitsvertrag angeboten, während mehr als 1.000 letztlich entlassen wurden.

Vier Arbeitnehmerinnen, die in von Smallsteps übernommenen Einrichtungen tätig waren, denen jedoch nach der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Estro-Gruppe keine neuen Arbeitsverträge angeboten wurden, erhoben Klage beim Gericht der zentralen Niederlande. Ihrer Ansicht nach ist eine Richtlinie der Union, die auf den Schutz der Arbeitnehmer abzielt, auf das zwischen der Estro-Gruppe und Smallsteps vereinbarte Pre-pack anzuwenden. Das niederländische Gericht möchte wissen, ob die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen dahin auszulegen ist, dass der Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation aufrechterhalten wird, in der – wie im vorliegenden Fall – der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an einen Konkursantrag im Zusammenhang mit einem Pre-pack stattfindet, das vor dem Konkurs vorbereitet und unmittelbar nach der Konkurseröffnung vollzogen wird.

Hierzu führte der EuGH weiter aus:

  • Zwar bereitet das Pre-pack den Konkursantrag vor, es wird aber danach vollzogen. Ein solcher Vorgang kann unter den Begriff „Konkursverfahren“ im Sinne der Richtlinie fallen.

  • Ein solcher Vorgang zielt entgegen dem in der Richtlinie aufgestellten Erfordernis letztlich nicht auf die Liquidation des Unternehmens ab, so dass sich mit dem wirtschaftlichen und sozialen Zweck, der damit verfolgt wird, weder erklären noch rechtfertigen lässt, dass die Beschäftigten des betroffenen Unternehmens bei dessen völligem oder teilweisem Übergang die Rechte verlieren sollen, die ihnen die Richtlinie zuerkennt.

  • Der bloße Umstand, dass das Pre-pack auch auf die Maximierung der Abfindung der Gläubiger abzielen kann, kann es nicht in ein Verfahren umwandeln, das zum Zweck der Auflösung des Vermögens des Veräußerers im Sinne der Richtlinie eröffnet wurde.

  • Die der Konkurseröffnung vorangehende Phase des Pre-packs hat keine Grundlage in den niederländischen Rechtsvorschriften. Dieser Vorgang wird daher nicht unter der Aufsicht des Gerichts, sondern von der Unternehmensleitung durchgeführt, die die Verhandlungen führt und die Entscheidungen zur Vorbereitung des Verkaufs des insolventen Unternehmens trifft.

  • Da der Verwalter sehr schnell nach der Konkurseröffnung die Zustimmung des Konkursrichters zur Veräußerung des Unternehmens beantragt und erhält, muss Letzterer außerdem vor der Konkurseröffnung Informationen erhalten und dieser Veräußerung im Prinzip nicht widersprochen haben.

  • Durch diese Vorgehensweise kann aber eine etwaige Aufsicht durch eine zuständige öffentliche Stelle über das Konkursverfahren weitgehend ausgehöhlt werden; sie kann daher nicht der in der Richtlinie genannten Voraussetzung der Aufsicht durch eine solche Stelle genügen.

  • Ein Pre-pack wie das in Rede stehende erfüllt demnach nicht alle in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen und daher kann von der in ihr vorgesehenen Schutzregelung nicht abgewichen werden.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 70/17 (Sc)

Fundstelle(n):
NWB YAAAG-48258